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Globalize it! – Ein Bücher- und Musikt(r)ipp zum Einschlafen und Aufwachen

Ein Gespenst geht um in Frankreich, das Gespenst des Ungehorsams und Communisme.
In den letzten Tage habe auch ich Stéphane Hessels liebenswürdig-langweiligen Appell „Empört euch“  und „Der kommende Aufstand“ des Unsichtbaren Komitees gelesen. Kein Wunder, dass einem davon schwindelig wird. 
In „Empört euch“ erzählt Hessel als integrer roter Urgroßvater aus seiner Résistance-Zeit ff. und fordert die Jugend der Welt auf, angesichts globaler Missstände humane Werte und eine Mentalität der Empörung wiederzubeleben. Alles nicht so falsch. Mehr linkisch als links wirkt allerdings, wie Hessel Empörungskultur als neualten Konsens beschwört, zumindest in dieser Schrift aber das öffentliche Nachdenken über die Objekte möglicher Empörung lieber auf später verschiebt. Ob so viel Empörungseuphorie je eine Welle zivilen Ungehorsams auslösen kann, die mehr ist als über den Tag hinausreichende Wutbürgerei, darf stark bezweifelt werden.

Ungleich spannender liest sich „Der kommende Aufstand“ vom Unsichtbaren Komitee, einem bis heute anonymen Autorenkollektiv aus Frankreich. Auch dieses Büchlein ein Bestseller nicht nur in Frankreich. In der Analyse weltweiter Massen- und Konsumgesellschaft gibt es da viele schöne, manchmal sogar poetische Sprachmomente. Aber eben auch ausufernd Rigoristisches, oft Kulturverachtendes. Dialektik als Erkennen und Aushalten von Widersprüchen bleibt oft auf der Strecke. Und eine Schwäche wird auch hier wieder deutlich: Halbwegs hinreichend gute Analyse/Diagnose taugen noch lange nicht, um daraus überzeugende Prognosen/Therapien abzuleiten. Adornos Sentenz „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“  wird hier unbarmherzig zu Ende gedacht. Unter kapitalistischen Bedingungen jedenfalls – so wähnen die Verfasser – gelingt niemandem nirgends zu keiner Zeit etwas anderes als Entfremdung in Knechtschaft. Wie sie selbst als Autoren unter diesen Knebel-Bedingungen überhaupt ihre eigene Utopie von selbstverwalteteten Communen, die sich in einem Prozess permanenter Revolution ständig erneuern, haben entwerfen können, bleibt völlig unverständlich.

Man kann sich an den beiden Lektüren und ihren Jargons – schnell hintereinander gelesen – durchaus überfressen. Sätze wie den folgenden aus „Der kommende Aufstand“ muss man erstmal verdauen und unruhiger Schlaf ist die Folge:
„Gesellschaftlichkeit besteht heute aus tausend kleinen Nischen, aus tausend kleinen Unterschlüpfen, in denen man sich warm hält. Wo es immer besser ist als draußen in der großen Kälte. Wo alles falsch ist, weil alles nur ein Vorwand ist, um sich aufzuwärmen. Wo nichts entstehen kann, weil man dort taub wird beim gemeinsamen Schlottern.“

Kein Wunder also, dass mir in der Nacht dann auch noch der Leibhaftige, der leibhaftige Bob Marley erschien, satter Reggae im Hintergrund. „Hey, man, cool, relax, forget those books …“ zwinkerte er mir zu, sang leise vor sich hin, reichte seinen Joint rüber und meinte, ich läse zwar viel, wär aber dennoch so was von einem total asshole, hätte immer nur wie alle anderen gegen die Globalisierung lamentiert. Mann, das Gegenteil wäre aber richtig! Also: die Globalisierung – you can’t stop it – endlich zu gestalten und zu forcieren.
Bob tätschelte mir die Schulter: „Should I, after tea and cakes and ices, Have the strength to force the moment to its crisis?“, das kennste ja wohl, Mann?
Könnte von Eliot sein oder von Google, murmelte ich.
Hier, zieh nochmal … Alfred Anderschs Zeilen „Empört euch der Himmel ist blau“ waberten mir durch Kopfschmerz und Lichtblitze. Und Bobby fing an, wirr durcheinander zu singen, Denglisch, irgendwie strange.

Globalize it, yea-ah-yea-ah , get up, stand up: stand up for your rights! Get up, stand up: don’t give up the fight! Legalize it, don´t criticize it, legalize it, yea-ah-yea-ah, and I will advertise it. Yea-ah-yea-ah, globalize Mindestlohn & Umweltschutz, globalize it. Globalize „Imagine there’s no heaven & “Du sollst nicht töten”, yea-ah-yea-ah, yea-ah-yea-ah. Globalize Religionenkritik, Menschenrechte & Menschenwürde, yea-ah-yea-ah, globalize it. Globalize „Brot für die Welt“ & auch ein bisschen Reis, Gemüse, yea-ah-yea-ah, yea-ah-yea-ah, globalize Kultur & Bildung für alle & Waffeln statt Waffen &, yea-ah-yea-ah, globalize „Free mankind“ and liberate your neighbours ape …

Dann wachte ich auf, hatte im Halbschlaf heftig gegen das Bücherregal getreten, überall lagen Wälzer herum, ein schmaler Gedichtband Paul Celans war mir aufs Kissen gefallen. Mit halbgeöffneten Augen las ich die Zeile „Es ist Zeit, dass es Zeit wird“ – und schlief wieder ein.

Stéphane Hessel: Empört Euch!
Aus dem Französischen von Michael Kogon
Ullstein Verlag, Berlin 2011
32 Seiten, 3,99 Euro

Unsichtbares Komitee:
Der kommende Aufstand
Aus dem Französischen von Elmar Schmeda
Verlag Nautilus, August 2010
Broschur, 128 Seiten,9,90 Euro

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Stauder
13 Jahre zuvor

Ein schöner Beitrag, wie ich finde. Oder anders ausgedrückt:

„Erreichbar, nah und unverloren blieb inmitten der Verluste dies eine: die Sprache.“

Dirk Haas
Dirk Haas
13 Jahre zuvor

Der Text schlottert; soviel ist klar.

Aber wo war der Kopf, als Celan aufs Kissen fiel?

Michael
13 Jahre zuvor

Ein wirklich lesenswerter Beitrag, wenngleich ich „Der kommende Aufstand“ für überbewertet halte. Wer sich vorher bereits mit der Thematik beschäftigt hat, findet in dem Werk kaum Neues. Insofern kann der Hype darum kann eigentlich keine inhaltlichen Gründe haben. Hat es auch bei Hessel nicht, aber „Empört euch“ ist ein angenehmer Gefühlskitzler eines weisen Mannes.

Michael
13 Jahre zuvor

Vielen Dank für die ehrenwerte Einladung. Leider muss ich mich gleich erstmal weiter der Empörung der Duisburger Mustermenschen widmen und will mich im Verlauf des Tages außerdem unbedingt noch zum Unterschied zwischen „Keine Werbung“-Schildern an der Haustür und eben jenen am Briefkasten äußern. Darüber hat mich mein Postbote heut Morgen dankenswerterweise nach einer Empörung meinerseits aufgeklärt.

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