Laagebericht zum Reiseglück

Der Reisejournalist Philipp Laage liefert mit „Vom Glück zu Reisen“ ein unterhaltsames und informatives Vademecum über die zentralen Fragen zum Reisen. 

Was zeichnet eine Reise wirklich aus? Welcher Ort macht mich glücklich? Wie finde ich unterwegs zu mir selbst? Und will ich das überhaupt? Was muss ich gesehen haben? In sechzehn Kapiteln widmet sich der Autor den wichtigsten Fragen über das Reisen. 

Bucket List

Das beginnt schon bei der Bucket List. Seit dem Erscheinen des unsäglichen Wälzers „1,000 Places to See Before You Die“ von Patricia Schultz im Jahre 2012 ist der Commonsense-Druck auf die Reisenden der Welt um ein vielfaches gestiegen. Und daran haben weder die Neuedition, die Sammleredition in edlem Design, die D, AU, CH-Ausgabe und schon gar nicht der Tageskalender 2020 etwas verbessert, sie haben den Druck nur weiter erhöht.
Die erste Großtat von Laage besteht darin, den Leser von der fucking Bucket List zu befreien. Es geht eben NICHT darum, wieviele Länder man besucht. „Es kommt auf den Modus an, nicht auf die Masse an besuchten Orten.“

Reisebudget

Die drei wichtigsten Dinge zum Reisen definiert der Autor mit „Neugier, Anstrengung, Mut.“. Weniger wichtig ist ein exorbitantes Reisebudget, denn „je eher man wie ein Einheimischer schläft, speist und sich fortbewegt, umso günstiger wird die Reise.“ Fortbewegungstechnisch empfiehlt er Schusters Rappen, denn „Zu Fuß sehen wir am meisten.“ Ähnlich pragmatisch sind seine Überlegungen zum Hotel und der Übernachtungsfrage.

Reiseplanung

Beim Thema Reiseplanung kommt der Autor von der Tourismusbranche auf die vielen Freigeister unter den Travelern, die den Traum vom großen Reiseglück predigen:

„Ein gutes Beispiel sind die sogenannten digitalen Nomaden, deren Philosophie in der Filmerblase der Reisecommunity ab 2014 zu einer Bewegung wurde.“ Speziell Deuschlands reichweitenstärkste Reisebloggerin Conni Biesalski wird hier als „Gallionsfigur der digitalen Nomaden“ zur Zielscheibe für die  Abrechnung mit dem Hype und dem Nachweis, dass viele digitale Nomaden als Profis der Selbstvermarktung „nicht außerhalb des verteufelten Systems stehen, sondern an dessen Spitze.“

Im vierten Kapitel lotet er außerdem die Beziehung zwischen Reisen, Freiheit und Glück aus.

Fotografieren

Der Autor geht gesellschaftskritisch mit der Generation Selfie ins Gericht, entlarvt inszenierte Urlaubsfotos als Pose der Mittelmäßigen, die damit im Wettbewerb um die tollste Reise einander hinterher hecheln und empfiehlt Fotoabstinenz.

Mythos Selbstfindung

Laage skizziert die gegenwärtige Selbstfindungsindustrie zwischen Selbstoptimierungs-Coaches und Pilgerreisen und beschreibt ein eigenes Erlebnis, in dessen Verlauf er nach einer gescheiterten Beziehung am Swiss Alpine Marathon teilnahm, der ihn mit 42,125 km bis auf 1890 Höhenmeter Anstieg zwar quer durch die Bündner Alpen führte, aber keinen Deut näher zu sich selbst.

Sehenswürdigkeiten

Im Kapitel 7 geht es um Sehenswürdigkeiten und darum, „was man gesehen haben muss“. Unter dem Stichwort „Overtourism“ setzt sich Laage hier kritisch mit dem Boom des durch Billigflieger grassierenden Städtetourismus auseinander, durch den die Innenstädte der Metropolen angeblich überlaufen, wie noch niemals zuvor:

„Die Innenstädte der Metropolen verwandelt sich in Vergnügungsmeilen ohne Charakter. H&M, Zara, McDonalds, Starbucks, dazu die üblichen Touristenlokale. Viel Kommerz und ein bisschen Folklore.“

Die Schuld an der Folklorisierung der Touristenstädte schiebt er damit den Reisenden der „Generation Billigflieger“ in die Schuhe, die in Zeiten von Airbnb außerdem Schuld an steigenden Mieten und der Hotelkrise seien.

„Bei vielen Einheimischen sind sie noch verhasster als konventionelle Urlauber. Der Hotelgast nimmt ihnen wenigstens nicht die Wohnung weg. Der Airbnb-Hipster fühlt sich den Menschen vor Ort besonders nahe, trägt aber oft am stärksten zu deren Verdrängung bei.“

Das ist Unfug, blendet es doch die Komplexität der Entwicklung von Metropolen, sowie maßgebliche Phänomene wie Gentrifizierung und die Mechanismen des gewerblichen Immobilienmarktes aus. Ebenso versteigt sich der Autor zu der These: „Die Entschleunigung des Bahnfahrens ist einer neuen Hypermobilität gewichen.“ und singt anschließend das Hohelied der Zugreise, Stichwort Slow Travel. Man fragt sich als Leser schon, warum er es einem nicht selbst überlässt, ob man seine Urlaubszeit lieber im Zug oder am Reiseziel verbringen möchte.  

Wesentlich spannender sind da schon die Überlegungen zur Suche des Reisenden nach Authentizität: „Ist Authentizität überhaupt eine sinnvolle Kategorie, um sich der Wirklichkeit zu nähern?“. Die Frage nach der inszenierten Authentizität kann man damit beantworten, dass die Empörung des Touristen darüber, dass der Schein trügt, dass Tradition und ihre folkloristische Inszenierung nicht mehr zu unterscheiden sind, vollständig irrelevant ist, da die inszenierte Authentizität ein Teil der gesellschaftlichen Realität ist: Ob es die hellenistischen Statuen im griechischen Restaurant sind, das Bosporus-Bild im türkischen Imbiss oder die Schlagermusik beim Italiener um nur mal Beispiele dafür zu nennen, wie sehr wir uns in den letzten Jahrzehnten an Folklore vor der eigenen Haustüre gewöhnt haben; die Suche des Reisenden nach Authentizität in fernen Ländern ist die Jagd nach einer Chimäre, denn Authentizität ist kein Wert an sich. Die Welt eben nicht als hübsches Museum zu bereisen, sondern „seiner Neugier zu folgen und der Welt bei der Veränderung zuzuschauen“ ist ein viel lohnenderes Reiseziel, denn „Nichts ist so authentisch wie die Gegenwart.“

Sicherheit

Nach diesen philosophischen Reflexionen über den Sinn des Reisens folgen im Kapitel 10 praktische Hinweise zum Thema „Sicherheit für Reisende“, die dem Leser aufzeigen, worauf er vorher achten muss, um einigermaßen angstfrei seine Reise antreten zu können.

Kommunikationsmittel

Kapitel 11 widmet sich kritisch den Kommunikationsmitteln, der Smartphonisierung, der Autor warnt davor den Leser davor, sich durch die Beschäftigung mit Insta, facebook & Co auf Reisen zerstreuen zu lassen, denn das Handy „hat die Macht, die Erfahrung des Reisens zu zerstören.“ und erläutert dies mit vier Aspekten. Was Laage dem Reisenden rät, lässt sich allgemeingesellschaftlich übertragen, der autistische Blick auf das Display zerstört jeden Moment die Möglichkeit für Erfahrungen, Beobachtungen und Kommunikation in der Realität. Das ist kein 2.0-Bashing, denn: „Die Kunst liegt darin, die nützlichen Informationen in möglichst kurzer Zeit aufzunehmen und dann die Finger vom Gerät zu lassen.“, das ist die Voraussetzung für die persönliche Fokussierung auf die Welt.

Allein Reisen

Der Solo-Reisende ist immer noch vergleichsweise selten und das hat gute Gründe, die der Autor erläutert und den Vorteilen des Alleinreisens gegenüberstellt, anschließend gibt er ein paar Beispiele für Momente seiner Reiseeinsamkeit in Städten, die sehr positiv waren und solche, in denen es schwierig wurde, mit sich selbst und dem Gespenst der Einsamkeit klarzukommen.

Reisen als angewandte Philosophie der Weltverbundenheit

Die Erfahrung, die exklusiv dem Reisenden vorbehalten ist „speist sich daraus, physisch in die Welt einzutauchen und nicht bloß intellektuell, sie aus einer Hand zu erleben statt durch Bücher und das Internet.“ Laage zitiert John Shotter und dessen Begriffe des ontologischen Wissens und feeling of doing. Das körperliche intensive Spüren der eigenen Anwesenheit in der Welt führt zur Erkenntnis nicht über etwas, sondern durch etwas, durch das, was der Reisende unterwegs sieht, hört, schmeckt fühlt, und die Menschen, denen er  begegnet.

„Was wir also mitnehmen vom Reisen, ist immer auch ein Stück Welterkenntnis, eine kleine Einsicht darin, warum Menschen sich so oder so anders verhalten, wie die Dinge zusammenhängen und wie wir sie zusammenbringen können in einer schlüssigen Theorie, mit der wir die Wirklichkeit bewältigen.“

Die Beweglichkeit des Denkens, die Lust an der Neuentdeckung der Welt und die Erweiterung des Bewusstseins machen das Reisen nach Laage zu einem spirituellen Akt.

Fazit: Eine praktische Philosophie des Reisens

„Vom Glück zu reisen“ bricht eine Lanze für ein reflektiertes, umsichtiges und individualistisches Reisen. Konzentration führt zu Intensität des Erlebens und der Welterfahrung. Diese Ansätze machen Laages Buch zu einer praktischen Philosophie des Reisens. In Bezug auf Massentourismus und Billigflieger lässt er zwar stellenweise den basher heraushängen, so dass es den Eindruck hat, er wolle den Leser gar nicht zum Glück des Reisens animieren, sondern eher davon abhalten, doch das ist tatsächlich seine indirekte Empfehlung an den Leser für  alternatives Reisen jenseits der ausgetretenen Touristenpfade und dessen Reflexion über die Art und Weise des eigenen Reisen. Zwischendurch inspiriert er den Leser mit spannenden Kurzreportagen von seinen eigenen Reisen, an denen er die Erkenntnis in Hinblick auf die jeweiligen Themenschwerpunkte erläutert.

„Vom Glück zu Reisen“ ist eine gelungene Mischung aus Metaphysik des Reisens und einer Sammlung von Reisereportagen. Wer nach der Lektüre noch nicht vom Reisefieber gepackt wird, dem ist nicht zu helfen.

Sehr lesenswert!

Der Autor Philipp Laage, geboren 1987 in Hagen, lebt als Journalist und Autor in Berlin.  

Philipp Laage: Vom Glück zu reisen.
Berlin 2019
Gebunden, 304 Seiten, Reisedepeschen Verlag
ISBN-13 978-3963480041
€ 19,50

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