
Der Welt-Redakteur Frederik Schindler hat mit „Höcke – ein Rechtsextremist auf dem Weg zur Macht„ ein lesenswertes und detailliertes Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke geschrieben.
Nach der Lektüre ist mir nun klar, dass Höcke im Grunde ziemlich lächerlich ist. Er ist nicht nur ein völkischer Antikapitalist, er ist auch ein Öko, ein Hippie und ein Träumer. Mit seinen ostpreußischen Wurzeln steht er auf preußische Tugenden wie Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit und Fleiß. Der Lehrer Höcke wirkt fast wie ein Weichei, ein Softie, der vor allem von seinen Schülern gemocht werden will. Albern mutet auch an, unbedingt jeden Anglizismus zu verdeutschen, z. B. „weltweites Netz“ oder der auch von der NPD geprägte Begriff „E-Post“. Wie schlimm muss ihm jetzt das Anbiedern seiner Partei an die MAGA-Bewegung in den USA erscheinen.
Als Höcke im vergangenen Jahr in meiner Heimatstadt Arnstadt sprach, hatte ich es selbst schon bemerkt: Er ist ein Gernegroß. Da ist ganz viel Pseudo und ziemlich wenig Substanz. Wie ehemalige Lehrerkollegen auch feststellten, kommt er pseudophilosophisch und pseudowissenschaftlich daher. Es klingt oft tiefgründig, aber inhaltlich steckt nichts dahinter. Auch ein aus der Partei Gemobbter namens Frosch bezeichnet ihn als „Blender, Wichtigtuer, Gernegroß“.
Für mich ist Höcke ein typischer Vertreter von „woke right“. Mit seinen Aussagen wie „Ist die Zeit reif oder schläft unser Volk noch?“ teilt er Menschen in „Die Erwachten“ und „Die Schlafenden“ ein. Er selbst und die, die ihm folgen, sind wach, also woke. Die anderen haben es noch nicht geschnallt. Solche Art Vorstellungen vom Eingeweihtsein in die „echte Wahrheit“ kennt man vor allem von den Querdenkern. Auch typisch für woke Rechtsextreme ist eine nationalistische, ethnische und traditionell ausgerichtete Identitätspolitik, die den ideologischen Kern von Höckes Ansichten darstellt.
Auch mein persönlicher Eindruck bei der Wahlkampfveranstaltung letztes Jahr, dass er trotz seiner Lächerlichkeit Leute begeistern und Machthierarchien aufbauen kann, wird in dem Buch von Schindler bestätigt. Da Höcke ein durchaus talentierter Redner ist, gelang es ihm von Anfang an sehr gut, Leute auf seine Seite zu ziehen und Stimmen zu gewinnen. „Charisma“ und „Sogkraft“ wird ihm von ehemaligen Kollegen bescheinigt. Die Entwicklung vom Lehrer zum Politiker war deshalb relativ reibungslos und durchaus erfolgreich für ihn.
Mittlerweile ist Björn Höcke ganz Machtmensch. Es bleibt nicht nur bei der Inszenierung als starker Mann, der ohne ermüdende Kompromisse für Ordnung sorgen will. Laut Frosch wird die AfD in Thüringen sektenartig geführt, und der Guru Höcke erwartet Unterordnung. In der Thüringer AfD hat er definitiv das Sagen. Hier hat er seinen Führerstatus bereits erlangt. Schindler zeigt gut auf, wie ihm das gelingen konnte. Auch wie die AfD als wirtschaftsliberale und weitestgehend bürgerliche Partei entstanden ist und schließlich von Rechtsextremen vereinnahmt werden konnte, kann man ausführlich nachlesen. Bürgerliche haben die AfD als Partei aufgebaut, die dadurch gute Chancen hatte, sich zu etablieren. Und als dies gelungen war, haben Höcke und Co. sie für ihre rechtsextreme Ideologie übernommen. Die Namen rausgedrängter Bürgerlicher wie Lucke, Petry oder Meuthen sind ja bekannt.
Höcke spielt immer wieder gern mit Nazi-Slogans wie „Alles für Deutschland“ oder „Die Auflösung aller Dinge“. Auch das ist bekannt. Er weiß genau, wo diese Slogans herkommen, und bezweckt schlicht und ergreifend damit, Gesinnungsgenossen hinter sich zu vereinen. Auch eine gewisse Verwegenheit, die er sich durch derartige Provokationen verleiht, scheint ihm zu gefallen.
Seine Homophobie, seinen Antiamerikanismus, seine Verklärung des Kolonialismus und seinen Antisemitismus kann er nicht verleugnen, auch wenn er solche Positionen momentan nicht groß propagiert. Wenn er jedoch beim Heulen über die getöteten Deutschen im Zweiten Weltkrieg schon mal die sechs Millionen fabrikmäßig vernichteten Juden vergisst oder davon spricht, dass Homosexualität nicht zu akzeptieren, sondern lediglich zu tolerieren sei, ist die Sache ziemlich klar. Seine Ausreden wie, den NPD-Freund Heise kenne er nur zufällig, und Landolf Ladig, der Autor mit den rechtsextremen Texten in der rechtsextremen Zeitschrift, wäre nicht Björn Höcke selbst, glaubt ihm mittlerweile keiner mehr. Das ist für Höcke auch gar nicht wichtig. Im Gegenteil, für ihn zählt am Ende, dass seine Anhänger wissen, dass er klar zu seinen rechtsextremen Positionen steht.
Nicht nur seine Spielerei mit Nazi-Slogans, sein Geschichtsrevisionismus und seine Deutschtümelei machen ihn zum Rechtsextremisten – er ist ein völkischer Antikapitalist und ein Antidemokrat. Er spricht im Zusammenhang mit dem Bruch mit der liberalen Demokratie von „Wendezeit“. Ein wichtiges Zitat dazu ist folgendes: „Dann werden die Schutzhalden der Moderne beseitigt, denn die größten Probleme von heute sind ihr anzulasten.“ Höcke sieht die „Nation als Geburtsgemeinschaft“, bei der sich nationale Zugehörigkeit vererbt. Er will ein genetisch homogenes Volk. Zudem sind Höcke und seine engen Freunde wie Benedikt Kaiser ganz weit weg vom wirtschaftsliberalen Weg, für den die AfD am Anfang stand. Sie wollen zum Wir, weg vom Ich, weg von der individuellen Freiheit. So meint Kaiser, es braucht eine Synthese von Nationalismus und Sozialismus. Das Ziel ist eine „sozialistische Volksgemeinschaft in einem völkisch ausgerichteten Staat“. Die Parallelen zu linksautoritären Narrativen sind hier erschreckend. Über diese Zusammenhänge gab es auch kürzlich einen Text auf diesem Blog. Höcke unterscheidet in seiner Kapitalismusanalyse „gutes schaffendes“ und „schlechtes raffendes Kapital“. Das ist nicht nur bildlich für die Art völkischen Sozialismus, den er propagiert, sondern auch für Antisemitismus.
Seine rechtsextremistischen Helfer und Freunde werden in Frederik Schindlers Buch alle mit Namen genannt und porträtiert. Die wichtigsten sind Kubitschek, Kaiser, Braga, Kalbitz, Zips und Heise. In der Partei sind es vor allem zwei Leute, die schützend ihre Hände über Höcke halten und sein Agieren unterstützen. Schindler bezeichnet hier sehr treffend Gauland als den „Beschützer“ und Weidel als die „Opportunistin“.
Spätestens 2017, als Höcke parteiintern gewonnen hatte und eben nicht aus der Partei ausgeschlossen wurde, obwohl er sich als Führer generiert hatte und vom „vollständigen Sieg der AfD“ palaverte, ist die gesamte AfD eine rechtsextreme Partei. In der AfD hat sich der völkische Flügel durchgesetzt. Dabei war es essenziell, dass man sich in der AfD von wirtschaftsliberalen Positionen verabschiedet hat, um eine wirklich rechtsextreme Partei zu werden. Denn die Nazis waren schon immer für einen starken Sozialstaat. Neben der Demokratie wird auch der Kapitalismus abgelehnt und soll durch eine kontrollierte Marktwirtschaft, eine Art Ständegesellschaft, wo jeder seinen Platz und sein Auskommen hat, ersetzt werden.
Das Buch liefert also eine umfangreiche Sammlung von Belegen, die zeigen, dass Höcke genau so ist, wie man es vermutet: ein Rechtsextremist mit Ambitionen, ein Führer des deutschen Volkes zu werden. Dass dies tatsächlich gelingt, halte ich für äußerst unwahrscheinlich, auch wenn er innerhalb seiner Partei und in Thüringen durchaus erfolgreich ist. Davon abgesehen ist Björn Höcke jedoch ein völkischer Öko-Fan, ein Phantast, ein Etatist und ein Umverteiler.
Wer es also genau und gut recherchiert wissen will, wie Höcke tickt, sollte dieses Buch lesen. Mein persönliches Fazit: Björn Höcke ist ein Hippie, der davon träumt, der Führer des deutschen Volkes zu sein. Möge sein Traum niemals in Erfüllung gehen.
