„…es widert uns an“

In der vergangenen Woche hielt der Shimon Peres, der Präsident Israels, im Bundestag eine beeindruckende Rede. Am Ende erhoben sich die Bundestagsabgeordneten. Nur drei von der Linkspartei blieben sitzen. Zu ihnen gehörte neben Sarah Wagenknecht und Christine Buchholz auch  Sevim Dagdelen, die Linkspartei-Abgeordnete für das Ruhrgebiet. Nun hat Dagdelen  Hausverbot in drei Kirchen im Revier und die linken Sitzenbleiber neue Bewunderer: In der NPD.

Die Shoah, das Verhältnis zu Deutschland, davon, wie es war, als er seinen Großvater, der von den Nazis ermordet wurde, zum letzten Mal sah: das waren die wichtigsten Teile der Rede von Shimon Peres. Der israelische Präsident hielt sie am Gedenktag zur Befreiung des KZ-Auschwitz am 27. Januar vor dem Bundestag. Gegen Ende seiner Ansprache wandte sich Peres der Gegenwart zu:

„Auch jetzt sind wir bereit, auf Gebiete zu verzichten, um mit den Palästinensern Frieden zu schließen. Sie sollen einen eigenen Staat errichten, einen unabhängigen, gedeihenden und friedliebenden Staat. Ebenso wie unsere Nachbarn identifizieren auch wir uns mit den Millionen Iranern, die gegen die Diktatur und Gewalt rebellieren. Genau wie sie lehnen wir ein fanatisches Regime ab, das die Charta der Vereinten Nationen missachtet. Ein Regime, das mit Zerstörung droht und Atomkraftwerke und Nuklearraketen besitzt, mit denen es sein eigenes Land wie auch andere Länder terrorisiert. Ein solches Regime ist eine Gefahr für die ganze Welt.“

Dieser Abschnitt war der Grund für die Linksparei-Abgeordneten Sarah Wagenknecht, Christine Buchholz und Sevim Dagdelen nicht wie alle anderen Parlamentarier nach der Rede von Peres aufzustehen, sondern sitzen zu bleiben. Dafür wurden sie massiv kritisiert: In ihrer eigenen Partei und  von den anderen Fraktionen. Der Linkspartei-Abgeordnete Michael Leutert erklärte, Wagenknecht sei nicht wählbar. Die  soll bekanntlich Vizeparteichefin der Partei  werden. Natürlich wurde Leutert wegen seinem Protest gegen die drei sofort attackiert.

Dagdelen las, wie Wagenknecht und Buchholz, aus diesem Abschnitt der Rede von Perez, pure Kriegshetze:

Doch konnte ich die von Shimon Peres vorgetragenen Teile seiner Rede mit Bezug zum Iran nicht mit stehendem Beifall gut heißen. Grund dafür ist, dass Shimon Peres seine Rede zur ideologischen Vorbereitung auf einen Krieg gegen den Iran genutzt hat. In seiner Rede hat Peres fälschlicherweise den Iran beschuldigt, im Besitz von Nuklearraketen zu sein. Dazu kam eine Gleichsetzung des Irans mit Nazideutschland, die ich für fatal halte. Angesichts der aktuellen politischen Lage sind diese Äußerungen äußerst gefährlich.

Sarah Wagenknecht äußerte sich ähnlich.

Liest man die Rede von Peres, findet sich dort keine Gleichsetzung des Irans mit Nazi-Deutschland. Und dass der Iran Raketen besitzt, mit denen man Atomsprengköpfe verschießen kann, zeigt das Regime gerne bei Militärparaden und nutzt sie zur Propaganda. Eine Atombombe hat der Iran bislang wohl nicht, aber es gibt gute Gründe anzunehmen, dass er an einer arbeitet. Und da in Reden von  Mahmud Ahmadinedschad eigentlich nie etwas vom Bestandsrecht Israels, aber viel von Vernichtung zu hören ist, hat ein israelischen Staatspräsident gute Gründe, besorgt zu sein. Das Peres sich als Demokrat mit der iranischen Demokratiebewegung solidarisiert zeigt die Linien, in denen der Mann denkt: Politisch aufgeklärt und nicht rassistisch.

Dagdelen hat das alles so nicht gesehen. Der Westen in böse – immer. Und was sind schon sechs Millionen tote Juden, wenn es um die holen Phrasen der internationalen Solidarität geht?

Dafür hat sie jetzt Hausverbot in drei Kirchen des Ruhrgebiets bekommen, in denen viele politische und kulturelle Veranstaltungen stattfinden. Die Pfarrer und die Pfarrerin von St. Petri in Dortmund, der Bleckkirche in Gelsenkirchen und der Christuskirche Bochum wollen sie nicht mehr in ihren Häusern sehen. In einem offenen Brief an Dagdelen erklärten sie zum Sitzenbleiben nach der Peres-Rede:

Einfach der Unwille mitzufühlen. Der einfache Wille, nichts wissen zu wollen. Früher liefen sie mit, heute bleiben Sie sitzen, es widert uns an. Die Kirchen, die wir bespielen, sind Kirchen der Kulturen, es sind offene Häuser, und manche Gespräche werden darin so offen geführt, dass es weh tun kann. Auch Sie sind hier zu Gast gewesen. Sie werden es nicht mehr sein, Sie sind uns nicht erwünscht. Sie haben denen, die überlebt haben, den Respekt verweigert, unseren haben Sie restlos verloren.

Dagdelen erklärte daraufhin, die drei Theologen würden Hass sähen und die beiden Kirchenmänner und die Kirchenfrau seien für sie keine Ansprechpartner mehr. Aber wie es so ist im Leben: Man verliert Freunde, man gewinnt Freunde. Applaus bekamen Wagenknecht, Dagdelen und Buchholz von der NPD. Die feierte den mutigen Antiimperialismus der Sitzenbleiber:

„Ausgerechnet während der Rede des israelischen Staatspräsidenten hat Sahra Wagenknecht, die demnächst für das Amt der stellvertretenden Parteivorsitzenden kandidieren will, das antiimperialistische Erbe der Linken wiederentdeckt. Viel zu viele Linke haben mit dem israelischen Staatsterrorismus und der weltweiten Aggressionspolitik von USrael ihren faulen Frieden gemacht. Wagenknecht und Buchholz haben mit der verweigerten Ergebenheitsgeste gegenüber Peres auch dagegen protestiert.“

Ich mag Wagenknecht, Buchholz und Dagdelen so wenig in einem deutschen Parlament sitzen sehen wie Holger Apfel und Udo Pastörs von der NPD . Sie haben mir zu viele Gemeinsamkeiten.

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Die unglaubliche Geschichte der Neda Soltani – vom Versagen der Medien und der „Social Networks“

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Mir gegenüber sitzt die Todgesagte. Sie redet, sie lacht, manchmal merke ich, dass sie Angst hat. Neda Soltani musste flüchten, sie hat ihre Heimat verlassen. Sie sagt, hier in diesem Kaff bei Frankfurt am Main sei alles anders. Schnee, Frost, Regen und kalte Straßen mit kalten Gesichtern. Ein fremdes Land für die jungen Frau.

Das Bild von Neda Soltani kennt fast jeder auf dieser Welt. Es kam über die Sender, das Internet und die Zeitung in so gut wie jedes Haus als das Bild einer Toten. Dieses bekannte Portrait zeigt eine junge, vorsichtig geschminkte Frau mit braunen Augen. Der im Iran gesetzlich vorgeschriebenen Schleier ist eine Handbreit zurückgeschoben. Man sieht den Ansatz ihres kräftigen Haares. Sie lächelt, ein wenig weich, ein wenig unschuldig, freundlich.

Hier und jetzt, in einem Cafe irgendwo in der Nähe von Frankfurt ist das Gesicht von Neda Soltani härter geworden. Sie trägt keinen Schleier mehr. Man sieht graue Strähnen, die größer werden an ihrer Stirn. Es war nur ein Missverständnis, sagt sie. Ein Fehler. Ein Irrtum mit schrecklichen Folgen. Neda Soltani geriet in den Tumulten nach den gefälschten Wahlen im Iran zwischen die Fronten, wurde gehetzt, gejagt und musste flüchten. Ihr altes Leben zerbrach wie ein Spiegel. Ihr Foto, das Bild mit dem weichen Lächeln das um die Welt ging, wurde ihr entrissen.

Bis vor einem halben Jahr hat Neda Soltani in Teheran gelebt. Sie unterrichtete dort englische Literatur. Sie kann sich in der fremden Sprache fließend ausdrücken, gewählt und intelligent. Im Sommer erst hatte sie eine Arbeit über die weibliche Symbolik im Werk von Joseph Conrad abgeschlossen. An den Protesten im Iran konnte sie deswegen nicht teilnehmen. Sie musste im Juni Korrektur lesen. „Mein Ziel war es, irgendwann eine Professur anzustreben, wenn ich gut genug dafür gewesen wäre.“

Ihre Eltern gehören der iranischen Mittelschicht an. Wo genau sie herkommt und was ihre Familie macht, will sie nicht sagen. Sie hat Angst. Sie erkennt Probleme. Sie weiß, dass nicht alles richtig läuft. Aber sie war vor allem fleißig, wenn es darum ging, zu lernen. Eine Akademikerin. „Ich habe über zehn Jahre hart gearbeitet, um mir die Position als Dozentin an der Universität zu sichern. Ich habe Geld verdient, ich bin mit Freunden ausgegangen und ich habe Spaß gehabt.“ Heute hat sie davon nichts mehr. Keine Arbeit, kein Geld und keine Freunde zum Ausgehen. Neda Soltani ist jetzt 32 Jahre alt.

Die Geschichte ihres Fotos beginnt am 20. Juni 2009. Damals wurde in der Nähe der Kargar Avenue in Teheran gegen 19:00 Uhr Ortszeit eine junge Frau niedergeschossen. Sie fiel auf den Rücken, aus ihrem Mund lief Blut. Dabei starrte sie in eine Handykamera, verletzt, voller Angst, wehrlos. Sie starb wenig später auf dem Weg ins Hospital. Die Bilder der sterbenden Frau wurden auf Youtube hochgeladen.

Alarmiert durch Blogger und Twitter stoßen bald große Sender auf das Sterben der Frau. Redakteure versuchen sie zu identifizieren. In Zeitnot suchen sie Bilder der Toten. Ihr Vorname, Neda, war im Video zu hören. Schnell kommt über das Netz ein Nachname: Soltan, Studentin der Islamic Azad Universität in Teheran. Irgendwer sucht mit diesen Daten bei Facebook.

Hier unterhält auch Neda Soltani eine Seite. Öffentlich zugänglich ist hier nicht viel. Neda Soltani hat ihre Inhalte allein für Freunde freigegeben. In ihrem Profil stand allerdings ein Foto, das damals jeder sehen konnte.

Wer als erster auf ihre Seite im internationalen Portal für Studenten, Manager und Hausfrauen stieß, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Genauso wenig ist klar, wer den Fehler machte und die ermordete Neda Soltan (auf dem Foto links) mit Neda Soltani (auf dem Foto rechts) verwechselte.


Auf jeden Fall kopiert irgendwer das Foto der Lebenden in der Nacht auf den 21. Juni 2009 aus deren Facebook-Profil. Es wird über die sozialen Netzwerke, über Blogs und Portale gestreut. Dann wird es über CNN, BBC, CBS, ZDF, ARD und fast jeden anderen denkbaren Sender gesendet. Es wird gedruckt in den Zeitungen und Magazinen dutzender Länder. Es passiert gleichzeitig, es passiert weltweit.

Das Foto der jungen Frau wurde so zum Symbol des Freiheitskampfes am persischen Golf. Auf Demonstrationen trugen die wütenden Menschen das Abbild der vermeidlichen Märtyrerin vor sich her. Sie trugen es auf ihren T-Shirts und bauten ihm Altäre. Sie riefen: „Engel des Iran“.

Wie konnte es zu dem verwechselten Foto kommen? Soltani ist ein gewöhnlicher Name im Iran. Wie Meyer oder Müller vielleicht. Auch Neda ist nicht ungewöhnlich. Man könnte ihn mit Sonja oder Sandra vergleichen. Die Ermordete studierte an der privaten Islamic Azad Universität, die lebende Neda Soltani war dort Dozentin. Doch hätten die Medien nicht besser prüfen müssen, wessen Foto sie benutzen, anstatt es einfach von einer Facebook-Seite zu kopieren und weltweit zu verbreiten? Es gab Zeitdruck, das ja, aber es gab zumindest eine Sache, die hätte stutzig machen müssen. Die Tote hieß mit vollem Namen Neda Agha-Soltan. Die Lebende wird einfach Neda Soltani genannt.

Am Morgen des 21. Juni 2009, einen Tag nach dem Todesschuss, wunderte sich Neda Soltani. Immer mehr Menschen wollten sich auf ihrer Facebook-Seite registrieren, als angebliche Freunde. Hunderte waren das, aus aller Welt. Es hörte nicht auf. Es kamen Anrufe. Ein befreundeter Professor brach in Tränen aus, als er ihre Stimme hörte.

Zunächst ein schlechter Witz, dachte Neda Soltani. Etwas, das mit zwei, drei Anrufen aus der Welt zu schaffen ist. Ein Fehler halt, wie er nicht passieren darf, aber passieren kann. Sie fing an zu schreiben. Sie schrieb, dass sie leben würde. Sie schrieb an den im Iran populären Sender Voice of America. Sie schrieb, dass es ein Irrtum sei. Dass sie das falsche Foto hätten. Als Beweis schickte Neda Soltani ein weiteres Foto von sich. Und schrieb: Die Redaktion könne ja vergleichen. Das sei auch sie. Neda Soltani hat nicht damit gerechnet, was dann passierte.

Voice of America verbreitete nun dieses zweite Foto als neues Bild der verstorbenen Neda und CBS griff es auf. Neda Soltani bekam Angst. Alles was sie tat, um ihr Bild zurück zu gewinnen, schien nutzlos.

Sie löschte das Foto auf ihrer Facebook-Seite. Damit es niemand mehr runterladen kann. Der nächste Stein kam ins Rollen. Zensur wähnend, wurde ihr Foto kopiert, dutzende, hunderte Facebook-Seiten auf aller Welt spiegelten ihr Bild. Es wurde in Blogs fixiert und bei Twitter versandt.

Es war, als sei ihre eigene Identität aus dem Foto gelöscht und stattdessen mit den Sehnsüchten tausender Menschen aufgeladen. Das lächelnde Gesicht der Tod Geglaubten gerann zur Ikone eines unschuldigen Opfers im Freiheitskampf.

Es half auch nichts, dass spätestens seit dem 23. Juni 2009 authentische Fotos der toten Neda Agha-Soltan frei und für jeden verfügbar waren, deren Eltern hatten sie herausgegeben. Das Bild von Neda Soltani wurde trotzdem weiter verbreitet.

Freunde von Neda Soltani versuchten, in Foren den Fehler richtig zu stellen. Eine Vertraute wurde deswegen beschimpft. „Du Bastard, Du wirst uns den Engel des Iran nicht nehmen.“ Es ist, als könne der einmal geglaubte Irrtum nicht mehr berichtigt werden.

Die Geschichte ist nicht nur die Geschichte des Versagens der traditionellen Redaktionen in hektischen Nachrichtenzeiten. Diese Geschichte beschreibt auch das Versagen der sozialen Medien. Die Masse hat im Netz nicht nur die Macht, Lügen zu entlarven. Die Masse kann auch eigene Wahrheiten erschaffen und verteidigen. Egal wie falsch die sind. Nur sehr wenige Blogs berichteten über den Fehler. Keiner wurde so ernst genommen, dass er die Macht gehabt hätte, den Irrtum zu korrigieren.

Irgendwann wurde Neda Soltani klar, dass etwas gewaltig aus dem Ruder läuft. Nur wenige Journalisten schrieben sie über ihre Facebook-Seite an und fragten nach ihrer Identität. Keiner von ihnen konnte oder wollte die Welle stoppen.

Neda Soltani geriet im Iran unter Druck. Sie wurde bedroht. Sie hat Angst um ihre Familie, deswegen kann und will sie nicht sagen, was genau vorgefallen ist. Nur soviel ist klar: Der Fehler mit ihrem Foto sollte gegen die Opposition gewandt, die Menschen auf der Straße als Instrumente westlicher Fälscher entlarvt werden – mit aller Gewalt. Es kamen schlimme Vorwürfe, die den Tod bringen können. Neda Soltani wurde krank. Panikattacken und hilflose Angst.

Sie konnte nicht mehr bleiben. Sie musste aus dem Iran verschwinden. Ohne von ihren Eltern Abschied zu nehmen, floh sie am 2. Juli 2009 in den Westen. Ihre Ersparnisse bekamen Fluchthelfer. Mit nichts in den Händen als einem Rucksack, einem kleinen Rucksack, ging sie los. Sie floh über Griechenland nach Deutschland. Hier hat sie einen Cousin. In Bochum. Der ist jetzt Ihre Familie.

Am 3. Juli 2009 brachte endlich BBC Online eine Nachricht über die falsche Identität in einer Internet-Wochenschau über soziale Netzwerke. Direkt hinter den Verschwörungstheorien zum Tod von Michael Jackson. BBC Online kommentierte: „Dieser Fall ist ein herausragendes Beispiel für die Gefahren, wenn Massenmedien Bilder aus sozialen Netzwerken im Internet verbreiten.“

Man hätte nun erwarten können, dass es damit ein Ende findet. „Meine Freunde haben mir gesagt, warte noch einen Tag. Dann wird alles gut. Doch es vergingen die Tage und nichts wurde gut“, sagt Neda Soltani.

Das Asylverfahren in Deutschland läuft nun seit Monaten. Neda sagt, sie wollte nie auswandern. Sie war auch noch nie im Westen. Sie sagt, sie hat Heimweh. Sie bekommt vom Deutschen Staat etwa 180 Euro im Monat als Hilfe. Das reicht kaum, um sich von Salaten, Früchten und Broten zu ernähren, so wie sie es gewohnt ist. Sie lebt irgendwo in einem Heim für Flüchtlinge. Ihr Zimmer mit der Nummer 11 ist schmal, zwei Betten, ein Regal. Hier will sie niemanden hineinlassen. Sie sagt, sie will die Monate „im Lager“ so schnell wie möglich vergessen. Sobald sie raus ist, soll sie nichts mehr an das hier erinnern. Die Beschläge der Türen sind mit Gips geflickt. Die Küche für einen ganzen Flur mit zwei dutzend Menschen hat kein Fenster, der Ausguss wackelt auf einem Brettergestell. Auf einem Balkon zum Hof ist eine Satellitenschüssel auf eine abgebrochene Metallstange gespießt. Die Stange steckt in einem vergammelten Sauerkrauteimer mit Sand und Steinen. Improvisiertes Flickwerk für eine Verbindung zur Heimat.

Obwohl das Foto der toten Neda seit Monaten bekannt ist, taucht noch immer das Bild der falschen bei Spiegel-Online auf, in der New York Times oder in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung. Selbst ein Bild der Nachrichtenagentur AFP zirkuliert noch durch die Archive.

Eines ist allen diesen Bildern gemein: Es sind meist Aufnahmen von Fotos. Sie zeigen Menschen, die eine Ikone in die Kamera strecken. Bilder eines falschen Bildes.

Neda Soltani hat lange dazu geschwiegen. Sie hat Boden unter den Füssen gesucht, sich gesammelt.

Als CNN im November einen Bericht zum Iran brachte, war der wieder mit dem Foto von Neda Soltani illustriert. Sie schrieb den Sender an und bat darum, ihr Bild zu löschen.

Als Antwort erhielt sie eine automatische Email, die um Verständnis bat, dass nicht alle Hinweise persönlich beantwortet werden könnten. Unterzeichnet war das Schreiben mit „CNN, The Most Trusted Name In News“.

Das Bild gehört nicht mehr ihr. Es gehört CNN und den anderen.

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Diese Geschichte erschien auch im SZ-Magazin.

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Geschichte einer völlig verkorksten Überschrift.

Heute morgen schaute ich auf die Seite DerWesten.de und war überrascht. Da hieß es doch tatsächlich:

Grünen Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann erteilt schwarz-grün eine klare Absage.

Ich war deswegen überrascht, weil diese Aussage, allen anderen Aussagen, die ich von den Grünen kenne und kannte, Hundertprozentig widersprach.

Noch überraschter war ich, als die Überschrift auch noch über Twitter ging:

Twitter

Was für ein Bullshit, dachte ich, erzählt Löhrmann denn da. Was soll das?

Ich hab mir dann das Interview durchgelesen. Darin war nicht die Rede von einer Absage an schwarz-grün. Im Gegenteil. Sylvia Löhrmann öffnete in dem Gespräch die Partei für ein Bündnis mit den Schwatten. Sie sagte, dass es auf die Inhalte ankomme und die Grünen in der Regierung ihre Inhalte umsetzen wollten. Egal mit wem – und wenn das nicht möglich sei, dann würden sie halt in der Opposition bleiben.

Das ist die abgestimmte Position, die im Augenblick alle Grünen Spitzenpolitiker vertreten. Löhrmann redete keinen Bullshit.

Weiter sagte Löhrmann, natürlich gebe es inhaltliche Differenzen mit der CDU – gerade in der Schulpolitik. Hier halte Ministerpräsident Jürgen Rüttgers an einer überholten Vorstellung fest. Aber sie lies offen, ob man sich hier annähern könne.

Nur ein Bündnis mit der FDP schloss Löhrmann aus. War die Überschrift aus politischer Unkenntnis oder aus einem politischen Antrieb heraus falsch, um für ein wenig Unruhe morgen beim Parteitag der Grünen zu sorgen? Wir werden es sicher nicht erfahren. Vielleicht war es auch einfach eine Shit-Happens-Nummer.

Wie dem auch sei, die Nummer lief über die Kabel und auch wir hatten die falsche Überschrift auch in unserem Ruhrpiloten verlinkt – wenn auch nur kurzzeitig.

Gott sei Dank hat nun einer bei DerWesten bemerkt, dass die Headline komplett Nonsense war. Dort heißt es jetzt:

Löhrmann erteilt „Jamaika“-Koalition in NRW eine Absage.

Nun ja, wenigstens das stimmt. Denn ein Bündnis mit der FDP wird es wohl tatsächlich nicht geben. Gott sei Dank kann man im Netz Überschriften ändern.

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