Hartware MedienKunstVerein zeigt „Whistleblower & Vigilanten. Figuren des digitalen Widerstands“

Plakat_HMKVMit der Eröffnung der Ausstellung “Whistleblower & Vigilanten. Figuren des digitalen Widerstands“ gelang dem Hartware MedienKunstVerein (HMKV) eine Punktlandung. Aktueller kann ein Kuratorenthema kaum sein, ist doch die Enthüllung der Panama Papers nur wenige Tage alt und das Thema Whistleblowing wieder mit voller Kraft unweigerlich ins gesellschaftliche Bewusstsein gelangt. Die Ausstellung umspannt ein breites und kontroverses Feld zum Widerstand gegen staatliche Überwachung. Die Enthüllungs-Ikone Edward Snowden, die Anonymous-Bewegung und WikiLeaks findet man ebenso wie den norwegischen Massenmörder Breivik oder den Terroristen Unabomber. Cypherpunk, Kryptoanarchismus, Spätkapitalismuskritik, viraler Hass, virtuelle Spionage, Whistleblowing, Internetaktivismus – der digitale Widerstand ist global, umfassend, konträr und streitbar. Diese Ausstellung sollte man sich nicht entgehen lassen!

Die Kontextualisierung der sehr unterschiedlichen Konzepte zum Thema Freiheit und Recht auf Information sind erst einmal irritierend, denn die Ausstellung stellt die Auffassungen über Recht und Unrecht unkommentiert nebeneinander. Anhand der räumlichen Anordnung im Ausstellungsraum lassen sich die Unterschiede der Motive der handelnden „Figuren des Widerstandes“ erst nach und nach verorten. Einfach macht es einem das Kuratorenteam, Dr. Inke Arns (HMKV) und der Künstler und Kulturhistoriker Jens Kabisch, dadurch nicht. Antworten auf moralische Fragen bekommt man ebenso wenig, wie eine Bewertung der Motivation der Handelnden. Helden des digitalen Widerstands, Kriminelle, Whistleblower mit Weltrettungsanspruch, Massenmörder, Aktivistinnen und Hacker stehen erstaunlich nah beieinander. Das ist durchaus gewollt und macht die Ausstellung spannungsreich und überraschend.

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Eine verrückte Verschwörungstheorie

Sie wissen, was eine Verschwörungstheorie ist? – Nun ja, eine Theorie ist ein in sich logisches Erklärungsmodell, und eine Verschwörung ist eine auf Täuschung basierende, geheime Unternehmung einer kleinen Gruppe zur Verwirklichung eines Plans zulasten Dritter. Eine verrückte Verschwörungstheorie unterstellt, dass es auch Verschwörungstheorien geben muss, die nicht verrückt sind. Meistens sind jedoch Verschwörungstheorien verrückt, es sei denn, sie liefern ein realitätskongruentes Bild eines Ereignisses, das auf eine Verschwörung zurückzuführen ist. So weit, so klar; alles Nähere dazu können Sie ja nachsehen – nur so als Beispiel – bei Wikipedia. Nicht etwa bei Wikileaks, das ist etwas Anderes.

Ich gebe zu: ich habe ein Faible für Verschwörungstheorien. Verrückt, nicht wahr?! Aber mein Gott! Andere Leute lesen Krimis, manche tauchen sogar ab in Science-Fiction oder in Fantasyromane. So etwas interessiert mich nun einmal nicht, allenfalls Polit-Krimis. Wenn überhaupt. Aber Politkrimis funktionieren nun einmal am besten, wenn eine Verschwörung dargestellt wird. Das ist alles.

Die politischen Verschwörungstheorien heutzutage befassen sich meistens mit den USA. Der Kennedy-Mord, die Mondlandung, und zuletzt der 11. September – eine, wie ich in allem Ernst finde, besonders bösartige Verschwörungstheorie, die allen Ernstes suggerieren will, es gäbe im Grunde keinen islamistischen Dschihad-Terror, die USA hätten vielmehr den Massenmord vom 11.9.2001 „selbst gemacht“. Ein übles Geschwätz, in das relativ schnell antisemitische Figuren eingebaut werden. Seither sind mir Verschwörungstheorien sehr suspekt.

Aber ich habe nun einmal dieses Faible, und manchmal gibt es ja tatsächlich so etwas wie Verschwörungen. Zum Beispiel in diesen Tagen diese Wikileaks-Enthüllungen, die sind doch eine ziemlich große Sache. Und wie man sie auch immer dreht und wendet, irgendwie liegt hier eine Verschwörung vor, weshalb man hier ohne eine – wie auch immer geartete – Verschwörungstheorie nicht auskommt. Zunächst jedoch fasse ich in aller Kürze zusammen, was wirklich geschehen ist – also die Wahrheit, bevor ich Ihnen eine ziemlich verrückte Verschwörungstheorie präsentieren werde.

Hier also die Wahrheit: wie alle anderen Staaten unterhalten auch die USA in (fast) allen Ländern der Erde diplomatische Vertretungen. Aus diesen Botschaften wird in die Heimat gemailt (hier sagen wir: „gekabelt“), was sich in dem entsprechenden Staat politisch so tut, mit welchen Politikern man es zu tun hat, wie die die Welt so sehen, was die so vorhaben usw. usf. Möglicherweise ist dies auch ein Grund, warum die Botschaften Botschaften heißen. Egal.

Selbstverständlich sind diese Berichte, die im Fachjargon Depeschen heißen, in aller Regel geheim. Deshalb heißt die Diplomatie zum Beispiel Geheimdiplomatie. Im Fall der USA sah das dann so aus, dass diese paar hunderttausend Depeschen jeweils mit Vermerken wie „secret“, „top secret“ und manchmal sogar auch noch geheimer versehen waren. Und weil diese Berichte so streng geheim waren, durften sie auch von kaum jemanden gelesen werden. Nur so etwa achtzigtausend, höchstens zweihundertfünfzigtausend Leute kamen überhaupt rein in dieses Computernetzwerk. Und das waren auch noch alles Beamte!

Dennoch hat einer von ihnen, so ein charakterlich noch nicht recht gefestigter Schnösel von Anfang 20 alles verraten. Denn im Internetzeitalter geht so etwas ruckzuck. Musste James Bond noch jedes Blatt einzeln kopieren, reichten diesem Bubi ein paar Mausklicks, und schon waren die paar hunderttausend Dokumente bei Wikileaks.

Und diese Kameraden haben das ganze Zeug – wie könnte es anders sein – natürlich hochgeladen. Jetzt liegt die gesamte US-Außenpolitik in Scherben, eine riesengroße Blamage! Sogar Menschen sollen in Lebensgefahr sein. Dieser US-Milchreisbubi wird wohl mit 52 Jahren Gefängnis davon kommen, wohingegen der Boss von Wikileaks als Staatsfeind Nr. 1 der Weltmacht Nr.1 freilich damit rechnen muss, in absehbarer Zeit das Zeitliche segnen zu müssen.

Deshalb versteckt der sich, dieser Australier. Sein Name ist bekannt; seine Adresse nicht ganz, nur dass er sich in London aufhält, wissen wir. Die finden den dort aber nicht. Kein Wunder, der tarnt sich nämlich ständig. Ich zum Beispiel habe ihn allein in der letzten Woche mit drei verschiedenen Frisuren / Haarfarben abgebildet gesehen. Frech wie er ist, chattet er auch noch im Internet. Auch wenn er hops gehen sollte, gehen die Wikileaks-Veröffentlichungen weiter, tippt er. Da wissen sie jetzt Bescheid, die Vereinigten Staaten. Ja, auch eine Weltmacht ist verwundbar.

So, das ist das, was wirklich passiert ist, bzw. vor unser aller Augen geschieht. Wenn man ein wenig die Nachrichten verfolgt, weiß man das. Dies ist die Wirklichkeit, wenn Sie so wollen: die Wahrheit. Aber klar, obgleich die Dinge so offen auf dem Tisch liegen, werden wieder irgendwelche Verschwörungstheoretiker kommen und eine völlig andere Version präsentieren. So etwas ist heutzutage eben auch unvermeidlich. Wegen des Internets. Und so werden ihre abstrusen Fantasien weltweit verbreitet und ihre Anhänger finden.

Sie werden behaupten, dass, wenn nicht Obama persönlich, so doch Hillary Clinton oder wer auch immer, jedenfalls einer von denen ganz oben auf die Idee gekommen wäre, dass Informationen, die achtzigtausend oder vielleicht sogar zweihundertfünfzigtausend Leute haben, nicht mehr wirklich geheim zu halten sind. Wüssten mehr als fünfzigtausend Menschen Bescheid, bestünde die Gefahr, dass einer von ihnen auspacken könnte, wird dann jemand aus der US-Führung eingewandt haben, werden sie behaupten. Zynisch.

Und bestimmt werden auch noch ein paar ganz Schlaue kommen und behaupten, dass die ganze Affäre den USA doch gar nicht geschadet habe. Sie werden so weit gehen und bestreiten, dass es überhaupt ein Datenleck gegeben habe. Sie werden die Chuzpe besitzen und andeuten, dass die Veröffentlichungen im Spiegel und all den anderen angesehen Magazinen der Weltpresse gar im Interesse Amerikas gelegen habe. Sie werden andeuten, dass es den USA am liebsten gewesen wäre, die arabischen Staaten hätten selbst öffentlich gemacht, was ihres Erachtens am besten mit dem iranischen Mullahregime passieren solle. Sie werden die Meinung äußern, dass die Veröffentlichung, dass die USA bestimmte Politiker für Trottel halten, deshalb goutiert hätten, weil sie den Trotteln mehr schadet als den Amerikanern.

Den Verschwörungstheoretikern wird keine Unterstellung zu geschmacklos sein. Gut, dass wir wissen, wie es wirklich gelaufen ist. Siehe oben. Unter: die Wahrheit.