
Ich weiß nicht, ob Friedrich Merz ab und an einen Blick in die Sprüchesammlung von Mao Tse-tung wirft, aber was seine Auswahl der Kabinettsmitglieder betrifft, hat er Maos Ansicht nach wohl alles richtig gemacht: „Ich bin der Meinung, dass es für uns – sei es für den Einzelnen, für eine Partei, eine Armee oder eine Schule – schlecht ist, wenn der Feind nicht gegen uns Front macht; denn in diesem Fall würde es doch bedeuten, dass wir mit dem Feind unter einer Decke steckten. Wenn wir vom Feind bekämpft werden, dann ist das gut; denn es ist ein Beweis, dass wir zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich gezogen haben. Wenn uns der Feind energisch entgegentritt, uns in den schwärzesten Farben malt und gar nichts bei uns gelten lässt, dann ist das noch besser; denn es zeugt davon, dass wir nicht nur zwischen uns und dem Feind eine klare Trennungslinie gezogen haben, sondern dass unsere Arbeit auch glänzende Erfolge gezeitigt hat.“
Es ist beeindruckend zu sehen, wie es Friedrich Merz geschafft hat, in den Reihen seiner politischen Gegner und Feinde für Aufregung zu sorgen. Im Februar fiel der künftige Außenminister Johann Wadephul auf einen Fake-Anruf aus Russland herein. In dem Gespräch sagte er: „Russland wird immer Feind sein.“ Ein Satz, den man in Polen gerne gehört haben wird, denn immer, wenn Deutschland und Russland gemeinsame Sache machten, musste das Land darunter leiden: bei den drei polnischen Teilungen 1772, 1793 und 1795 ebenso wie 1939, als Hitler und Stalin Polen und das Baltikum untereinander aufteilten. Auch hat Jürgen Wadephul klargemacht, dass er fest an der Seite der Ukraine steht. Die scheidende Außenministerin Annalena Baerbock gratulierte „Johann“ zum neuen Amt:
Herzlichen Glückwunsch zur Nominierung zum Außenminister, lieber @JoWadephul! Bei Deinem Einsatz in diesen absolut nicht einfachen Zeiten kannst Du Dich im @AuswaertigesAmt auf ein Team der Extra-Klasse verlassen, das immer für mindestens eine Handbreit Wasser unterm Kiel sorgt.
— Außenministerin Annalena Baerbock (@ABaerbock) April 28, 2025
Hysterische Hetze löste Wadenphul indes bei der zum Glück ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen aus, die Mitglied in der Putin-Partei BSW ist:
„Russland wird immer ein Feind für uns bleiben“, so das Mantra des designierten CDU-Außenministers #Wadephul.
Wir brauchen dringend einen Diplomaten im Auswärtigen Amt und keine Baerbock 2.0! pic.twitter.com/B9IjH7UWon— Sevim Dağdelen (@SevimDagdelen) April 28, 2025
Mehr Lob zum Einstieg kann es kaum geben.
Karin Prien (CDU), die künftige Familienministerin und erste jüdische Ministerin in einem Bundeskabinett, sorgt bei Alice Weidel, bei der Vorsitzenden der nun gesichert rechtsextremen AfD – wie das BSW eine Partei strammer Putin-Fans – für Aufregung:
Karin Prien (CDU) kooperiert eng mit der linksextremen Amadeu-Antonio-Stiftung, fordert ein AfD-Verbot und will aus dem Familien- ein „Gesellschaftsministerium“ machen. Spätestens daran erkennt man, welchen Stellenwert die Familie für die CDU noch hat. pic.twitter.com/XsBts4vRqY
— Alice Weidel (@Alice_Weidel) April 28, 2025
Mit der von Merz-Gegnern herbeifantasierten Annäherung der Union an die AfD scheint es also nicht weit her zu sein. Weidel scheint eher darüber empört zu sein, dass Prien der Ansicht ist, sie solle ihr Geld künftig lieber mit Arbeit statt mit Hetze verdienen.
Auch die Tatsache, dass mit Katherina Reiche (Wirtschaft), Karsten Wildberger (Digitalisierung) und Wolfram Weimer (Kultur und Medien) drei der künftigen Kabinettsmitglieder aus der Wirtschaft in die Politik wechseln, sorgte für Schnappatmung. Jakob Blasel, der Vorsitzende der Grünen Jugend, der noch vor wenigen Jahren wollte, dass die Menschen aus Klimaschutzgründen auf ihre Haustiere verzichten, empörte sich:
Eine Lobbyistin für fossile Brennstoffe als Energieministerin, einen Digital-Lobbyisten als Digitalminister und einen Metzger als Landwirtschaftsminister.
Viel Spaß in dieser Regierung @spdde🫠
— Jakob Blasel (@jakobblasel) April 28, 2025
Dass Reiche, bislang Chefin des Essener Unternehmens Westenergie, und Wildberger, CEO des Düsseldorfer MediaMarkt-/Saturn-Mutterkonzerns Ceconomy, über ihre Arbeit Kompetenzen erworben haben könnten, die sich in der Politik als nützlich erweisen werden, ist für den Studenten, der ein Jahr nur bei den Klimahysterikern von Fridays for Future tätig war, offenbar unvorstellbar.
Und dann ist da noch Alois Rainer, ein Metzgermeister, der nun Landwirtschaftsminister wird und nichts davon hält, Fleisch durch eine Sondersteuer teurer zu machen. Renate Künast verwechselt die Lebensgewohnheiten der grünen Blase mit denen der Mehrheit und fühlt sich „um Jahrzehnte“ zurückgeworfen. Für sie wahrscheinlich noch schlimmer als sinkende Wurstpreise ist, dass Rainer sich vom Konzept des „Nudging“ verabschiedet, das die Menschen durch höhere Preise und Gehirnwäsche zu Verhaltensänderungen treiben will. Nachdem die Grünen bemerkt haben, dass Verbote schlecht fürs Image sind, war „Nudging“ das neue Lieblingskonzept aller Volkserzieher. Rainer will nicht erziehen, sondern dazu beitragen, dass die Menschen selbst entscheiden, was bei ihnen auf den Tisch kommt – und dass sie es auch bezahlen können. Für Menschen wie Künast sind das abwegige Gedanken.
Und dann ist da noch Wolfram Weimer, als Staatsminister für Kultur und Medien eigentlich ein eher Leichtgewicht, denn beide Politikfelder fallen in die Aufgabe der Länder. Weimer ist, keine Frage, dritte Wahl: Sowohl der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU), der heute seinen Rücktritt angekündigt hat, als auch Christiane Schenderlein, die kulturpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Kultur und Medien, wären besser für das Amt geeignet gewesen. Der größte Reiz an Weimer besteht allerdings in den Reaktionen, die sein Name hervorruft: Über 61.000 haben – Stand heute Morgen – eine Petition mit dem Titel „Wolfram Weimer darf nicht Staatsminister für Kultur und Medien werden!“ unterschrieben und fordern dort, statt Weimer doch Carsten Brosda (SPD) zum Staatsminister zu machen. Dass der zu den Unterzeichnern der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit gehörte, die sich dafür einsetzte, dass Israelhasser weiterhin Staatsknete bekommen sollten – und in Sachen Antisemitismusbekämpfung ein noch größerer Ausfall als Claudia Roth wäre –, scheint niemanden zu stören.
Denn Weimer ist in den Augen der Unterzeichner etwas viel Schlimmeres als ein Unterstützer von Israelhassern: „Er ist ein konservativer Publizist und Verleger, der bislang kaum als Kulturmensch in Erscheinung getreten ist. Weimer war Gründer und Chefredakteur des politisch konservativen Magazins ‚Cicero‘, später Chefredakteur der ‚Welt‘ und des ‚Focus‘ – Medien, die eine klare wirtschaftsliberale und rechtskonservative Linie vertreten.“ Die woke-grüne Hegemonie ist Geschichte, und das wird sich auch in der Kulturpolitik des Bundes zeigen. Wer glühende Israelkritik zur Grundlage seines künstlerischen Geschäftsmodells gemacht hat und meint, Steuerzahler müssten ihn durchfüttern, wird mit Weimer, einem Vielleser und Opernfan, Probleme bekommen. Dem liberal-konservativen Weimer wird es egal sein, wenn die postmoderne Kulturszene ihn ablehnt – und damit unterscheidet er sich von vielen christdemokratischen Kulturpolitikern, die über in den vergangenen Jahrzehnten Angst hatten, von Künstlern als „spießig“ angesehen zu werden.
Sein 2019 erschienenes „Konservatives Manifest“ ist kein Programm für den Kulturkampf, sondern eher ein Stimmungsaufsatz über Werteverfall und Traditionsverlust, der ohne inneren Zusammenhalt auskommt. Dort stehen Sätze wie: „Das Individuum ist früher da als die Gesellschaft“ und „Die meisten politischen Ideologen denken genau andersherum, sie betrachten das Individuum skeptisch, wähnen es egoistisch oder gefährlich und setzen auf Kollektivismus zu seiner Einhegung; sie vertrauen nicht dem gesunden Menschenverstand, sondern übergeordneten Ideen – Kommunismus, Sozialismus, Nationalismus, Nationalsozialismus oder Islamismus.“ Daneben stehen von Bedauern über den Niedergang von Gemeinschaften geprägte Beschreibungen: „Während Generation um Generation in einer Jahrtausende währenden Selbstverständlichkeit die Fortdauer der eigenen Familie, des eigenen Blutes, der Sippe, des Stammes, der Nation, der Kultur, der Zivilisation als einen heiligen Moment des Lebens begriffen hat, so bricht dieses Bewusstsein plötzlich in Scherben.“
Inhaltlich wurde das allerdings sogar ähnlich von Aladin El-Mafaalani auf diesem Blog – und sogar schärfer – formuliert:
„In der Entstehungszeit der liberalen Demokratien sei klar gewesen, dass die Bevölkerung eine gemeinsame Geschichte gehabt hätte, oft auch eine gemeinsame ethnische Herkunft, kulturelle oder nationale Traditionen, die sie verbanden, oder auch ähnliche religiöse Bekenntnisse, eine gewisse Ordnung, was Männer oder Frauen machen und was die richtige Sexualität sei. Nicht auf alle Staaten hätten alle Punkte zugetroffen, aber doch immer mehrere von ihnen. Das alles haben die Menschen weitgehend geteilt, auch wenn es immer schon emanzipatorische Bewegungen gab, Menschen, die dagegen waren – aber man hatte eine ganz große gemeinsame Basis.“
Ob die Merz-Mannschaft liefern wird, wird sich in den kommenden Monaten und Jahren zeigen. Aber die Reaktionen der Unions-Gegner zeigen, dass Merz Wahl nicht ganz übel war.