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„Stärker hinschauen, auch hinhören, bei den Fragen, die im globalen Süden die Menschen bewegen“

Johannesburg in Südafrika. Blick vom Carlton Center in westliche Richtung Foto: Zakysant Lizenz: CC BY-SA 3.0


In seiner gestrigen Rede zur Eröffnung der Kunstausstellung Documenta in Kassel sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier „Trotz alledem müssen wir stärker hinschauen, auch hinhören, bei den Fragen, die im globalen Süden die Menschen bewegen.“ Das ist natürlich richtig. Sieben Milliarden Menschen leben auf diesem Planeten und bald werden es zehn Milliarden sein. Der Kommunikationstheoretiker Marshal McLuhan schrieb bereits vor 60 Jahren, dass die Welt durch moderne Kommunikationstechnologien zu einem Dorf wird. Es macht also Sinn, auf das zu hören, was der Nachbar sagt.

Nun ist globale Süden ein schillernder Begriff. Alan Posener schreibt im Blog Starke Meinungen „Der „globale Süden“ ist ein ideologischer Begriff, der selbsternannte Vertreter jener Länder und Völker meint, die von linkem Kongress zu linkem Kongress oder wie die indonesische Gruppe Ruangrupa, die zurzeit die Documenta – selbstverständlich ohne israelische Künstlerinnen – kuratiert, von Kunstschau zu Kunstschau jetten und aus dem schlechten Gewissen der Privilegierten ein Geschäft machen.“ Und wenn diese Gruppen vom globalen Süden reden, meinten sie, sagt Posener, nie die Länder, die ein gutes Verhältnis zu Israel haben.

Der globale Süden kann allerdings auch unideologisch als die Länder aufgefasst werden, die statistisch weniger wohlhabendend oder auch deutlich ärmer sind als die meisten Gesellschaften, die zum Westen gehören und wie Australien, Taiwan, Südkorea oder Neuseeland durchaus nicht nur in Europa und Nordamerika zu finden sind.

Der eine „globale Süden“ ist ein Konstrukt von Intellektuellen, die oft Demokratie und Kapitalismus gegenüber kritisch eingestellt sind und ihn für Auseinandersetzungen innerhalb des Westens benötigen. Der andere globale Süden ist eine die Menge von Staaten und Gesellschaften, in denen ein Großteil der Menschen lebt.

Wenn davon die Rede ist, der Westen solle mehr auf den globalen Süden hören, ist fast immer das für Debatten gut zu verwendende Konstrukt gemeint. Was die Menschen im Süden wirklich denken, ist denen, die vorgeben, für ihre Interessen zu streiten, vollkommen egal. Ihnen reicht es, dort ein paar gleichgesinnte Intellektuelle und Künstler gefunden zu haben, mit denen man gemeinsam um den Zugriff auf Steuermittel kämpfen und gegen Israel, den Westen, die Demokratie und Kapitalismus hetzen kann. Sowas verbindet und schafft tatsächlich stabile Allianzen über alle Grenzen.

Es ist heute allerdings kein Problem herauszubekommen, was die Menschen im „globalen Süden“ bewegt. Es gibt verschiedene weltweite Umfragen und ihre Ergebnisse sind nicht wirklich überraschend. Folgt man den World Value Survey, ist ihnen wirtschaftliche Sicherheit am wichtigsten. Darin unterscheiden sie sich nicht von europäischen Gesellschaften, bevor diese ein hohes Maß an Wohlstand erreichten.

Die meisten Menschen im „globalen Süden“ sind konservativ. Traditionelle Werte sind ihnen wichtig, sie sind, übrigens unabhängig davon, ob sie Christen oder Muslime sind, sehr religiös.

Afrikaner wollen Ihren Kindern vor allem Werte wie Fleiß und Gehorsam mitgeben. Sie haben einen großen Stolz auf ihre noch jungen Nationen. Neben Homosexuellen zu wohnen lehnen die meisten von ihnen ebenso ab wie Alkoholiker oder Drogenabhängige in ihrer Nachbarschaft. Die Korruption in ihren Staaten ist für sie ein Problem, vor allem Afrikaner trauen ihren eigenen Regierungen nicht.

Nach einer Umfrage des Weltwirtschaftsforums aus dem Jahr 2021 sind neben Corona Arbeitslosigkeit, Armut, Korruption, Kriminalität, Gesundheitsversorgung die fünf größten Probleme der Menschheit, von der ein großer Teil im „globalen Süden“ lebt.

Würde man also wirklich „bei den Fragen, die im globalen Süden die Menschen bewegen.“ hinhören, wie es der Bundespräsident fordert, müsste vor allem über Wirtschaftswachstum und Korruptionsbekämpfung gesprochen werden. Natürlich gibt es auch Antisemitismus in den Entwicklungsländern, aber er ist sehr unterschiedlich verbreitet: In Ozeanien haben 12 Prozent der Menschen antisemitische Einstellungen, in den beiden Amerikas 19 Prozent, in Westeuropa, dem subsaharischen Afrika und Asien haben zwischen 22 und 24 Prozent und im Nahen-Osten und Nordafrika 74 Prozent. Eine gesonderte Umfrage unter westlichen Intellektuellen und Künstlern zu diesem Thema habe ich nicht gefunden, aber in dieser Frage dürften sie dem Nahen-Osten und Nordafrika in kaum nachstehen.

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Reginald
Reginald
1 Jahr zuvor

Alles was nicht mehr weiterwächst wird absterben Das ist nunmal ein Naturgesetz.Zu glauben dass sich Europa abschotten kann und in Europa Friede,Freude Eierkuchen gelebt werden kann ist hanebüchener Unsinn.Ja Europa hat in der Merkel dominierter Regentschaft über Europa den Bezug zur weltweiten Realität verloren.Wenn jetzt nicht sofort entgegengesteuert wird,dann gibt 3s bald kein Europa mehr.

Robert Müser
Robert Müser
1 Jahr zuvor

Interessant …

Was möchte uns #1 mit seinem
Kommentar sagen?

Und wie soll denn nun in Zukunft reagiert werden?

Ur-Opas Sturmtruppen wieder nach Afrika schicken?

Oder

Die Tore Europas (Prinzip: Deutschland wird bunt und ich freue mich darauf) extra weit aufsperren?

Oder

Etwas ganz anderes?

Und was hat die ehemalige Kanzlerin damit zu tun?

Rätsel über Rätsel …

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