
Als Antwort auf Kritik an meinem vorherigen Beitrag: Warum ich Meinungsvielfalt für so wichtig halte und Programme gegen „Hass und Hetze“ kritisch sehe.
Demokratie lebt nicht davon – das ist ein Grundirrtum vieler Rechter wie Linker –, dass sich die Mehrheit oder die jeweils lauteste, mächtigste Gruppe durchsetzt. Sondern dass jeder die Chance haben muss, mit seinen Ansichten und Interessen durchzudringen. Also wenigstens gehört und gesehen zu werden, auch wenn er im Moment in der Minderheit ist. Nur dann ist er oder sie bereit, Entscheidungen mitzutragen, die ihm oder ihr nicht gefallen – in der Hoffnung, bei der nächsten Wahl eine andere Mehrheit und Regierung zu bekommen.
Meinungsfreiheit ist demzufolge nicht ein Wert an sich, sondern Schmiermittel der Demokratie – hat erkämpft in der Aufklärung, nach der französischen Revolution und im demokratischen Aufbruch in Deutschland im 19. Jahrhundert gegen Fürsten, Monarchen, Kleriker und ihre Zensur. Wer sie ohne Not beschneidet, gefährdet die Grundlagen unseres friedlichen Zusammenlebens.
Politische Programme zur Förderung der Demokratie und zur Überwachung von Meinungsäußerungen oder Falschaussagen sind daher, auch wenn sie auf den ersten Blick wertvoll erscheinen mögen, mit äußerstes Vorsicht zu betrachten. Denn Politiker und Regierungen maßen sich damit an zu bestimmen und zu sanktionieren, was demokratisch zulässig sei und was nicht. Und das auch mit Hilfe privater Organisationen und Meldestellen. Obwohl es den vorstaatlichen Raum betrifft, in dem in streitiger Auseinandersetzung Meinungen gebildet werden und die Akzeptanz und Legimation demokratischer Verfahren entsteht, und der deswegen politischer Kontrolle entzogen sein muss, wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach entschieden hat.
Und obwohl es nur den Karlsruher Richtern obliegt zu entscheiden, was in- und was außerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung liegt. Nicht irgendwelchen Behördenmitarbeitern, Ministerialräten oder Verfassungsschützern. Schon gar nicht NGOs.
Beschränkungen der Meinungsfreiheit
Natürlich hat auch die Meinungsfreiheit wie alle Grundrechte Grenzen. Das steht schon im Grundgesetz. Nämlich da, wo der Persönlichkeitsschutz verletzt, der innere und äußere Friede gefährdet oder Volksgruppen verhetzt werden, oder wo sich Einzelne, Gruppierungen oder Parteien darauf richten, eben diese Grundlagen der Demokratie und damit auch die Meinungs- und Pressefreiheit abzuschaffen. Keine Toleranz für Intolerante, lautet der aus den Erfahrungen der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus geborene Grundsatz.
Aber das ist leichter gesagt, wie es von linker und linksliberaler Seite gerne getan wird, als es richtig zu verwirklichen. Was ist noch ein polemische, harte, auch verletztende Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung? Wo beginnt es gefährlich zu werden, weil es andere niedermacht und ihnen die Menschenwürde abspricht oder sie aus dem Spektrum des gesellschaftlichen Miteinanders ausschließt?
Um das zu entscheiden hilft, sich für einen Moment in die Lage des Gegenübers hinein zu versetzen, wie ich es als Übung häufig mit angehenden Journalisten gemacht habe. Wie ginge es mir, wenn mir abgesprochen würde, legitime Ansichten zu vertreten? Würde ich dann noch an die Demokratie glauben, oder kämen auch mir dann Zweifel?
Ab den 1970er Jahren gab es in der Bundesrepublik Gesinnungsprüfungen für Beamtenanwärter. Wer im Verdacht stand, einer linksextremistischen Weltanschauung oder Partei anzuhängen, durfe nicht in den öffentlichen Dienst und Lehrer werden. Dafür reichten oft schon vage Anhaltspunkte. Ich kenne mehrere, die damals Berufsverbot erhielten – und von denen heute einige emsige Verfechter ähnlicher Maßnahmen gegen AfD-Anhänger und eines AfD-Verbots sind. Was aber, wenn die Mehrheit wieder kippte und sie oder Ihresgleichen erneut die Opfer wären? Würden sie auch dann sagen: Die Demokratie muss gegen ihre Feinde verteidigt werden?
Innere Presse- und Meinungsfreiheit
Ich selbst wurde 2018 bei einem großen, sich für liberal haltenden Medium herausgedrängt und verlor meine Stelle als politischer Redakteur, weil man mich für zu unbequem und „rechts“ hielt, obwohl ich in vielen Punkten linker stand und stehe als viele in der Redaktion, nur eben im klassischen, nicht woken Sinne. Junge Kolleginnen hielten mir in einer Redaktionsversammlung vor, ich stünde „außerhalb der Redaktionslinie“ – als handele es sich um ein kommunistisches Parteiorgan. Der Chefredakteur schnauzte mich an: „Halt die Fresse!“ Da wusste ich, es ist Zeit zu gehen.
Vorher war ich als Redner zu einer Podiumsdiskussion in der dänischen Botschaft in Berlin eingeladen, zum Thema Leitkultur. Als sich eine Person aus dem Publikum zu Wort meldete, sich als „Transe aus der DDR und Reichsbürger“ vorstellte und forderte, alle Muslime abzuschieben und sie bis dahin in Lagern zu „konzentrieren“, antwortete ich: „Mit Neonazis und Verrückten diskutiere ich nicht“, und ging. Mit mir eine Vertreterin der Grünen-Jugend und ein Vertreter der Jungen Union. Die skandinavischen Podiumsteilnehmer und Gäste aber diskutieren noch lange mit dem Anhänger einer Nazi-Regierung, die ihn wahrscheinlich in ein KZ gesteckt und umgebracht hätte. Ganz sicher falsch verstandene Toleranz.
Doch dieseits solcher eindeutig verfassungs- und menschenfeindlicher Fälle sind meines Erachtens auch sehr extreme Ansichten auszuhalten. Man muss den Leuten ja nicht zuhören, schon gar nicht ihre Meinungen teilen. Man kann sie einfach ignorieren – sowohl im Netz wie im realen Leben. Für alles andere sind Gesetze, Staatsanwaltschaften und Gerichte da.
Wer jedoch meint, schon Meinungen und Ansichten unterhalb der Grenze des Strafbaren und unzweifelhaft Verfassungswidrigen aus dem Bereich des Sagbaren ausschließen zu dürfen und zu müssen, handelt aus meiner Sicht feige. Nämlich aus Angst, dass die eigenen Argumente nicht stark genug sind, andere, die ganz andere Ansichten vertreten, überzeugen zu können. Das indes gelingt um so leichter, wenn man dem Gegenüber nicht gleich darlegt, dass er ein Antidemokrat und politischer Feind ist, sondern ein Mitbürger und Mitmensch, den ich für meine Ansichten gewinnen will. Es sei denn, ich betrachte meine Weltanschauung als die einzig richtige und moralisch gebotene. Dann wir es schwer.
Das Ergebnis sehen wir: Die AfD liegt bundesweit bei 25 Prozent, im Osten setzt sie an, absolute Mehrheiten in den Landtagen zu erobern und auch in Baden-Württemberg und Berlin 2026 zweitstärkste Partei zu werden, wie schon in Hessen. Getragen von Menschen, die das Gefühl haben, dass ihre Ansichten und Wünsche unerwünscht sind – ob man die versteht oder nicht.
Wem das egal ist, dem kann ich nur sagen: Weiter so! Allen anderen rate ich, etwas anderes auszuprobieren, die Meldestellen für angeblich undemokratische Aussagen abzuschaffen und die Brandmauern niederzureißen. Dahinter gibt es viele, die für die Demokratie zurück zu gewinnen sind, wenn man es richtig anstellt. Und sie nicht verteufelt und ausgrenzt.
