Jetzt, wo die Rechten mal keinen Obst und Gemüse-Türken erwischt, kein Flüchtlingsheim angezündet, keinen Juden, Schwarzen, Araber auf der Straße zusammengeschlagen haben…
… jetzt, wo sie einen offiziellen deutschen Regierungspräsidenten getötet haben:
Hört jetzt der Scheiß mit diesem „aber die Linken“ endlich auf?
Hört jetzt der Scheiß mit dem „verwirrter Einzeltäter“ auf?
Hört jetzt die ganze Apologetik für die Gewalt von rechts („nur besorgte Bürger“) endlich mal auf?
Hören jetzt die skandalösen Urteile gegen versuchte Mörder auf (Bewährungsstrafen für Brandstiftung an Flüchtlingswohnheimen, so gut wie kein Fahndungsdruck)
Hören jetzt die Vertuschungsversuche in den NSU-Untersuchungsausschüssen auf?
Hören jetzt die Kriminalisierungen von antifaschistischen Demonstrationen auf?
Wenig gewagte Prognose: Nichts davon wird aufhören.
Gerne würde ich irgendwas Witziges, Ausdrucksstarkes und überraschend Frisches darüber schreiben, wie ich die Situation in Deutschland derzeit erlebe, und darin dann auch auf das heutige Urteil im NSU-Prozess, das Überholen der SPD durch die AfD, den Suizid eines jungen Afghanen, Horst Seehofer und die allgemeine überhitzte Situation zu sprechen kommen. Allein: mir fällt nichts mehr ein.
Ich sitze jeden Tag immer geschockter da. Komme aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Habe immer mehr und plastischer den Eindruck, dass diese Demokratie mit großem Geschrei und ein wenig tätlicher Gegenwehr auf einen Abgrund zurast, den alle sehen und sich bemühen zu beschreiben, wie groß, wie tief, wie vernichtend er ist, aber nicht willens sind, wirklich etwas dagegen zu tun. Dann sind da die, die sich auf den Abgrund freuen, die ihn als Aufstieg sehen, auf eine neue Ebene. Des Deutschseins, des nationalen Selbstbewusstseins.
Auf dem Buchmarkt gibt es seit einigen Tagen eine spannende Neuerscheinung, die ich hier eigentlich schon seit Wochen dringend mal kurz vorstellen wollte, bisher aber leider noch nicht dazu gekommen bin. Dies soll sich hiermit nun ganz dringend ändern. Denn das Thema ‚NSU‘ ist bei den Ruhrbaronen ja schon seit Monaten sehr präsent und vieldiskutiert.
„Blutiger Boden, die Tatorte des NSU“, ein aktueller Bildband von Regina Schmeken setzt nämlich, passender Weise, genau hier an.
Sie hat die „Orte, die auf den ersten Blick keinerlei Spuren der Gewalt aufweisen und doch den Terror in sich tragen“ besucht und in Fotos dokumentiert.
Die erste richtige Folge unseres Podcasts widmet sich zunächst dem NSU-Untersuchungsausschuss. Wie langweilig ist das Ganze, was bringt es, und macht man sich über die Leute da lustig. Von dort geht es über den aktuellen Terror in Deutschland und Europa – oder ist es Terrorismus – bis hin zur Türkei, und den anstehenden pro- und contra-erdogan-Demos in Köln. In insgesamt drei Blöcken geht das Ganze über die Bühne. Zwischendrin bringt der eine Sebastian den anderen Sebastian zum nachdenken. Und die Jungle World wird empfohlen. Bier und Wein wird getrunken.
Das Intro und Outro ist nur eine Zwischenlösung, die Zwischenjingles vielleicht – was meint ihr?
Im Düsseldorfer NSU-Untersuchungsausschuss sagte heute Jerzy Montag aus. Montag war im Oktober 2014 vom Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags, dem Kontrollgremium über die Geheimdienste, als Sonderermittler eingesetzt worden. Er sollte die beinahe 20-jährige Tätigkeit Thomas Richters als V-Mann „Corelli“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz und die Umstände um „Corellis“ Tod untersuchen. Seit Anfang Juni hat er diese Position, mit neuem Auftrag, wieder inne: Er soll eine mögliche Vergiftung des V-Manns prüfen. Der Untersuchungausschuss aus Düsseldorf stellte ihm und der Staatsanwaltschaft Paderborn dafür die Protokolle der Vernehmung des Diabetologen Prof. Werner Scherbaum, der am 2. Juni vor dem NRW-Ausschuss ausgesagt hatte, zur Verfügung. Heute schilderte Jerzy Montag ausführlich das Leben von Corelli und seine Bezüge nach Nordrhein-Westfalen. Die V-Mann Tätigkeit Thomas Richters begann mit einem Besuch bei der Polizei in Bielefeld. Nach seinem Tod ermittelte die selbe Polizei. Von Alexandra Gehrhardt und Sebastian Weiermann
Thomas Richter wurde 1974 in Halle an der Saale geboren, in einem Vorort verbrachte er seine Kindheit und Jugend. Seine Schulbildung sei nicht außerordentlich gewesen, er besuchte das DDR-Gegenstück zur Volksschule und verließ diese ohne Abschluss. Anfang der 1990er Jahre zog Thomas Richter in das von Neonazis besetzte Haus in der Berliner Weitlingstraße (http://telegraph.cc/berliner-hausbesetzerinnen-geschichte-das-neo-nazi-haus-weitlingstrasse-122-in-berlin-lichtenberg/), wo er bundesweite Kontakte in die rechtsextreme Szene knüpfte. Die Weitlingstraße war zu dieser Zeit einer der bedeutendsten Fixpunkte. Kader aus Westdeutschland, von den Hamburgern Michael Kühnen und Christian Worch über den Niedersachsen Thorsten Heise bis zu Meinolf Schönborn und anderen Mitgliedern der „Nationalistischen Front“ (NF) gingen bei den neonazistischen Hausbesetzern ein und aus. Meinolf Schönborn und die NF schienen eine besondere Faszination auf Thomas Richter, der damals keine 18 Jahre alt war, gehabt zu haben. Corelli zog aus Berlin nach Detmold in das Hauptquartier der NF um, die Anfang der 1990er Jahre eine der konsequntesten rechtsextremen Organisationen war. Von ihr gingen Konzepte zur so genannten „Anti-Antifa“ und die Idee von „Nationalen Einsatzkommandos“ aus, die sich um gewalttätige Aktionen gegen politische Gegner kümmern sollten. Die „Nationalistische Front“ wurde 1992 verboten, die Kader arbeiteten allerdings in der Illegalität weiter. Im Haus des NF-Führers Meinolf Schönborn war „Corelli“ der „Junge für alles“, kümmerte sich um Reperaturen im Haus und auch um die Verteilung von Propaganda der illegalen NF.
1993 feierte Thomas Richter seinen 19. Geburtstag in Detmold. Hunderte Gäste seien erschienen, Jerzy Montag nennt sie das „Who is Who“ des damaligen Rechtsextremismus. Unter den Gästen waren auch Jan Werner, dem immer wieder eine Unterstützung des NSU vorgeworfen wird, und zwei Mitglieder der späteren Band „Gigi und die braunen Stadtmusikanten“. Sie sollten später das „Dönner-Killer“-Lied aufnehmen. Die Geburtstagsparty von Richter eskalierte, in der Nacht erschienen Hundertschaften der Polizei. Es gab Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Neonazis und das Haus wurde offenbar verwüstet. Meinolf Schönborn war von der Verwüstung offenbar nicht begeistert und forderte von „Corelli“, dass dieser die Schäden „auf Heller und Pfennig“ ersetze. Später gab es einen Zivilprozess in dem sich sowohl Schönborn als auch Thomas Richter von Szeneanwälten vertreten ließen.
Am Samstag sind knapp 1000 Neonazis durch den Dortmunder Westen marschiert. Von „HTLR“-Transparenten und „HKNKRZ“-Shirts war schon an anderer Stelle zu lesen. Aber ein Blick auf die Teilnehmer beim „Tag der deutschen Zukunft“ lohnt sich. Wir haben uns (nur) zwei Demonstranten aus Dortmund angeschaut, die besonders für rechten Terror stehen: Marko Gottschalk und Robin Schmiemann, zwei Neonazis aus dem Stadtteil Brechten.
„Hail to Combat 18 – Hail to the Terrormachine“ singt Marko Gottschalk in einem Song seiner Band „Oidoxie“. Und Gottschalk und seine Kameraden haben auch versucht, das Konzept von „Combat 18“ umzusetzen und eine rechtsextreme Terrorzelle in Dortmund aufzubauen. Schießübungen und eine Orientierung an den rassistischen „Turner Diaries“, in denen der Aufbau von Terrorzellen geschildert wird, prägten die „Combat 18“ Zelle. Sie soll über mehrere Pumpguns und eine Maschinenpistole verfügt haben. Auch Michael Berger, der im Sommer 2000 drei Polizisten und anschließend sich selbst umbrachte, soll an den Schießübungen beteiligt gewesen sein. Die Gruppe agierte dabei immer unter staatlicher Aufsicht, der V-Mann des Verfassungsschutzes Sebastian Seemann war Teil von ihr. Nachdem er aufgeflogen war, wurde ihm vom Verfassungsschutz eine neue Identität verschafft.
Der NSU-Ausschuss im Landtag von Nordrhein-Westfalen befragt heute Markus Weber. Weber leitete die Mordkommission im Fall des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße. Am Nachmittag soll Heribert Volker Seck befragt werden. Seck war stellvertretender Leiter des polizeilichen Staatsschutz in Dortmund als Michael Berger drei Polizisten ermordete. Sein damaliger Chef konnte sich in einer Befragung an beinahe nichts erinnern. (Unser Bericht.) Schon vor Beginn der Ausschusssitzung erklärte Sven Wolf, Vorsitzender des Ausschusses in einer Mitteilung, dass man sich ab Juni mit dem V-Mann „Corelli“ befassen werde. Wolf kritisierte das Bundesamt für Verfassungsschutz dafür das es eine Befragung des V-Mann Führers aus „nicht nachvollziehbaren Gründen“ ablehnte. (Mitteilung des Ausschusses.)
10:20 Uhr: Im Ausschuss wird der Kölner Polizist Markus Weber nach einem Hinweis Scotland Yards gefragt. Die britische Behörde hatte auf den neonazistischen Attentäter David Copeland hingewiesen. Ähnlich wie sein Kollege Szemeitat am 27. April (Unser Bericht.) erklärt der Zeuge das Copeland ja im Gefängnis gesessen habe und der Hinweis deshalb „keine neue Erkenntnis“ für die Ermittlungen gebracht habe.
10:35 Uhr: Heiko Hendriks (CDU) ist ein bisschen aufgebracht. Der Hinweis auf rechte Bombenleger käme ja nicht „aus der Eisdiele“ sondern von Scotland Yard. Weber antwortet das sei ihm klar. Die Relevanz habe die Spur aber nicht in den Ermittlungen gehabt. Hinweise auf die rechtsextreme Szene hatten für die Kölner Polizisten einfach nicht die Relevanz. Kontakte zu Staatsschutz und Verfassungsschutz habe es gegeben. Aus Sicht von Herrn Weber waren diese aber nicht so intensiv.
10:40 Uhr: Der Abgeordnete Hendriks ist schon nach einer halben Stunde im Polemik Modus. Es geht um eine Spur in die extreme Rechte auf die der Verfassungsschutz die Polizei hingewiesen hatte. Diese wurde schnell abgeklärt und zu den Akten gelegt. Weitere Hinweise beim Verfassungsschutz wurden nicht erfragt. Hendriks erklärt im Untersuchungsausschuss wäre man sehr froh über Hinweise vom Verfassungsschutz. Man habe Schwierigkeiten diese zu bekommen.
Im Februar sollte Toni Stadler erstmals im NSU-Ausschuss aussagen, doch der ehemalige V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutz meldete sich krank. Dies erschien den Mitgliedern des parlamentarischen Untersuchungsausschuss wohl nicht unbedingt glaubhaft, weshalb er heute von der Polizei abgeholt und im Landtag zwangsvorgeführt wird (Mitteilung des Ausschusses.). Stadler entstammt der Brandenburger Naziszene und gehörte zu den führenden Rechtsrock-Produzenten. Unter anderem hat er eine CD der Kultband „Landser“ mitproduziert. Später zog Stadler nach Dortmund. Dort will ihn „Heidi“, ein Vertrauensmann der Dortmunder Polizei, kurz vor dem NSU-Anschlag in der Mallinckrodtstraße mit Uwe Mundlos gesehen haben. Wir bloggen live.
10:32 Uhr: Bevor Toni Stadler aussagt, wird Jörg Szemmeitat befragt. Der Kölner Polizist beschäftigte sich mit dem Anschlag in der Keupstraße. Dort bekam er Hinweise von Scotland Yard: die britische Behörde wies auf die Anschlagsserie des britischen Rechtsextremisten David Copeland 1999 in London hin. An den Hinweis von Scotland Yard kann sich der Zeuge nicht erinnern. Dem Zeugen werden Akten vorgehalten, dort erkennt er auch seine Unterschrift. Eine Erinnerung an diesen Ermittlungsansatz hat Szemmeitat trotzdem nicht. Sein Englisch sei auch zu schlecht, um den 80-seitigen Bericht aus Großbritannien zu lesen. Scotland Yard wollte damals wissen, ob beim Anschlag in der Keupstraße möglicherweise ein ähnlicher Tätertyp wie David Copeland in Frage komme. Daran, wie konkret in diese Richtung ermittelt wurde kann sich Szemmeitat nicht erinnern. Der Hinweis von Scotland Yard wurde allerdings in wenigen Tagen abgearbeitet. Heiko Hendriks von der CDU ist der Meinung, dass niemand den Bericht von Scotland Yard gelesen habe. Außerdem bemängelt der Abgeordnete die mangelnde Vorbereitung von Jörg Szemmeitat.
10:52 Uhr: Toni Stadler ist da, von zwei Justizbeamten vorgeführt. Stadler beginnt seine Aussage damit, dass er „nicht freiwillig“ da sei. Lust auf die Vernehmung hat er nicht. Seit 2003 lebt Stadler in Dortmund. Seit einigen Jahren arbeitet er selbstständig als Mediengestalter dort. Den NSU-Mord in Dortmund hat er nach eigener Aussage mitbekommen. Den Kiosk will Stadler nicht gekannt haben und dass die Tat in der Nordstadt stattgefunden hat, will er nicht mitbekommen haben. Zur Neonaziszene in Dortmund will Toni Stadler weder geschäftlich noch privat Kontakt gehaben. „Gottschalk und Oidoxie“ kenne er nicht persönlich. Toni Stadler ist bei seinen Antworten gegenüber dem Ausschussvorsitzenden sehr „schnodderig“.
Eine Polizistin und zwei Polizisten hat der Neonazi und Waffennarr Michael Berger am 14. Juni 2000 getötet. Doch was für ein Mensch war er, wie war er der rechten Szene verbunden und in sie eingebunden? Damit befasst sich zurzeit der NSU-Untersuchungsausschuss im NRW-Landtag. Nach der Aussage seines Neurologen und eines ehemaligen Staatsschutzbeamten am gestrigen Donnerstag werden heute ein mutmaßlicher Freund und die damalige Partnerin des Neonazis vor dem Gremium erwartet. Wir berichten von 10 Uhr an aus dem Landtag.
10:32 Uhr: Patrick Dittmann ist der erste geladene Zeuge. Der 37-Jährige war 1998 zur NPD gekommen und „in die Szene reingerutscht“. Dittmann hat, nach eigenen Angaben, „seit längerer Zeit nichts mehr mit der Szene zu tun.“ Bei einem Kameradschaftsabend habe er 1999 Michael Berger kennengelernt. Man habe sich auch privat getroffen, sei miteinander am Wochenende ausgegangen, habe Radtouren gemacht. Auf Konzerten seien beide nicht gemeinsam gewesen.
Er war ein Freund des Neonazis Siegfried Borchardt und des V-Mannes Sebastian Seemann – doch als Michael Berger am 14. Juni 2000 drei Polizeibeamte und dann sich selbst erschoss, und die Polizei Waffen und rechte Propaganda fand, wurde sich bei den Ermittlungen in der rechten Szene auf den Staatsschutz verlassen. Die Mordkommission kümmerte sich nicht darum. Das hatte der Polizeibeamte Michael Schenk, der sowohl im Jahr 2000 die Ermittlungen zu den Morden des Michael Berger als auch 2006 im Mord an Mehmet Kubaşık in Dortmund ermittelt hatte, vergangene Woche vor dem NRW-Untersuchungsausschuss ausgesagt. Auch die Ausschusssitzungen am Donnerstag und Freitag befassen sich mit Michael Berger. Trotzdem seine Morde nicht in unmittelbarer Verbindung zum NSU stehen, lassen sich aus seiner womöglich Schlüsse auf die lokale und regionale Neonaziszene Anfang der 2000er Jahre ziehen. Und das ist einer der Untersuchungsgegenstände des Parlamentarischen Ausschusses im Landtag. Zwei Personen sind am heutigen Donnerstag ab 13.30 Uhr geladen: der Waltroper Neurologe Georg Heßmann und der ehemalige Dortmunder Staatsschutzmitarbeiter Georg Anders. Sie sollen weitere Informationen über die Person Berger und darüber geben, was die Polizei über den Nazi und die Szene wusste. Alexandra Gehrhardt und Sebastian Weiermann bloggen live aus dem Ausschuss.
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