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Den täglichen Aufreger gib uns heute

opalkatze

Bashing – unwissenschaftliche Betrachtung über ein wiederkehrendes Thema

Geordnete Nachrichtenlage

Wir leben in unruhigen Zeiten. Das fanden die vor uns übrigens auch schon. Allerdings haben der Missbrauch einer Dienstmagd, die unbefugte Kopie aus einem Folianten oder die Vorteilsnahme des Erzbischofs vor Presse und Internet kaum Wellen geschlagen. Auch Sponsoring gab es bereits, es hieß nur anders und galt vorwiegend Baumeistern, Künstlern und Mätressen. Ebenso gab es Schweigegelder, die indessen heute anders heißen.
Wenn der Kaiser reiste, nahmen Vasallen ganz selbstverständlich seine kostspieligen Aufenthalte – und die des zahlreichen Hofstaats – auf ihre Rechnung. Kaiser waren zwar mächtig (solange es dem Papst gefiel), aber notorisch klamm. Manche Burgherrlichkeit kam dadurch an den Rand des Ruins. Die Fronleute murrten, aber was sollten sie schon ausrichten? Die Herren Ritter trauten sich das Murren nicht, irgendein finsterer Hagen hätte sonst vielleicht beim Kaiser gepetzt und die nächste Beförderung vereitelt. Unruhige Zeiten vielleicht, aber eine geordnete Nachrichtenlage.

Die Geschichte nahm ihren Lauf. Irgendwann traten Adam Smith, die Industrie und Karl Marx auf den Plan. Der Eisenhüttenbesitzer konnte plötzlich nicht mehr nach Gusto schalten und walten. Ständig nervten Nörgler und Gutmenschen wegen sozialer Verantwortung für die Allgemeinheit. Die Einsetzung von Landgerichtsräten konnte an der Entwicklung dauerhaft nicht viel ändern. Durch Zusammenrottung in politischen Parteien versuchten die Großkopfeten sich zu behelfen, allein, das Beispiel machte Schule. So hatten bald alle ihr eigenes Sprachrohr, und das weltanschauliche Getöse hub an. Hie ging es gegen den Großindustriellen, da gegen den Parteifreund, dort gegen den Kaiser, und endlich mischte sich die Presse ein. Die schönen Zeiten, sie waren dahin.

Natürlich durften die Zeitungen nicht einfach schreiben, was sie wollten. Doch listenreiche Journalisten ersannen die Redewendung „wie aus gut informierten Kreise verlautet“. Zu denen wollten – wenn auch notgedrungen inoffiziell – selbstverständlich alle gehören, die sich wichtig nahmen oder es tatsächlich waren. So entstanden die Kamingespräche und die Mitteilung unter 3. Der steckte dem was, dieser jenem, und manchmal gelangten sogar richtige, echte Informationen zwischen die Zeilen. Dann kamen die verordnete Sprachlosigkeit und der schreckliche Krieg. Danach war nichts mehr, wie es war.

Deutschland sollte nun endgültig Demokratie werden. Die klugen Besatzungsmächte hielten eine unabhängige Presse für das probate Mittel, um diesen Vorgang zu beschleunigen. (Die weniger Klugen sorgten später mit für die Herausgabe des Parteiorgans der SED, die Erfindung der Mauer und Karl-Eduard von Schnitzlers.) Weil die Unabhängigkeit so wichtig war, klopften vor allem Engländer und Amerikaner den Deutschen auf die Finger, wenn sie in vordemokratische Gewohnheiten zurückfallen wollten. Dann kam der Deutschlandvertrag, die Alliierte Hohe Kommission hatte nichts mehr zu melden. Das Fernsehen übte noch. Mit Rudolf Augstein und Axel-Cäsar Springer begann der kometenhafte Aufstieg des Draufhauens, neudeutsch Bashing, im Print.

Die Erfindung der Konfrontation

Konflikte werden mit Rede und Gegenrede in der Presse ausgetragen, ein prachtvolles Hauen und Stechen hebt an: Von „links“ feuert das Sturmgeschütz der Demokratie aus Hannover und vollem Rohr gegen das „rechte“ Meinungskonzentrat aus Hamburg. Die Grenzen der Pressefreiheit wie demokratischer Usancen werden mehrfach unter Belastung getestet, und wie die Herren Wehner und Strauß im Bonner Bundestag liefern sich die beiden Verlage alles von Kleinstscharmützeln bis zu veritablen brachialpolemischen Schlachten. Es ist wie mit den Beatles und den Rolling Stones: Die einen liebt man, die anderen hasst man. Dazwischen herrscht etwas wie eigene Meinung, deren selbstständige Bildung noch in weiten Landstrichen üblich ist. Spätestens Ende der 1960-er Jahre sind alle mit allen über Kreuz; es ist eine journalistische, politische und polemische Hochzeit.

Das jahrelange Training wirkt. Angriffe werden ad hominem geführt, allseitiges Graben nach Skandälchen gerät zum einträglichen Alltagsgeschäft. Sex, Mord, Gefühl verkauft sich immer. Die Regenbogenpresse entsteht, Paparazzi etablieren sich als Zulieferer. Ein Foto von AB im Badeanzug oder YZ in einer verfänglichen Situation bringt schnelles Geld. Conterganskandal, Spiegel- und Profumo-Affäre werden von Berichten über Rosemarie Nitribitt, Vera Brühne und Soraya abgelöst. Das skandalisierende Konzept kommt an. Den Deutschen geht es gut, man gönnt sich wieder was, warum soll man nicht ein wenig am Leben der Reichen und Schönen teilhaben? Wenn sie dabei wie richtige Menschen erscheinen, um so besser. „Haben Sie schon gehört …?!“ wird einer der meist hervorgestoßenenen Sätze beim vormittäglichen Einkauf.

Das Fernsehen hat jetzt genug geübt, es gibt regelmäßige Programme. Die Show zieht in biedere deutsche Fernsehstuben ein. Für eine Seifenwerbung hält ein Model ihre Brüste in die Kamera, Frauen verbrennen ihre BHs und können sich die Pille verschreiben lassen. Die Regierung ist sozialliberal. Mit der zunehmenden Freizügigkeit wird Berichterstattung immer mehr zur Show, Zeitungen und Fernsehen befruchten sich gegenseitig. Die Watergate-Affäre macht investigativen Journalismus zum Mittel der Wahl. Deutschland will auch so was, Günter Wallraff erregt Aufsehen, den Springer-Verlag und die Öffentlichkeit. Die überfallartige Befragung Prominenter vor laufenden Kameras ist die neueste Mode. „Kaum kommst du aus dem Sitzungssaal, hast du schon ein Mikrofon im Hals“, schimpft eine Politikerin. Die so Befragten schützen sich mit der Zeit durch Bevorratung fast unerschöpflicher Mengen aussagefreier Phrasen. Pressesprecher und PR-Agenturen erleben gute Zeiten. Die Journaille hat sich warm geschrieben.

Die nötigen Zutaten

Die Abschaffung der Privatsphäre beginnt mit Lady Di. Sie wird zur Prinzessin der Herzen, jedes ihrer Kleider, jeder Hut, jede Handlung dokumentiert, vervielfältigt, kolportiert. Die Methoden der britischen Presse sorgen bereits jetzt unter bestimmten Kollegen für Neid. Ein ehemaliger deutscher Verteidigungsminister lässt sich für eine Homestory kosend im Pool ablichten. Das Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Clinton verhilft dem Bashing endlich zum großen Durchbruch, Politik, Presse und Bevölkerungen der halben Welt ziehen begeistert mit. Deutlich weniger Schlagzeilen machen die zeitgleiche Ablösung der deutschen Bundesregierung oder der Beginn des Irakkriegs.

Talk Shows sind der letzte Schrei. Was abends in der Fernsehrunde besprochen werden soll, wird Tage zuvor mit viel Tam-Tam angekündigt und am nächsten Morgen in der Presse genüsslich kritisiert. Die Interviewpartner wirft man sich gegenseitig zu – ein B-Promi wurde beim Fremdgehen erwischt? Ein Bundestagsmitglied hat etwas zu verbergen? Ab in die nächste Talk Show! Und am Morgen danach quer durch alle Blätter. Talkmaster, die selten Meisterschaft erreichen, werden selbst zu Prominenten. Ein kleines Clübchen erhabener Namhaftigkeiten erhält die Bezeichnung „die üblichen Verdächtigen“, weil außer ihnen höchstens noch Tagesberühmtheiten in den Quasselrunden sitzen. Kein Thema ist zu abgehoben, um es nicht mit dem Stemmeisen auf Allgemeinverständlichkeit herunterbrechen zu können. Was von vielen als lebhafter politischer Diskurs wahrgenommen wird, ist in Wirklichkeit die ungute Mischung von bekannten Namen mit Entertainment und einer Spur Information als halbe Kirsche auf dem Sahneklecks. Kaum einmal gibt es keinen tagesaktuellen Eklat. Notfalls schreibt man seinen kleinen Bedarf selber. Sollte der seltene Sonderfall dennoch eintreten, gibt es genügend Film-, Musik- und Buchprojekte, die man als Aufhänger benutzen kann, um schließlich doch wieder beim letzten aufsehenerregenden Fall zu landen. Die Gäste werden ohnehin nach Kontroversentauglichkeit vorsortiert, da kann gar nichts schief gehen. In höchster Not dürfen Experten geheimnissen.

Auf diese Weise haben sich verschiedene Typen des Draufhauers herausgebildet. Der bäuerliche Typus ist gewitzt und argumentiert (wir wollen das einmal so nennen) gern mit rustikalen Vergleichen. Man darf ihm getrost die Begriffsbildung „die Sau durchs Dorf treiben“ unterstellen. Der Bürgerliche ist sich seines Standes vollinhaltlich bewusst und sagt häufig „meiner persönlichen Meinung nach“ mit Betonung auf ön. Politiker sind selbstredend Profis und wurden zudem vor der Sendung ausführlich gebrieft, außerdem stehen ihre rhetorischen Versatzstücke eh jederzeit griffbereit. Die journalistische Fraktion hat ein Archiv und auf der Stirn unsichtbare Zettel. Darauf steht, je nach Couleur und von der Sendeleitung vorgesehenem Einsatz, „dafür“ oder „dagegen“. Die unverzichtbaren Krawalltüten kommen wahlweise daher als Klaus Kocks oder Professor Baring, ist beispielsweise Hans-Ulrich Jörges anwesend, können Überschneidungen entstehen. Zu den Splittergruppen zählen vorsichtige (Spreng), altgediente (von Lojewski) und, selten, sachliche Journalisten (Mikis Pantelouris) sowie arbeitslose Friseurinnen, Philosophen und Sozialpädagogen. Die anderen sind Gäste.

Bashing in Vollendung

Nun hat sich ein feines Zusammenspiel entwickelt. Sagen wir, eine Redaktion bekommt eine Information und holt das Einverständnis der sparsamen Chefredaktion ein. Der ist bewusst, dass die Recherche dauern und teuer werden kann. Da aber die Nase des Informanten genehm und die Vorrecherche vielversprechend war, geht man das Wagnis ein, steht doch womöglich an dessen Ende der begehrte Scoop. Man mikrofichet dort, blättert hier, verbringt viel Zeit im Auto und auf Facebook, spricht mit diesem und jenem und hat schließlich wirklich ein dickes Ding entdeckt. Oder zumindest etwas, aus dem eines werden könnte. So haben Journalisten immer gearbeitet.

Die Anzahl echter Knüller ist jedoch gering und der Zeitungsmarkt gesättigt. Seit Einführung des Internets gibt es die großen Blätter gleich in zweifacher Ausfertigung; es wirkt zunehmend bizarr, die Meldungen von gestern groß aufgemacht als Neuigkeit in der Morgenzeitung zu lesen. Hinzu kommt eine Armada von Talk Shows. Inhalte müssen her, viel, aktuell, schnell – je spektakulärer, desto besser.
Nehmen wir also weiter an, niemand habe etwas durchgestochen und die Information sei zufällig von einer weiteren Redaktion aufgegriffen worden. Ebenso zufällig sind beide Redaktionen zur gleichen Zeit mit ihren Recherchen fertig, nur die Schlussredaktion müsste noch mal drüber schauen. Dummerweise hat der pedantische CvD Dienst, und so erscheint eine Story eher als die andere.

Es ist kein richtiger Skandal, doch wenn zwei Hunde um einen Knochen balgen, wird der zuletzt unwichtig. Teilen lässt er sich nicht, ebensowenig wie die Nachricht. Aber im Gegensatz zum Knochen kann man die „verlängern“, einzelne Aspekte auswalzen und ziehen wie einen Nudelteig. Die Skandalisierschraube dreht sich durch die Resonanz in Medien, Internet und Öffentlichkeit. Je mehr Akteure mitspielen, desto fester wird sie angezogen. Verhält der Betroffene sich ungeschickt, lässt sich die Spannung mühelos über mehrere Wochen halten. Die Masse ist begeistert und gerüchtet ungebremst mit. Das kleine Machtgefühl für Otto N. und Gabi M. steigert Auflagen und Einschaltquoten, es kribbelt mehr als Lotto, vielleicht einen durch die Mediendemokratie zu Fall zu bringen. Das ist die fabelhafte Welt des Bashings. Geht immer.


Crosspost von … Kaffee bei mir?

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