
Der Fußball im Ruhrgebiet steckt in schwierigen Zeiten: Der VfL Bochum muss den bitteren Gang in die 2. Bundesliga antreten, Schalke 04 entgeht dem erneuten Absturz in die Drittklassigkeit nur hauchdünn – und einzig Borussia Dortmund sorgt mit einer starken Rückrunde für einen Hoffnungsschimmer. Die Schwarz-Gelben dürfen weiterhin auf die Qualifikation zur Champions League hoffen. Thommy Junga und Peter Hesse analysieren, warum der Fußball im Revier längst nicht mehr so glorreich ist– und was sich ändern muss.

Peter Hesse: Die meisten Ruhrgebiets-Vereine waren in der Saison 1991/92 in der Bundesliga vertreten, mit Borussia Dortmund, Schalke 04, dem MSV Duisburg, dem VfL Bochum und der SG Wattenscheid spielten fünf Clubs in der Bundesliga – ab nächste Saison wird es mit Borussia nur noch einer sein. Das ist schon traurig, oder?
Thommy Junga: Es sieht so aus, als würden sich die Vereine der Bundesliga regelrecht nach ihrer Konzernhaftigkeit ausmendeln. Tradition und Identifikation ist da eher wenig hilfreich. Der FC Schalke 04 bildet da hinsichtlich seiner Möglichkeiten auf geradezu tragische Art und Weise die Ausnahme von der Regel. Die systemische Fehlleistung in diesem Verein ist deshalb als umso deutlicher zu attestieren und kritisch zu bewerten, denn hier wurde über Jahre sicher großartiges Potenzial verschenkt, um es wie zum Beispiel Dortmund mit den Betriebsmannschaften aufzunehmen. Das kann man jetzt keiner allgemeinen Entwicklung oder einem Trend in die Schuhe schieben. Das hat S04 verbockt. Von diesen Voraussetzungen können Clubs wie Bochum oder Wattenscheid nur träumen. Aber auch in Bochum hat man das Kunststück fertig gebracht, von Jahr zu Jahr Bundesliga schlechter zu werden. Das muss man auch erst mal schaffen. Duisburg frohlockt über die Verhinderung der vollkommenen Bedeutungslosigkeit. Es ist ein Trauerspiel, wenn man stattdessen in der nächsten Saison wieder Hoffenheim gegen Leipzig entgegenfiebern darf.

Peter Hesse: Mit nur 22 Punkten aus 33 Spielen ist der VfL Bochum sang- und klanglos abgestiegen – was muss jetzt in Bochum passieren – gerade wenn man an Hertha BSC und Schalke 04 denkt – damit der VfL wieder schnell auf die Beine kommt und den direkten Weg zurück in Liga 1 findet?
Thommy Junga: In Bochum darf und wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Das zeichnet sich jetzt schon ab. Trainer Dieter Hecking ist als Reformator gefragt und hat es in der Pressekonferenz vor dem vorerst letzten Bundesligaspiel in St. Pauli ziemlich gut auf den Punkt gebracht, finde ich: er war gezwungen, mit einem völlig zusammengewürfelten Kader zu arbeiten, dem zum großen Teil jegliche Identifikation zur Region und zur Mentalität des VfL Bochum fehlte. Es mangelte an Laufbereitschaft, Tempo und Intensität. Und die Schärfe mit der Hecking das Scouting seines Klubs öffentlich angegangen ist, die ist schon ungewöhnlich. Das habe ich so noch nie gehört und wenn es stimmt, dass man auf keine Vorschläge seitens des Scoutings zurückgreifen kann, dann ist das schon skurril. Es gilt nun dennoch unter diesen Voraussetzungen einen Kader zusammenzustellen, der die richtige Ballance aus Kreativität und Mentalität auf das Eis bringt. Grundsätzlich wirken Hecking und Geschäftsführer Sport Dirk Dufner aber zuversichtlich, deshalb bin ich das jetzt auch. Was bleibt auch sonst?

Peter Hesse: In der laufenden Saison erreichte die Form- und Ergebniskrise beim FC Schalke 04 noch einmal neue Tiefpunkte. Aus eigener Kraft konnte auch am 33. Spieltag der Klassenerhalt in der 2. Bundesliga nicht gesichert werden, verloren die Königsblauen doch mit 0:2 bei Fortuna Düsseldorf. Nur dank der zeitgleichen 0:3-Pleite von Eintracht Braunschweig in Elversberg können die Knappen für ihre dritte Zweitliga-Saison am Stück planen. Das ist nicht gerade das Planziel, was man sich in Gelsenkirchen eigentlich vorstellt, oder?
Thommy Junga: Da wäre aus der Übergangssaison fast die Untergangssaison geworden. Aber jetzt mal ohne Häme: dieser Kader kostet ja durchaus Geld, genau wie jeder Trainerwechsel auch das Konto belastet, da wurde viel verbrannt. Und was man so hört, stehen ja jetzt einige Rückzahlungen von Krediten vor der Tür, sodass das durchaus dann irgendwann auch mal Einfluss auf den Etat haben könnte. Aber nicht nur der finanzielle Fußballschuh drückt: der Verein scheint einigermaßen zerrissen, und es braucht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass ein Trainer auf Schalke die Ruhe und Zeit bekommt, um mit einem hypothetisch schwächeren Kader ein besseres Ergebnis zu erzählen. Schalke ist und bleibt gefühlter Erstligist, wird aber geführt wie ein abgemeldeter Oberligist. Marketingeinnahmen sinken konsequent, die Kosten steigen, da brauchen wir über hohe Planziele eigentlich nicht reden.

Peter Hesse: Mit dem Abgang von Xabi Alonso droht Leverkusens Meistermannschaft auseinanderzubrechen. Der Trainer soll bereits mit Real Madrid einig sein, doch sein Standing ist zuletzt gefallen. Zuletzt konnte die Bayer-Elf überhaupt nicht mehr triumphieren – was ist los im Aspirin-Paradies?
Thommy Junga: Am Ende ist Bayer Leverkusen auch nur eine Fußballmannschaft und damit eine soziale Gruppe. Auf der Liste der Abgänge steht ja nicht nur der Name vom Trainer Alonso. Mit Frimpong und Wirtz drohen zwei maßgebliche Stützen der Meistermannschaft wegzubrechen, der komplette Sturm liebäugelt mit einem Engagement in der Wüste, Jonathan Tah ist auch schon auf Wohnungssuche, man weiß nur noch nicht wie weit südlich. Das geht an keiner Mannschaft einfach so vorbei, diese Kabine ist in der Prognose halb leer. Die Rakete Leverkusen brannte kurz ganz hoch und hell. Nachhaltig war diese Mannschsft ebensowenig wie das Engagement von Xabi Alonso, der im übrigen nie einen Hehl daraus gemacht hat wieder in Spanien oder England arbeiten zu wollen.

Peter Hesse: Als Michael Preetz beim MSV Duisburg im Januar 2024 antrat, kämpfte der Traditionsverein in der 3. Liga ums Überleben. Es folgte der bittere Abstieg in die Regionalliga – doch statt aufzugeben, stellte sich Preetz der Herausforderung. Nun ist der MSV mit neuer Euphorie wieder da – wie siehst du die Lage in Duisburg?
Thommy Junga: Ich traue den Duisburgern durchaus zu direkt in der dritten Liga oben mitzuspielen. Das ist eine gewachsene Mannschaft, eine Mannschaft, die nachgewiesen hat, dass sie mit Rückschlägen umgehen kann und sie weiß eine fußballverrückte Stadt komplett hinter sich. Das hat das Potenzial für eine Eigendynamik und mit punktuellen Verstärkungen glaube ich an eine gute Entwicklung beim MSV. Michael Preetz hat nicht immer ein glückliches Händchen bei Kaderzusammenstellungen, deshalb ist es gut, dass der MSV in dieser Hinsicht keine One-Man-Show ist – aber er kann ein Verein führen und steht für etwas, für eine Idee eines MSV Duisburg, für Aufbruch. Das sieht man auch an den steigenden Mitgliederzahlen und dem Ausmaß der Ekstase beim Aufstieg. Der Funke ist übergesprungen. Das gilt es jetzt zu nutzen. Mit Dietmar Hirsch steht eine Integrationsfigur an der Linie, die die Regionalliga angenommen und deshalb auch schlussendlich bezwungen hat. Ich denke, die Zebras schnuppern bald wieder an der zweiten Liga.
