Was derzeit in einem Dortmunder Krankenhaus passiert, wirkt wie eine bitterböse Parodie auf die Realität in deutschen Kliniken. Drei Pflegekräfte streamten während ihrer Nachtschicht auf einer Intensivstation stundenlang live auf TikTok – vor bis zu 500 Zuschauern. Alarmsignale piepten, vertrauliche Daten waren im Bild, aber Hauptsache: Likes, Herzchen, Reichweite.
Darauf aufmerksam machte jüngst der YouTuber und ehemalige Intensivpfleger Kevin Hartwig alias „KevinITS“. In seinen Videos auf Youtube dokumentierte der Essener die Streams, kommentierte die gezeigten Szenen, blendete Beweise ein und meldete die Vorfälle vorab bei Klinik, Pflegekammer und den betroffenen Streamerinnen. Reaktion? Dazu komme ich später.
Hartwig macht das, was manche in der Pflege lieber verdrängen: Er zeigt Verstöße auf gegen Datenschutz, Hygiene, Sorgfaltspflichten – und das in einer Branche, die sich ansonsten aufopferungsvoll um die Schwächsten der Gesellschaft kümmert. In der Regel sind die betroffenen Häuser zwar nicht gerade glücklich über die Meldungen, lassen daraufhin aber die richtigen Schritte folgen. Bisher zumindest.
Mit anwaltlicher Großmacht gegen den Überbringer der Nachrichten
Denn anstatt die Missstände zu beheben, richtet sich die Wut eines Dortmunder Krankenhauses nun gegen den Überbringer der schlechten Nachricht. Die Klinik verteidigt ihre Mitarbeiterinnen, erklärt die hörbaren Signale zu „harmlosen Hinweistönen“. Und: Sie schickt ihm im Auftrag der betroffenen Streamerinnen die renommierte Berliner Kanzlei Schertz-Bergmann auf den Hals. Einstweilige Verfügungen, Abmahnungen, Eilverfahren mit hohen Streitwerten und kurzen Fristen – offenbar, um ihn finanziell „ausbluten“ zu lassen, wie er es selbst nennt.
Es drängt sich also die Frage auf: Wer ist hier das eigentliche Problem? Derjenige, der Verstöße aufzeigt? Oder die, die während der Arbeitszeit live streamen, sensible Daten zeigen und Alarmtöne ignorieren? Wenn es nach der beauftragten Anwaltskanzlei geht, ist es Kevin Hartwig, dessen Aussagen möglicherweise strafbare „versuchte Nötigung“ gegenüber dem Krankenhaus und den Pflegerinnen darstellten, wie ein Anwalt der Kanzlei es den Ruhr Nachrichten gegenüber äußerte.
Pflegekammer NRW positioniert sich eindeutig
Die Pflegekammer NRW bestätigte jedenfalls: Alarme dürfen nicht einfach weggeklickt werden, jeder Ton signalisiert potenziellen Handlungsbedarf. Der Vorfall wird derzeit von Krankenhaus, Kammer und Gesundheitsministerium geprüft. Ob es wirklich ernsthafte Konsequenzen für die Pflegerinnen gibt, bleibt dabei fraglich. Denn Fachkräfte sind so knapp, dass sich die Einrichtungen offenbar auch grobe Pflichtverletzungen bieten lassen – solange der Dienstplan irgendwie besetzt bleibt. Anders ist es nicht zu erklären, warum die Klinik nicht leise „danke, Kevin“ sagt, sondern mit teuren Anwälten gegen den Enthüllungs-Youtuber vorgeht.
Das Bild, das die Klink, stellvertretend für die Branche, hier abgibt, ist fatal: Unterbesetzt, überlastet, ja – aber mit genug Zeit für Livestreams. Hartwigs Videos legen schonungslos offen, wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Und wie wenig Zivilcourage bereits ausreicht, um plötzlich die geballte Macht teurer Anwälte zu spüren. Die Botschaft: Halt Deinen Mund, sonst machen wir Dich pleite.
Absoluter Tiefpunkt für Privatsphäre und Professionalität
Der Fall zeigt vor allem auch eines: Die Verwahrlosung des öffentlichen Bewusstseins für Privatsphäre, Würde und Professionalität in einer der sensibelsten Branchen. Patienten auf der Intensivstation sind in einer extrem verletzlichen Situation. Dass ausgerechnet die Menschen, die für sie da sein sollen, die Situation zur Show machen, ist beschämend.
Dass es nun der Aufdecker ist, der um seine Existenz kämpft, während die Streamerinnen offenbar mit einem blauen Auge davonkommen sollen, macht das Ganze doppelt bitter. Es ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die diesen Beruf ernst nehmen. Und das sind schließlich fast alle.
