„Sie lügen! Sie lügen!“

Jan und Aleida Assmann anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 2018 Foto: Martin Kraft (photo.martinkraft.com) Lizenz: CC BY-SA 3.0

Der Tag gestern, Storyboard für einen Horrorfilm: Eine Terror-Armee, nennen wir sie Hisbollah, feuert Raketen auf Israel, Schnitt. In Teheran sinnieren Mullahs über Israels Vernichtung, Schnitt. In Magdeburg doziert Stephan Balliet darüber, warum er „so viele Juden wie möglich“ ermorden möchte. Schwenk auf die Richterin, sie verliest das, was  –  so berichtet es Welt.de  –  Claudia Balliet schrieb, die Mutter des Killers: „Sie lügen! Sie lügen! Die Juden. Die Juden.“ Schwenk, Poststelle des Bundeskanzleramtes: 60 Intellektuelle reklamieren das Recht auf „Israelkritik“ für sich. Von unserem Gastautor Thomas Wessel.

Alles an einem Tag, schwer, die Fassung zu bewahren. Unter den 60 Intellektuellen, die sich gegen die „Unterdrückung legitimer Kritik“ ins Feuer werfen, weil das „menschenverachtende Ausmaß“ dieser Unterdrückung bereits zur Publikation eines Buches geführt hat, sind hoch respektable Schriftsteller wie Christoph Hein und Ursula Krechel, Sten Nadolny und Ingo Schulze, man greift sich an den Kopf. Leute, die imstande sind, mit Sprache sorgsam zu hantieren, weil sie wissen, dass sich in der Sprache eine Wirklichkeit auftun könnte, die wirklicher sein könnte als die, die vor der Sprache bleibt, diese Hochbegabten behaupten, eine „Stimmung der Brandmarkung, Einschüchterung und Angst“ erspürt zu haben. Eine, die sich keineswegs gegen Juden, keineswegs gegen Israel, sondern gegen sie selber, die „Stimmen des Friedens und des Dialogs“ richte, diese Sprachkünstler schreiben ernstlich, es handele sich um „Brandmarkung“?

Ja. Genau wie Farid Bang es schrieb, dieser in seinem Echo-Raum gepriesene Sprachkünstler, der wusste, dass brandmarken auf polynesisch tätowieren heißt: „Mein Körper definierter als von Ausch.…“ Dieselbe Attitüde. Juden werden weggeschossen, es leiden die Dichter und Sänger, sie leiden an sich selbst.

Dabei sind Autoren und Autorinnen unter den 60, deren Werke ich hoch achte, Ursula Krechel beispielsweise hat ein eminentes über die Verfolgung der Sinti und Roma und über die Folgen der Verfolgung geschrieben. In der Musik geht mir das ähnlich, auch die der Young Fathers  –  jener BDS-Band, die Stefanie Carp für die Ruhrtriennale 2017 unbedingt mit Steuergeldern alimentieren wollte –  fand ich gut, Massive Attack und Patti Smith und ein paar andere BDS-Heroen haben eh Großartiges geschaffen. Jetzt die deutschen Literaten? Grass ist tot, die nächste Generation tritt an, hält die letzte Tinte noch ein wenig vor?

Man müsste sich die Mühe machen, die Geburtsjahre der 60 Intellektuellen aufzulisten, ich habe dazu keine Lust, Antisemitismus ist uralt. 130 000 Raketen hat die Hisbollah, 60 die „Israelkritik“, am Ende läuft es aufs Immergleiche hinaus: „Sie lügen! Sie lügen! Die Juden. Die Juden.“ Das ist der „gesellschaftliche Resonanzraum“, so hat es gestern Kati Lang genannt, Anwältin einer der Nebenklagen im Prozess gegen den Killer von Halle.

Furchtbarer Tag.

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Susanne Gunia
Susanne Gunia
4 Jahre zuvor

"Im Wahrheit gibt es letztlich nur ein einziges tragendes Motiv, sich mit Antisemitismus zu beschäftigen: ihm Widerstand entgegenzusetzen."

thomas weigle
thomas weigle
4 Jahre zuvor

,@Thomas Wessel DANKE!!!

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