Der große Gewinner der Griechenland-Krise steht schon fest: China

Griechenland hat den Euro in seine tiefste Krise gestürzt und ein Ende der Turbulenzen ist nicht in Sicht. In Lissabon rüstet die Regierung für einen harten Sparkurs, in New York werden milliardenschwere Wetten gegen den Euro gestartet und in Brüssel bemühen sich die EU-Mitgliedsländer mit Rettungsschirmen in Nachtsitzung um eine Stabilisierung. Deshalb werden in Deutschland die Goldvorräte knapp – und in Peking knallen die Sektkorken. Von unserem Gastautor  Sebastian Flyte

Das Gold ist knapp. Schon seit Wochen kommt der Bad Homburger Edelmetallhändler Pro Aurum mit den Lieferungen nicht mehr nach. Die Anfragen nach Gold, Silber und Platin steigen, je mehr die Griechenland-Krise Thema in der Tagesschau und im Heute-Journal ist. Und deshalb überraschte es nicht wirklich, als in der letzte Woche das Edelmetallunternehmen auf seiner Homepage die weiße Fahne hisste: „Achtung! Aufgrund der starken Kundennachfrage müssten Neuaufträge mit einer Bearbeitungszeit von zwei Wochen gerechnet werden“, war dort als Kapitulationserklärung zu lesen. Doch selbst, wenn man als Anleger genug Zeit mitbringen würde, bei den 68 verschiedenen Goldmünzen etwa, die Pro Aurum normalerweise im Sortiment hat, finden sich überall die beiden gleichen Wörter wieder: „nicht verf.“. Der Krügerrand mit 3,11 Gramm Gold zum Preis von 104,50 Euro – „nicht verf.“. Die Unze mit 31,10 Gramm für 1005,50 Euro – „nicht verf.“ Nicht nur die kleineren Mengen sind vergriffen. Auch für gut gefüllte Geldbeutel und Inhaber von Schwarzgeld-Konten in der Schweiz gibt es kaum Hoffnungen mehr auf das Kilogramm Gold zum Preis von 32.069 Euro mit einem Känguru als Bild auf der Münze. Auch hier: „nicht verf.“.

Das Gold wird knapp seit die Griechen den Euro in die schwerste Krise seit dem Bestehen der Gemeinschaftswährung geschickt haben.  Aus Furcht vor einer steigenden Inflation und dem Horrorszenario einer neuen Währungsreform hin zur alten D-Mark, bunkern auch die Deutschen Goldmünzen und Edelmetall-Barren wie andere Brote. Die Feinunze Gold erreichte daher mit 993,40 Euro einen neuen Rekordwert. Auch Silber und Platin sind auf dem Weg, alte Wegmarken zu erreichen. Das gigantische Rettungspaket, das die Mitgliedsländer der Euro-Zone in den letzten Wochen schnürte, beruhigte die Anleger offenbar nur kurzfristig. Der Dax legte zwar nach der Einigung auf das 750 Milliarden Euro-Paket deutlich zu und erreichte die Marke von 6000 Punkten. Auch griechische Staatsanleihen stiegen wieder. Und der europäische Aktienindex Eurostoxx 50 kletterte um 10,4 Prozent. Inzwischen allerdings haben sich die Zuwächse wieder relativiert. Es war nur eine kurze Verschnaufpause und als dann auch noch der Chef der Deutsche Bank, Josef Ackermann, am Donnerstagabend im ZDF die Solidität des Euros und Griechenlands in Grund und Boden redete, sackte der frühere ECU im Vergleich zum US-Dollar gleich wieder auf den tiefsten Stand seit 18 Monaten ab. Dabei hatte Ackermann doch nur die Wahrheit gesagt.

Die Krise der Griechen: Sie ist sicherlich die schwerste Bewährungsprobe für den Euro-Raum. Doch es waren nicht allein die Söhne und Töchter Hellas, die dafür verantwortlich gemacht werden können. Vielmehr war es ein langer Weg dorthin, bei dem viele die Weichen falsch gestellt haben, um kurzfristig eigene Interessen zu befriedigen.

Die Griechen haben zwar mit windigen und dubiosen Bilanztricks die Aufnahme in die Euro-Zone geschmuggelt und danach das Geld weiter mit Schubkarren zum Fenster heraus geschmissen – nach dem Motto: „Wir haben es zwar nicht auf der hohen Kante, aber deshalb sind wir ja in der EU“. Zahlen werden schon die anderen Mitgliedsländer. So wurden die finanzpolitischen Probleme des Staates, der mit Aristoteles und Platon die Wiege der abendländischen Philosophie und Staatstheorie war, einfach exterritorial abgelagert. Doch das grundlegende Problem war ein anderes: Griechenland hätte niemals in die Euro-Zone aufgenommen werden dürfen. Doch machtpolitische Aspekte öffneten die Schlupflöcher, die dies ermöglichten. Schon 2004 wurde der EU-Stabilitätspakt unter der Regie der deutschen Bundesregierung von Gerhard Schröder (SPD) aufgeweicht – und wie auch später, legte der Autokanzler damals wenig Beachtung auf die Detailarbeit. Griechenland klopfte an die Pforte des Euro und wurde nach den neuen Kriterien aufgenommen. Eine eingehende Überprüfung, ob Griechenland die Beitrittskriterien auch erfülle, blieb weitgehend aus. Die damaligen Mahner, die es zu Hauf gab, wurden ignoriert. Es war der erste strukturelle Fehler, der zweite folgte 2008: Auf Drängen Frankreichs wurden der Stabilitätspakt gelockert, weil das deutsche Nachbarland auch ohne Wirtschaftskrise die Defizitgrenze von 3 Prozent wohl locker überspringen würde. Doch anstatt Paris einen harten Sparkurs zu empfehlen, übte die inzwischen regierende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im dem, was als Schlüsselerlebnis ihrer Amtszeit in Erinnerung bleiben wird: die Nicht-Entscheidung. Sie ließ Frankreichs Wunsch passieren, der Stabilitätspakt und seine Kriterien waren danach so viel Wert wie das Garantieversprechen eines ukrainischen Gebrauchtwagenhändlers ohne Aufenthaltserlaubnis in Deutschland.

Nun muss auch der deutsche Steuerzahler die Zeche ziehen. Von mehreren Hundert Milliarden Euro ist die Rede, die als Kreditbürgschaften ausgelobt wurden. Kreditbürgschaften, die keinen anderen Zwecke haben, als die Forderungen von Banken zu bedienen, darunter auch Deutsche, die weltweit durch staatliche Finanzspritzen erst stabilisiert wurde und deren Kreditvergabe sich nun wie als Mühlsteine um den Hals von Griechenland und anderen schwachen Euro-Ländern entpuppen. Ein paradoxes System, das viele Verlierer haben wird: Banker haben das Vertrauen von Bürgern und Politikern verloren;  das Wirtschaftssystem der Marktwirtschaft ist in Misskredit geraten, weil falsch verstandene Experten den Staat und seine Machtinstrumente kastriert haben; und der deutsche Steuerzahler, weil er letztlich für das – vergangene – sorgenfreie Leben anderer Nationen und Spekulanten auf den Bahamas in die Tasche greifen muss. Aber es gibt eben auch schon jetzt einen großen Gewinner.

Noch streiten sich die Gelehrten darüber, ob die gigantischste Rettungsaktion auf dem europäischen Kontinent auch ausreichen wird, um Griechenland und andere taumelnde Mitgliedsstaaten zu stabilisieren – und damit die Gemeinschaftswährung. Fest steht aber schon jetzt, dass es den ersten großen Gewinner der Griechen-Krise bereits gibt: China.

Die Volksrepublik betreibt seit den Reformen von Deng Xiaoping Anfang der 80er Jahre eine Strategie des stetigen Wachstums und des „Going Global“. Durch den Schwerpunkt auf wirtschaftliche Entwicklung will die Pekinger Regierung ausreichend Wachstum schaffen, um die innenpolitischen Probleme zu übertünchen und nach dem Motto „Brot und Spiele“ dafür sorgen, dass das eigenen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem von kritischen Geistern nicht in Frage gestellt wird: Ein Staatskapitalismus ohne nennenswerte demokratische Einflüsse. Es ist der völlige Gegensatz zum westlichen geprägten System und gewinnt immer mehr Anhänger.

Als vor gut 20 Jahren die damalige DDR kollabierte, war das auch das Ende der bisherigen Weltordnung. Das Ende des Kalten Krieges und die Auflösung der beiden Machtblöcke war der Schlusspunkt eines fast 50 Jahre dauernden Dauer-Konfliktes der beiden konkurrierenden Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme. Hier die blaue Welt mit den USA als Führungsmacht, mit einem kapitalistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell. Dort die rote Welt mit der UdSSR als Gegenmodell, das zwar kapitalistische Elemente in Form einer enormen Devisenflut genauso nötig hatte wie der Westen, es aber durch schöne Floskeln und Winkelemente überdeckte. Diese bipolare Struktur, auf der einen Seite die Pax Americana, auf der anderen die Pax Sovietica, war das Grundmuster der internationalen Politik Die übrigen Staaten der Welt hatten sich für eine der beiden Seiten und damit gegen die andere zu entscheiden. Und ihre Bündnistreue wurde von den Großmächten entsprechend honoriert – nicht selten aber auch erzwungen.

Diese Blockbildung hatte weltpolitisch einen gewissen Reiz: Die Großmächte disziplinierten jeden Konflikt und man wusste genau, wohin man gehörte und was man glauben sollte. Mit der Implosion der UdSSR hingegen fiel diese disziplinierende und stabilisierende Wirkung der Machtblöcke weg.

Mit dem Gipfeltreffen der beiden Staats- und Regierungschefs Michail Gorbatschow und George Busch vor Malta im Dezember 1989, nur einen Monat nach dem Fall der Berliner Mauer, wurde das Ende des Kalten Krieges formal eingeleitet. Viele prophezeiten, dass der Zusammenbruch des Sowjetreiches und des Systemgegners ein Sieg der USA und des Kapitalismus sei. Fortan, so wie trauwandlerisch-romantischen Vorstellungen vieler Politiker und Wissenschaftler, würde es eine Welt geben, in der der Liberalismus als Grundgedanke einen neuen Siegeszug antreten würde, in der Demokratie und die Herrschaft des Rechts sich ausbreiten würde und von allen Staaten akzeptiert würde. Der damalige US-Präsident George Bush proklamierte gar eine „neue Weltordnung“. Inzwischen hat sich so ziemlich alles überlebt, was damals erhofft, befürchtet und proklamiert wurde.

Der Aufstieg Chinas und anderer nichtdemokratischer Schwellenländer hat schon längst eine neue Bipolarität geschaffen: Marktwirtschaft vs. Staatskapitalismus, Demokratie vs. gelenkter „Freiheit“. Wirtschaftlich greift das Land von Mao und Deng Xiaoping wieder nach der Stellung, die China am Ende des Mittelalters innehatte – nämlich als die stärkste Volkswirtschaft der damaligen Welt. Nach mehr als fünf Jahrhunderten der freiwillig gewählten Isolierung ist das Land auf dem besten Weg, Europa und die USA hinter sich zu lassen. Noch 2003 sagte die US-Investmentbank Goldman Sachs, die Griechenland bei der Verschleierung der wahren Finanzlage des Athener Haushalts unter die Arme gegriffen hatte und damit den Weg Griechenlands in die Euro-Zone ebnete, voraus, dass China die USA im Jahre 2041 als wirtschaftliche Nummer 1 ablösen werde. Fünf Jahre später reduzierte die Bank das Datum schon auf 2037. Doch die Finanz- und Wirtschaftskrise wird die Wachablösung der USA als größte Volkswirtschaft forcieren. Der Wirtschaftshistoriker Angus Maddisson sieht das Datum bereits innerhalb des nächsten Jahrzehnts anbrechen: 2018 werde die Volksrepublik die größte Volkswirtschaft vor den USA sein – und Europa sei da schon längst auf den dritten oder vierten Platz gerutscht. Denn mit Indien kratzt ein weiterer wirtschaftlicher Gigant am Sockel der EU.

China hat schon jetzt wichtige Meilensteine auf dem Weg auf den Thron hinter sich gelassen und es wird nicht mehr die Frage sein, wer der Verlierer des Aufstiegs der Volksrepublik und anderer Schwellenländer sein werden. Es werden trotz aller Probleme nicht die USA sein, sondern die EU, die im Wettbewerb unter die Räder kommen wird. Das teuerste Unternehmen der Welt ist schon jetzt Petrochina, die höchsten Devisenreserven liegen in Asien, die höchsten Wachstumsraten erzielt mit plus 32 Prozent im ersten Quartal Singapur und das Land, in dem die Zahl der Millionäre am schnellsten wächst ist Indien. Auch der reichste Mann der Welt kommt weder aus Europa oder den USA, wie in den letzten Jahren, sondern aus Mexiko.

China baut seinen Platz in der Weltpolitik systematischer aus als Europa: In Afrika etwa wird das chinesische Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell mit Hilfe von Milliarden den dortigen Regenten schmackhaft gemacht. Menschenrechte oder Umweltstandards spielen bei den Milliardenkrediten, die China im Gegenzug für Rohstoffe oder Ackerländer vergibt, keine Rolle. Entsprechend verlieren die Europäer und die Amerikaner an Einfluss. Schon jetzt ist etwa der wichtige Ölexporteur Angola fest in den Händen Chinas – als größter Abnehmer von Rohöl und als größter Kreditgläubiger. Gleichzeitig wird der Einfluss in internationalen Organisationen gestärkt: Wegen der enormen Wirtschaftskraft und Devisenreserven hat China nun mehr Stimmrechte bei der Weltbank. Und beim Internationalen Währungsfonds kaufte sich die Volksrepublik gerade mit 50 Milliarden US-Dollar ein, in dem China mehr Sonderziehungsrechte kaufte als etwa Deutschland und der Rest der EU.

Es ist eine verkehrte Welt: Schwellenländer, die einstmals vom IWF vor dem Zusammenbruch gerettet werden musste, werden nun zum wichtigsten Kreditgeber des Währungsfonds. Und ehemalige Gründungsstaaten aus den Industriestaaten zu Hilfsempfängern, wie etwa Griechenland. Und der Pleitegeier kreist auch schon über Spanien, Portugal und Italien – alles Länder, die im Gegensatz zu China und anderen Schwellenländer Währungen haben, die man frei handeln kann und bei denen die Devisenkurs nicht etwa am Doller gekoppelt sind.

Die gigantischen Hilfsprogramme, die die Euro-Zone derzeit schnürt, werden Europa weiter im Rennen um wirtschaftliche Stärke und damit Wohlstand zurück werfen. Schon jetzt ist klar, dass die Konjunkturprogramm, die die EU-Staaten in den Monaten nach dem Zusammenbruch der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 aufgelegt haben, durch die Griechenland-Krise ihre Wirkung verlieren. Hatten die Regierungen nach dem September 2008 mit vollen Händen das Geld ausgegeben und damit den Absturz der Wirtschaft zumindest zeitweise abfedern können, zwingt nun die Krise des Euro zu einem radikalen Kurswechsel: Hohe Staatsverschuldung ebnet den weg für Angriffe der Spekulanten auf die Währung und den jeweiligen Staat. Die Devisenspekulationen gegen Großbritannien in den 80er Jahren sollten daher eine Warnung sein, dass kurzfristige Milliardenhilfen nur eine Behandlung der Symptome sein wird. Die Ursachen bleiben weiter unbehandelt und das wird Tor und Tür für weitere Wetten auf den Niedergang der Gemeinschaftswährung öffnen. Europa wird daher in den nächsten Jahren damit beschäftigt sein, den Rotstift anzusetzen –  und das wird sich auch auf den notwendigen Wachstumsimpuls auswirken. Stagnation in Europa, während China weiter mit zweistelligen Prozent-Schritten wachsen wird. Und dazu wird auch der deutsche Privatanleger beitragen. Denn mit jeder Goldmünze, jedem Barren Silber oder Platin profitiert auch China an dem Verkauf. Denn schon jetzt hat sich die Volksrepublik die Schür- und Abbaurechte auf wichtige Rohstoffgebiete gesichert – und gleichzeitig ein Exportverbot für 373 seltene Metalle erlassen. Kunden von ProAurum werden also schon bald noch mehr Wartezeiten mitbringen müssen.

1980 – Die vergessene Rebellion

Klar, die 68er hatten die bessere Presse. Aber das ist kein Grund, nicht an das Jahr 1980 zu erinnern. Dem Jahr der letzten Jugendrevolte.

Die Ausgabe des Stern erschien im April. Auf dem Titel war ein Jugendlicher zu sehen, und im Inneren des Heftes machte man sich daran, den Lesern die Jugend zu erklären: Sie sei fragmentiert, es gäbe dutzende verschiedene Grüppchen: Popper, Punker, Grufties, Alternative und noch viel mehr. Die meisten hätten allerdings eines gemeinsam: Sie seien weitgehend unpolitisch. Von Rebellion keine Spur. Mehr oder weniger gut gestylte Individualisten.

Wie sehr der Stern mit seiner Beurteilung der damaligen Jugend daneben lag, sollte schon wenige Wochen später klar werden. 1980 – das war der Beginn von Jugendunruhen, von militanten Demonstrationen, die sich bis in die Mitte der achtziger Jahre ziehen sollten.

Hausbesetzungen standen im Zentrum des Protestes. Bei vielen dieser Besetzungen ging es um den Erhalt preiswerten Wohnraums – allein in Berlin waren zeitweilig über 100 Häuser besetzt. Aber etliche Besetzungen hatten auch das Ziel, autonome Zentren zu schaffen.  Ob die Besetzungen der Siesmayerstraße und des ehemaligen Bundesbahngeländes Nied in Frankfurt, die Auseinandersetzungen um das Dreisameck in Freiburg, die Bo-Fabrik in Bochum, das Stollwerk in Köln: Viele der Jugendlichen, die damals auf die Straße  gingen, wollten Orte, an denen sie selbst bestimmen konnten, was passiert: Räume zum Arbeiten, Räume für Kultur und Räume zum leben.

Oft folgten den Räumungen der besetzten Häuser gewalttätige Auseinandersetzungen. Das, was sich Anfang der 80er Jahre bei Demonstrationen abspielte, ging an Härte weit über das hinaus, was ein gutes Jahrzehnt vorher Ende der 60er Jahre passierte: Die Jugendrevolte von 1980 war auch durch Militanz geprägt und erweiterte das linke Spektrum um eine neue, extrem heterogene Gruppierung: Die Autonomen. Als sich am 1. Mai 1980 der erste „Schwarze Block“ am Merianplatz in Frankfurt zusammenfand, um als Anarchisten-Block neben den Blöcken von ÖTV, IG-Metall oder SPD an den offiziellen 1. Mai Demos teilzunehmen – und später versuchen sollte ein Haus zu besetzen – gewann eine bis heute anhaltende Eigendynamik: Der Schwarze Block, damals noch in Anführungszeichen geschrieben und durchaus ironisch bezeichnet, wurde zum Synonym für Militanz.

Doch die Auseinandersetzungen um die Häuser und Zentren waren nicht die einzigen Protestgründe: Am 6. Mai kam es beim Rekrutengelöbnis in Bremen zu schweren Straßenschlachten. Sven Regener hat die Atmosphäre der damaligen Zeit in seinem Bremen-Roman „Neue Vahr Süd“ beschrieben. Als am 4. Juni die „Republik Freies Wendland“ in Gorleben geräumt wurde, kam es zu Protesten in ganz Deutschland. Brockdorf, die Startbahn West, Wackersdorf und Kalkar – Anfang der 80er Jahre gab es viele Anlässe, auf die Straße zu gehen.

Die Jugendproteste der frühen 80er waren kein deutsches Phänomen: Hausbesetzungen hab es auch in England und Holland. Der Soundtrack zur Krönungszeremonie von Beatrix am 30. April 1980 war der Lärm der vor der Kirche tobenden Straßenschlacht. Zürich war ein weiteres Zentrum des Protests. „Züri brännt“ ein Slogan, den damals jeder kannte.

Der Spiegel beschrieb 1980 die Bewegung recht treffend:

„Im Akt der Verneinung erleben sie alle, was sie als Freiheit empfinden: einen neuen, alternativ zu gestaltenden Handlungsspielraum, wobei „alternativ“ mal die Gegengewalt zur Staatsmacht miteinschließt, ein andermal nur die Verweigerung gegenüber Bürokratie und Institutionen meint — oder aber zweideutig bleibt nach Art des subversiv denkenden Mescalero, der zum Niedergang der Instanzen nur soviel äußert: klammheimliche Freude.“

Doch warum kam es soweit? Wieso entlud sich Jugendgewalt Anfang der 80er Jahre nahezu eruptiv? In den späten 70er Jahre herrschet in Deutschland eine nahezu paranoide Stimmung: Polizisten kontrollierten Autos mit der Maschinenpistole im Anschlag. Eine Folge des RAF-Terrors. Ebenso wie der immer weiter ausgebaute Überwachungsstaat. Dazu kamen der wirtschaftlicher Niedergang und die zunehmende Angst vor der Atomkraft, die damals noch massiv ausgebaut wurde. Diese paranoide und bedrückende Stimmung entlud   sich den Auseinandersetzungen ab 1980. Die Militanz wurde von vielen als die Rückeroberung persönlicher Freiräume gesehen. Heute erscheint das merkwürdig, damals entsprach es dem Lebensgefühl vieler Jugendlicher.

Die Unruhen zogen sich lange hin: 1983 wurde in Krefeld die Wagenkolonne des damaligen US-Vizepräsidenten Georg Bush angriffen. Die Hälfte aller an der Aktion Beteiligten verbrachte den Abend wahlweise in Haft oder im Krankenhaus. Und natürlich die bereits kurz erwähnte Startbahn West bei Frankfurt: Jede Woche entzündete sich der Protest am Bauzaun und legte sich erst, nachdem die Startbahn 1984 in Betrieb ging.

Es gäbe noch viele Geschichten zu erzählen: Die vom Heusnerviertel in Bochum, die vom Frankfurter CDU-OB Walter Wallmann, der während seiner ganzen Amtszeit immer auf eine Politik der harten Hand gegen Hausbesetzer setzte – und sie von verschiedenen sozialdemokratischen Polizeipräsidenten exekutieren lies. Oder die eines heutigen Linkspartei-Bundestagsabgeordneten, der verhindern wollte, dass  am 16. Juni bei Rock gegen Rechts in Frankfurt Hausbesetzer einen Solidaritätsaufruf verlasen. Er konnte überzeugt werden, das lieber zu lassen.

Heute ist die Jugendrevolte der frühen 80er Jahre fast vergessen. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Ihre Mitglieder waren nicht so publikationsfreudig wie die 68er. Bücher wie „Kursbuch 65 – der große Bruch – Revolte 81“ blieben eine Ausnahme. Und dann war da noch die bald an Bedeutung gewinnende Friedensbewegung: Die Macht der großen Zahl, die Millionen auf den Latschdemos, der betroffenen Böll und BAP prägen bis heute das Bild dieser Zeit. Ihr Protest überlagert die Wahrnehmung auf diese Jugendbewegung. Diese Jugendbewegung war zutiefst antiautoritär, hatte keine Idole und keine Führer. Nichts, was sich medial präsentieren konnte. Sicher auch ein Grund, warum sich kaum jemand an sie erinnert.

Was blieb? In ganz Deutschland gibt es bis heute zahlreiche soziokulturelle Zentren, die ihren Ursprung in diesen Jahren hatten. Im Ruhrgebiet zum Beispiel der Bahnhof Langendreer und in Berlin die 1979 besetzte UFA-Fabrik. Auch die Hafenstraße in Hamburg hat in dieser Zeit ihre Wurzeln.

Was auch in dieser Phase begraben wurde, waren die K-Gruppen, die noch in den späten 70er Jahren das Bild der  Linken in Deutschland prägten. Punk Attitude traf auf Politik und begrub das linke Spießertum der 70er.   Die Autonomen entstanden, das Vermummungsverbot kam, und für ein paar Jahre gehörte die schwarze Lederjacke zur Demo-Ausstattung. Man kaufte sie damals in Amsterdam auf dem Flohmarkt , und die meisten der Jacken hatten schon Patina angesetzt. Es sollte lange dauern, bis sie durch Jack-Wolfskin Jacken ersetzt wurden. Nicht unbedingt ein ästhetischer Fortschritt.

Der Ruhrpilot

NRW: FDP-Zaudern stürzt NRW ins Chaos…FTD

NRW II: In NRW droht eine Koalition, die keiner will…Welt

NRW III: Scheitern soll es an den anderen…FAZ

NRW IV: Linke in NRW unter Bedingungen regierungsbereit…Der Westen

Ruhr2010: Local Heroes in Gelsenkirchen…Hometown Glory

Ruhr2010 II: …exportiert Cinecittá Aperta…Augsburger Allgemeine

Ruhr2010 III: Urbanatix beginnt bald…Der Westen

Ruhrgebiet: Computerspiele made in Mülheim…Welt

Ruhrgebiet II: Großer Andrang bei Innovation-City…Ruhr Nachrichten

Duisburg: Zweite Chance im Stadtrat für Karstadt?…Xtranews

Mülheim: Stärkerer Personalabbau…Der Westen

Piraten: Ein bösartiger Kindergarten ist nichts dagegen…F!XMBR

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Jan Keitsch (AStA Ruhr Uni): Ohne Wenn und Aber: Studiengebühren sind unsozial!

Jan Keitsch, der Vorsitzende des AStA der Ruhr Universität Bochum,  hält nichts von Studiengebühren und antwortet in seinem Gastkommentar Stefan Winter. Der Professor an der Ruhr Universität hatte gestern erläutert, warum er Studiengebühren aus sozialen Gründen befürwortet. Jan Keitsch studiert seit 2007 Religionswissenschaft und Philosophie und ist Mitglied von Bündnis90/Die Grünen.

Befürworterinnen und Befürworter von Studiengebühren stehen spätestens seit vergangenem Sonntag mit dem Rücken zur Wand. CDU und FDP – die als einzige Parteien weiter an Studiengebühren festhalten wollen – wurden in Nordrhein-Westfalen abgewählt. Ob es zum von Konservativen und Neoliberalen gefürchteten Rot-rot-grünen Bündnis kommt, ist zwar noch ungewiss: Die Studiengebühren in NRW stehen allerdings auf der Kippe.

Damit hatten wohl auch Stefan Winter und seine Kolleginnen und Kollegen der Bochumer Wirtschaftwissenschaft gerechnet und bereits im Vorfeld eine alte Studie aufgewärmt, die die Erhebung der Studienbeiträge als „sozial gerecht und geboten“ bezeichnet. Mit Wissenschaft hat die „Studie“ jedoch wenig zu tun. Stattdessen werden die Leitideen ausgeschlachtet, die Noch-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart bereits seit Jahren predigt.

Kein Wunder also, dass der „wirtschaftswissenschaftliche“ Vorstoß an der Uni mit Unverständnis und Wut aufgenommen wurde. Schließlich müssen viele Studierende, die ohnehin häufig unter Hartz-IV-Niveau leben, für die Studiengebühren hart arbeiten. Das aktuelle Kreditsystem ist unsozial und sorgt dafür, dass die, die sich die Beiträge nicht direkt leisten können, dank Zinsen am Ende fast 250 Euro pro Semester mehr zahlen müssen. Zwar zeigt Winter auf, welche Alternativen es zum aktuellen Kreditmodell gibt – Vorteile gegenüber einer Gebührenfreiheit sind allerdings nicht zu erkennen, Nachteile dafür umso mehr.

Die Erhebung der Studiengebühren ist bereits jetzt ein bürokratischer Aufwand sondergleichen, der große Geldmengen verschlingt. Wenn jetzt noch die individuelle Förderung sozial Schwächerer statt einer generellen Gebührenfreiheit eingeführt werden soll, wächst das bürokratische Monster weiter an. Die Folge: Intransparenz der Entscheidungen und somit das weiterhin bestehende finanzielle Risiko für angehende Studierende. Der Abschreckungsfaktor Studiengebühren bleibt gewaltig, wenn sozial Schwächere letztlich nur in zu überprüfenden Einzelfällen gefördert werden.

Die wirkliche Alternative zu Studiengebühren ist die vollständige Finanzierung der Hochschulen aus Steuermitteln. Winter moniert, dass so auch die Personen für Unis zahlen müssen, die diese niemals von innen gesehen haben. Er bezieht sich dabei eindeutig nicht nur auf die Menschen, die mit geringer Bezahlung und ohne Aufstiegschancen „Akademikerkinder“ finanzieren müssen, sondern auch auf die, die ohne ein Studium viel verdienen.

Wer also viel verdient, aber nie die Leistungen einer Universität in Anspruch genommen hat, soll diese laut Winter also auch nicht in diesem Maße mitzufinanzieren haben. Mit dieser Logik müssten Autofahrer auch eine Steuererleichterung erhalten, da sie die subventionierten öffentlichen Verkehrsmittel nicht nutzen. Winters Studie zielt also ganz klar darauf ab, das Solidarprinzip im Bildungssystem abzuschaffen. Wer Bildung nutzt, soll gefälligst auch dafür bezahlen.

Dass viele Studiengänge jedoch eine wirtschaftlich derart unsichere Zukunft bedeuten, dass die Aufnahme von „Bildungsschulden“ mehr als riskant erscheint, sieht Winter offenbar nicht als Problem. Seine Studie kommt zu dem Schluss, dass es erstrebenswert sei, dass durch Studiengebühren immer mehr junge Menschen in Fächer wechseln, die „individuell rentabel“ sind. Fächer wie Philosophie oder auch Sozialarbeit dürfen laut der Studie also gerne aussterben. Bewertet wird nur anhand marktwirtschaftlicher Rentabilität.

Einen weiteren fadenscheinigen Grund für die Beibehaltung von Studiengebühren sieht Winter in der laut seiner Argumentation aus Gebühren entstehenden Mitbestimmung der Studierenden. Da es sich um ihr Geld handelt, dürfen sie auch mitentscheiden, was damit passiert. Dass dies in der Praxis nicht immer passiert, ist Winter natürlich bekannt. Die Studierenden sind starken Sachzwängen ausgesetzt und haben oft keine Wahl, gegen eine von der Fakultät gewollte Ausgabe der Geldmittel zu stimmen.

Mit der Taktik, „entweder durch Studiengebühren oder gar nicht“, sollen Studis dazu gedrängt werden, grundlegende Aspekte der Lehre aus Gebührenmitteln zu zahlen. Hinzu kommt oftmals ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Studierenden in Fakultätsräten und den Professorinnen und Professoren. Wer seinen Job als studentische Hilfskraft nicht verlieren will, stimmt besser nicht gegen den eigenen Chef. Besonders dann nicht, wenn dieser einem die Wichtigkeit eines bestimmten Projekts – auch im Hinblick auf das eigene Beschäftigungsverhältnis – nahe gelegt hat. Studentische Mitbestimmung muss unabhängig von solchen Sachzwängen existieren können. Die Realität sieht aber anders aus. Im Senat stellen Studierende nur vier von insgesamt 25 Sitzen, die professorale Fraktion stellt 13 Personen. Rein faktisch haben Studierende auf dieser Ebene also keinerlei Mitbestimmungsmöglichkeiten.

Auch die Entscheidungskompetenzen der gewählten Studierendenvertretung sind mehr als begrenzt.

Denn ginge es nach den Studierenden, wären Gebühren schon längst Geschichte bzw. nie eingeführt wurden. Sowohl eine Urabstimmung vor Einführung allgemeiner Studiengebühren als auch die Ergebnisse der jährlichen Studierendenparlamentswahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Zum dritten Mal in Folge wurde in diesem Jahr ein Allgemeiner Studierendenausschuss (AStA) gewählt, der Bildungsgebühren von der Kita bis zur Hochschule in jeder Form ablehnt und gleichzeitig für die gleichberechtigte demokratische Teilhabe aller Statusgruppen an der Uni kämpft. Es bedarf keiner Studiengebühren, damit Studierende gleichberechtigt mit Profesorinnen und Professoren sowie den Angestellten in Mittelbau und Verwaltung die Uni gestalten können. Ohne den zusätzlichen finanziellen Druck wird es Studierenden sogar deutlich leichter fallen, sich stärker gestaltend einzubringen. Und letztlich zeichnet sich ein Studium doch gerade auch durch Selbstständigkeit und Gestaltungskraft aus.


Der Westen will regionaler werden – und ein wenig wie Bild.de

Der Westen will regionaler werden. Das meldet Journalist-Online. Montagabend soll auf ein neues Layout umgeschaltet werden.

Stand bislang Spiegel-Online Pate für das Layout des WAZ-Online Portals Der Westen orientiert man sich künftig wohl stärker an Bild.de. Die Farben werden knalliger und „die Aufmacherthemen sollen künftig besser zu erkennen sein: Eine automatisierte Bilderfolge ähnlich wie bei bild.de ersetzt die kleinteilige Bilderleiste des alten Internetauftritts. “ berichtet Journalist-Online.

Zwei Spalten bestimmen demnach ab der kommenden Woche ads Erscheinen des Portals: Eine mit regionalen und eine mit überregionalen Ereignissen: „So haben wir die Möglichkeit, die fünf wichtigsten Themen des Tages auf engem Raum zu präsentieren“, sagt CvD Andreas Fettig“

Einen Umbau hat der Westen nötig: Das selbstgesteckte Ziel,  RP-Online zu überholen, hat man immer noch nicht erreicht. Im April lagen die Düsseldorfer laut IVW mit 10.458.026 Visits deutlich vor dem Westen mit 7.104.320 Visits. Das Westen-Minus von 7,7 Prozentpunkten gegenüber März deutet zudem Handlungsbedarf an.

Mit dem Montags-Relaunch dürften die Umbauarbeiten, die beim Westen im Zuge des Wechsels von Katharina Borchert zu Spiegel-Online einsetzten, erst einmal abgeschlossen sein. Ob die größte Schwäche des Westens auch abgestellt wird, werden wir dann sehen: Die Kommentare. Für mich jedes Mal wieder ein Blick in die Abgründe des menschlichen Seins

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Der Ruhrpilot

NRW: Linkspartei NRW – Die Spitze des Wahnsinns..Süddeutsche

NRW II: E-Mail-Duell zwischen Pinkwart und Papke…FAZ

NRW III: Neue Chance für Rot-Rot-Grün…taz

NRW IV: SPD und Grüne steuern Bündnis mit Linken an…Welt

NRW V: SPD-Chef Gabriel wirft FDP einen „geheimen Plan“ vor…Der Westen

NRW VI: SPD und Grüne schielen nach links…Spiegel

Bochum: Verwirrspiel um Arbeitsplätze auf dem Nokia-Areal…Der Westen

Duisburg: Aus für Duisburger-Freiheit…RP online

Duisburg II: Krieger-Gruppe überrascht Duisburgs Politiker…Xtranews

Dortmund: Westspiel soll Betriebsräte gekauft haben…Der Westen

Dortmund II: Koalitionspoker in Dortmund…Der Westen

Herten: Wohnzimmer der Kulturen…Hometwohn Glory

Kultur: Dramatikerpreis Mülheim…Hamburger Abendblatt

Medien: WAZ: Wahlberichterstattung im ZDF ist mal Top und mal Flop…Pottblog

Internet: Google hört keine WLANs mehr ab…Netzpolitik

Stefan Winter (Ruhr Uni): Plädoyer für Studiengebühren

Stefan Winter ist Professor an der Ruhr Universität Bochum und Inhaber des Lehrstuhls für Human Resource Management. Vor wenigen Tagen veröffentlichte er eine Studie, die zu dem Schluss kam, das Studiengebühren  sozial gerecht seien. In einem Gastkommentar erläutert er, warum er für den Erhalt der Studiengebühren ist.

„Wenn […] auch, höhere‘ Unterrichtsanstalten unentgeltlich sind, so heißt das faktisch nur, den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen Steuersäckel zu bestreiten.“
Karl Marx, Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei. In: Marx, K. /Engels F. (Hrsg.) Werke, Band 19, Dietz Verlag, Berlin, 1976,  S. 30.

Wer studieren will, sollte studieren können. Der Staat kann mehrere Dinge tun, um Studierwilligen das Studium zu erleichtern. Eine Möglichkeit, seit Gründung der Bundesrepublik bis vor wenigen Jahren praktiziert, besteht in der steuerfinanzierten Gebührenfreiheit des Studiums. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, Gebühren zu erheben und jedem Studierwilligen einen Kredit zu gewähren, der einkommensabhängig zurückzuzahlen und zu verzinsen ist. Mit diesem Kredit können während des Studiums die Gebühren finanziert werden.

Bleibt der wirtschaftliche Erfolg nach dem Studium aus, verzichtet der Staat auf Rückzahlung und Verzinsung, stellt sich ein hoher wirtschaftlicher Erfolg ein, muss entsprechend viel zurückgezahlt werden. Sieht man beispielsweise eine Rückzahlungsverpflichtung erst ab einem Nettoeinkommen von 2500 € pro Monat vor, dann muss niemand ein unkalkulierbares finanzielles Lebensrisiko tragen. Zur Rückzahlungs- und Verzinsungspflicht würde dann nur das Einkommen oberhalb von 2500 € herangezogen. Wie im Einkommensteuerrecht könnte darüber hinaus die familiäre Situation durch Kinderfreibeträge berücksichtigt werden. Die Konditionen eines solchen Kredits können daher problemlos so ausgelegt werden, dass jeder Studierwillige ohne die Gefahr einer späteren Überschuldung studieren kann. Fraglich ist nun, welches System vorzuziehen ist. Es zeigt sich, das die Erhebung von Gebühren kombiniert mit einem staatlich gestützten Kreditsystem, welches jedem Studierwilligen unabhängig von seiner familiären Situation einen Kredit einräumt, aus vielfachen Gründen vorzugswürdig ist. Hier seien nur einige davon diskutiert.

Von der Befürwortern der Gebührenfreiheit wird angeführt, dass die Studierenden faktisch doch die Kosten ihrer Ausbildung selbst tragen, da sie später über die durchschnittlich höheren Einkommen auch höhere Steuern bezahlen. Dieses Argument ist aus zwei Gründen nicht überzeugend. Das erste Problem dieser Argumentation liegt im Auseinanderfallen von Studium und Steuerpflicht. Wer in Deutschland studiert ist nicht notwendigerweise hinterher auch in Deutschland steuerpflichtig. Das kann man derzeit an der Abwanderung von Ärzten nach England und Skandinavien beobachten. Diese Personen haben in Deutschland einen der teuersten Studiengänge absolviert, zahlen aber nach Ihrer Abwanderung überhaupt nichts zurück. Das gleiche gilt für ausländische Studierende, die teilweise nach Beendigung ihres Studiums in Deutschland sogar explizit aus dem Land gejagt werden, indem man Ihnen die Aufenthaltserlaubnis entzieht. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das Steuerrecht nicht danach differenziert, mit welcher Tätigkeit ein bestimmtes Einkommen erzielt wird. Damit muss ein Nichtakademiker, der 100 T€ p.a. verdient, die gleichen Steuern bezahlen, wie ein Akademiker mit gleichem Einkommen.


Bei Gebührenfreit des Studiums hätte aber nur einer von beiden ein staatliches Geschenk von erheblichem Wert erhalten, der andere nicht. Der staatliche Gleichbehandlungsgrundsatz fordert, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden muss. Hier würde offensichtlich Ungleiches gleich behandelt. Würden staatdessen kreditfinanzierte Gebühren erhoben, könnte die Rückzahlung auch international durchgesetzt werden und es ergäbe sich eine Ungleichbehandlung von Ungleichem.


Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Gebührenfreiheit mit einem massiven politischen Nachteil einher geht. Die reine Steuerfinanzierung der Universitäten ohne Gebührenerhebung führt dazu, dass Gelder nach politischen Interessen und hochschulinternen Koalitionen verteilt werden. Das führt dazu, dass auf der einen Seite überfüllte Hörsäle und auf der anderen Seite mangels Teilnehmern abgesagte Lehrveranstaltungen nebeneinander existieren. Die Gelder werden also nicht nach den Präferenzen der Studierenden verteilt.


Schließlich wird von den Befürwortern der Gebührenfreiheit argumentiert, dass die Ausbildung eines Akademikers auch gesellschaftliche Vorteile erbringt. Auch dieses Argument vermag nicht zu überzeugen. Das liegt erstens daran, dass es neben den sozialen eben doch auch private Vorteile eines Studiums gibt. Das Argument der gesellschaftlichen Vorteile spricht also allenfalls dagegen, Studienplätze komplett über Gebühren zu finanzieren. Wenn gesellschaftliche und individuelle Erträge bestehen, sollten sich Gesellschaft und Individuum auch gemeinsam an den Kosten beteiligen. Genau dies ist aber der Fall. Die derzeitigen Studiengebühren von 500 € pro Semester decken je nach Studiengang zwischen knapp 10% (Medizin) bis etwa 30% (Wirtschafts- und Sozialwissenschaften). Es verbleibt also ein erheblicher gesellschaftlicher Beitrag bei der Finanzierung. Darüber hinaus wird übersehen, dass dann, wenn gesellschaftliche Vorteile durch einen ausgebildeten Akademiker entstehen, diese besser erst bei Entstehung zu subventionieren wären.

Am Beispiel der Medizinerausbildung lässt sich das besonders gut verdeutlichen. Ein Vorteil der Ausbildung eines Mediziners wird darin gesehen, dass ein Arzt den Gesundheitszustand der Bevölkerung verbessert. Dieser Effekt tritt aber erst ein, wenn er tatsächlich als Arzt tätig ist. Wenn überhaupt, sollten also die tätigen Ärzte bezuschusst werden und nicht die diejenigen, die lediglich Medizin studieren. Ein weiterer gesellschaftlicher Vorteil der Ausbildung wird in der kriminalitätsreduzierenden Wirkung gesehen. Statistisch sinkt mit dem Ausbildungsstand die Kriminalitätsrate, wenn auch wahrscheinlich nicht bei allen Deliktsformen gleichermaßen. Hier das Studium als Instrument der Kriminalitätsreduktion anzuführen ist aber nicht tragfähig. Sieht man sich nämlich an, wer in deutschen Jugendstrafanstalten sitzt, dann sind das nicht Abiturienten ohne Hochschulabschluss sondern fast ausschließlich Menschen ohne oder mit niedrigsten Bildungsabschlüssen. Wenn Bildung als kriminalitätsreduzierendes Instrument verstanden wird, dann sollten staatliche Investitionen offensichtlich bei den Niedrigqualifizierten ansetzen und nicht bei Abiturienten.