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Hört auf mit dem Gerede gegen Steuersenkungen!

Bildquelle: bundestag.de

„Hört auf mit dem Gerede von Steuersenkungen“, hat gestern Alfons Pieper vom Blog „Wir in NRW“ die schwarz-gelben Koalitionäre angefleht. Das muss er schon am Sonntag Vormittag gepostet haben; denn am Nachmittag wurde – zunächst über bild.de – publik, dass sich Merkel, Rösler und Seehofer einig geworden sind. Zum 1. Januar 2013 sollen sowohl die Steuern für untere und mittlere Einkommen als auch die Sozialabgaben gesenkt werden. Genaueres will die Bundesregierung nach den Sommerferien bekannt geben, vorausgesetzt die Koalitionäre sind im Herbst in der Lage, sich über Ausmaß und Struktur der jetzt angekündigten Entlastungen zu einigen.

Auch wenn seine dringende Bitte von den Regierenden schlichtweg übergangen wurde: Piepers Kommentar wird durch die Ankündigung der Bundesregierung keineswegs obsolet, eher aktueller. Er schreibt: „Mit Steuergeschenken soll der maroden FDP auf die Beine geholfen werden, damit es mit der Wiederwahl doch noch klappt.“ Niemand bei Sinnen würde dieses Motiv in Abrede stellen.
„Glaubt man wirklich in Berlin, die Wählerinnen und Wähler wären so blöd?“ Pieper ist empört: „Glaubt man ernsthaft, die Bürger merken den Trick nicht?“ Was die Herrschaften in Berlin so glauben, wage ich nicht, mir vorzustellen. Was die Wählerinnen und Wähler betrifft: Ja, die merken das. Auch die politikfernen, selbst die bildungsfernen.
Die Bürger merken den Trick. Na klar, ein Wahlgeschenk. So etwas kommt vor in einer Demokratie. Wer jedoch auf Basis der heutigen Umfragen meint, die Wähler würden am allerliebsten auf dieses Geschenk verzichten und deswegen folgerichtig die vermeintlich ehrlichen Nichtschenker wählen, glaubt auch an den Weihnachtsmann.
An den wiederum glaubt Alfons Pieper nicht; denn sonst würde er sich nicht so ärgern: „Dass das Ganze dann im Jahre 2013 passieren soll, trifft sich gut. Findet doch in dem Jahr die Bundestagswahl statt.“ Das passt gut. Außerdem hatte der nette Herr Rösler versprochen zu liefern, und nun scheint es – nach enormen Ladehemmungen – doch noch zu klappen.

Allerdings: dafür wird es nicht reichen, dass sich die Koalitionsfraktionen im Bundestag einigen. Auch der Bundesrat wird zustimmen müssen; denn von der Steuergesetzgebung sind die Länder in erheblichem Ausmaß betroffen. In der Länderkammer fehlt aber bekanntlich der schwarz-gelben Koalition die Mehrheit, und selbst die schwarzen Ministerpräsidenten schlagen, wenn sie das Wort Steuersenkungen hören, angesichts ihrer in aller Regel verfassungswidrig leeren Kassen die Hände über den Kopf zusammen.
Also eine nahezu optimale Gelegenheit für die Opposition, die Regierung vorzuführen. SPD-Chef Gabriel hat gerade am Samstag noch einmal im – wegen seiner Forderung nach einer Sockelrente viel beachteten – Interview mit den Zeitungen der WAZ-Gruppe Steuersenkungen auch für die unteren Einkommensgruppen klipp und klar abgelehnt.
Mit der SPD werde es „keine Steuersenkungen auf Pump“ geben. Wer die unteren Einkommen entlasten wolle, „kann das nicht bei den Steuern machen, sondern nur bei den Sozialabgaben.“

Eine Senkung der Lohnnebenkosten bietet im Vergleich zu einer Steuerentlastung tatsächlich einige Vorteile. 40 Prozent der Haushalte zahlen, sagt Gabriel, gar keine Einkommenssteuer, darunter also auch viele mit einem geringen Erwerbseinkommen. Eine Reduzierung eines oder mehrerer Sozialversicherungsbeiträge ginge deshalb mit einem „doppelten Beschäftigungseffekt“ einher.
Zum einen kommt das Geld in einer Bevölkerungsgruppe an, die es am wenigsten sparen kann, wo es also am schnellsten konsumwirksam verwendet wird. Zum anderen werden die Kosten des Faktors Arbeit gesenkt. Wer dies für einen neoliberalen Vorwand hält, ist noch nie mit einem Unternehmer die Kostenkalkulation im Vorfeld geplanter Personaleinstellungen durchgegangen.
Und nicht zuletzt wirken Sozialabgaben verteilungspolitisch deutlich ungünstiger als die Lohnsteuern. Während letztere der Steuerprogression unterliegen, werden die Beiträge stets proportional zur Einkommenshöhe erhoben. Kurz gesagt: die von der klassischen Sozialdemokratie so verehrte Bismarck’sche Sozialversicherung ist eine soziale Ungerechtigkeit ohnegleichen. Nichts anderes als die Reproduktion sozialer Ungleichheit.

Sigmar Gabriel hat daher Recht, wenn er eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge fordert. Er hat nicht Recht, wenn er apodiktisch jede Art von Steuerentlastung ablehnt – schon gar nicht, wenn er dafür die etwas ausgelatschte Formel von der „Steuersenkung auf Pump“ als Begründung heranzieht.
Erstens, weil schon heute die Sozialkassen in ganz erheblichem Umfang steuerfinanziert sind. Auch eine Senkung der Versicherungsbeiträge geschähe dieser Logik folgend „auf Pump“. Und zweitens wird man fragen dürfen, ab wann es sich denn eigentlich bei einer Steuersenkung nicht mehr um eine „Steuersenkung auf Pump“ handelt.
Schon dann, wenn der Staat überhaupt keine neuen Kredite mehr aufnimmt? Oder erst, wenn der Staat seine Schulden vollständig abbezahlt hat? Vom Vorliegen der ersten Bedingung träumen immerhin manche begnadeten Schuldenbremser in leicht geistesabwesenden Momenten. Bedingung Nr. 2 ist nun wirklich rein konstruiert. Die deutsche Bundesanleihe, einfach abgeschafft, weil einfach nicht mehr nötig. Unvorstellbar.

Insofern ist ein martialischer Spruch wie „Mit uns sind Steuersenkungen auf Pump nicht zu machen“, um es vorsichtig auszudrücken, nicht ganz seriös. Erinnert sich noch jemand daran, wie stark während der rot-grünen Koalition die Steuern für große Konzerne entlastet wurden bzw. einige ganz wegfielen.
Na sicher waren das Steuersenkungen auf Pump, und die FDP klebte unbeeindruckt ihre Steuersenkungsplakate. Dabei hatten die Liberalen während der Kohl-Ära zuvor die Steuersätze fast so dramatisch angehoben, wie sie während der rot-grünen Schröder-Regierung gesenkt worden waren.
Und die Sozialdemokraten, aber auch die Grünen präsentieren sich heute als Sachwalter solider Staatsfinanzen, die bei jeder ins Auge gefassten Steuersenkung den Staatsbankrott um die Ecke getrabt kommen sehen. Damit leisten sie der, wie man heute sagt: „neoliberalen“ Ideologie vom Nachtwächterstaat Vorschub. Im Grunde kommen Steuerentlastungen nur dann infrage, wenn man sie sich leisten kann. Griffiger lässt sich ein Plädoyer für eine prozyklische Politik kaum in Worte fassen. Man kann sich nur wundern.
Das Ergebnis ist stets das Gleiche: in Zeiten wie diesen, in denen ein unerwartet kräftiger Wirtschaftsaufschwung durchs Land zieht, ist für Steuersenkungen kein Geld da. Im nächsten Abschwung sowieso nicht. Konsequenterweise müsste dann dieser Logik folgend auch noch munter in die Krise reingespart werden. Ein Irrsinn.

Dass der nächste Abschwung kommt, ist gewiss. Die Konjunktur ist nämlich keineswegs so robust, wie die ständigen Erfolgsmeldungen glauben machen könnten. Anderslautenden Erzählungen zum Trotz ist das kleine Wirtschaftswunder rein exportgetrieben. Die deutschen Ausfuhren machen inzwischen beinah die Hälfte (!) des Bruttoinlandsprodukts aus und dürften in Kürze diese 50-Prozent-Marke knacken.
Deutschland exportiert in einen äußerst anfälligen Weltmarkt, verstärkt mit diesem Exportrausch die bestehenden Handelsungleichgewichte und geht dabei volles Risiko, vom nächsten Kollaps des Welthandels ungleich schärfer als der Rest der Welt getroffen zu werden. Unterdessen kommt die Binnennachfrage schon allein deshalb nicht so recht in Gang, weil die kalte Progression der Masse der Beschäftigten die Lohn- und Einkommenssteigerungen zu einem großen Teil wegbesteuert.
Der sog. „Mittelstandsbauch“ im Steuersystem trifft schon lange nicht mehr die aufstrebenden Mittelschichten, sondern den Kern der sozialdemokratischen Klientel: den Facharbeiter in der Fabrik ebenso wie die Sachbearbeiterin im Büro. Den mittlerweile fast manisch wirkenden Protest gegen Steuersenkungen („glatter Verfassungsbruch“) wird die SPD gerade im Wahljahr 2013 kaum unbeschadet durchstehen können, trifft doch die kalte Progression vor allem ihre „Stammkundschaft“.

Und was die Mär von den angeblich so schrecklich bankrotten deutschen Staatsfinanzen betrifft: allein 2011 und 2012 dürfte die kalte Progression still und heimlich schon mehr als 14 Mrd. Euro in die Staatskassen spülen. Die schwarz-gelbe Koalition hat jetzt Entlastungen um die 10 Mrd. Euro ab 2013 (!) ins Spiel gebracht. Hört also auf mit dem Gerede gegen Steuersenkungen! Seht besser zu, dass die Erleichterungen auch wirklich bei denen ankommen, denen die Bundesregierung jetzt helfen zu wollen vorgibt. Sonst landet das meiste Geld am Ende doch bei den Zahnärzten und Rechtsanwälten, und die „kleinen Leute“ wählen wegen ein paar Cents trotzdem die Anderen. Man kann sich auch verkämpfen.

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Carmen Kreyenberg
12 Jahre zuvor

Absolut lesenswert!

Berlingonaut
Berlingonaut
12 Jahre zuvor

Wer sicher gehen will, dass Geld bei den unteren Einkommensschichten ankommt, sollte nicht die Sozialversicherungsbeiträge senken, weil dies unsere ohnehin schon gebeuteltes Sozialsystem schwächt, sondern die Mehrwertsteuer, was ebenfalls die Binnenkonjunktur fördert.

Und ja, ich sehe nicht ein, warum auch Unternehmen durch die Senkung von „Lohnnebenkosten“ die faktisch nichts anderes als Lohnbestandteile sind, Vorteile haben sollen. Dass geringere Lohnkosten Arbeitgeber zu Einstellungen bewegen, ist eine völlige Fehleinschätzung der Sachlage. Niemand hat mir bisher einen Arbeitgeber nennen können, der Mitarbeiter einstellen will, weil „die Lohnnebenkosten gerade so niedrig sind.“

Unsinn, Mitarbeiter werden eingestellt, wenn sie gebraucht werden. Die Höhe der Lohnnebenkosten spielt dabei wie auch der Bruttolohn selbst, nur eine untergeordnete Rolle, solange die Investition in neue Mitarbeiter rentabel ist.

Gast
Gast
12 Jahre zuvor

Die „kleinen Leute“ brauchen aber eher bessere Schulen und einen Staat, der aktiv die Energiewende mitgestalten kann. Da ist eigentlich kein Geld für Steuersenkungen. Übrigens: Die „kleinen Leute“ würde zudem von einem Mindestlohn profitieren, den man völlig ohne Einnahmeausfälle beschließen könnte.

ego
ego
12 Jahre zuvor

Tja wer will es der FDP verübeln, dass sie an ihren Steuersenkungsplänen festhält. Das kann ja wohl niemand ernsthaft, denn die FDP denkt nur an sich selbst. Wenn sie die Steuersenkungen nicht durchsetzen kann, dann ist sie weg vom Fenster. Gut für Deutschland (?) schlecht für die Partei. Manche Parteien sind halt einfach nur Opositionsparteien. Erst, wenn sie Regierungsverantwortung haben, zeigt sich, ob sie im Sinne Deutschlands denken.

Abnick Grabotki
Abnick Grabotki
12 Jahre zuvor

Steuern rauf setzen + zwar für Einkommen ab 100000 € auf 48% wie es unter Kohl schon mal war.

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