Voges – Tannhäuser – Lady Gaga

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf WartburgGerade durfte der Intendant des Dortmunder Schauspiels noch am Theateroscar „Der Faust“ schnuppern – und ist damit in die Riege der deutschen Topregisseure aufgestiegen – jetzt inszenierte er seine erste Oper. Und dann gleich Richard Wagners „Tannhäuser oder der Sängerkrieg auf Wartburg“. Dass sich der erklärte Punkrock-Fan und gänzlich opernunerfahrene Kay Voges bei seinem Erstversuch in diesem Genre, der am 1.12.2013 Premiere feierte, ausgerechnet in die gefährliche Wagnerianer-Hölle wagt, wo Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte dank Bayreuths immer noch eine ganz besondere Rolle spielen, kann man je nach Perspektive als Naivität oder Größenwahn lesen. Die Idee kam allerdings nicht von ihm selbst, sondern vom Dortmunder Opernintendanten Jens-Daniel Herzog, der nach dem Besuch von Voges‘ Inszenierung von „Der Meister und Margarita“ gesagt haben soll: „Wenn du so Wagner inszenierst, dann will ich einen Tannhäuser von dir.“
Damit scheidet die Größenwahnthese also aus. Es ist eher Naivität, dass sich der Regisseur auf das Wagnis eingelassen hat. Eine sympathische Naivität. Und Kay Voges minimiert das Risiko bei seinem Opern-Erstling indem er sein gesamtes Team aus dem Schauspiel mitbringt: Daniel Roskamp für das Bühnenbild, Michael Sieberock-Serafimowitsch für die Kostüme und vor allem Daniel Hengst für die Videos. Die wohl eindrucksvollste Leistung des Teams ist, dass es gelingt, die Ästhetik von Kay Voges aus dem Schauspiel auf die Opernbühne zu übertragen. Selbst in diesem Großformat erhält sich die Inszenierung etwas liebevoll selbstgebasteltes, hingeworfenes, den Charme des „Wir probieren alle zusammen mal aus, was wir mit dem Stück anfangen können“. Und trotzdem versickert diese Ästhetik nicht in den Tiefen der riesigen Opernbühne, was vor allem mit den Videos von Daniel Hengst zu tun hat.

Voges‘ Inszenierungs-Ansatz basiert auf der Verschaltung von Tannhäusers Erlösungsgeschichte mit der von Jesus Christus. Der Minnesänger Heinrich Tannhäuser ist ein Suchender, der auf dem Weg zum richtigen Leben erst in der Lustgrotte der Venus landet, der jedoch bald den Rücken kehrt, um reumütig in den Kreis der Minnesänger auf der Wartburg zurückzukehren. Dort jedoch lassen seine im heidnischen Rausch gemachten Erfahrungen ihn wieder zum Außenseiter und Provokateur werden, der verbannt wird, nach Rom pilgert, um erfolglos den Papst um Vergebung zu bitten. Es ist die Geschichte eines Künstlers, der in der Gesellschaft seinen Platz sucht, aber nicht findet, nicht finden kann. Es ist auch eine Geschichte über die wahre Liebe zwischen Sex und Religion, Begehren und Enthaltsamkeit, Frauen und Kunst.

Wenn Voges in seiner Inszenierung Tannhäuser mit Jesus Christus spiegelt, bezieht er sich dabei auf den Roman „Die letzte Versuchung“ von Niko Kazantzakis, in dem Christus kurz vor der Kreuzigung in einem Traum die Möglichkeit eines bürgerlichen Lebens erfährt und sich dann aber doch bewusst für die Vollendung seiner Mission für die Menschheit entscheidet. Ohne die Kenntnis des Romans funktioniert sicher nicht die Inszenierungsidee in Gänze, aber sie gibt Voges die Möglichkeit zu zahlreichen überzeugenden Bildideen. Elisabeth als Marien-Ikone ist optisch sehr stark, geht aber nicht ganz auf, da Tannhäuser/Christus schließlich in Elisabeth verliebt ist, nicht aber in seine Mutter Maria. Dieser Bruch wird im zweiten Akt am deutlichsten, der auch insgesamt der schwächste ist. Hier zeigt sich dann doch, dass es Voges noch an Erfahrung mit dem Medium Oper fehlt. Zu Beginn des Aktes fehlt es an deutlicher Personenregie und Elisabeth und Tannhäuser treiben oft auf der Bühne, was Opernsänger halt so treiben, wenn sie auf der Bühne herumstehen und singen. Auch bei der Choreographie des Chores wählt Voges den Weg des geringsten Widerstandes und lässt die Sänger eigentlich nur hinter der langen Tafel herumstehen. In diesem zweiten Akt sind es vor allem die Videos von Daniel Hengst, die tragen.

Stärker ist die Erfindung von Voges im ersten Akt. Schon während der Ouvertüre inszeniert er hinter dem Gazevorhang eine Art psychologische Familienaufstellung. Darüber zeigt das Team Voges/Hengst ein Video, das an die legendären Komponisten-Filme von Ken Russell erinnert. In knalligen popgetränkten Bildern werden Assoziationsräume geöffnet, die einerseits auf den ersten Blick meilenweit von der Musik entfernt zu sein scheinen und doch näher an Wagner sind als jede scheinbar „werktreue“ Perspektive. Dann führt er uns in eine gänzlich unerwartete Venusgrotte: Kein Bordell, keine ausschweifenden Sexorgien, sondern die kleinbürgerliche Ehehölle lauert hinter einer Plattenbaufassade. Während Venus in der Küche werkelt, schaut Tannhäuser biertrinkend Fernsehen. Hier ist alles Eheroutine, wenn auch Venus noch wie Gina Lollobrigida in ihren besten Zeiten aussieht. Eigentlich ist die Luft aus dieser Beziehung raus, aber mit dem Versprechen von regelmäßigem Sex auf dem Küchentisch kann Venus ihren Tannhäuser gerade noch bei sich halten. Dazu offenbart die spießige (Video)Mustertapete im Hintergrund, dass es hier um den ewigen Zyklus von Erblühen und Vergehen geht.

Den eigentlichen Sängerkrieg im zweiten Akt lässt Voges wie das Gipfeltreffen der Schlagerkönige am Ballermann aussehen. Das greift sicherlich, denn hier wie dort wird zwar viel über Liebe gesungen, doch wenn es ans Eingemachte geht, würde ein Sänger wie Tannhäuser sicher auch in der „Schinkenstraße“ ausgebuht. Hier zeigt sich auch die große Qualität des Dortmunder Ensembles als Sänger-Darsteller. Wenn auch stimmlich nicht immer alles sitzt – Daniel Brenna gerät als Tannhäuser gelegentlich an die Grenze seiner Belastbarkeit, gleicht aber Schwächen in der Klangschönheit seiner Stimme durch genaue Charakterzeichnung aus, Hermine Mays Venus hat vielleicht etwas zu viel italienisches Belcanto in ihrer Stimme –, tröstet die Spielfreude des gesamten Ensembles locker darüber hinweg. Die Dortmunder Philharmoniker spielen unter Gabriel Feltz einen flotten, gelegentlich vielleicht etwas zu leichten Wagner. Dennoch: Es freut, dass hier  nicht auf die gerade im Wagnerzirkus angesagten zerdehnten Tempi gesetzt wird.

Zuvor ziehen allerdings die Festgäste zu einem dieser Videos von Daniel Hengst in die Wartburg ein, das wie schon bei der Ouvertüre einen wüsten und hemmungslosen Assoziationsraum zwischen Arschtrompeten, Cannapees, Merkel und Putin aufmacht. Szenenapplaus gibt es als das Bayreuther Festspielhaus zusammengemorpht mit dem Dortmunder Opernhaus und U-Turm auf der Leinwand erscheint.

Im dritten Akt gönnt der Abend uns schließlich nach einem etwas mauen Pilgermarsch noch eine echte Opernapotheose – natürlich im Voges-Style – wenn bei Tannhäusers Ableben, das Bühnenbild als Raumschiff abhebt, während der Tod im Lady-Gaga-Outfit aus „Born this way“ lächelnd seinen Triumph feiert – da ist Elisabeth längst in ihrer blutgefüllten Badewanne dekorativ dahingeschieden.

Bei allen Unschärfen, die Voges‘ Interpretation des Stoffes bietet, bei allen handwerklichen Holperigkeiten, die in einem ersten Versuch an der Oper verzeihlich sind, ist es der unverfrorene Umgang mit dem Medium und die Anhäufung von Popreferenzen, die diesen Tannhäuser zu einem sehenswerten Abend machen. Die traumhaften Filmbilder, die direkt aus Lars von Triers „Melancholia“ herüberschwappen, die zu unerträgliche Pierre-et-Gilles-Kitsch gephotoshopten Marien-Bilder, der Lady-Gaga-Tod und die Ballermann-Minnesänger – das alles gibt diesem Tannhäuser eine Frische, die weit über das hinausgeht, was heutige Operninszenierungen an einem Stadttheater oft bieten. Dass Kay Voges seine Schauspielästhetik so mühelos auf die Opernbühne überträgt, ist schon an sich eine enorme Leistung und für die Oper ein großer Gewinn. Und damit bestätigt auch dieses Experiment, dass die Dortmunder Oper sich unter der Leitung von Jens-Daniel Herzog längst aus dem unerträglichen Provinz-Mief, den seine Vorgängerin hinterlassen hatte, befreit hat. Wie auch das Schauspiel, ist die Oper in Dortmund derzeit das spannendste Haus im Revier. Kay Voges Inszenierung von Tannhäuser trägt dazu sicher ihren Teil bei. Und zumindest im ersten Akt ruft es, um Guido Maria Kretschmer zu zitieren, von ganz weit hinten „Bayreuth“. Ganz sicher sollte dieser Ausflug auf das unbekannte Terrain für das Team Voges/Hengst kein einmaliges Experiment bleiben – und dass Voges dem Schauspiel gänzlich verloren ginge, muss niemand fürchten, dafür ist er dann doch zu sehr Punkrocker.

 

 

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Michael Reiners
11 Jahre zuvor

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discipulussenecae
discipulussenecae
11 Jahre zuvor

Im meist recht kenntnisreichen Internetportal ‚Der Neue Merker‘ (eine österreichische Seite!) sind die Inszenierung und vor allem die musikalische Interpretation ebenfalls sehr positiv besprochen worden:
https://www.der-neue-merker.eu/dortmund-tannhaeuser

Ich werde sie mir auf jeden Fall ansehen! Und es würde mich freuen, wenn die RUHRBARONE weiterhin und öfter als bisher, auch die Opern-, Konzert- und Ballettproduktionen der Region besprechen würden!

In diesem Zusammenhang weise ich daher gleich einmal auf das sicherlich spannende nächste Konzert der Bochumer Symphoniker am Donnerstag und Freitag hin:
https://www.bochumer-symphoniker.de/html/gesamt.htm

discipulussenecae
discipulussenecae
11 Jahre zuvor

Das Konzert der Bochumer Symphoniker war großartig! Also: Warum preist Frau Bender immer wieder – manchmal ausverkaufte – Konzerte im Rheinland an? Ein gut aufgestelltes Programm klassischer Musik im Ruhrgebiet sollte doch auch die RUHRBARONE interessieren …

Stefan Laurin
Admin
11 Jahre zuvor

@discipulussenecae: Ich finde die Auswahl von Claudia klasse. Auch dass sie Coverbands nicht beachtet geht in Ordnung – oder spielen die Bosys eigene Stücke? 🙂

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