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Jüdische Gemeinde Berlin: Petition gegen „autokratische“ Verhältnisse

Die Neue Synagoge in Berlin, Oranienburgerstraße /Foto: Andreas Praefcke (CC BY 3.0)
Die Neue Synagoge in Berlin, Oranienburgerstraße /Foto: Andreas Praefcke (CC BY 3.0)

Die Jüdische Gemeinde in Berlin kommt nicht zur Ruhe. Jetzt gibt es eine Petition für Demokratie nach einem fragwürdigen Abstimmungs-Verfahren. Von unserem Gastautor Max Doehlemann.

Dass es in der jüdischen Gemeinde zu Berlin seit Jahren nicht besonders harmonisch zugeht, ist kein Geheimnis. So muss eine erstaunte Öffentlichkeit seit Jahren mit ansehen, wie hässliche interne Auseinandersetzungen (aber auch externe, mit dem Berliner Senat) das Bild der größten jüdischen Gemeinde in Deutschland prägen. Nach einer Zeit relativer Ruhe unter Lala Süsskind, die von 2008 bis 2012 als Vorsitzende agierte, kam dann 2012 bereits zum zweiten Mal der Unternehmensberater Dr. Gideon Joffe an die Macht. Schon einmal, von 2005 bis 2008 hatte dieser die Rolle als Vorsitzender inne gehabt. Während Süsskinds Regierungszeit war er zwischenzeitlich als Geschäftsführer des Berliner Sozialunternehmens „Treberhilfe“ tätig, das wegen dubioser Geschäftspraktiken und der nachfolgenden Insolvenz bundesweit in die Schlagzeilen geraten war. Seit Joffes zweiter Amtszeit ist die Berliner Gemeinde jedoch in einem nicht gekannten Ausmaß von schweren Turbulenzen gebeutelt. „Wie in Weißrussland“, „autokratisch“, „antidemokratisch“ sei Joffes Regierung, so zahlreiche gemeindeinterne Stimmen.

Handfeste Auseinandersetzungen

In vielen Bereichen – etwa Personalpolitik, Umgang mit Gemeinde-Institutionen wie Synagogen, Schulen, dem Altersheim – hat Joffes Führungsstil bei zahlreichen Beteiligten für größten Unmut gesorgt. Als absoluter Tiefpunkt gilt eine Schlägerei in der Repräsentanten-Versammlung, dem Gemeindeparlament, für die Joffes Vorstand im Nachhinein die „Opposition“ verantwortlich sieht – was jedoch nicht zu belegen ist. Willkürliche Hausverbote, Ausschaltung von gemeindeinternen Kontrollmechanismen, fehlende Transparenz bei wichtigen Entscheidungen – derlei diktatorisch anmutende Verhaltensweisen prägen seither intern das Bild der Gemeinde. Anfang des Jahres 2013 schließlich schloss sich eine Gruppe von Gemeindemitgliedern zu einer Neuwahl-Initiave zusammen. Laut Satzung muss ein Fünftel der Wahlberechtigten seine Stimme abgeben, dann sind Neuwahlen möglich. Im Dezember 2013 hatte die Initiative 1904 unterschriebene Neuwahl-Anträge gesammelt. Von diesen Unterschriften wurden notariell beglaubigte Kopien gefertigt und am 16.12. 2013 dem Vorsitzenden der Repräsentantenversammlung, Michael Rosenzweig, übergeben. Laut Rosenzweig hatte die Gemeinde zu dem Zeitpunkt 9122 wahlberechtigte Mitglieder. Ein Fünftel davon wären 1824 – diese Zahl wurde durch das Neuwahl-Begehren deutlich überschritten.

Autokratische Verhältnisse?

Nun hätte alles seinen formalen Gang gehen können – doch wenig später erhielten alle Unterzeichner des Neuwahlbegehrens einen Schrieb mit der Aufforderung, das Interesse an Neuwahlen nochmals zu bestätigen und ein beiliegendes Formular in sehr kurzer Frist zurückzusenden. Ansonsten könne das Votum nicht berücksichtigt werden. Durch dieses Vorgehen fühlen sich viele Gemeindemitglieder an Verhältnisse erinnert, wie man sie eher in Staaten der ehemaligen Sowjetunion vermutet als in Berlin oder überhaupt dem demokratischen Westen. Nirgends in der demokratischen Welt werden Wähler nach Abgabe ihrer Stimme gefragt, „ob sie es auch wirklich so gemeint hätten“.

Hier rächt sich, dass die jüdischen Gemeinden als Religionsgemeinschaften und Körperschaften des öffentlichen Rechts weitgehende Autonomie in der Frage genießen, wie sie sich selbst in Sachen Mitbestimmung, Verwaltungsabläufen und Organisation aufstellen. Daher ist es für Mitglieder praktisch nicht möglich, gegen fragwürdige Methoden Rechtsmittel einzulegen – deutsche Verwaltungsgerichte werden sich mutmaßlich für „nicht zuständig“ erklären. Da es keine übergeordneten Instanzen gibt, die einen Gemeindevorstand zurechtweisen könnten, ist es für Vorsitzende deutscher jüdischer Gemeinden möglich – vorausgesetzt sie haben sich gemeindeintern durchgesetzt – auf willkürliche und autoritäre Art ihre Gemeinde zu regieren und sämtliche demokratischen Standards mit Füssen zu treten. Ihre Hoffnung setzen die Initiatoren der Petition nun auf den Zentralrat der Juden, Dr. Dieter Graumann, an den sie appellieren, „mit all seinem Einfluss und seinem politischen Gewicht die größte jüdische Gemeinde Deutschlands, die deutsche Hauptstadtgemeinde, vor dem endgültigen Niedergang zu bewahren.“

Ein Ausgleich muss her

Unklar ist allerdings, wie der Zentralrat, der eine Art Dachverband der deutschen jüdischen Gemeinden ist – aber keineswegs weisungsbefugt gegenüber einzelnen Gemeinden – hier Abhilfe schaffen kann. Einerseits scheinen verbindliche, durchsetzbare Regeln, wie demokratische Mitbestimmung in deutschen jüdischen Gemeinden, dringender denn je. Andererseits gehört die verwaltungsrechtliche Autonomie zum Kernbereich dessen, was eine Religionsgemeinschaft in einer deutschen Rechtstradition ausmacht. Doch besteht dringender Regelungsbedarf: auch andere jüdische Gemeinden in Deutschland ringen mit vergleichbaren Konflikten, wenngleich vielleicht nicht mit der Härte und Verbissenheit wie die Berliner Gemeinde.

In diesem Konfliktfeld scheint tatsächlich der Zentralrat gefragt, für Ausgleich zu sorgen. Denn das „Wiederaufblühen jüdischen Lebens“ wird durch überflüssige innerpolitische Querelen schwer beeinträchtigt. Vielleicht wäre ja sogar die Berliner Gemeinde eines Tages zu befrieden.

Hier der Link zur Petition: http://demokratie-jgzb.org/

 

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