Piraten: Das Problem der Mitgliederversammlung

Piratenparteitag in Bochum

Heute begann der Bundesparteitag der Piraten in Bochum. Bei den Piraten entscheiden die Mitglieder direkt, es gibt keine Delegierten.

Kai Schmalenbach, Landtagsabgeordnete der Piraten in NRW ist zufrieden: „1.841 Piraten in Bochum. Ruhrkongress gemietet, Hotels ausgebucht, Restaurants  voll – wir bringen mehr  Geld wieder in die Stadt, als Steinbrück gekostet hat.“ Das die Piraten die nach Bochum gekommen sind, nicht repräsentativ für die Partei sind weiß Schmalenbach und er sieht es auch als Problem an. In NRW gehört er zu einer Arbeitsgruppe, die plant, Landesparteitage parallel an zwei Orten im Land stattfinden zu lassen, um die Anfahrtswege der Mitglieder zu verkürzen und mehr von ihnen die Teilnahme zu ermöglichen.

Auf Bundesebene ist das Problem noch größer: Von den 1.841 Mitgliedern, die auf dem Parteitag wahlberechtigt sind, – von den 34326 Mitgliedern sind das theoretisch ohnehin nur 19624, der Rest hat seine Mitgliedsbeiträge nicht gezahlt –  kommen 596 aus NRW. Drei Prozent aller Mitglieder des Landesverbandes. Sie bestimmen das Bild und die Abstimmungsergebnisse. Aus Bremen, nur gut zwei Autostunden von Bochum entfernt, kamen nur 14 Mitglieder – 0,1 Prozent des dortigen Landesverbandes. Petra Sorge schreibt auf Cicero.de von einer „Oligarchie der Zeithaber„.

Das ist richtig: Man braucht Zeit, um an einem Parteitag teilnehmen zu können. Aber auch Geld für die Fahrt, das Hotel, die Restaurants – bei anderen Parteien bekommen die Delegierten die Kosten erstattet. Sicher, die Mitglieder auf dem Piratenparteitag unterscheiden sich von der grauen Masse der mittleren Funktionäre, die bei auf anderen Parteitagen das Bild bestimmen und sie tun es nicht durch die erwartete „Buntheit“. Zwar verlaufen die Diskussionen oft schleppend, verhakelt man sich in Geschäftsordnungsdebatten und gebiert der Berg nach langen Kreisen kaum mehr als eine Maus, aber der Umgang miteinander ist Konstruktiv, nur selten ideologisch und aggressiv.

Trotzdem: Die die heute in Bochum sind repräsentieren kaum die Partei. Sie sind nur ein Ausschnitt und durch nichts anderes legitimiert als durch ihr Engagement. Die Piraten müssen an der Lösung dieses Problems arbeiten: Mehrere Parteitage parallel, wie es Kai Schmalenbach vorschwebt oder virtuelle Parteitage, an denen jeder Teilnehmen kann, der möchte. Die Idee dazu gibt es bereits: Die permanente Mitgliederversammlung. Doch an der würden wieder vor allem die teilnehmen, die bereit sind, viel Zeit in das Projekt zu investieren. Wie bei allen Parteien ist das nur eine Minderheit – die Basis ist eher passiv. Hat sie das Gefühl, nicht gehört zu werden,  wird es irgendwann ein Problem geben. Wer sich kleine formalen Strukturen gibt, ermöglicht informelle Strukturen. Demokratischer ist das nicht.

Mehr zu Piratenparteitag in Bochum:

 Spiegel Online: Liveticker

Welt: Wir sollten die Piraten ernst nehmen 

Cicero: Offline-Parteitag gibt sich Wirtschaftsprogrämmchen

FAZ: In der Parteiblase

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petschbot
11 Jahre zuvor

Als ehemals aktives Mitglied der SPD kann ich sagen: Die Oligarchie der Zeithaber gibt es in jeder Partei. In den beiden Großen sind es die Rentner und – mit abnehmender Tendenz da steigender Arbeitslast – die Lehrer. Und die bestimmen die Termin- und Zeitpläne samt Stilblüten wie Fraktionsbesprechungen in kommunalen Gremien um 14 Uhr, Ortsbegehungen um 9 Uhr oder Parteisitzungen um Punkt 17 Uhr. Für den durchschnittlichen Arbeitnehmer kaum zu machen, besonders wenn die Zeithaber nicht nur die Uhrzeiten sondern auch die Sitzungsfrequenzen vorgeben. Das Ergebnis ist die bekannte personelle Schräglage, insbesondere auf der ehrenamtlichen Ebene.

TuxDerPinguin
TuxDerPinguin
11 Jahre zuvor

Ich hab Termine da etwas flexibler wahrgenommen als Kommentator #1. Aber zumindest gabs immer recht zeitnah Protokolle, sodass man über alles informiert war und sich über Diskussionsverteiler per Mail einbinden konnte, wenn man schon nicht anwesend ist. Also Möglichkeiten gibts immer auch gehört zu werden.

Die Piraten täten gut daran, sich mehr von den etablierten Parteien abzugucken. Delegiertensysteme oder „Fraktionszwänge“ haben sich aus Gründen der Praktikabilität einfach hervorgetan. Das sind die effizientesten Mittel zur Mitbestimmung eben.

Gerade weil man Delegierten auch die Kosten erstatten könnte… wobei die Piraten ja Probleme bei der Buchführung haben sollen, nicht alle doppelte Buchführung machen wollen, man nicht volle Kostenerstattungen bekommt, weil zu wenig Mitgliedsbeiträge gezahlt werden etc… es würde vieles einfacher machen.

Die Strukturen zu professionalisieren, nachdem diese Partei bereits jahrelang existiert, wäre dringend angebracht, um mit dem Mitgliederansturm noch irgendwas Produktives über die Bühne zu bekommen.

Mir kommt es aber so vor, dass Piraten ziemlich Politikerverdrossen sind. Und auch ihre eigenen Politiker nicht vertrauen. Das sind man daran, dass viele Abgeordnete von ihnen gesagt haben, dass sie von ihren Diäten nichts der Partei spenden wollen.. höchstens für konkrete Projekte… so viel Vertrauen, dass ihre Parteikollegen damit sinnvoll umgehen, scheint also nicht vorhanden. Dasselbe gilt für öffentliche Stellungnahmen. Weichen persönliche Meinungen von der Mehrheit der Partei ab, kanns böse Shitstorms geben… mit einem solchen Misstrauen kann eine Partei aber nur schwerlich funktionieren.

S. Sauimend
S. Sauimend
11 Jahre zuvor

Schade, das Sie nachweislich nicht dort waren Herr Laurin.

Jan
Jan
11 Jahre zuvor

Das hast Du Dir doch bloß im Nikotinrausch zusammenphantasiert Stefan. Du warst bestimmt bloß wieder im Stadtpark. 😉

Aber mal ernsthaft: Das ist ein extrem wichtiges Thema, was leider inzwischen bei den Piraten ähnlich unbeachtet ist wie bei den Grünen. So jedenfalls mein Eindruck. Demokratische Mitbestimmung muss mehr sein als ein bloßes Angebot. Es muss die reale Chance für jeden Menschen sein, sich gestaltend an seiner Umwelt zu beteiligen. Politische Entscheidungen sollten nicht nur von denen getroffen werden, die sich auf Basis einer Parteimitgliedschaft positionieren.

Bis hierhin sind sich die meisten Grünen und Piraten sicher einig. Doch in beiden Parteien wird dann zu wenig weitergedacht. Wie muss der Arbeitsmarkt gestaltet werden, damit wirklich jeder Mensch real die Möglichkeit zur Mitbestimmung hat? Wie muss Kinderbetreuung aussehen? Wie erreichen politische Gremien die Menschen? Wie kann es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen freien Parlamentariern (die nur ihrem Gewissen verpflichtet sind) und einer direkten Demokratie geben? Wie werden Beteiligte in kommunalen Fragen herangezogen? Wie in deutlich abstrakteren bundes- oder europapolitischen Fragen? Sind medial aufgeheizte und polemisierte Volksentscheide eine echte Perspektive? Wie geht man mit politischen Themen um, die ein hohes Maß an Vertraulichkeit erfordern? Werden diese einfach undemokratisch entschieden? Oder gibt es andere Wege?

Auf die meisten Fragen habe ich keine Antworten. Ein Anfang könnte das Bedingungslose Grundeinkommen sein in Verbindung mit einer Orientierung hin zu mehr Halbtagsarbeit. Wenn man bedenkt, wie viele Abläufe gerade in der Industrie automatisiert ablaufen, ist das meiner Meinung nach ein Ideal, das mittelfristig ökonomisch auch umsetzbar ist. Aber eine breite Mitbestimmung und ein möglichst großes Maß an Freiheit benötigt eben auch Strukturen, auf die man sich verlassen kann. Dieses Verständnis fehlt gerade in den aktuellen Debatten der Piraten.

Kai Schmalenbach
Kai Schmalenbach
11 Jahre zuvor

@3 wie sieht dieses nachweislich aus? Bitte inklusive des Nachweises, dass ich mir das eingebildet habe 🙂

Das Problem der Teilhabe gibt es so oder anders in allen Parteien. Der Unterschied bei uns ist, dass wir uns des Problems annehmen, da gerade das ein Fokus ist, den wir auf die Demokratie haben. Es gibt dazu verschiedene Lösungsansätze, wie oben beschrieben und sie werden ernsthaft diskutiert. Ich gehe davon aus, dass wir langfristig eine Lösung finden, mit der sehr viele zufrieden sein werden, nicht alle, aber hey, das zu glauben wäre auch illusorisch.

Martin Schröder
11 Jahre zuvor

Die Piraten sind eine Partei zur Simulation innerparteilicher Demokratie durch häufiges Abhalten von Mitgliederversammlungen (das Geld dafür fehlt natürlich bei den Wahlkämpfen oder für die Parteiorganisation). Mitgliederversammlungen als einzige Mitwirkungsmöglichkeit auf Landes- oder Bundesebene sind schon in Flächenländern nicht mehr demokratisch (NRW ist GROSS – warum müssen Mindener zur MV nach Aachen fahren?), auf Bundesebene sind sie eine Farce.

Daß Demokratie in dieser Republik rückholbare Delegation auf Zeit bedeutet, werden die Piraten leider erst zu spät lernen. Bis dahin huldigen sie dem Götzen „Basisdemokratie“.

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