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Bochum: „Die Stadt hat rund 600 Bochumer Bürger in den Tod deportiert“

Thomas Wessel Foto Ayla Wessel


Thomas Wessel, der Pfarrer der Bochumer Christuskirche, wünscht sich ein öffentliches Gedenken zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.

Ruhrbarone: Gestern wurde auch in Bochum der Befreiung des KZ-Auschwitz durch die Rote Armee gedacht. Wie lief die Gedenkveranstaltung ab?
Thomas Wessel: Sie fand in der Synagoge Bochum statt, in der Jüdischen Gemeinde gibt es den „Club Stern“, einen Zusammenschluss der Überlebenden, es war ihre Gedenkstunde. Daher auch kein Protokoll, keine Repräsentanten von woandersher, sondern die Überlebenden selber – die als Kinder ein Ghetto überlebt haben, die die mörderische Belagerung von Leningrad überlebt haben, die in der Roten Armee gedient und überlebt haben und die in den 90er Jahren aus der Ukraine, Weissrussland und Russland nach Bochum gekommen sind – sie hatten das Wort.

Ruhrbarone: In vielen Städten gibt es ein öffentliches Gedenken. Warum ist das in Bochum anders?
Thomas Wessel: Wir haben in den letzten 19 Jahren fast jedes Jahr eine größere Veranstaltung in der Christuskirche gemacht. Möglicherweise hat sich so die Vorstellung verfestigt, der Tag der Befreiung von Auschwitz sei ein Tag, der aus der Bürgerschaft heraus gestaltet werden müsse. Das soll er auch, klar, aber das ersetzt nicht das, was man einen „offiziellen“ Akt nennen könnte. Die Stadt hat rund 600 Bochumer Bürger in den Tod deportiert. Daran zu erinnern, ist Aufgabe der Stadt.

Ruhrbarone: Wie könnte so eine Erinnerungsveranstaltung aussehen?
Thomas Wessel: Am 27. Januar wurde Auschwitz befreit. Am 27. Januar drei Jahre zuvor hatte die Stadt den ersten Deportationszug aus Bochum in die Todeslager organisiert. Das waren ja alles administrative Vorgänge, wir kennen die Namen der meisten Bochumer, die in den Tod deportiert worden sind. Diese Namen werden jedes Jahr in der Synagoge gelesen, das ist unglaublich berührend. Ich finde, die Namen dieser Bochumer Bürger könnten auch im Rat der Stadt gelesen werden. Das ist der Ort, der Bochums Bürgerschaft repräsentiert. Und einmal praktisch gedacht: Der Rat tritt eh in der Woche zusammen, in die der 27. Januar fällt, das ist die reguläre Sitzungswoche.

Ruhrbarone: Gab es schon Gespräche darüber mit Vertretern der Stadt und der Lokalpolitik?
Thomas Wessel: Keine förmlichen. Die Jüdische Gemeinde hat, wenn man genauer hinhört, seit langem den Wunsch geäußert, nicht in die Rolle zu geraten, dass sie „zuständig“ sei für das Gedenken, das ist ja gerade die Jüdische Gemeinde nicht. Ihre Form des Gedenkens ist eine sehr persönliche, familiäre, es werden Verwandte erinnert, liebste Freunde. Dass die Stadt daneben eine eigene Form des Erinnerns an die Bürger – und eben auch an das eigene Tun – entwickeln könnte, die Idee hatte ich vor mehreren Monaten schon mal an zwei drei Ratsmitglieder herangetragen, die Idee ist präsent.

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