Wahlumfragen – was sich ändert und was bleibt

Die Frage „Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahlen wären …“ wird landläufig die Sonntagsfrage genannt. Sie wird in Deutschland von sechs Meinungsforschungsinstituten regelmäßig einer repräsentativen Auswahl wahlberechtigter Bürger gestellt – in unterschiedlicher Frequenz, allerdings von jedem Institut mindestens einmal monatlich. Das bedeutet, dass jede Woche mindestens eine, manchmal aber auch zwei Wahlprognosen öffentlich bekannt gemacht werden.

Die unterschiedlichen Resultate der verschiedenen Institute sorgen mitunter für etwas Verwirrung, weil sie sich manchmal in nicht ganz unerheblicher Weise voneinander unterscheiden. Um ein wenig Klarheit zu gewinnen, habe ich das arithmetische Mittel aus den jeweils sechs ermittelten Werten gezogen und bin dabei zu folgendem Ergebnis gekommen:

CDU /CSU  33 %  (+/- 0)
SPD  26 %  (+ 1)
Grüne  22 %  (- 1)
FDP  5 %  (+ 0,5)
Linke  8 %  (- 2)
Sonstige  6 %  (+/- 0)

In den Klammern hinter dem Mittelwert für die Parteien sind die Veränderungen im Vergleich zum Vormonat angegeben – in Prozentpunkten. Die Umfrageergebnisse der jeweiligen Institute unterscheiden sich in diesem Monat nicht so stark voneinander wie sonst, m.a.W. die Werte liegen diesmal relativ nah beieinander. Selbst die von Stern und RTL sehr bekannt gemachte Prognose des Forsa-Instituts unterscheidet sich diesmal nur geringfügig von denen der Konkurrenz. Einzig der für die SPD gemessene Wert liegt bei Forsa – wie immer – deutlich niedriger als bei den anderen. Wir dürfen also davon ausgehen, dass obige Mittelwerte das jetzige Stärkeverhältnis der Parteien recht genau wiedergeben. Freilich „nur“ als eine Momentaufnahme; denn bekanntlich findet am nächsten Sonntag gar keine Bundestagswahl statt.
Die in Klammern angegebenen Veränderungen zum Vormonat sind allesamt geringfügig, abgesehen von denen der Linkspartei, die von zehn auf acht Prozent abrutscht. Ein Verlust von etwa einem Fünftel des Wähleranteils wäre zweifellos ganz erheblich. Allerdings braucht sich DIE LINKE wegen ihrer starken Position in den neuen Bundesländern keinerlei Sorgen um ihren Wiedereinzug in den Bundestag machen. Das wahlpolitische Gewicht der Linken auf Bundesebene misst sich ohnehin weniger an der Höhe ihres Stimmenanteils als an der Frage, ob er größer oder kleiner ist als der Vorsprung von Rot-Grün gegenüber Schwarz-Gelb.

Zurzeit liegen SPD und Grüne mit zusammen 48 % mit zehn Punkten vor Union und FDP, die gemeinsam auf nur 38 % kommen. Das sind mehr als die acht Prozent für die Linkspartei, allerdings nur noch wenig mehr. Noch ein Prozentpunkt weniger für Rot-Grün, und die absolute Umfragemehrheit wäre dahin. Auch innerhalb des „rot-grünen Lagers“ haben sich die Kräfteverhältnisse leicht verschoben. Alle Institute messen einen Zuwachs für die SPD zulasten der Grünen. Selbst bei Forsa liegen inzwischen beide Parteien gleichauf; zwischenzeitlich lag dort die Ökopartei mit fünf Punkten vor den Sozialdemokraten.
Der grüne Höhenflug sei vorbei, schlussfolgerte daraus bspw. die Welt, was angesichts der Tatsache, dass hier von Einbußen in der Höhe von zwei bis drei Prozentpunkten die Rede ist, etwas übertrieben erscheint. Immerhin liegen die Grünen in sämtlichen Umfragen gut über der 20-Prozent-Marke. Abgesehen davon: selbst wenn der „grüne Höhenflug vorbei“ sein sollte, die Grünen sich also nicht über 20, sondern irgendwo zwischen 15 und 20 Prozent einpendeln sollten, ließe sich nicht wegtiteln, dass der Aufstieg der Grünen in den letzten Monaten das deutsche Parteiengefüge gravierend verändert hat. Während Union und SPD sich fragen lassen müssen, ob Werte um die dreißig Prozent noch das Attribut „Volkspartei“ rechtfertigen, haben sich die Grünen als Dritter im Bunde endgültig etabliert.

Funktional nehmen sie damit in der Berliner Republik genau die Rolle ein, die der FDP in der Bonner Republik zufiel. Ganz egal, wie sich die Gewichte von Bundestagswahl zu Bundestagswahl verschoben hatten, die – übrigens nur zwischen fünf und zehn Prozent angesiedelte – FDP konnte festlegen, ob die Schwarzen oder aber die Roten zu bestimmen haben. Und damit selbst im Nachkriegsdeutschland ihren prägenden Stempel hinterlassen. Wem das Ergebnis der letzten Bundestagswahl 2009 wie ein Déjà-Vu vorkam, wurde ziemlich schnell eines Besseren belehrt. Inzwischen ist klar: selbst wenn die Liberalen ihre gegenwärtige Existenzkrise überstehen sollten (was keineswegs als ausgemachte Sache gelten kann), die Rolle des Mehrheitsbeschaffers haben sie ein für alle Mal verloren. Das Zünglein an der Waage spielen heute die Grünen – jetzt und voraussichtlich noch eine ganze Weile.

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