Die Sommerferien in NRW haben begonnen und vor allem die SchĂŒler und Lehrer an den Gymnasien sind besonders reif fĂŒr die Erholung. Das verkĂŒrzte Abitur mit acht Jahren sorgt immer noch fĂŒr hohe Belastungen bis in die Familien hinein. Seit der EinfĂŒhrung von G8 vor neun Jahren ist die Kritik nicht verstummt. Viele Eltern und SchĂŒler waren von Anfang an gegen diese Reform des Abiturs und der Unmut im Lande hat inzwischen auch die rot-grĂŒne Landesregierung inklusive Bildungsministerin Sylvia Löhrmann erreicht. Selbst bei der grĂŒnen Basis ist das angekommen und auf dem letzten Landesparteitag in Siegburg gab es viele kritische Stimmen.
In anderen BundeslĂ€ndern ist die RĂŒcknahme von G8 bereits beschlossene Sache. In Niedersachsen wird es im nĂ€chsten Schuljahr eine RĂŒckkehr geben, in Hessen und Baden-WĂŒrttemberg haben die SchĂŒler die Wahl zwischen beiden Varianten. In Bayern ist ein Volksbegehren geplant und Rheinland Pfalz hat bei dem Experiment gar nicht erst mitgemacht. In NRW findet derzeit eine Abstimmung mit den FĂŒĂen statt. Die verbliebenen 13 Gymnasien im Lande mit neun Jahren Schulzeit haben steigenden Zulauf und können die SchĂŒlerzahlen kaum bewĂ€ltigen.
In Deutschland wird viel ĂŒber die Verbesserung der Schulbildung diskutiert, aber meist steht dann die Zurichtung der SchĂŒler fĂŒr Wirtschaft und Arbeitsmarkt ganz oben auf der Tagesordnung. Das jĂŒngste Beispiel fĂŒr ein Bildungsexperiment im Interesse der Gewinnmaximierung ist das verkĂŒrzte Abitur mit acht Jahren. Die Unternehmen wollten frĂŒher und schneller an die benötigten FachkrĂ€fte kommen. Umgesetzt wurde die VerkĂŒrzung durch die politisch Verantwortlichen ohne entsprechende Vorbereitung.
In Nordrhein Westfalen wollten Anfang 2000 alle Fraktionen im Landtag die VerkĂŒrzung der gymnasialen Schulzeit. Doch die Curricula wurden nicht verĂ€ndert und auch die Inhalte wurden nicht angepasst. âEs gab zu dem Zeitpunkt auch keine SchulbĂŒcher auf dem Markt und auch die Lehrer waren nicht auf die VerkĂŒrzung vorbereitet. Eine solche radikale MaĂnahme hĂ€tte vorbereitet werden mĂŒssenâ, sagt Peter MĂŒller, Lehrer an einem Gymnasium in Gelsenkirchen. âErst wenn die Lehr- und StundenplĂ€ne angepasst sind, das Unterrichtsmaterial vorliegt und die Lehrer vorbereitet sind, kann eine VerkĂŒrzung durchgefĂŒhrt werden. So war es nur ein schlecht vorbereitetes Projektâ.
Wenn die politische FĂŒhrung nicht mehr weiter weiĂ, wird das Problem gerne in Arbeitsgruppen verschoben und Diskussionsrunden ins Leben gerufen. So entzieht sich das Thema der öffentlichen Aufmerksamkeit und es entsteht der Anschein von Dynamik â es tut sich also etwas. Beliebter als die Arbeitsgruppe ist inzwischen der âRunde Tischâ, der ja schon per Definition Schranken abbaut und die gleichberechtigte Beteiligung der BĂŒrger verspricht. Noch weitreichender ist die Kombination von âRundem Tischâ und Arbeitsgruppe â mehr an politischer Beteiligung geht nicht. Dabei wird gerne vergessen, dass entscheidend ist, wer an diesem Möbel platznimmt und wer die StĂŒhle verteilt. Das kann man gut sehen am âRunden Tisch SchulzeitverkĂŒrzungâ, der Anfang Mai auf Einladung der grĂŒnen Bildungsministerin Sylvia Löhrmann in der Staatskanzlei NRW stattfand. Das Ergebnis des Runden Tisches war vorher klar, denn von den 23 eingeladenen Parteien, Organisationen, VerbĂ€nden und Wissenschaftlern waren nur drei mit einer eindeutig ablehnenden Haltung geladen – die beiden Elterninitiativen gegen das verkĂŒrzte Abitur und die LandesschĂŒlervertretung. So konnte die WAZ einen Tag spĂ€ter verkĂŒnden: âEltern kommen mit ihrer Forderung nicht durchâ.
Die SchĂŒler waren zum ersten Mal dabei und stuften die Veranstaltung als Imagekampagne der Landesregierung ein. âUns freut, dass die Meinung von SchĂŒlern endlich gehört wird, da die LandesschĂŒlerInnenvertretung NRW zu den vergangenen zwei Sitzungen des Runden Tisches nicht eingeladen wurde.“, sagte Vorstandsmitglied Johannes Trulsen. Es erstaunt, dass die Betroffenen dieser Reform bisher kaum zu Wort gekommen sind. Immer gehört wurden dagegen die beiden christlichen Kirchen im Lande, obwohl sie es zusammen auf gerade mal 31 Gymnasien in eigener TrĂ€gerschaft bringen und das ist bei 513 Gymnasien in NRW nicht viel. Beide lehnen eine RĂŒckkehr ab, aber auch sie glauben nicht an eine erfolgreiche Reform: âSo wenig ĂŒberzeugend 2003 der abrupte Sinneswandel der verantwortlichen Politiker von der Ablehnung des achtjĂ€hrigen Abiturs zu dessen zĂŒgiger Umsetzung war, so wenig ĂŒberzeugend wĂ€re jetzt eine ĂŒberstĂŒrzte Umkehrâ, heiĂt es in einer ErklĂ€rung des evangelischen BĂŒros in DĂŒsseldorf. Bei den Bewahrern der aktuellen Situation hat man nicht die besseren Argumente. Es dominieren der Sachzwang und die Angst vor dem Eingestehen gemachter Fehler. In der aktuellen Diskussion stehen weniger die WĂŒnsche der SchĂŒler im Vordergrund, sondern es geht um die Durchsetzung bildungspolitischer Vorstellungen. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat 47 000 Mitglieder in NRW und davon unterrichten 7000 an einem Gymnasium. Die FĂŒhrung der Organisation ist gegen eine RĂŒckkehr zum alten Abitur und man favorisiert die Gesamtschule. Bei der Durchsetzung stört ein fĂŒr Eltern und SchĂŒler attraktives Gymnasium. Hier sind sich die Vertreter eines kleinen Teils der Lehrerschaft mit der Landesregierung einig. Dabei sind die rot-grĂŒnen Landespolitiker gar nicht grundsĂ€tzlich gegen das Abitur mit neun Schuljahren, denn das wird es auch in Zukunft geben und zwar an den Gesamtschulen. Diese Schulform ist erwĂŒnscht und wird weiter ausgebaut â trotz sinkender SchĂŒlerzahlen wird es im nĂ€chsten Schuljahr 23 neue Gesamtschulen in NRW geben.
Die Landeselternschaft der Gymnasien ist ebenfalls gegen eine RĂŒckkehr zu G9 und das verwundert auf den ersten Blick, denn hier spricht der organisierte Wille der gymnasialen Eltern. Der Interessenverband setzt aber weiter auf das differenzierte Schulwesen und will das Gymnasium als elitĂ€re Bildungsanstalt erhalten. Dazu muss der besondere Stellenwert betont werden und sei es auch fĂŒr den Preis enormer Belastungen bei den SchĂŒlern. Die Eltern sehen ihr Gymnasium durch sinkende SchĂŒlerzahlen und den politischen Willen der Landesregierung zur Gesamtschule bedroht.
Das Schalker Gymnasium in Gelsenkirchen gehört zu den 13 Schulen in NRW, die nach einem kurzen Zwischenspiel mit verkĂŒrzter Schulzeit wieder zu G9 zurĂŒckgekehrt sind. Die Erfahrungen mit G8 waren eindeutig. âDie SchĂŒler hetzen durch den Stoff und kommen nicht zum eigenstĂ€ndigen Arbeitenâ, sagt Schulleiterin Angelika Philipp. âEs ist nicht möglich, die Aufgaben differenziert auf den jeweiligen SchĂŒler zuzuschneiden. Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit bleibt auf der Strecke. Der Stoff wird nicht reflektiert, sondern einfach abgearbeitetâ. Das Petrinum-Gymnasium in Dorsten hat die Wahlmöglichkeit zwischen G8 und G9 angeboten. Wegen mangelnder Nachfrage wird aber inzwischen nur der lĂ€ngere Weg zum Abitur angeboten. âDas G8 fördert die Nachhilfeindustrie und bei einigen Klassen des sechsten Jahrgangs bekommt mehr als die HĂ€lfte der SchĂŒler bereits professionelle UnterstĂŒtzungâ, kritisiert der Gymnasiallehrer Alfons Schindler. âDas ist zum Beispiel in Mathematik und in Latein der Fallâ.
Der âRunde Tisch SchulzeitverkĂŒrzungâ hat neben der mehrheitlichen Ablehnung des Abiturs mit neun Jahren drei Arbeitsgruppen hervorgebracht. Die Entscheidung ist also vertagt und im Herbst wird es weitergehen. Die Bildungspolitik ist schon lange zum Spielball verschiedener Interessen und politischer Wechselspiele geworden. Es wird gerne vergessen, dass es um eine bessere Ausbildung der SchĂŒler geht und nicht um schnelle AbschlĂŒsse im Sinne der Wirtschaft. Dabei haben wohl nur sehr wenige SchĂŒler etwas gegen weniger Schule. Wie man dazu kommt, wissen die Experten sehr genau und das sind Eltern, Lehrer und SchĂŒler. Die können viel zu einer modernen Schule beitragen und das kann auch an einem âRunden Tischâ der Landesregierung in DĂŒsseldorf geschehen. Selbst Schule kann in einem reichen Land wie Deutschland schön sein â aber dazu lĂ€uft derzeit viel zu viel falsch.