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Hitze und Klimawandel: Wann laufen unsere Wasserhähne trocken?

Prof. Dr.-Ing. Norbert Jardin, designierter Vorstandsvorsitzender des Ruhrverbandes (Foto: Roland W. Waniek)
Prof. Dr.-Ing. Norbert Jardin, designierter Vorstandsvorsitzender des Ruhrverbandes (Foto: Roland W. Waniek)

 

Kaum einer kennt ihn, aber er liefert uns unser täglich Wasser: der Ruhrverband. Er ist einer der größten Wasserunternehmen Deutschlands und er versorgt fast fünf Millionen Menschen in 60 Kommunen des Ruhrgebiets und des Sauerlands mit Trinkwasser. Mit seinen mehr als 1.000 Mitarbeitern betreibt er fünf Stauseen, acht Talsperren, 65 Kläranlagen und 330 km Abwasserkanäle. Wir sprachen mit dem designierten Vorstandsvorsitzenden und bisherigen Technikvorstand Prof. Dr.-Ing. Norbert Jardin über Wasserknappheit, Klimawandel, Keime und Mikroplastik in unserem Wasser sowie über die notwendige Instandhaltung der Infrastruktur.

Ruhrbarone: Herr Professor Jardin, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch in zweifacher Hinsicht, einmal zum runden Geburtstag, zum sechzigsten, und zum andern zur Wahl zum Vorstandsvorsitzenden des Ruhrverbandes, einer doch sehr wichtigen Institutionen hier bei uns im Ruhrgebiet. Viele Menschen sind Ihre Kunden, aber oftmals ohne es zu wissen. Welche Aufgaben hat der Ruhrverband, was habe ich als Normalbürger von Ihnen?

Prof. Jardin: Eigentlich sind es nur zwei Aufgaben, die die wichtigsten des Ruhrverbandes sind und die umfassen eigentlich schon alles, was die Wasserwirtschaft heute ausmacht: Die eine Aufgabe, historisch einer der wichtigen Ursprünge des Ruhrverbandes, ist die Sicherung der Wasserversorgung im Einzugsgebiet der Ruhr. Die meisten Menschen wissen wahrscheinlich gar nicht, dass es in der Ruhr und in der Umgebung gar nicht möglich ist, Grundwasser als Trinkwasser zu fördern, wie das im Rest der Republik durchaus üblich ist.

Für 4,6 Mio. Menschen: Unser täglich Wasser

Insofern war schon historisch die Ruhr immer der Trinkwasserlieferant für das gesamte Ruhrgebiet und das ist auch heute noch so. 4,6 Millionen Menschen bekommen ihr Trinkwasser aus der Ruhr. Dafür sorgen die Wasserwerke, die unsere Kunden sind und das Ruhrwasser aus der Ruhr oder als Uferfiltrat in der Nähe der Ruhr entnehmen, aufbereiten und dann an die Endkunden weiterliefern.

Die Ruhr bei Sonnenuntergang (Foto: Roland W. Waniek)
Die Ruhr bei Sonnenuntergang (Foto: Roland W. Waniek)

 

Die Ruhr ist ein vergleichsweise kleiner Fluss, 80 Kubikmeter pro Sekunde fließen im Mittel durch die Ruhr, bei trockenen Verhältnissen auch erheblich weniger. So war es schon früh notwendig Talsperren zu bauen, um dieses Ungleichgewicht zwischen Trinkwasserbedarf und Angebot aus der Ruhr auszugleichen. Der Ruhrverband betreibt heute acht Talsperren und diese vergleichmäßigen den Abfluss in der Ruhr. Gerade in trockenen Zeiten schießen die Talsperren Wasser der Ruhr zu, so dass die Trinkwasserwerke immer genügend Wasser in der Ruhr vorfinden, um die Menschen mit Trinkwasser zu versorgen. Das ist die eine große Aufgabe, die bei uns unter der Überschrift Wassermengenwirtschaft läuft.

65 Kläranlagen reinigen Abwasser

Die zweite große Aufgabe ist der gesamte Bereich der Wassergütewirtschaft. Das zerfällt einerseits in den Bau und Betrieb von Kläranlagen, 65 an der Zahl, die wir zurzeit betreiben. Aber dazu gehört eben mittlerweile auch der Betrieb von Kanalnetzen. Wir betreiben selbst inzwischen zwei Kanalnetze. Zwei weitere Kommunen haben sich entschlossen, ihr Kanalnetz  auf den Ruhrverband zu übertragen. Daneben sind wir schon seit vielen Jahrzehnten auch in den Netzen der Kommunen zuständig für den gesamten Bereich der Niederschlagswasserbehandlung. Und all dies dient dazu, die Gewässerqualität in der Ruhr auf ein Niveau zu  heben, dass die Trinkwasserwerke bedenkenlos Ruhrwasser aus der Ruhr entnehmen und daraus ihr Trinkwasser produzieren können.

Das sind die zwei ganz wichtigen Aufgaben des Ruhrverbandes, Wassermengenwirtschaft auf der einen Seite, Wassergütewirtschaft auf der anderen Seite.

Wie gut ist unser Wasser? Probeentnahme an der Ruhr (Foto: Ruhrverband)
Wie gut ist unser Wasser? Probeentnahme an der Ruhr (Foto: Ruhrverband)

 

Ruhrbarone: Das heißt, dass ich überhaupt erst mal Wasser aus meinem Wasserhahn zuhause kriege und dass es dann auch einer gesunden Qualität kommt, das sind die beiden Aspekte.

Prof. Jardin: Ja.

Ruhrbarone: Aber als normaler Haushaltskunde kriege ich keine Rechnung von Ihnen.

Prof. Jardin: Das ist richtig. Sie kriegen die Rechnung von Ihrem örtlichen Trinkwasserversorger, das können die Stadtwerke sein, das kann die Gelsenwasser AG sein, es können die lokalen Wasserwerke sein. Diese alle sind unsere Mitglieder, die für die entnommene Wassermenge aus der Ruhr zahlen und dann eine Rechnung an die Bürger und Bürgerinnen in ihrem Versorgungsgebiet stellen.

Nordrhein-Westfalen kontrolliert Ruhrverband

Ruhrbarone: Der Ruhrverband hat Mitglieder, das heißt, dass Sie sind nicht Teil des Staats oder doch?

Prof. Jardin: Nein, wir sind kein Staat, wir sind eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes, dem Gemeinwohl verpflichtet und nicht gewinnorientiert. Das heißt, eine öffentlich-rechtliche Institution, die vom Land Nordrhein-Westfalen auch kontrolliert wird.

Ruhrbarone: Und nicht gewinnorientiert heißt, dass Sie auch nicht im Wettbewerb stehen, möglicherweise weil es ja gar nicht möglich ist, im Bereich Wasserversorgung Wettbewerb zu haben?

Was schwimmt alles in unseremAbwasser? Probeentnahme aus der Kanalisation (Foto: Ruhrverband)
Was schwimmt alles in unserem Abwasser? Probeentnahme aus der Kanalisation (Foto: Ruhrverband)

 

Prof. Jardin: Richtig. Wir sind ein hoheitlicher Aufgabenträger, das heißt, die Gewinnerzielungsabsicht ist uns per Gesetz verboten und darauf sind wir auch sehr stolz. Im Übrigen auch eine Frage, die bei dem Thema Kanalnetzübertragung immer wieder aufkommt, was hat denn der Ruhrverband davon, was für Gewinne erzielt der Ruhrverband denn aus solchen Übertragungen? Die Frage kann ich immer wieder nur eindeutig beantworten, wir erzielen keine Gewinne daraus, wir haben keine Gesellschafter, keine Shareholder, wir schütten keine Dividende aus, das ist das Prinzip des Ruhrverbandes.

Bleiben Wasserhähne bei Hitze trocken?

Ruhrbarone: In den letzten Jahren, aber auch schon in diesem, haben wir Trockenheit und Hitzetemperaturen bis 40 Grad erlebt. Die Rasen wurden alle gelb und die Blätter fielen von den Bäumen. Wann müssen wir damit rechnen, dass unser Wasserhahn trocken bleibt?

Prof. Jardin: Das kommt drauf an, in welchem Teil der Republik Sie leben. An der Ruhr ist nicht abzusehen, dass es irgendwann mal eng werden könnte, dafür sorgen wir mit unseren Talsperren. Engpässe, wie sie im letzten Jahr in Teilen Deutschlands vorgekommen sind, sind für das Ruhrgebiet jedenfalls nicht zu befürchten. Dafür sind unsere Talsperren ausreichend leistungsfähig. Das haben sie im letzten Jahr unter Beweis gestellt und damit sind sie auch auf den Klimawandel bestens vorbereitet.

Zehn Jahre zu wenig Regen

Ruhrbarone: Ihre größte und bekannteste Talsperre, die Möhnetalsperre, ist ja zum Teil bis auf 40 Prozent ihrer Kapazität herunter gegangen. Ist das ein Zeichen des Klimawandels? Welche Pläne haben Sie im Hinblick auf den Klimawandel?

Prof. Jardin: Das ist ganz eindeutig ein Anzeichen des Klimawandels. Wir haben, um das noch mal in Erinnerung zu rufen, inzwischen das zehnte trockene Abflussjahr in Folge. Das heißt, zehn Jahre in Folge mit einem Niederschlagsdefizit im Ruhr-Einzugsgebiet.

Ruhrbarone: Defizit heißt, es regnet weniger als Sie der Ruhr Wasser entnehmen?

Prof. Jardin: Also, wenn wir das langjährige Mittel als Maßstab der letzten hundert Jahre nehmen, dann fällt in den letzten zehn Jahren weniger Niederschlag als in diesem langjährigen Mittel. Ein Jahr ist ein trockenes Abflussjahr, wenn wir unterdurchschnittliche Niederschläge haben. Und per Mitte 2019 sind wir wieder unterhalb des langjährigen Durchschnitts. Das heißt, wir steuern im Augenblick auf das elfte trockene Jahr in Folge zu! Und wir sehen auch, dass sich die Temperatur im Ruhreinzugsgebiet seit knapp 150 Jahren kontinuierlich erhöht hat, und zwar um etwa 1,4 Grad Celsius. Das sind ganz eindeutig Zeichen des Klimawandels.

Überlauf der Möhnetalsperre (Foto: Ruhrverband [CC BY-SA 3.0 de])
Überlauf der Möhnetalsperre (Foto: Ruhrverband [CC BY-SA 3.0 de])

Das letzte Jahr war insofern ein besonders herausforderndes, weil wir nicht nur einen Sommer hatten, wir hatten auch einen Sommer nach dem Sommer. Denn gerade die Herbst- und Wintermonate waren nicht nur ungewöhnlich warm, sondern auch noch ungewöhnlich trocken. Der Zeitraum von Juni bis November, war der trockenste Sechs-Monats-Zeitraum, den wir jemals aufgezeichnet haben. Wir gehen davon aus, dass solche Trockenwetterphasen in der Zukunft häufiger vorkommen werden.

Ruhrbarone: Häufiger heißt was? Wenn jetzt das Pariser Klimaschutzziel der UNO, das sind ja die berühmten maximalen zwei Grad Temperaturerhöhung, wenn das nicht eingehalten werden sollte, müssen wir uns dann Sorgen machen um die Trinkwasserversorgung im Ruhrgebiet und wenn ja, ab wann?

Trotz Klimawandel genug Trinkwasser

Prof. Jardin: Also die Europäische Union ist ja noch ein bisschen ambitionierter, sie hat das 1,5-Grad-Ziel ins Auge gefasst. Ich persönlich bin eher skeptisch, ob dieses Ziel tatsächlich eingehalten werden kann. Wir haben schon vor etwas mehr als zehn Jahren Berechnungen bis ins Jahr 2100 gemacht und sind dabei von einer Erwärmung um 2 bis 3,5 Grad Celsius ausgegangen. Für diese Zeit können wir nachweisen, dass unser Talsperrensystem, ausreichend leistungsfähig ist. Allerdings, das muss man sagen, es kann durchaus eine Reihe von Jahren geben, doppelte oder gar dreifache Trockenjahre, bei denen wir das Talsperrensystem nicht so betreiben können, wie in einem durchschnittlichen Jahr. Wir müssen dann die Pegel an der Ruhr reduzieren, um die Talsperrenvorräte zu schonen.

Ruhrbarone: Heißt das, dass weniger Wasser bei den Verbrauchern ankommt, wenn Sie die Pegel absenken?

Prof. Jardin: Nein. Für die Verbraucher ist das völlig unerheblich, weil wir viel mehr Wasser aus den Talsperren der Ruhr zuschiessen, als die Trinkwasserversorger entnehmen. Wir müssen allerdings auch eine ökologische Mindestwasserführung in der Ruhr sicherstellen.

Ruhrbarone: Als Verbraucher müssen wir uns also für die nächsten 80 Jahre keine Sorgen machen?

Prof. Jardin: Nein, das müssen Sie nicht!

Trotz vieler Starkregen zu wenig Wasser

Ruhrbarone: Jetzt ist Trockenheit natürlich ein Aspekt des Klimawandels, den man möglicherweise spürt. Der andere sind die Starkregen, die immer wieder kommen und zu urbanen Überflutungen führen, auch bei uns in Nordrhein-Westfalen, auch im Ruhrgebiet, auch dieses Jahr. Man ist hin- und hergerissen zwischen heißen Tagen und Starkregen-Tagen, was macht der Ruhrverband damit?

Prof. Jardin: Das Thema Starkregen betrifft ja in erster Linie die Frage Hochwasserschutz und Überflutungssicherung. Tatsächlich ist es so, diese Starkregenereignisse, wie sie häufig in den letzten Jahren vorwiegend im Sommer vorkommen, nutzen eigentlich dem Talsperrensystem, vergleichsweise wenig. Das sind zwar örtlich hohe Abflüsse, die zustande kommen, aber die betreffen vor allem einen regional eng umgrenzten Bereich. Viel von dem Wasser, das vom Himmel fällt, versickert augenblicklich im Boden, vor allem auch deshalb, weil die Böden unglaublich trocken sind, die haben sich bei weitem noch nicht von der Trockenheit des letzten Jahres erholt.

Ruhrbarone: Was ist denn die entscheidende Determinante für die Wassermenge, für die Wassermenge der Versorger?

Prof. Jardin: Regen im Winter.

Ruhrbarone: Im Sauerland etwa?

Der Möhnesee mit seiner Talsperre (Foto: Ruhrverband)
Der Möhnesee mit seiner Talsperre (Foto: Ruhrverband)

 

Prof. Jardin: Ja, da haben wir unsere Talsperren. Die Einzugsgebiete von Möhne und Bigge, das sind die beiden großen Talsperren und da muss es im Winter regnen, das ist im Prinzip das, worauf wir angewiesen sind. Regen im Sommer nutzt relativ wenig.

Klimanotstand gleich Wassernotstand?

Ruhrbarone: In vielen Städten haben wir mittlerweile durch die kommunalen Räte ausgerufene sogenannte Klimanotstände. Haben wir auch analog dazu einen Wassernotstand?

Prof. Jardin: Nein.

Ruhrbarone: Trotz sogenannter Klimanotstände brauchen wir uns also keine Sorgen um unser Wasser zu machen, weil die Versorgung sicher ist?

Prof. Jardin: Das würde ich für Deutschland auf jeden Fall unterschreiben. Natürlich müssen wir mit dem Klimawandel und seinen Herausforderungen umgehen, auch die Wasserwirtschaft, das ist vollkommen klar. Aber von Wassernotstand würde ich für Deutschland weder heute noch in Jahrzehnten sprechen. Das können wir alles beherrschen. Das gilt natürlich nicht für andere Regionen dieser Welt, da gibt es tatsächlich Wassernotstände.

Müssen Kläranlagen besser werden?

Ruhrbarone: Sie betreiben ja auch recht große Kläranlagen und sind damit auf beiden Seiten der Medaille unterwegs, der Ver- und der Entsorgung. Wie sieht es denn mit der Qualität des Wassers aus? Kürzlich hat die Stiftung Warentest wieder das Trinkwasser sehr hoch gelobt. Es gibt aber auch viele Gegenstimmen und wir hatten in der Vergangenheit ja auch das eine oder andere Problem, ich erinnere nur an die PFT-Problematik, die ja gerade mal so zehn Jahre her, aber vielleicht auch nicht ganz endgültig ausgestanden ist. Wie sieht da die Zukunft aus, wie sieht es denn mit dem Thema multiresistente Keime aus, wie sieht es aus mit menschlich, künstlich gemachten Stoffen wie PFT, wie sieht es aus mit dem Stichwort vierte Reinigungsstufe, was haben Sie da vor?

Prof. Jardin: Das ist eine allumfassende Frage, ich fange mal bei einem eher generellen Statement an. Also die Ruhrwasserqualität verfolgen wir seit den 1970er Jahren sehr intensiv. Jedes Jahr publiziert der Ruhrverband einen Ruhrgütebericht, in dem wirklich sehr detailliert über die Gewässergüte der Ruhr Rechnung dargelegt wird. Und im vergangenen Jahr hatten wir die beste jemals in der Ruhr gemessene Gewässergüte. Das macht sich an der gesamten Palette der Stoffe, die wir typischerweise in Fließgewässern finden, fest. Und nicht zuletzt kann man heute auch wieder in der Ruhr baden – selbst nach den strengen Vorgaben der europäischen Badegewässerrichtlinie.

Ruhrbarone: Aber nicht durchgehend, da muss man ja hin und wieder mal raus aus dem Wasser.

Prof. Jardin: Nicht durchgehend, das stimmt. Das liegt daran, dass wir natürlich bei Regenwetter durch das Überlaufen der Kanalisation auch Keimeinträge in die Ruhr haben. Wir haben dafür ein Frühwarnsystem entwickelt, das genau vor solchen Keimeinträgen warnt. Aber wenn es trocken ist, dann ist die hygienische Qualität so, dass man bedenkenlos in der Ruhr an der Badestelle am Baldeneysee baden kann.

Multiresistente Keime in der Ruhr

Das führt dann zu dem Thema antibiotikaresistente Bakterien, das ja im vergangenen Jahr durch die Funde der Panorama-Redaktion in Norddeutschland durch die Medien gegangen ist. Wir haben daraufhin auch an der Ruhr und an unseren Talsperren Analysen durchführen lassen. Das gleiche hat das Umweltministerium jetzt auch noch einmal gemacht. Das Ergebnis kann man unter’m Strich zusammenfassen: Ja, es gibt in der Ruhr an verschiedenen Stellen antibiotikaresistente Keime, allerdings in vergleichsweise niedriger Konzentration, vor allem auch im Vergleich zu vielen anderen Fließgewässern in Deutschland. Und die Hygieniker haben dazu auch Stellung bezogen. Professor Martin Exner, Mitglied der Trinkwasserkommission des Bundesumweltamts lässt sich damit zitieren, dass für gesunde Badende bei dieser Keimbelastung kein Risiko besteht.

Der Baldeneysee in Essen: Anfang der 30er Jahren als Absetzbecken für Schwebstoffe in der Ruhr errichtet, dient heute der Naherholung (Foto: Ruhrverband)
Der Baldeneysee in Essen: Anfang der 30er Jahren als Absetzbecken für Schwebstoffe in der Ruhr errichtet, dient heute der Naherholung (Foto: Ruhrverband)

 

Ruhrbarone: Beim Baden sehen Sie also kein Risiko, aber wie wirken sich resistente Keime auf das Trinkwasser aus?

Trinkwasser keimfrei

Prof. Jardin: Gar nicht. Das haben wir in einem Forschungsprojekt sehr intensiv untersucht. Der größte Teil der Keimbelastung geht bereits bei der langsamen Filtration des Ruhrwassers in den Untergrund zurück. Den Rest besorgen die Wasserwerke mit ihren Aufbereitungen, die ja auch am Schluss noch mal eine Hygienisierungsstufe haben mit unterschiedlichen Verfahren, häufig Ozon und UV kombiniert, mitunter auch Chlordioxid. Am Ende ist das Trinkwasser völlig bedenkenlos was die Keimbelastung angeht.

Das Thema vierte Reinigungsstufe ist eins, was wir natürlich in der Wasserwirtschaft insgesamt sehr intensiv diskutiert haben. Ich bin sehr froh, dass es jetzt mit dem abgeschlossenen Stakeholderdialog des Bundes zum Thema Spurenstoffe eine breite Zustimmung zu einem Gesamtkonzept gibt. Das Wichtigste dabei ist, dass Spurenstoffe jetzt nicht mehr ausschließlich als ein Problem der Kläranlagen erachtet werden, sondern dass der gesamte Zyklus von der Herstellung bis zum Eintrag in den Wasserkreislauf betrachtet wird.

Die Maßnahmen werden als sinnvoll erachtet, die am kosteneffizientesten sind. Das sind zwangsläufig nicht immer Maßnahmen auf der Kläranlage, sondern auch solche an den Quellen. Das hat auch das Beispiel PFT im Ruhreinzugsgebiet gezeigt, dafür sind ja im Wesentlichen zwei Quellen verantwortlich gewesen, einerseits die illegalen Ablagerungen von einem sogenannten Biokompost im Sauerland, der mit PFT verunreinigt war, und andererseits aber auch die industriellen Einträge, vor allem aus der metallverarbeitenden Industrie.

Verursacherprinzip zieht nicht immer

Ruhrbarone: Das Verursacherprinzip funktioniert aber nur in diesen Fällen, wo wirklich punktuelle und dann auch identifizierbare Quellen vorhanden sind. Aber die Mehrzahl der Eintragungen, Stichwort Arzneien zum Beispiel, ist ja sehr, sehr diffus. Das heißt, die Vielzahl von Verschmutzern, das sind die privaten Haushalte, die Krankenhäuser, die Arztpraxen, macht es doch sehr schwierig fürs Verursacherprinzip.

Prof. Jardin: Also natürlich ist es anspruchsvoller, je diffuser der Eintrag ist. Arzneimittelrückstände gelangen natürlich über die Kläranlagen auch in die Gewässer. Das ist ja völlig unbestritten. Was aber nicht heißt, dass man nicht auch hier an der Quelle ansetzen kann. Wir haben dazu zwei Forschungsprojekte in den letzten Jahren abgeschlossen. Eine Frage war: Gelingt es uns, Rückstände von Röntgenkontrastmitteln separat einzusammeln und dann über die Restmülltonne zu entsorgen? Es hat sich gezeigt, dass wenn Patienten, die Röntgenkontrastmittel gespritzt bekommen, anschließend zwei-, dreimal ihren Urin in einen Urinbeutel geben und den über die Restmülltonne entsorgen, mehr als die Hälfte des Eintrags von Röntgenkontrastmitteln bereits an der Quelle vermieden wird.

Arzneimittel im Abwasser

Ruhrbarone: Aber ist das realistisch, wer macht das denn? Der normale Patient geht erst mal nach Hause und erledigt da sein Geschäft, ohne jeden Urinbeutel.

Prof. Jardin: Ja, aber in dem Projekt haben wir natürlich genau die Frage, wie hoch ist die Compliance, also die Akzeptanz diese Urinbeutel anzuwenden, untersucht. Rund 80 Prozent der Testpersonen haben das tatsächlich gemacht. Und wir haben jetzt gerade ein Projekt in Essen abgeschlossen, da ging es um die Sensibilisierung der Bevölkerung in Sachen Arzneimittelgebrauch, Verbrauch und Entsorgung. Auch da war für uns alle sehr überraschend, wie hoch die Bereitschaft der Menschen ist, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen und tatsächlich danach auch Arzneimittel anders zu nutzen, zu verwerten und zu entsorgen im Vergleich zu früher.

Vierte Reinigungsstufe gegen Spurenstoffe

Also, die Bereitschaft der Menschen mitzuwirken an der Reduktion ist durchaus da. Aber natürlich, und auch das ist in diesem Stakeholderdialog ganz klar rausgekommen, es wird an bestimmten Stellen auch zukünftig notwendig sein, auf Kläranlagen etwas zu tun. Das haben wir relativ klar an Kriterien festgemacht: Da, wo spezifische Nutzungen dies nahe legen, wo die Gewässerleistungsfähigkeit sehr gering ist und gleichzeitig ein hoher Eintrag an Spurenstoffen existiert, da spricht viel dafür, eine vierte Reinigungsstufe zu bauen.

Ruhrbarone: Wir wissen inzwischen alle, dass Mikroplastik in den Weltmeeren zu finden ist. Wie betrifft das eigentlich die Fließgewässer und damit unser Trinkwasser? Irgendwo kommt das Plastik in den Ozeanen ja her, das geht nur über die Flüsse. Heißt das denn auch, dass wir Mikroplastik in der Ruhr haben, in unserem Trinkwasser, bis hin in unser Wasserglas möglicherweise?

Mikroplastik im Abwasser…

Prof. Jardin: Also im Trinkwasser nicht. Dafür gibt es zu viele Barrieren, die verhindern, dass Mikroplastik bis zum Trinkwasser kommen kann. Wobei wir müssen ja unterscheiden zwischen Mikroplastik und Makroplastik. Mikroplastik, das ist alles bis zu ungefähr fünf Millimeter Größe und Makroplastik ist vor allem das, was man plakativ dann im Pazifik als Riesenplastikinseln im Meer schwimmen sieht.

Ruhrbarone: Ja gut, das sind dann die Plastiktüten und -flaschen, aber die landen nicht bei uns im Wasserglas.

Prof. Jardin: Bei Mikroplastik, das zeigt eine aktuelle Studie des Fraunhofer Instituts, ist es so, dass rund zwei Drittel des Eintrags über Reifenabrieb oder sagen wir mal ganz allgemein über den Verkehrssektor erfolgen. Das ist nicht nur Reifenabrieb, sondern das ist auch Abrieb der Straße selber. Das passiert überwiegend über oberflächige Abschwemmungen, teilweise auch über die Kanalisation, aber ganz häufig eben über die Straßenschulter, über Entwässerungsgräben, die dann in die Gewässer führen, so dass wir natürlich auch Mikroplastik in den Gewässern haben. Kläranlagen sind davon glücklicherweise eher weniger betroffen, weil Kläranlagen, ohne dass sie besonders darauf ausgelegt sind, weit über 90 Prozent des Mikroplastiks eliminieren, in manchen Fällen auch über 95 Prozent des Mikroplastiks.

…aber nicht im Trinkwasser

Ruhrbarone: Das bedeutet aber auch, dass Mikroplastik-belastetes Abwasser in unseren Flüssen landet, ohne jemals eine Kläranlage gesehen zu haben.

Prof. Jardin: Genau. Aber zumindest an der Ruhr ist es ja so, dass das Wasser erst mal durch den Boden filtriert und dann erst in Grundwasserbrunnen wieder nach oben gefördert wird. Bei dieser Grundwasserfiltration werden fast alle Partikel zurückgehalten, gefördertes Wasser ist weitgehend partikelfrei. In den allermeisten Wasserwerken erfolgt auch noch mal eine zusätzliche Filtration in mehreren Stufen, so dass im Trinkwasser hinterher nichts mehr vorhanden ist.

Kläranlage haben meist drei Reingungsstufen. Umweltpolitiker fordern eine vierte. (Foto: Ruhrverband)
Kläranlage haben meist drei Reingungsstufen. Umweltpolitiker fordern eine vierte. (Foto: Ruhrverband)

 

Teuer: Vierte Reinigungsstufe

Ruhrbarone: Stichwort vierte Reinigungsstufe, das ist eine erweiterte Reinigung über den bisherigen technischen Standard hinaus, die ja technisch sehr anspruchsvoll, aber auch sehr teuer ist: Wenn man die Diskussionen verfolgt, hat man den Eindruck, dass die Wasserwirtschaft, die Kläranlagenbetreiber wie der Ruhrverband in erster Linie, sich massiv gegen Auflagen und weiteren Forderungen der Umweltpolitik wehren. Ist Ihnen das zu teuer oder woran liegt es? Am Geld kann es ja nicht liegen, weil Sie ja ihre Kosten eins zu eins als Gebühren auf die Benutzer umlegen können. Sie müssen ja nicht befürchten, dass Ihnen die Kunden bei einer 10%igen Preiserhöhung weglaufen, das können diese ja gar nicht! Warum wehrt sich also die Wasserwirtschaft gegen die vierte Reinigungsstufe so vehement?

Wasserwirtschaft will nicht umweltpolitischer Reparaturbetrieb sein

Prof. Jardin: Also erstens, weil die vierte Reinigungsstufe in keiner Weise dem Verursacherprinzip Rechnung trägt. Die Wasserwirtschaft, das sieht man nicht zuletzt auch in der aktuellen Diskussion um Nitrat im Grundwasser, ist es eigentlich leid, immer nur der Reparaturbetrieb für eine verfehlte Umweltpolitik zu sein. Diesen Fehler will die Wasserwirtschaft nicht noch einmal beim Thema Mikroschadstoffe im Wasserkreislauf machen. Deshalb wehrt sie sich so vehement und fordert ein, dass wenn wir dieses Thema wirklich – auch im Sinne der Bürger und Bürgerinnen – kosteneffizient angehen sollen, dass wir schauen müssen, wo die sinnvollsten und effizientesten Eingriffsmöglichkeiten sind. Und das ist definitiv nicht immer am Ende der Kette. Egal, ob es darum geht, Nitrate aus dem Grundwasser oder irgendwelche Spurenstoffe aus dem Abwasser zu heraus zu holen.

Wir müssen an den Quellen mehr tun, Stichwort biologisch abbaubare Arzneistoffe, um langfristig auch dafür zu sorgen, dass schädliche Spurenstoffe weniger werden im Wasserkreislauf. Das Thema Nitrat ist ein ganz plakatives Beispiel, dafür, dass wenn es nicht gelingt, hier ein Umdenken einzuleiten, wir irgendwann mal keine Grundwasserleiter mehr haben werden, aus denen man ohne Bedenken Trinkwasser gewinnen kann.

Mehr alte Menschen, mehr Arzneimittel im Abwasser

Ruhrbarone: Arzneimittel sind ja ein wunderbares Beispiel für das Kernproblem des Verursacherprinzips: Es gibt eine Unmenge an Arzneimitteln und es gibt viele Menschen, die auf sie angewiesen sind. Und bei einer alternden Bevölkerung werden es ja immer mehr, die chronisch krank sind, die jeden Tag zehn Pillen und mehr einnehmen müssen. Das ist ein sehr empfindliches Thema! Wie wollen Sie auf breiter Basis umstellen? Das ist doch alles sehr sensitiv, weil es um die Gesundheit der Menschen geht und weil viel und lang geforscht werden müßte, bevor es brauchbare Alternativen gäbe.

Auf der andern Seite, nämlich End-of-the-Pipe, hat man großtechnische Kläranlagen, die erst mal alles nehmen müssen, was an Abwasser ankommt. Ist es da nicht sinnvoller, gerade Reparaturbetrieb zu sein? Das haben wir in andern Bereichen ja auch, die Abfallwirtschaft ist ja weitestgehend Reparaturbetrieb für das moderne Leben, das wir führen, warum sollten Unternehmen wie Ihres nicht Reparaturbetrieb für das Wasser sein? Damit könnte man doch auch gemütlich leben…

Prof. Jardin: Im Einzelfall wird das genauso sein. Im Einzelfall, wenn eine besondere Nutzung hinter dem Ablauf der Kläranlage ist oder das Gewässer besonders sensibel ist, und das zeigen ja einige Beispiele in Deutschland, bauen die Betreiber ja auch eine vierte Reinigungsstufe, um den Eintrag zu reduzieren. Aber grundsätzlich ist es auch bei Arzneistoffen so, dass Maßnahmen an der Quelle oder beim Verursacher nach wie vor ein hohes Potenzial bieten. Die Stoffe, die uns Sorge bereiten im Wasserkreislauf, sind ja nicht unbedingt die Stoffe, die schwerkranken Menschen verabreicht werden, weil diese meist in so geringen Konzentrationen auftreten, dass wir sie im Gewässer oder im Wasserkreislauf überhaupt nicht wiederfinden.

Problemstoff Diclofenac

Problematisch sind solche Stoffe wie Diclofenac beispielsweise. Diclofenac finden wir mittlerweile in fast allen Gewässern in Deutschland, in den letzten Jahren in ansteigenden Konzentrationen. Man muss sich die Frage stellen, ist es eigentlich richtig, dass Diclofenac mittlerweile ein Allerwelts-Arzneistoff geworden ist, das mehr oder weniger zum guten Leben dazu gehört? Wenn ich sehe, dass kurz vor der Tagesschau propagiert wird, sobald man als älterer Mensch zum Sport geht, sollte man sich vorher die Knie mit Diclofenac einreiben, dann ist nicht verwunderlich, , wenn dieser Stoff am Schluss auch im Wasserkreislauf landet. Andere Länder machen uns vor, wie das geht, indem solche Stoffe entweder verschreibungspflichtig sind oder Werbung in dem Maße wie bei uns nicht stattfinden kann.

Becken einer Kläranlage: Reichen die bisherigen Reinigungstechniken gegen Arzneimittel-Rückstände aus? (Foto: Ruhrverband)
Becken einer Kläranlage: Reichen die bisherigen Reinigungstechniken gegen Arzneimittel-Rückstände aus? (Foto: Ruhrverband)

 

Landwirtschaft kritisch für Trinkwasser

Ruhrbarone: Anderes Stichwort, Landwirtschaft: Ist die Landwirtschaft ein natürlicher Feind der Wasserwirtschaft?

Prof. Jardin: Nein. Wir leben sehr gut mit der Landwirtschaft. Bestimmte Formen der Landwirtschaft sind allerdings kritisch im Zusammenhang mit einer gesicherten Trinkwasserversorgung, das ist genauso unbestritten. Wenn wir sehen, dass in Deutschland 36 Prozent der Grundwasserleiter in einem schlechten chemischen Zustand sind und nahezu flächendeckend dieser schlechte chemische Zustand durch Nitrat verursacht wird, muss man sich natürlich die Frage stellen, wo kommen diese Stoffe her? Die Antwort auf diese Frage ist eine vergleichsweise einfache, das kommt im Wesentlichen aus der Landwirtschaft. Und war nicht flächendeckend in Deutschland, sondern es konzentriert sich auf die Regionen, in denen industrielle Intensivlandwirtschaft betrieben wird.

Ruhrbarone: Also auch im Ruhrgebiet?

Prof. Jardin: Im Ruhrgebiet eher weniger, weil im Ruhrgebiet fehlt die Fläche für landwirtschaftliche Produktion, aber wir sehen das im Münsterland.

Ruhrbarone: In den Randgebieten des Ruhrgebiets und da, wo Sie Wasser herholen, im Sauerland, da haben wir ja auch Landwirtschaft, die nicht ganz zu vernachlässigen ist.

Prof. Jardin: Ja, aber unproblematisch. Die Landwirtschaft im Ruhreinzugsgebiet ist völlig unproblematisch, vor allem im Gegensatz zu Intensivlandwirtschaft im Münsterland oder am Niederrhein oder wenn Sie nach Oldenburg gehen.

Deutsche Gewässer nicht gut genug laut EU-Standards

Ruhrbarone: Nun haben wir jetzt 20 Jahre EU-Wasserrahmenrichtlinie und das Ziel der guten Gewässerqualität, wie es da gefordert ist, haben wir in Deutschland ja immer noch nicht erreicht. Und das obwohl wir ja sehr viel Geld investiert haben, gerade die Wasserwirtschaft, gerade die Bürger über ihre Gebühren, sowohl auf der Ver- als auf der Entsorgungsseite. Man hat so ein bisschen das Gefühl, dass wir so richtig nicht nach vorne gekommen sind in den letzten 20 Jahren. Es ist zwar nicht schlimmer geworden, wir haben nicht mehr die 70er, 80er Jahre, als man nicht mal auf den Rhein schauen durfte, aber so richtig gut, dass wir jetzt einen grünen Stempel kriegen von der EU-Kommission, haben wir es nicht. Wir sind ganz im Gegenteil ja eher noch verklagt worden und möglicherweise stehen auch noch weitere Klagen aus, was die Wasserrahmenrichtlinien anbetrifft. Wie kommt das?

Prof. Jardin: Also, das hat mehrere Ursachen. Eine Ursache ist sicherlich, ohne dass ich das jetzt als direkte Kritik an der Wasserrahmenrichtlinie verstanden wissen will, dass die Bewertungsmaßstäbe der Wasserrahmenrichtlinie sehr streng sind und in den letzten Jahren immer noch strenger geworden sind. Das betrifft beispielsweise auch den chemischen Zustand, der nach der Überarbeitung der sogenannten Liste der prioritären Stoffe, noch mal eine deutlich höhere Anforderung an den guten Zustand der Gewässer stellt. So liegt für PFOS, wie sprachen bereits über diesen PFT-Stoff, die Umweltqualitätsnorm für einen guten Zustand bei 0,65 Nanogramm pro Liter – ein Nanogramm ist im Übrigen ein Milliardstel Gramm. Der gesundheitliche Orientierungswert im Trinkwasser, bei dem Sie lebenslang täglich zwei Liter Trinkwasser zu sich nehmen können, ohne Gefahr zu laufen, davon beeinträchtigt zu werden, liegt bei 100 Nanogramm pro Liter. Das heißt, die Anforderungen im Fließgewässer oder im Oberflächenwasser sind um 154mal strenger als im Trinkwasser.

EU-Richtlinie zu streng

Und das könnte ich jetzt für andere Stoffe genauso durchdeklinieren. Das macht eben deutlich, das Anspruchsniveau der Wasserrahmenrichtlinie ist enorm und in den letzten Jahren angestiegen. Was dazu führt, dass es schwierig wird, dieses Niveau flächendeckend zu erreichen.

Ruhrbarone: Sehen Sie hier Parallelen zur Luftreinhaltung in den Städten? Da werden die Grenzwerte ja auch heftig kritisiert.

Prof. Jardin: Es geht ja noch viel weiter. Die Bewertung nach der Wasserrahmenrichtlinie umfasst ja sehr viele Qualitätskriterien, die einzeln bewertet werden. Neben dem chemischen gibt es auch den ökologischen Zustand, in dem vier biologische Qualitätskriterien bewertet werden. Ein Prinzip der Wasserrahmenrichtlinie heißt: „one out, all out“. Das bedeutet, wenn nur einer der Parameter nicht in einem guten Zustand ist, dann kann das Gewässer insgesamt keinen guten Zustand erreichen. Es wird dann als nicht gut bewertet, weil nur eine nicht gute Bewertung reicht, um das gesamte Gewässer abzuwerten.

Trotz hoher Investitionen: Verbesserungen kaum nachvollziehbar  

Und das ist etwas, was es für die Bürger unglaublich schwierig macht, nachzuvollziehen, was eigentlich in den letzten 20 Jahren an Gewässerschutz passiert ist. Und es ist sehr viel passiert! Wenn wir uns die Gewässergüte anschauen, wenn wir uns auch Gewässerstrukturen anschauen, da sind sehr große Fortschritte erzielt worden in den letzten Jahren, weil sehr viel investiert wurde. Nur diese Fortschritte machen sich kaum in der Bewertung bemerkbar, weil diese Bewertung eben eine sehr, sehr strenge ist. Durch dieses „One-out-All-out-Prinzip“ wird es unglaublich schwierig, diese Fortschritte auch nach außen sichtbar zu machen. Aber wenn Sie beispielsweise mal nach Arnsberg fahren und schauen sich die Ruhr heute an, wie sie wieder frei fließt, wie mittlerweile der Eisvogel über die Ruhr fliegt, welche Tiere wieder in der Ruhr leben, das ist natürlich ein wunderbarer Eindruck, den Menschen auch erleben.

Aber wenn Sie sich das Kartenwerk der Wasserrahmenrichtlinie anschauen, ist die Ruhr in Arnsberg immer noch rot, weil bestimmte chemische Stoffe eben überschritten sind. Also das ist sicherlich die Diskrepanz, die im Augenblick in der Wasserwirtschaft auch zu großen Diskussionen führt. Deutschland setzt sich vehement dafür ein, dass das Anforderungsniveau der Wasserrahmenrichtlinie als Fernziel bleibt. Aber wir sind uns natürlich völlig bewusst, dass wir das bis 2027, dem finalen Zieljahr der  Wasserrahmenrichtlinie, nicht erreichen werden. Wofür wir uns massiv einsetzen, ist eine differenzierte Bewertung zu erreichen, so dass es auch für die Kommunikation nach draußen einfacher wird, zu dokumentieren, dass es wirklich vorangeht mit dem Gewässerschutz.

Wasser wird nie wieder so gut wie vor Industrialisierung

Ruhrbarone: Jetzt haben wir 200 Jahre Industriegeschichte im Ruhrgebiet hinter uns und das hat sich sicherlich auf die Umwelt und speziell auch auf das Wasser ausgewirkt. Ist es denn denkbar, dass wir jemals wieder zu einem Qualitätsniveau vor der industriellen Zeitrechnung zurückkommen, ist das vorstellbar?

Prof. Jardin: Nein. Also ohne dass man die Menschen hier aus dem Raum entsiedelt, Industriebetriebe schließt, halte ich das so nicht für erreichbar. Im Übrigen hielte ich das auch für das völlig falsche Ziel. Denn wir leben nun mal in einer Industriegesellschaft und der größte Teil unseres Wohlstands beruht darauf, dass wir mit unserer Kreativität Güter produzieren und Dienstleistungen erbringen. Wo Menschen leben und industriell produzieren, da gibt es auch Auswirkungen auf die Umwelt. Insofern wird es niemals mehr so sein, dass wir die Ruhr in ihrem Zustand im 15. oder 16. Jahrhundert wieder erleben werden.

Die Ruhr wird nie wieder so aussehen wie vor der Industrialisierung (Foto: Ruhrverband)
Die Ruhr wird nie wieder so aussehen wie vor der Industrialisierung (Foto: Ruhrverband)

 

Was wir aber durchaus möglich ist, dass wir innerhalb der Grenzen menschlicher Beeinflussung einen Gewässerzustand erreichen können, der nach allen Maßstäben ein akzeptabler und guter ist, der es ermöglicht, dass viele Tiere, viele Spezies, die inzwischen ausgestorben sind oder nicht mehr vorkommen, sich wieder ansiedeln in der Ruhr.

Trinkwasser wird teurer

Ruhrbarone: Das alles hat ja einen Preis. Wenn Sie in die Langfristperspektive schauen, was schätzen Sie, wie viel mehr muss der Bürger in Zukunft für gutes Trinkwasser zahlen? Wie viel werden wird in 30 Jahren mehr zahlen müssen für gutes Wasser am Wasserhahn?

Prof. Jardin: Ich glaube, wenn ich darauf eine Antwort wüsste, dann würde ich wahrscheinlich irgendwo in der hohen Politik oder in einem Wirtschaftsforschungsinstitut eher mein Einkommen bestreiten können. Das ist extrem schwer zu sagen. Das hängt natürlich sehr davon ab, welche Anforderungen wir uns jetzt geben. Nur mal als Beispiel: Wenn sich Deutschland entschließen sollte, eine vierte Reinigungsstufe in allen Kläranlagen einzuführen, würde das pro Bürger und Bürgerin etwa 15 Euro pro Jahr zusätzliche Kosten ausmachen.

Ruhrbarone: Also eine Pizza mehr oder weniger pro Bürger im Jahr?

Prof. Jardin: Ja, pro Bürger und Jahr, das ist die Kostengröße. Dazu kann man jetzt unterschiedlich stehen, man kann sagen, das ist doch relativ wenig. Für manche wird das relativ viel sein, wenn man dann eine vierköpfige Familie ist, sind das dann schon 60 Euro.

Ruhrbarone: Zum Vergleich: Was zahlen wir heute für eine vierköpfige Durchschnittsfamilie an Wasserverbrauch?

Prof. Jardin: Also insgesamt liegen die Kosten für Trinkwasser in einer Größenordnung von ungefähr 1,65 pro Kubikmeter, für Abwasser bei etwa 2,65 Euro pro Kubikmeter und der Wasserbrauch liegt ungefähr bei 50 Kubikmeter pro Jahr, so dass man das jetzt einfach hochrechnen könnte. Hinzu kommt noch die Gebühr für Niederschlagswasser von etwa 0,80 € pro Quadratmeter.

Preissteigerung 10 – 15% zu erwarten

Ruhrbarone: Im Jahr also rund 600 bis 700 Euro, tutto completo für Abwasser und einen Durchschnittshaushalt. Ihre Erhöhung um 60 Euro wenn bedeutet dann ja schnell etwa 10 Prozent Steigerung.

Prof. Jardin: Genau. Das wäre jetzt auch die Zahl, die ich Ihnen angeboten hätte, zwischen 10 und 15 Prozent, das ist der Mehraufwand, der dahinter steht und das ist jetzt nur die vierte Reinigungsstufe. Man könnte das natürlich noch viel weiter führen.

Ruhrbarone: Das wäre ja dann oberhalb der Inflationsrate, die wir zu erwarten haben und es wäre möglicherweise auch oberhalb der Einkommens- und Produktivitätssteigerung, so dass wir, relativ gesehen, für sauberes Wasser mehr zahlen müssten, als wir mehr erwirtschaften.

Prof. Jardin: Ja, natürlich. Wir haben auch in der Wasserwirtschaft natürlich mit Kostensteigerungen zu rechnen bei Personal und Material. Die können wir nicht vollständig durch Effizienzzuwächse ausgleichen. Selbst wenn keine neuen Anforderungen kämen, würden die Kosten für Wasserdienstleistungen ansteigen, im besten Fall in der Größenordnung der Inflationsrate.

Kemnader See in Bochum: Segeln erlaubt, baden nicht (Foto: Ruhrverband)
Kemnader See in Bochum: Segeln erlaubt, baden nicht (Foto: Ruhrverband)

 

Wobei der Ruhrverband seinen Mitgliedern vor mittlerweile neun Jahren das Versprechen gegeben hat, dass innerhalb einer Zehnjahresperiode die einwohnerspezifische Belastung, also wie viel Bürger und Bürgerinnen im Einzugsgebiet der Ruhr für die Leistungen des Ruhrverbandes zahlen, nicht höher ist als vor zehn Jahren. 2010 haben wir dieses Versprechen gegeben und 2020 wäre der Stichtag, an dem man das kontrollieren kann. Da wir jetzt schon den Wirtschaftsplan für das nächste Jahr gemacht haben, können wir sicher sagen, der Bürger zahlt tatsächlich 2020 weniger für die Leistungen des Ruhrverbandes als noch im Jahr 2010. Und das, obwohl die Bevölkerung in der gleichen Zeit im Ruhreinzugsgebiet geschrumpft ist, und zwar rund um 0,4 Prozent pro Jahr.

Ruhrverband will kommunale Kanalnetze übernehmen

Ruhrbarone: Der Ruhrverband ist ja ein großer überörtlicher Player der Wasserwirtschaft, einer der größten in Deutschland. Und seit Neuestem werfen Sie einen Blick auf die örtlichen, kommunalen Kanalnetze. Sie haben ja schon zwei übernommen, einmal eine kleinere Stadt im Sauerland, Schmallenberg, und eine von den etwas kleineren Städten im Ruhrgebiet, nämlich Hattingen. Warum ist das überhaupt für so ein großes Haus wie das Ihrige interessant, ist das nicht nur Kleinkram für Sie?

Prof. Jardin: Nein. Also der Ruhrverband, wie jedes Unternehmen, schaut natürlich auch, ob es Wachstumsperspektiven für das Unternehmen gibt, einfach um unsere Produktionsmittel effizient einzusetzen. Wenn sich Wachstumsmöglichkeiten in unserer Kernkompetenz ergeben, dann nutzen wir die natürlich. Und diese Möglichkeiten hat der Gesetzgeber 2016 durch das neue Landeswassergesetz geschaffen. Seitdem können Kommunen von der Option Gebrauch machen, ihr Kanalnetz auf den Wasserverband zu übertragen, in dessen Einzugsgebiet die Kommune ist.

Keine Privatisierung von Kanalnetzen

Ruhrbarone: Kann die Kommune auch an einen Privaten übertragen?

Prof. Jardin: Sie kann es ausschreiben, klar, diese Option hat die Kommune, sie kann den Betrieb ausschreiben. Das Kanalnetz mit den hoheitlichen Aufgaben kann aber nicht an Private übertragen werden.

Ruhrbarone: Also Player wie die Gelsenwasser AG, die auch in der Region relevant sind, die dürfen nicht das, was der Ruhrverband tut?

Prof. Jardin: Nein, sie sind ja keine hoheitlichen Aufgabenträger und sie können nicht hoheitliche Aufgaben übernehmen. Deshalb ist das auch kein Geschäft, sondern es ist eine Übertragung zwischen zwei Körperschaften des öffentlichen Rechtes. Eins zu eins gehen sämtliche Pflichten auf den anderen hoheitlichen Aufgabenträger über, das heißt, wir sind in dem hoheitlichen Bereich dann für die Abwasserbeseitigungspflicht zuständig. Das ist eine hoheitliche Aufgabe, die kann nicht ohne weiteres auf einen Privaten übertragen werden. Was auf einen Privaten übertragen werden kann, das sind alle Betriebsführungsaufgaben. Davon haben in der Vergangenheit auch durchaus einige Kommunen Gebrauch gemacht. Aber dieses Modell, das der Gesetzgeber 2016 geschaffen hat, geht nur zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts, streng genommen nur zwischen der Kommune und ihrem sondergesetzlichen Wasserverband.

Ruhrbarone: Was heißt denn Übertragen in diesem Zusammenhang? Ist dann der Ruhrverband der Eigentümer der kommunalen Kanalnetze?

Ruhrverband übernimmt auch Kanal-Schulden der Kommunen

Prof. Jardin: Ja, er ist der wirtschaftliche Eigentümer des Kanalnetzes und tritt damit in sämtliche Pflichten ein, inklusive der Übernahme der Vermögensgegenstände und der möglicherweise noch bestehenden Schulden auf dem Kanalnetz. All das übernimmt der Ruhrverband in solchen Fällen.

Ruhrbarone: Für alle Ewigkeiten oder für eine gewisse Zeit?

Prof. Jardin: Der Ruhrverband wird das für alle Ewigkeiten machen, weil er nicht davon ausgeht, dass irgendjemand mit den Leistungen des Ruhrverbands unzufrieden ist. Aber die Diskussionen im politischen Raum zeigen, dass sich Kommunen gerne auch die Option einräumen lassen, nach einer bestimmten Zeit dieses Geschäft noch mal zu überprüfen. Die Verabredungen, die wir mit den Kommunen treffen, sind üblicherweise so, dass die Kommune nach 20 Jahren diese Übertragung rückabwickeln kann.

Kammerfilterpresse zur Klärschlammeindickung (Foto: Ruhrverband)
Kammerfilterpresse zur Klärschlammeindickung (Foto: Ruhrverband)

 

Der Ruhrverband glaubt aber nicht, dass irgendeine Kommune davon Gebrauch machen wird. Wir betreiben ja seit über zehn Jahren das Kanalnetz in Meschede und die Mescheder Bürger und Bürgerinnen sind äußerst zufrieden und die Stadt Meschede ebenfalls. Insofern gäbe es überhaupt keinen Grund dafür. Und im Übrigen, das ist ja unsere Kernkompetenz. Wie reinigen seit über 100 Jahren Abwasser und wir betreiben selbst auf 330 Kilometern eigene Kanäle. Insofern ist das nur ein logischer Schritt, die gesamte Siedlungsentwässerung dann ganzheitlich zu bewirtschaften, aus einer Hand.

Ruhrverband will nicht internationaler Player werden

Ruhrbarone: So manches kommunales Unternehmen schaut auch weit über seine Stadtgrenzen hinaus, Stichwort Steag. Da gibt es viele, die weit über die Grenzen Deutschlands hinaus tätig sind. Ist das auch für den Ruhrverband eine Option für die Zukunft?

Prof. Jardin: Nein. Der Ruhrverband ist gesetzlich ganz klar eingeschränkt in seinen Aufgaben. Für den Ruhrverband gibt es ein eigenes Gesetz, da steht ganz klar drin, was seine Aufgaben sind. An diese gesetzliche Festlegung halten wir uns auch und die ist so konstruiert, dass wir nur innerhalb unseres Einzugsgebietes tätig werden können. Natürlich haben wir auch in der Vergangenheit darüber nachgedacht, ob das Know-how, das der Ruhrverband hat, nicht auch in anderen Regionen, auch im Ausland, gefragt sein könnte. Und wir haben schon damals zusammen mit RWE eine Gesellschaft gegründet, die Ruhrwasser AG International, die an verschiedenen Stellen in Europa tätig war, in Italien und in der Türkei.

Ruhrbarone: Also sind Sie ja doch international unterwegs!

Prof. Jardin: Ja, die Ruhrwasser AG International ist aber inzwischen liquidiert.

Ruhrbarone: Aha, dann war es nicht so erfolgreich?

Prof. Jardin: Es war erfolgreich, aber es ist im internationalen Wettbewerb für deutsche Unternehmen unglaublich schwierig. Ein Ruhrverband wäre nicht in der Lage und nicht befugt, das finanzielle Backing zu bieten, das notwendig ist, um in großem Stil im internationalen Maßstab zu investieren. Da sind uns die Engländer, die Franzosen, die Amerikaner und Australier weit voraus. Vor Jahren hatte RWE auch großes Interesse daran, sich im Wassergeschäft zu etablieren, und RWE brachte damals auch die finanziellen Mittel mit. Aber RWE hat sich dann irgendwann zurückgezogen aus dem Wassergeschäft, weil sie andere strategische Prioritäten gesetzt haben.

Warum Wasser nicht privatisieren?

Ruhrbarone: Wie steht denn die deutsche Wasserwirtschaft mit diesem sehr hoheitlichen Ansatz, den Sie ja betonen, im internationalen Vergleich da? Es gibt doch viele Länder, in denen auch Wasser eine private Dienstleistung ist. Das ist in Großbritannien so, das ist in großen Teilen Frankreichs und der USA so. Ist unser Wasser in Deutschland besser, weil wir weitestgehend hoheitliche Unternehmen haben? Sind die anderen schlechter als wir?

Prof. Jardin: Als jemand, der in der öffentlichen Wasserwirtschaft groß geworden ist und sie sehr schätzt, würde ich sagen, ja, das ist das bessere Modell. Weil es bürgerfreundlicher ist und weil wir keine Gewinnorientierung haben, wir schütten keine Dividenden an irgendjemand aus. Ich glaube, die deutsche Wasserwirtschaft hat es in den letzten Jahrzehnten sehr gut verstanden, sich auch an den Effizienzkriterien von privaten Unternehmen messen zu lassen und auf die eigenen Unternehmen anzuwenden. Wenn wir uns mit anderen Ländern vergleichen, sehe ich da keinen wirtschaftlichen Nachteil zwischen öffentlicher und privater Aufgabenerfüllung. Aber natürlich ist Wasserwirtschaft ein Bereich, der sehr nah am Gemeinwohl und den Nachhaltigkeitsprinzipien unseres Lebens ist. Insofern bin ich sehr froh, dass das in Deutschland ganz überwiegend, was die Abwasserbeseitigung und große Teile der Trinkwasserversorgung angeht, in öffentlicher Hand liegt. Und damit keinen privaten Interessen dient.

Private Wasserunternehmen nicht nachhaltig?

Ruhrbarone: Heißt das, dass private Unternehmen nicht nachhaltig wirtschaften?

Prof. Jardin: Sehr unterschiedlich. Ich würde das nicht so ganz allgemein formulieren. Natürlich wirtschaften sie auch in ihrem Sinne nachhaltig, wobei die Nachhaltigkeit da vielleicht etwas anders definiert ist. Das prominenteste Privatisierungsprojekte in Deutschland ist ja Berlin, das über viele Jahre darum gekämpft hat, die ursprünglich erfolgte Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe wieder rückgängig zu machen. Heute sagen die Berliner alle unisono, das war ein guter Schritt, das wieder rückgängig zu machen und jetzt wieder ein öffentliches Unternehmen in rein kommunaler Hand zu haben.

Ruhrbarone: Aber die Wasserqualität ist in Berlin ja nicht besser geworden durch die Rückübertragung auf einen öffentlichen Betreiber, oder?

Prof. Jardin: Nein, aber die Preise sind niedriger geworden.

Keine Angst vor privater Konkurrenz

Ruhrbarone: Hätten Sie als Ruhrverband, als öffentlich-rechtliche Wasserwirtschaft, Angst vor privater Konkurrenz?

Prof. Jardin: Nein überhaupt nicht. Aber wir sind natürlich ganz froh, dass wir in Nordrhein-Westfalen schon seit über 100 Jahren eine Konstruktion der Wasserwirtschaft haben, die eigentlich dem Idealbild, das Wasserwirtschaftler sich gerne vorstellen, sehr nahe kommt, nämlich eine ganzheitliche Bewirtschaftung eines gesamten Flusseinzuggebietes. Wenn man ehrlich ist, geht das in einer öffentlichen Konstruktion einfacher als in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen.

Ruhrbarone: Das gilt aber nur für bestimmte Teile Nordrhein-Westfalens, wo wir die großen Verbände haben, die den Wassereinzugsgebieten in entsprechen. Der Rest der Republik und halb Nordrhein-Westfalens hat derartige Verbände schlicht nicht. Jedoch haben das die Länder, die privatisiert haben, so Großbritannien mit seinen zwölf Wasserverbänden, die im Großen und Ganzen den Wassereinzugsgebieten entsprechen. Ist das nicht eher eine Frage der Regulierung als der Privatisierung?

Prof. Jardin: Also hier in Nordrhein-Westfalen ist es historisch ja so, dass die Verbände völlig unabhängig von der Wasserrahmenrichtlinie entstanden sind. Es ging um die wasserwirtschaftlichen Notstände, die es damals um die Jahrhundertwende tatsächlich zu lösen galt. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es mit solchen übergeordneten Organisationen tatsächlich leistbar gewesen ist, und zwar in vergleichsweise kurzer Zeit. Das spricht sehr für diese Konstruktion, aber macht auf der andern Seite natürlich auch die Schwierigkeit deutlich.

Gerade im Zuge der Wiedervereinigung gab es ja viele Bestrebungen, auch im Osten ähnliche Wasserverbandsstrukturen zu etablieren, die ein größeres Einzugsgebiet abdecken. Aber das war letztlich kaum durchsetzbar gegen den Widerstand vieler Kommunen. Die wollten ihre Zuständigkeiten behalten und nicht abgeben. Insofern glaube ich, war das eine einmalige Chance, die wir hier bei uns in Nordrhein-Westfalen genutzt haben, dem Idealmodell der Wasserwirtschaft näher zu kommen. Das neu zu etablieren ist extrem schwierig, weil es bedingt, dass man über viele Widerstände hinweggehen muss.

Herausforderung Nr.1: Infrastruktur instand halten

Ruhrbarone: Was sind denn dann die wichtigsten Herausforderungen für die deutsche Wasserwirtschaft?

Prof. Jardin: Was wir in Deutschland sicherlich in den nächsten Jahrzehnten leisten müssen ist, unsere Infrastruktur instand zu halten. Uns darf in der Wasserwirtschaft nicht so was passieren wie im Straßenverkehr mit den Brücken oder in den Kommunen mit den Schulen. Nämlich dass irgendwann der Sanierungsstau so groß geworden ist, dass die Infrastruktur zusammenbricht. Das wird eine ganz große Herausforderung für die Wasserwirtschaft insgesamt werden. Die allermeisten Kläranlagen wurden in Deutschland in den Jahren 1985 bis 2005 auf den neuesten Stand gebracht wurden. Allein wir haben 1,6 Milliarden Euro in dieser Zeit in die Wasserinfrastruktur investiert. Und jetzt kommt sie in die Jahre. Wir sind im Augenblick mittendrin in den Überlegungen dazu, wie können wir diese Reinvestitionen so steuern, dass genau das nicht passiert, was ich eben als Damoklesschwert geschildert habe.

Kosten werden 1:1 auf Bürger abgewälzt

Ruhrbarone: Aber das dürfte für Sie doch Problem sein, weil Sie ja Ihre Wassergebühren kostendeckend kalkulieren. Das heißt, Sie haben alle laufenden Betriebskosten und natürlich auch alle Abschreibungen eingepreist. Sie legen alle Ihre Kosten eins zu eins auf den Verbraucher um. Im Grunde genommen müssten Sie ja wahnsinnig reich sein, der Ruhrverband müsste so eine Art Sparkasse, ein zweiter Juliusturm sein.

Prof. Jardin: Ja. Theoretisch könnte man da so sehen, aber natürlich, wie immer im Leben, ist es ja nicht so, dass sie bei einer Kläranlage jährlich genau die Abschreibung wieder investieren, sondern sie investieren dann, wenn bestimmte Reinvestitionen notwendig sind. Und die ersten zehn bis fünfzehn Jahre nachdem eine Anlage gebaut wurde, haben sie relativ wenig zu investieren.

Ruhrbarone: Das sind die Ansparphasen, daher der Sparkassen-Vergleich. Ihre gesamte Abschreibungen verdienen Sie ja dann über, wahrscheinlich schreiben Sie über 30, 50 Jahre ab.

Prof. Jardin: Genau, 30 Jahre für die Kläranlagen, 50 Jahre für die Kanalisation.

Ruhrverband: Geld ist kein Problem

Ruhrbarone: Bei unserem Gebührenmodell müsste das Geld doch eigentlich nur so sprudeln in Ihren Kassen! Und wenn irgendwann mal Reinvestitionen anstehen, dann müßte doch genug Geld vorhanden sein, oder?

Prof. Jardin: Genau. Also, das ist eine schwierige Aussage, wenn ich sagen würde, Geld stellt nicht das Problem dar, aber im Grunde genommen ist es so. Deshalb sind nicht unbedingt die Finanzen unsere große Herausforderung, sondern wie kriegen wir die PS tatsächlich auch auf die Straße?

Ruhrverband-Zentrale in Essen (Foto: Ruhrverband)
Ruhrverband-Zentrale in Essen (Foto: Ruhrverband)

 

Ruhrbarone: Muss ich mir die Bilanz des Ruhrverbandes so vorstellen, dass Sie ein sehr hohes Geldvermögen haben?

Prof. Jardin: Ja, natürlich, das haben wir auch. Das sehen Sie auch, wenn Sie bei uns in die Bilanz im Geschäftsbericht schauen. Wir haben natürlich vieles, das auf uns zukommt, antizipiert und haben Rückstellungen gebildet, um gegen solche Risiken gewappnet zu sein.

Ruhrbarone: Also muss ich mir als Bürger gar keine Sorgen machen, dass Sie irgendwann sagen, jetzt ist die Kläranlage kaputt und ich muss jetzt die Gebühren dramatisch erhöhen, weil repariert werden muss?

Prof. Jardin: Nein, diese Sorge müssen Sie sich nicht machen. Welche Sorge wir uns wie viele andere Betreiber auch machen ist: Wann müssen wir was investieren und haben wir die Ressourcen, um genau diese Investition auch zu tätigen?

Problem: Zu wenig Bauunternehmen und Ingenieurbüros

Ruhrbarone: Welche Ressourcen meinen Sie? Geldressourcen ja wohl nicht?

Prof. Jardin: Nein, nicht Geldressourcen. Aber Planungsressourcen, Bauressourcen und Unternehmerressourcen. Das ist heute die ganz große Herausforderung in der Bauwirtschaft. Ich will nicht sagen, dass wir jeden Monat eine Ausschreibung haben, auf die wir keine Angebote mehr bekommen, aber mittlerweile ist es so, dass wir gerade bei komplizierteren Baumaßnahmen kaum noch Angebote bekommen. Bestimmte Maßnahmen müssen wir jetzt tatsächlich verschieben, weil es keine Unternehmen mit freien Kapazitäten am Markt mehr gibt. Und das jetzt vor dem Hintergrund wachsender Investitionsnotwendigkeiten in der ganzen Republik. Das ist schon eine Herausforderung, die da insgesamt auf uns zukommt.

Ruhrbarone: Herr Professor Jardin, herzlichen Dank für dieses Gespräch!

 

 

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CHRISTIAN DIETZ
CHRISTIAN DIETZ
2 Jahre zuvor

Super, sehr interssanter, ausfuehrlicher und lehrreicher Artikel ueber Wasserwirtschaft, danke team und Norbert.

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