Die Wut über das Aus von Nokia und die Weigerung, über eine Perspektive des Bochumer Standortes auch nur zu reden, hat zum Nokia-Boykott im Ruhrgebiet geführt. Die Oberbürgermeister und Landräte des Reviers haben heute beschlossen, ihre Verwaltungen anzuweisen, künftig keine Geräte des finnischen Unternehmens mehr zu kaufen. Landrat Jochen Welt: „Das Verhalten von Nokia ist hinterfotzig und ein schwerer Schlag für das Ruhrgebiet. Alleine im Kreis Recklinghausen kostet das Nokia-Ende 375 Arbeitsplätze. Daran hängen aber noch die Familien und die Geschäfte vor Ort. Insgesamt sind hier Tausende betroffen.“
Welt fordert zudem eine Änderung der Subventionspraxis: „Das Nokia-Aus ist auch eine Niederlage der auf Subventionen aufbauenden Wirtschaftsförderung. Die Verpflichtungen, die mit dem Erhalt von Wirtschaftsförderungen verknüpft sind, müssen verschärft werden."
Welt, auf dessen Initiative hin der Nokia-Boykott im Ruhrgebiet zurückgeht, will heute gemeinsam mit dem Personalrat des Kreises Recklinghausen auch die Mitarbeiter auffordern, künftig keine Nokia-Handys mehr zu kaufen.
schurians runde welten: Es macht wieder Bum, Bum
Foto: Archiv
"Dann schwimmen wir im Geld!"
(Schalke-Präsident Josef Schnusenberg)
Ich war ein Tenniskind. Im Clubheim gab es Raider und Fanta, draußen viel Asche und keine Freunde. Ich bin nicht warm geworden mit den Familien in Freizeitkleidung, mit dem Training in der Traglufthalle.
Heute sind mir die "privaten Trainerstunden" bei Günter S. peinlich. Aber damals trug ich eine arschteure Jacke aus bunten Lederstreifen, die wir in Rom gekauft haben in der Nähe der spanischen Treppe. Wir rauchten Dunhill im Hotel Sacher. Machten Lichthupe auf der linken Spur. Wohnten auf tiefen Teppichen im Airport Hotel am Frankurter Flughafen, wenn jemand aus Übersee abgeholt wurde. Ich ging zum Studium mal besser ins Ruhrgebiet und häufiger zum Fußball.
Apropos: In Australien finden gerade die Australian Open statt, das früheste Grand-Slam-Turnier des Jahres. Und das erste, auf dem Polizisten gegen renitente Zuschauer vorgehen. Ein griechischer Fanblock soll sich so daneben benommen haben, dass die Polizei gegen zehn Personen, darunter den halbnackten Rädelsführer, Pfefferspray einsetzte. Ein Polizeieinsatz auf dem Tenniscourt. Ich sehe schon die Agenturberichte vor mir:
Bye-Bye Fußball, Bum-Bum Boris
Immer häufiger werden Tennisarenen – nicht Fußballstadien – zum Schauplatz von Gewaltaktionen so genannter Sportfans. Die Generation Golf tobt sich aus. Innenministerium plant Einsatz von Drohnen.
Ich frage mich, wann ich wieder zum Tennis gehe, weil mir Fußball peinlich ist?
RWE: Konzern bietet mehr Lohn – Streiks abgewendet
Die Kuh beim RWE ist vom Eis. Wie mir die Beteiligten erzählt haben, hat der Konzern im hauseigenen Tarifstreit gestern abend mit 3,9 Prozent mehr Lohn auf 12 Monate ein Tarifangebot gemacht, das nach Ansicht der Gewerkschaft Verdi angenommen werden kann. Heute tagt die große Tarifkommission der 20.000 vom RWE-Haustarif betroffenen Mitarbeiter. Wie es aussieht, sind mit dem Last Minute Angebot die ersten Stromstreiks in der Geschichte des Essener Energieversorgers abgewendet. Die Verhandlungen waren in den vergangenen Wochen überraschend eskaliert.
Eine Einmalzahlung soll es nach meinen Informationen nicht geben. Trotzdem heißt es aus Gewerkschaftskreisen, eine Lohnerhöhung von 3,9 Prozent sei vertretbar. Gut, die Frage ist nun, ob die Mitarbeiter nach der Eskalation einem Abschluss ohne 4 vor dem Komma zustimmen. Immerhin war das die ganze Zeit über die wichtigste Forderung. Aber ehrlich gesagt, glaube ich nciht, dass irgendwer wegen 0,1 oder 0,2 Prozent einen Streik bei RWE anfängt. Auch wenn die Gewerkschaften ursprünglich mal 8 Prozent mehr Lohn gefordert haben.
Der Tarifabschluss beim RWE gilt übrigens in der Energiebranche als Pilotabschluss. Der Konzern Vattenfall Europe ist ebenfalls in Verhandlungen. Hier hatte das Unternehmen zunächst 2,8 Prozent angeboten. Die Gewerkschaften fordern 8 Prozent. Beim Branchenführer E.on beginnen die entsprechenden Gespräche im Februar. Die Beschäftigten der kommunalen Stadtwerke haben im Rahmen der Lohnrunde im öffentlichen Dienst für ihren Versorgertarifvertrag eine Erhöhung von neun Prozent verlangt.
Parteipolitik mit Nokia wird populär
Zur Ankündigung von Nokia, den Standort Bochum platt zu machen, sagt der Bochumer Europaabgeordnete, Dr. Frithjof Schmidt von den Grünen:
"Ich begrüße die klaren Worte von Kommissions-Präsident Barroso heute im Europa-Parlament. Die Verwendung von Geldern aus den EU-Strukturfonds für eine Produktionsverlagerung nach Rumänien, Ungarn oder Finnland ist nicht zulässig. Die EU-Regeln sind hier eindeutig."
"Das hat Präsident Barroso heute klar gestellt und eine Überprüfung des Vorgangs angekündigt. Die zuständige Kommissarin Hübner hatte schon vorher erklären lassen, dass bisher keine Gelder geflossen sind. Die Regeln sind klar: Sollte Nokia zukünftig entsprechende Anträge stellen, muss die Kommission sie ablehnen. Sollten aber doch Gelder geflossen sein, war das unzulässig und das Geld muss zurückgezahlt werden."
"Dass in Rumänien und Ungarn Gelder des PHARE-Programmes für die Schaffung von Infrastruktur in Industrie-Parks verwendet werden – wie entsprechende Mittel in Deutschland auch – ist nicht zu kritisieren."
Offenbar war der Zungenschlag von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Brüssel aber tatsächlich anders: Zunächst hat er europäische Hilfen für die Verlegung der Bochumer Nokia-Fabrik nach Rumänien ausgeschlossen. Strukturmittel für die Verlagerung von Betrieben habe es auf jeden Fall nicht gegeben. Es habe schlicht Geld für den Bau von Industrieparks gegeben, das war alles – laut Barroso.
Das muss dann auch der Grüne Haudrauf einsehen und sagt kleinlaut:
"Dass in Rumänien und Ungarn Gelder des PHARE-Programmes für die Schaffung von Infrastruktur in Industrie-Parks verwendet werden – wie entsprechende Mittel in Deutschland auch – ist nicht zu kritisieren."
Und dann rief Barroso nicht zur Generalinventur der rumänischen Wirtschaftsförderung auf, so wie es der besorgt tuenden Schmidt nahelegte. Stattdessen forderte der Komissionschef seine "deutschen Freunde" auf, "den Mut zu haben, auch über die Vorteile der EU-Erweiterung aufzuklären". Schließlich müsse es erlaubt sein, Betriebe von Deutschland nach Rumänien zu verlagern, wenn auch Fabriken von Finnland nach Deutschland gebracht werden könnten. Alles egal laut Barroso, schließlich blieben die Arbeitsplätze innerhalb der EU.
Zur Ehrenrettung des Grünen muss gesagt werden, dass auch die anderen Politfreaks versuchen ihr Kapital aus der Nokia-Krise zu schlagen. Die nordrhein-westfälische Landesregierung prüfe, ob sie vom finnischen Mobilfunkkonzern 17 Millionen Euro aus Fördermitteln zurückzufordern könne, sagte die NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU). Möglicherweise seien mit den Subventionen verbundene Beschäftigungszusagen nicht eingehalten worden. Ihren Angaben zufolge hat Nokia öffentliche Mittel in Höhe von 88 Millionen Euro kassiert. CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers warnte den Weltmarktführer für Mobiltelefone deshalb schonmal vor einem Image als "Subventionsheuschrecke", die Fördermittel kassiere und dann weiterziehe.
Aber was soll das ganze Theater? So funktioniert das nunmal. Produziert wird da, wo es billig ist und den meisten Profit bringt. Die Scheingefechte um Subventionen bringen nicht viel. Sie sollen nur verdecken, dass die Politiker nicht viel tun können. Der Konzern Nokia ist Herr seiner Dinge. Wenn er seine Fabrik verlagern will, kann er das tun. Wenn er die Leute rauswerfen will, kann er das tun. Wenn er sein Kapital in Brausepulver oder irische Kokosnüsse investieren will, darf er das. Die Finnen von Nokia können ihre Kohle sogar einfach nur versaufen. Dagegen können Rüttgers und Co nichts tun.
Was bleibt, ist die moralische Keule. Der Grüne Schmidt schwingt sie:
"Ein Skandal ist dagegen das Verhalten der Nokia-Führung. Sollten sich die Informationen bestätigen, dass das Nokia-Werk in Bochum Gewinne und keine Verluste gemacht hat, verstößt seine Schließung gegen alle Grundsätze einer sozial verantwortlichen Unternehmensführung, wie sie im entsprechenden Verhaltens-Kodex für Unternehmen der OECD festgelegt sind. Der Haushalts-Ausschuss des EP wird sich mit dem Vorgang in seiner nächsten Sitzung beschäftigen."
Für Subventionen, um beim Scheingefecht bleibt, heißt das: Am besten lebt man ohne sie. Wer keine Beihilfen gibt, kann auch keine Beihilfen verlieren.
Zudem macht man den Leuten keine trügerischen und falschen Hoffnungen. Denn das ist das schlimmste.
Wenn das Vertrauen in die Zukunft zerbricht.
Und das ist in Bochum passiert. Es ist unredlich aus dieser Notlage der Menschen nun politisches Kapital schlagen zu wollen.
Zehn Gründe kein Nokia-Handy mehr zu kaufen
1. Die meisten Nokia-Handys der letzten Jahre sehen aus, als ob das Design von Menschen mit – sagen wir einmal, Problemen, entwickelt wurden.
2. Ich traue Unternehmen aus Ländern nicht, in denen es meistens dunkel ist und die Menschen selbstgebrannten Schnaps trinken. Das kann ins Auge gehen. Ausnahme der Regel: IKEA
3. Ich mag keine Subventionsempfänger
4. Handys sollten besser nicht explodieren
5. Die Bluetoothverbindung mit meinen Macs ist eine Katastrophe
6. Das iPhone
7. Firmen sollten nicht mit den Sprüchen von KZ-Eingangstoren werben
8. Man schleimt nicht gegenüber dem Wettbewerb. Obwohl – Steve wird sich totgelacht haben
9. Die Nokia Night of the Proms ist peinlich. Wirklich peinlich. Ganz schlimm. Ehrlich.
10. Sie schmeißen drei meiner besten Freunde raus
Overkill in Bochum
Nokia Bochum Foto: ruhrbarone
Nokia macht dicht. Von diesem Schlag muss sich die Opelstadt erstmal erholen! In der Mitteilung untertreibt Nokia: Insgesamt sind allein am Standort Bochum über 3000 Jobs futsch. Die Produktion wird nach Osteuropa verlagert. Im Moment laufen auf dem Werksgelände Informationsversanstaltungen. Nokia hat Sicherheitskräfte im Werk zusammen gezogen. Die Stimmung bei den Mitarbeitern ist niedergeschlagen. Niemand arbeitet mehr.
Mit dem Bochumer Werk und seinen insgesamt über 3.000 Mitarbeitern schließt nach Witten, Gladbeck und Kamp-Linfort der letzte Telekommunikationsstandort im Ruhrgebiet. Die Branche, an die einst im Strukturwandel so hohe Erwartungen geknüpft wurden, gibt es nicht mehr.
Die Entscheidung von Nokia, die Produktion in Bochum stillzulegen, kommt nicht überraschend: Die Gerüchte kursierten seit Jahren in der Stadt und hatten sich in den vergangenen Monaten, zumindest was die aus mehreren hundert Ingenieuren bestehende Entwicklungsabteilung betraf, verdichtet. Nokia begründet die Schließung mit der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit des Standortes. Eine Erneuerung des Standorts Bochum, so die Finnen, würde zusätzliche Investitionen erfordern, doch selbst diese würden nicht dazu führen, die Produktion in Bochum weltweit wettbewerbsfähig zu machen.
"Die geplante Schließung des Werkes Bochum ist notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit von Nokia langfristig zu sichern,"
sagte Veli Sundbäck, Executive Vice President von Nokia und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Nokia GmbH.
"Aufgrund der Marktentwicklung und der steigenden Anforderungen hinsichtlich der Kostenstruktur ist die Produktion mobiler Endgeräte in Deutschland für Nokia nicht länger darstellbar. Es kann hier nicht so produziert werden, dass die globalen Anforderungen hinsichtlich Effizienz und flexiblem Kapazitätswachstum erfüllt werden. Daher mussten wir diese harte Entscheidung treffen."
Hilfreich war wohl, dass die Europäische Union den Bau neuer Nokia-Werke in Rumänien mit Steuergeldern subventioniert. Das zumindest ist Landeswirtschaftsministerin Christa Thoben in einer ersten Erklärung sauer aufgestossen:
"Es scheinen jetzt weitere öffentliche Mittel – in diesem Fall von der EU – von Nokia dafür eingesetzt zu werden, einen neuen Standort in Rumänien aufzubauen."
Thoben erwartet in dieser Auseinandersetzung die Unterstützung durch Bundeswirtschaftsminister Michael Glos – bislang allerdings ein nicht durch sonderlichen Tatendrang auffällig gewordener Minister.
Nokia war am Standort Bochum seit 1988 präsent. Erst wurden in dem alten Graetz-Werk Fernseher hergestellt. Später dann Mobiltelefone. Tragisch: Die Ingenieure in Bochum waren mit die ersten im gesamten Konzern, die an Mobiltelefonen gearbeitet haben und somit die technologische Grundlage für die Erfolgsgeschichte Nokias gelegt haben. Ab dem Sommer müssen Sie sich neue Jobs suchen. Schon heute steht für die meisten fest: Sie werden im Ruhrgebiet kaum Arbeit finden und nach Süddeutschland ziehen müssen. Für 240 von ihnen besteht indes die Möglichkeit, von anderen Unternehmen übernommen zu werden – sicher ist das aber noch längst nicht.
Auch für die Mitarbeiter in der Produktion ist die Perspektive düster: Neue, relativ gut bezahlte Jobs in der Industrie sind selten geworden im Ruhrgebiet, und dass sich auf der Fläche noch einmal ein Produktionsbetrieb von der Größe der finnischen Telefonbauer ansiedelt, ist unwahrscheinlich.
An der insgesamt positiven Lage der Wirtschaft in NRW und dem Ruhrgebiet, so Uwe Neumann vom RWI in Essen, ändert sich durch das Nokia-Aus jedoch nichts:
"Die Werksschließung allein gefährdet nicht den Aufschwung in NRW."
Bochums OB Ottilie Scholz und Wirtschaftsdezernent Paul Aschenbrenner
"Heute ist ein schlechter Tag für Bochum und das Ruhrgebiet."
Mit diesen Worten leitete Bochums Oberbürgermeisterin Dr. Ottilie Scholz die nach dem bekannt werden der Nokia-Schließung eilends einberufenen Pressekonferenz im Bochumer Rathaus ein.
Sie selber sei um 8.45 Uhr persönlich vom Aufsichtsratchef von Nokia, Jorma Ollila, über die Schließung des Standortes Bochum informiert worden. Nokia hätte auch vor Bekanntgabe des Schließungsbeschlusses, der am gestrigen Tag vom Nokia-Aufsichtsrat beschlossen worden war, NRW-Ministerpräsident Rüttgers und NRW-Wirtschaftsministerin Thoben informiert.
Die sichtlich betroffene Oberbürgermeisterin macht sich wenige Hoffnungen auf einen möglichen Erhalt des Werkes. Nun gehe es vor allem darum, dass die Mitarbeiter einen vernünftigen Sozialplan erhalten. Außerdem wolle man sich um den Erhalt einzelner, forschungsintensiver Abteilungen am Standort Bochum bemühen. Immerhin gäbe es eine enge Kooperation mit der Uni-Bochum. Nokia-Vertreter machten indes auf einer Informationsveranstaltung innerhalb des Betriebes klar, dass es keine wichtigen Kooperationen mit Hochschulen in Europa gäbe.
Scholz machte deutlich, dass Bochum sich in den vergangenen Jahren intensiv um Nokia bemüht habe. Ob Erschließungen oder Lärmschutz zur Vermeidung von Konflikten mit den Anwohnern – Bochum hätte sich stets stark für das Werk engagiert.
Der Bochumer Wirtschaftsdezernent Paul Aschenbrenner war ebenfalls von der Entwicklung enttäuscht:
"Hier wurde mit einem Federstrich eine jahrelange Zusammenarbeit beendet."
Es müsse nun darum gehen, deutlich zu machen, mit welchen Summen die neuen Werke in Osteuropa aus Deutschen Steuergeldern finanziert worden seien. Ein Nokia-Mitarbeiter:
"Wir haben mit unseren eigenen Steuerzahlungen viel Geld für die Abschaffung unserer eigenen Arbeitsplätze bezahlt."
Am Freitag werden OB Scholz, Wirtschaftsministerin Thoben und Arbeitsminister Laumann in Bochum zusammen treffen, um das weitere Vorgehen abzustimmen.
Gute Psychopathen, schlechte Psychopathen
Hmmm…
Motortown muss ein wichtiges Stück sein. Im Foyer ist es brechend voll, der Zuschauerraum ebenfalls. Schräg vor mir sitzt der Kulturdezernent Michael Townsend, er wird vom Intendanten Elmar Goerden per Handschlag begrüßt. Nach der Vorstellung blockiert Townsend den Ausgang, als er dem WDR-Mann ein Statement zur Premiere gibt. Die Mannschaft des Bochumer Schauspielhauses hat gespielt, trainiert wurde sie von Regisseur Dieter Giesing, und Beckenbauer aka Townsend diktiert warme Worte ins Mikro. Dann habe ich die blaue Schaumstoffkugel vor der Nase und meine Worte sind frostig. Das Stück und die Inszenierung sind kurzweilig, aber es steckt wieder wenig dahinter. Wieder ein neues Stück, das zu kurz und zu oberflächlich ist.
Ein britischer Soldat, der im Irak stationiert war, kehrt zurück in die englische Provinz und verhält sich wie ein Psychopath. Aha. Der Taxi Driver ist wieder da, nur dass er im Irak war und nicht im Vietnam und Brite statt Amerikaner. Autor Simon Stephens behandelt ein bekanntes Thema, das aber leider zeitgemäß in kleinen, zu leicht verdaulichen Häppchen serviert wird. Blackouts und laute „Umbau“-Musik (gebaut wird da gar nichts, die Schauspieler stellen sich auf ihre Position auf der Bühne) trennen die einzelnen Szenen.
Danny kommt aus Basra zurück und erfährt von seinem autistischen Bruder, dass ihn seine Ex-Freundin Marley nicht mehr sehen will. Manchmal lohnt es sich, ein Programmheft zu kaufen, denn Alexander Maria Schmidt spielt den Bruder debil, aber keineswegs autistisch, was er laut Stephens‘ Inhaltsangabe im Programm sein soll. Verantwortlich für Marleys abweisendes Verhalten sind Dannys Briefe, die er ihr aus Basra geschrieben hat, Briefe, die so schrecklich sind, dass sie wieder und wieder im Stück erwähnt werden. Diese Briefe bleiben indes ein Mysterium, der Zuschauer erfährt nicht genauer, was Danny schreckliches erlebt hat, er darf nur miterleben, was Danny schreckliches tun wird. Er kauft sich eine Waffe, lässt sie auf scharfe Munition umrüsten und richtet anschließend die 14jährige Lolita-Freundin des Waffen-Tuners hin. Nachdem er sie erschossen ist, wird die Bühne wieder dunkel und aus den Lautsprechern ertönt Suzi Quatros Stumblin’ In.
Ohne Popmusik wäre das deutsche Regietheater sicherlich um ein paar sichere Pointen ärmer. In der nächsten Szene sehen wir Helen, die Medienschlampe in der durchsichten Bluse und ihren Mann, den Vertrauenslehrer Justin. Martin Horn gibt einen prächtigen Vertrauenslehrer ab, dem man allerdings das Interesse an frivolen Dreierspielchen nicht abkauft. Ausgerechnet Danny suchen sie sich dafür aus, doch er geht nicht mit aufs Hotelzimmer, sondern zurück zu seinem Bruder.
Einmal kurz nicht aufgepasst – und schon hat man den Schluss nicht verstanden. Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht, und wer falsch steht, schaut einfach noch mal ins Programmheft rein, da steht die Auflösung drin. Nach nur 70 Minuten spendet das Publikum begeisterten Applaus, der für das Ensemble, allen voran Sascha Nathan als Danny wohl verdient ist, sie können ja nichts dafür, was Stephens geschrieben hat, beziehungsweise, was er leider alles weggelassen hat.
Motortown wurde in der Kritikerumfrage von Theater Heute 2006 zum »Ausländischen Stück des Jahres« gewählt, was schön ist für den Autor und die Bühnen, die es aufführen und sich somit über eine Menge Zweifel erhaben glauben, aber schlecht für das Theater an sich. Wenn das die beste verfügbare Gegenwartsdramatik ist, muss sich das Medium Theater der Frage nach seiner Daseinsberechtigung stellen. Stephens und Giesing liefern schöne Bilder, aber das reicht nicht. Bunte Bilder, laute Musik und brutale Morde bekommt der Film besser hin.
Mach dir ein paar schöne Stunden, geh ins Kino, die haben einfach die besseren Psychopathen.
Crange vor Oktoberfest
Die Cranger Kirmes ist größer als das Münchener Oktoberfest – zumindest was die Zahl der Besucher pro Tag betrifft – so die Stadt Herne. Diese Nachricht überrascht kaum, steht doch Münchens Ruf als Partymetropole im krassen Widerspruch zur faden Realität in der Bayern-Hauptstadt. Zwar jagen im P1 noch immer abgehalfterte Torwarte dickbrüstigen Klippschülerinnen hinterher, aber ansonsten ist in der Innenstadt tote Hose: Wenn in Bochumer Kneipen das Licht angemacht wird, haben in München schon die meisten Lokale wieder geschlossen. Die Zeiten, in denen Münchens Kneipenmeile Schwabing noch eine Legende war, liegen so lange zurück wie der Bergbauboom, und wer weiß, in wie vielen Bierkrügen in Wirklichkeit Kamillentee vor sich hin schwappt. Wenn jetzt noch Schalke Meister wird, ist die Welt wieder in Ordnung.
Angst vor dem Tod habe ich nicht, aber…. Teil II
Was hatten Sie zu der Zeit von ihm gelesen?
Gelesen hatte ich damals von ihm die „Verstörung“ und die Kurzgeschichten. (Längere Pause) Das waren ganz wunderbare Sachen.
Bernhards Werk wird ja oft als düster bezeichnet…
(Unterbricht) Na ja, düster ist es nicht Es ist nur düster, wenn man es so liest. Es ist ein bisschen zynisch. (Überlegt) Österreichisch.
Einigen wir uns auf verstörend.
Ja.
Samuel Beckett war vom Werk Bernhards so verstört, dass er fragte: Wie lebt so jemand? Haben Sie Bernhard auch persönlich kennengelernt?
Wir waren einmal gemeinsam Essen. Natürlich in den drei Husaren. Sonst habe ich nur mit ihm telefoniert und bin mit ihm spazieren gegangen in Österreich. Sobald er den Mund aufkriegte, haben wir dann auch geplaudert.
Bernhard wird von Menschen, die ihn kennen lernten oft als menschenfeindlich und abweisend beschrieben. Wie haben Sie ihn erlebt?
Da war eine unglaubliche Distanz zwischen der eigenen Figur und dem Menschen Thomas Bernhard. Man kam gar nicht an ihn ran. Er hat immer so eine Art Schutzschild vor sich hergetragen. (Grinst) Aber das durchschaut man ja auch schnell und dann war’s auch nach einiger Zeit vorbei damit.
Das zentrale Thema der Kunst ist die Vergänglichkeit? Haben Sie Angst vor dem Tod?
Ich weiß auch nicht, ob ich Angst vor dem Tod habe. Ich habe nur Angst, dass es irgendwann vorbei ist. Wissen Sie, der Tod ist nicht das Problem. Dass dann aber Schluss ist, das ärgert mich und da habe ich keine Lust zu. Jedenfalls jetzt noch nicht.
Ist für Sie die Kunst also eine Möglichkeit der Ablenkung von der Gewissheit…
(Unterbricht und zitiert aus dem Theaterstück:)
„Wie komme ich durch einen tagtäglichen Trick durch das Leben?“ (Lacht)
Nein, nein, Ablenkung ist es nicht. Mir hilft die Kunst Sachen zu durchdringen oder denen auf den Grund zu gehen dafür mache ich das auch alles, die ganze Schauspielerei. Das Ganze mache ich um irgendetwas zu kapieren.
Thema Alkohol: In der Aufführung vorhin hieß es: „Was man will einerseits, ist das was man dann gar nicht will andererseits.“ Stimmen Sie dem zu?
(Nimmt einen großen Schluck Rotwein, hebt die Hände und nickt heftig.)
Ja, ja: Was man will einerseits, ist das was man dann gar nicht will andererseits. Das ist ein schöner Spruch, wie nennt man das? Ein Aphorismus, mehr nicht. (Lacht)
Ist es echter Alkohol, den Sie auf der Bühne in Ihrer Rolle als Alkoholiker zu trinken haben?
Nein, das geht gar nicht. Ich habe lange in der Requisite gearbeitet. Man muss dann halt gut mischen und Johannisbeersaft mit Leitungswasser als Rotwein trinken.
Dazu eine Anekdote: Damals bei der Uraufführung 1972 in Salzburg sagte ich dem Regisseur, dass ich eine echte Flasche Champagner Dom Pérignon auf der Bühne servieren möchte. Damals kamen wir von der Schaubühne, ein linkes Theater, damals waren wir als Kommunisten verschrien, so dass es dann am nächsten Tag auf der Titelseite der „Kronenzeitung“ hieß: Die Roten trinken Champagner!
Dabei haben wir den gar nicht getrunken, sondern den Bühnenarbeitern gegeben.
Wim Wenders sagte über sie: Otto heute ist nicht Otto gestern und Otto morgen ist wieder ganz anders. Welchen Otto Sander haben wir heute Abend gesehen?
Ich habe auf der Bühne über den Bernhard-Minetti-Preis nachgedacht.
Auf der Bühne, während des Spielens?
Natürlich, es waren ja viele Pausen dazwischen. Dann habe ich so ins Publikum geschaut. Das sieht man ja nicht, da ich die Blindenbrille aufhabe. Und dann ging mir einiges durch den Kopf. Warum eigentlich noch mal. Was soll das alles? Das war jetzt aber nicht zynisch gemeint. Ich habe ja alles schon gemacht, warum heute noch mal? Aber dann denke ich wieder, es gibt noch einige Menschen, die das sehen wollen, und dann schleppt man sich eben wieder von Berlin nach Bochum.
Wenn Sie in Bochum spielen, ist die Vorstellung fast immer ausverkauft.
Ja, weil ich das Publikum mag und versuche mit dem Publikum indirekt Kontakt aufzunehmen. Ich möchte eine Geschichte erzählen, mehr nicht. Ich will keine Weisheit verkünden. Oder den Weg weisen. Vielleicht kann das Publikum damit etwas anfangen. Ich will, dass Theater unterhält und Lust macht.
Ich war vor ein paar Jahren hier in Bochum am Matthias-Claudius-Gymnasium und habe mit den Schülern Gedichte geübt. Habe erst einmal die Deutschlehrerin rausgeschickt, was die Schüler natürlich ganz toll fanden. Es geht darum die Lust an der Literatur lebendig zu machen, mehr ist das nicht. Literatur muss Spaß machen.
Sie können sich die Theater aussuchen, an denen Sie spielen möchten. Sie könnten jederzeit in Wien, Zürich oder in Berlin arbeiten. Und dennoch kommen Sie seit Jahren regelmäßig nach Bochum. Was mögen sie hier?
Es liegt an dem Publikum, ich weiß nicht wie das kommt, entweder mögen die hier Theater oder sie haben Lust auf Theater. Das Publikum geht derartig mit und ist so aufmerksam, wie ich es in keiner anderen Stadt erlebt habe. Das muss ich echt sagen. Auch in Berlin nicht. Dort weiß das Publikum alles besser als die Agierenden auf der Bühne. Pfeift immer und lacht an den falschen Stellen, um zu zeigen, dass man einen Fehler gemacht hat. Während hier Aufmerksamkeit herrscht. Das Publikum atmet Sympathie zurück. Nachher können sie dann buhen, das ist ja egal, aber erst einmal wird zugehört und aufmerksam betrachtet, was man da so macht.
Steht schon fest, ob sie 2009 in Bochum auftreten werden?
Nein, es hat mich noch keiner angerufen. Privat lese ich zurzeit nur Drehbücher. Die lege ich dann aber zur Seite, drehe sie um und benutze sie als Faxpapier. Das Stück „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ wird aber noch im Januar, Februar und März in Bochum zusehen sein. Dann möchte ich hier noch eine kleine Lesung machen. Robert Musil „Tonka“, das ist eine tolle Erzählung.
Sie haben bereits als Jugendlicher Ihren Eltern im Wohnzimmer Becketts „Das letzte Band“ vorgespielt und dann auf Band aufgenommen, dieses dann aber vor Jahren verloren. Haben Sie das Band von damals inzwischen gefunden?
Nein, eben nicht. Immer noch nicht. Aber ich habe das Stück in Bochum und Berlin gespielt. Es macht mir irrsinnigen Spaß, weil ich dann immer noch an den Altmeister Beckett denken muss.
Wann spielen Sie Beckett wieder in Bochum?
Es ist nichts geplant. Aber rufen Sie hier mal bei Herrn Goerden (Intendant des Schauspielhauses) an und sagen: „Ich möchte das Stück noch mal sehen. Bitte laden Sie Herrn Sander ein!“ Herr Sander kommt dann sofort.
Sie sind am Montag hier in Bochum ausgezeichnet worden mit dem Bernhard-Minetti-Preis. Was bedeutet Ihnen der Preis?
Das ist eine große Ehre für mich. Aber fürs Lebenswerk ist noch etwas zu früh. So alt bin ich noch nicht. Aber so ist das nun mal. Wenn man Ende sechzig ist, dann kommt das schon mal. (Lacht)
Sprechen wir über Ihre Studienzeit. Wie haben Sie diese damals erlebt?
Der Apparat war mir zu kompliziert. Das war in München und bis man sich da eingeschrieben hatte, musste man Schlange stehen. Ich war damals nicht fleißig genug. Ich habe gesagt, endlich bin ich frei, kann machen was ich will. Wie man so ist Anfang 20. Schon war die Zeit rum. Ich hätte mehr machen können. Da saß ich in der Bibliothek, das weiß ich noch heute, und habe die Aufführungsgeschichte der „Maria Stuart“ studiert. Ich wollte aber in die Praxis, nicht hinter Büchern hocken bleiben und bin dann parallel zur Schauspielschule gegangen. Morgens zur Universität zum Studium und Abends zum Schauspielunterricht. Das war wirklich toll, dass ich in der Uni sagen konnte, dass ich der Einzige bin, der die Theorie und die Praxis versucht unter einen Hut zu bringen.
Sie haben vor einigen Jahren die „Essais“ von Montaigne gesprochen und als Hörbuch herausgebracht. War der französische Philosoph Gegenstand Ihres Studiums?
Nein, das nicht. Aber in den Essais von Montaigne steht alles. Wenn er einen Schluck Rotwein getrunken hat, hat er sich darüber drei Seiten ausgelassen. Wenn er auf die Toilette gegangen ist, hat er auch da wieder drüber nachgedacht. Das fand ich sehr humorvoll und witzig. Dann gibt es von ihm auch noch das „Tagebuch einer Reise nach Italien“. Das habe ich alles gelesen damals.
Sie waren als junger Erwachsener bei der Marine, Ihr Vater war im zweiten Weltkrieg Verbandsingenieur der ersten Schnellbootdivision. Haben Sie deshalb vor kurzem die „Orkanfahrt“ aufgenommen, in der Sie die Seefahrts-Geschichten von Kapitänen sprechen.
Jawohl! Natürlich hat das damit zu tun. Mein Vater hat mich als ich vierzehn war auf die Segelschule geschickt, dass ich segeln lerne. Dann war ich bei der Marine und wenn man da immerhin anderthalb Jahre zubringt, bleibt das schon hängen. Und wenn alte Kapitäne von ihren Abenteuern erzählen…
Die Seefahrt hat mich immer schon interessiert. Man muss sich vorstellen, dass zwei drittel der Erde aus Wasser besteht und nur ein drittel aus Land. Dann ist die Frage: Wie kommt man von einem Ende an das andere. Auf See kann man in die Sterne gucken. Oder in den Sextanten schauen. Das ist ein Faszinosum auf offener See, nichts als Wasser um einen herum. Wie findet man sein Ziel? Das fasziniert mich immer noch.
Auch der von Ihnen geliebte Joachim Ringelnatz fuhr zur See…
Der wurde eingezogen und war dann in Wilhelmshaven als Soldat. Da gibt es von ihm das schöne Buch „Als Mariner im ersten Weltkrieg“. Ein wunderbares Buch mit so schönen Anekdoten über das normale Leben an Bord und den Alltag bei der Marine. Ringelnatz lebte in Berlin und hat dann später die Leute so liebevoll beobachtet. Auch diejenigen, die durch das soziale Netz gefallen sind und an der Straßenecke rumhingen. Das finde ich noch heute ganz wunderbar.
Zu Ihren schönsten und auch erfolgreichsten Hörbüchern gehört Joachim Fests Autobiographie „Ich nicht“. Wie kam es dazu, dass Sie die Autobiographie des großen Historikers und FAZ-Herausgebers sprachen?
Mit Fest habe ich oft über das Theater und die Oper gesprochen. Dann kam sein Sohn eines Tages auf mich zu und sagte: „Ich habe hier eine Notiz von meinem Vater, mit Füller geschrieben: Wenn das jemals irgendwer liest, dann nur Otto Sander.“ (Otto Sander setzt ein beeindrucktes Gesicht auf) Und schon hatte ich das Ding am Hals und habe gesagt, dass ich das ihm zuliebe mache. Manchmal bin ich nicht einverstanden, mit dem was man da aufzeichnet. Aber dies gefiel mir, das ist wirklich gelungen.
Gibt es eine Rolle, die Sie noch nicht gespielt haben, die Sie sich aufgehoben haben für das Alter?
Bewusst nicht, ich habe ja nichts abgelehnt. Aber König Lear und Richard III, um nur zwei zu nennen, möchte ich schon noch machen.
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Lammert: Ruhrbezirk kommt
Nobert Lammert
Udo Siepmann, Hauptgeschäftsführer der IHK-Düsseldorf, hat sich hinter die Politik der Landesregierung gestellt, in NRW die Zahl der Regierungsbezirke von jetzt fünf auf drei, je einen für das Rheinland, das Ruhrgebiet und Westfalen, zu reduzieren. Er erhofft sich davon für das Rheinland Vorteile in der Präsentation nach außen und sieht in der aufkeimenden Zusammenarbeit der Städte im Ruhrgebiet eine für das Rheinland immer größer werdende Konkurrenz.
Indes glaubt Norbert Lammert, Chef der Revier-CDU und Bundestagspräsident, dass der Zug in Richtung Ruhrbezirk nicht mehr zu stoppen ist. Gegenüber der WAZ erklärte Lammert, das Land hätte längst mit dem Umbau der Behördenstruktur begonnen – Widerstand dagegen sei sinnlos.