Akif Pirincci- ein Abschied

Kater Francis sieht entsetzt Akif Pirincci an
LIzenz: CC0 Public Domain

Für die Ruhrbarone schildert unser Gastautor Francis den Aufstieg und Fall seines Freundes und Besitzers Akif Pirincci.

1. Eine traurige und böse Geschichte

Wenn Sie die Geschichte von meinem Besitzer Akif tatsächlich hören wollen – und ich empfehle Ihnen eindringlich, sie zu hören -, so müssen Sie sich zunächst mit dem Gedanken vertraut machen, dass Sie keine angenehme Geschichte hören werden- im Gegenteil. Die skurrilen Geschehnisse, durch die er sich in diesem Herbst und Winter hindurch quälen musste, ließen ihm endgültig bewusst werden, dass Harmonie und ein geruhsames Leben für seinesgleichen eine Angelegenheit von kurzer Dauer ist. Und mittlerweile glaube ich, dass vor dem allgegenwärtigen Horror niemand verschont bleibt und dass das Chaos jeden Augenblick über uns alle hereinbrechen kann. Aber ich will Sie nicht mit einem Vortrag über die finsteren Abgründe unseres Daseins zu langweilen und erzähle besser Akifs Geschichte – eine traurige und eine böse Geschichte.

Sie folgt der Logik eines klassischen Dramas und handelt sogar von einer enttäuschten Liebe- so viel sei vorweg gesagt. Akif hätte der Held eines Integrationsromans sein können- hätte er doch nur geschwiegen. Sein Lebensweg stünde als mustergültiger, anekdotischer Beweis parat, um ein gängiges Narrativ seiner geliebten wie verhassten „bunten Republik“ zu stützen.

Sehen wir uns zunächst ihren Protaginisten an. Deutschland betritt er erstmals 1969 als Sohn eines türkischen Gastarbeiters und strandet mit seinen Eltern, Statisten des Wirtschaftswunders, in Ulmen. Innerhalb einer Generation gelingt dem Sohn mit Hauptschulabschluss der Sprung aus der Arbeiterklasse in das Herz des Bildungsbürgertums. Während der Vater noch körperlich arbeitet, veröffentlicht der musisch veranlagte Akif 1981 mit „Tränen sind immer das Ende“ seinen ersten Roman. Das Buch ist nicht besonders erfolgreich. Aber das war  absehbar.

2. Felidae

Der kometenhafte Aufstieg meines Besitzers konnte natürlich erst stattfinden, nachdem ich in sein Leben getreten bin und Akif den Roman „Felidae“ veröffentlicht hat. Was das Wort „Felidae“ bedeutet? Ganz einfach: Es ist der Überbegriff für meine Art. Alle Katzengattungen werden offiziell der Hauptursprungsart, der „Felidae“, zugerechnet.

Erscheint die erste Auflage noch mit einer Stückzahl von 7.000 Exemplaren, explodieren bald die Verkaufszahlen. Das Buch klettert steil auf Rang fünf der Taschenbuchhitparade und wird in viele Sprachen übersetzt. Und Akif wird als Verfasser der mittlerweile abschätzig als „Katzenkrimi“ bezeichneten Geschichte berühmt.

Ich erlaube mir, in der gebotenen Kürze die Handlung des Romans zusammenzufassen, denn ich kann nicht unterstellen, dass Sie ihn gelesen haben. Sie werden später verwundert feststellen, wie viele Motive des Romans Sie auch in meiner Geschichte über Akif wiederfinden werden. Aber seien Sie gewarnt: Wenn Sie vorhaben, das Buch zu erwerben (was schwierig werden könnte- aber dazu später mehr) dann überspringen Sie diesen Abschnitt und setzen das Lesen bei der nächsten Überschrift fort.

Für alle Anderen: „Felidae“ beginnt mit einem Umzug. Das, was ich im Leben am meisten hasse, und, da ich der Reinkarnationstheorie in meinen philosophischen Stunden zu glauben geneigt bin, auch in meinen früheren Leben gehasst haben muss, sind Umzüge und alles, was damit zusammenhängt. Mittlerweile glaube ich, dass am Anfang und am Ende jeder Katastrophe ein Umzug steht. In dem Roman begann die Katastrophe an dem Tag, an dem ich mit meinem Vorbesitzer Gustav in eine stinkende Ruine von einem Haus einzog.

Bei der ersten Erkundung meiner neuen Heimat entdeckte ich im Garten des Hauses die Überreste von Deep Purple, einem uralten Europäisch Kurzhaar, dessen Nacken aussah, als hätte jemand darin seinen neuen Eispickel ausprobiert. Es ist, wie erwähnt, ein Krimi, der genretypisch mit einem Mord beginnen muss.

Es sollte nicht der letzte Tote bleiben. Und während die Artgenossen in meinem Viertel die Dosenöffner verdächtigten oder das Werk eines planlosen Wahnsinnigen vermuteten, erkannte ich: Die Morde folgten einem Muster. Zu schön wäre es gewesen, wenn sich herausgestellt hätte, dass es sich um einen jener wahnsinnigen Serienkiller gehandelt hätte, die gelegentlich in der menschlichen Gesellschaft vorkommen.

Aber Geistesgestörte gibt es im Tierreich fast nie. Und wenn doch, bringen sie es nicht weit, sondern gehen gleich nach dem Kindesalter in die ewigen Jagdgründe ein. Es war natürlich kein reiner Zufall, dass es der Mörder immer auf rollige Artgenossen männlichen Geschlechts abgesehen hatte.

Das wirkliche Ausmaß dieses planmäßigen Abschlachtens wurde mir erst bewusst, als ich in einem verborgenen Tempel in einem Katakombensystem unter meiner beschaulichen Heimatstadt Bonn einen Berg hunderter, verstümmelter Katzenkadaver vorfand.

Dies ist übrigens die letzte Chance, zum nächsten Abschnitt zu springen. Denn ich beginne im nächsten Satz mit der abgedrehten Auflösung des Komplotts: 1980 forschte der verrückte Professor Julius Preterius vergeblich in ebenso geheimen wie grausamen Experimenten nach einem Wunderkleber für organisches Gewebe. Bei den Experimenten überprüfte er die Wirksamkeit seiner Erfindung, indem er meinesgleichen als Versuchstier aufschlitzte, um die klaffenden Wunden mit Hilfe seines Klebers zu verschließen. Dem erfolglosen und labilen Preterius wurden bald die Mittel gestrichen, sodass er seinen Bedarf an Versuchsobjekten mit wild gewordenen Streunern aus der Nachbarschaft stillte.

Als der mittlerweile vereinsamte Wissenschaftler in einer Nacht sein Experiment an dem dahergelaufenen Streuner Claudandus wiederholte, stellte er zu seinem Erstaunen fest, dass sein Wunderkleber plötzlich zu funktionieren schien. Seine Freude über den Erfolg stellte sich jedoch schnell ein, als Preterius erkannte, dass sich der Versuch nicht mit anderen Katzen wiederholen ließ. Preterius verkraftete seinen Misserfolg nicht und fiel dem Wahnsinn anheim. Claudandus jedoch überlebte.

Die brutalen Experimente des Dr. Preterius lösten in seinem Versuchstier Claudandus einen tiefen Hass auf eine Menschheit aus, die andere Arten ohne Scham und Skrupel unterjochte. Claudandus erkannte, dass es nicht die Überlegenheit des menschlichen Geistes oder Körpers war, die ihre Herrschaft über die Welt begründete, sondern allein ihr krankhaftes Selbstbewusstsein, das ihnen den Willen oder die Kraft dazu verlieh.

Claudandus fasste daher den Plan, die Jahrtausende alte Tyrannei der Menschen über sich und seine domestizierten Artgenossen zu zerschlagen. Das Herrenmenschendenken allein war der Grund, dass diese selbsternannte Krone der Schöpfung dann auch tatsächlich über die Welt herrschte und andere Kreaturen zum Spaß oder aus wissenschaftlichem Ehrgzeiz aufschlitzte oder als Delikatesse bei lebendigem Leib kochte, aus ihren Fellen Mäntel oder Handtaschen schneiderte und sie zu ihrer Belustigung in engen Käfigen als Spielzeuge hielt, um sie wegzuschmeißen, sobald sie ihrer überdrüssig geworden war.

Jedoch musste Claudandus erkennen, dass eine Revolution mit seinen domestizierten Artgenossen ebenso wenig zu machen war wie mit den Deutschen. Die Menschen hatten die Tierwelt gezähmt, durch gewissenhafte Zuchtauswahl verweichlicht und gefügig gemacht. Die wilde und eigensinnige Spezies der Felidae war zu einer traurigen Rasse zahnloser, kastrierter Kreaturen degeneriert, die ihren Herren willig die albernsten Kunststückchen vorführten, homosexuelle Neigungen entwickelten, einander vergewaltigten und zwanghaft onanierten oder sich selbst verstümmelten, die eigenen Kinder fraßen und bestenfalls ein sinnloses, unnatürliches Dasein in Apathie und Depression fristeten.

Unter den nichtsahnenden Blicken der Dosenöffner begann Claudandus mit einem Zuchtprogram, an dessen Ende die Wiedergeburt der stolzen Ur-Felidae stand, die sich als furchterregende Raubtiere den gebührenden Respekt verschaffen und die Hauskatzen im Wege der Erbauslese verdrängen sollten. Der Plan konnte aber nur dann gelingen, wenn sich Claudandus Superrasse nicht mit den Nachbarschaftskatzen vermischen würde. Was ich in den eingangs erwähnten Katakomben vorgefunden hatte, waren die Gerippe all jener armen Seelen, die in ihrer Triebhaftigkeit den Genpool von Claudandus Ur-Felidae zu verwässern versucht hatten.

Bevor Sie sich jetzt unnötig sorgen, bald unter dem Joch von Superkatzen zu stehen: Im atemberaubenden Finale des Romans deckte ich die Verschwörung auf und bereitete Claudandus finsterem Treiben in einem heroischen Duell auf Leben und Tod inmitten der lodernden Flammen eines brennenden Hauses ein Ende.

3. Das Schlachten beginnt!

Zurück zu Akif, der nun mehr oder minder gelungene Fortsetzungen zu „Felidae“ und auch einige Bücher ohne Katzen schreibt. Mit „Der Rumpf“ liefert er beispielsweise eine lesenswerte und abgründige Kriminalgeschichte, die um einen Krüppel ohne Arme und Beine und einen perfekten Mord kreist.

Mit seinem Erfolg wähnt sich mein schüchterner Besitzer als literarisches Wunderkind seines „alten Deutschlands“, das er zweieinhalb Jahrzehnte später in Gegenwart einer überforderten ZDF-Moderatorin zurückverlangen wird. Doch schon im SPIEGEL-Interview von 1992 erkennt die Journalistin Barbara Supp, dass Akif sich der sich aufdrängenden Rolle als Protagonist einer gelungenen Integrationsgeschichte verweigern wird:

[F]ür die andere, die naheliegende Rolle taugt er nicht, die überläßt er der Konkurrenz in Berlin. Dort sitzt dieser Krimi-Autor, der sich Jakob Arjouni nennt und über fiese Deutsche schreibt und darüber, was sie Fremden antun – die Marktlücke ist besetzt, und zu Akif paßt sie ohnehin nicht.

Eine Neigung zum Kitsch kann man meinem Akif nun wirklich nicht vorhalten. Und eine solch billige Tour hat mein Dosenöffner auch gar nicht nötig. Sein Schaffen setzt er mit der Dystopie „Yin“ und dem Fantasy-Krimi „Die Damalstür“ fort. „Die Tür“ wird 2009 mit Mads Mikkelsen in der Hauptrolle verfilmt.

Meine Erzählung nimmt jedoch erst Fahrt auf, als Akif mit einem grausamen Mord konfrontiert wird. Allerdings entdeckt er die Leiche nicht wie ich in seinem Garten, sondern in der Zeitung. Und nicht Akif klärt die Tat auf, sondern die Ermittlungsbehörde. Auch werden die Täter ohne Akifs Zutun gefasst und ein Jahr später von der 3. Großen Jugendstrafkammer des Landgerichts Verden verurteilt. Genau genommen handelt es sich nicht einmal um einen Mord, sondern um eine Körperverletzung mit Todesfolge. Für den Protagonisten eines Krimis bleibt also eigentlich keine Arbeit übrig. Meine Geschichte ist jedoch kein Krimi, sondern eine Farce.

Als Akif am 25.03.2013 liest, dass der fünfundzwanzigjährige Lackierer Daniel S. im niedersächsischen Ortsteil Kirchweihe nach einem Streit mit zwei türkischstämmigen Jugendlichen erst attackiert wird und kurz darauf seinen Verletzungen erliegt, setzt er sich an seinen Arbeitsplatz und formuliert mit derben Worten die ersten Sätze des Essays „Das Schlachten hat begonnen“ für das Blog „Achse des Guten“, in dem er die finstere Verschwörung hinter der Tat skizziert. Er legt Mahlers zweite Synfonie auf, während sich der Verdacht immer mehr verdichtet, und ihm fast der Schädel platzt.

In der „Tötung eines jungen Deutschen namens Daniel S.“ durch „Türken in Kirchweyhe“ sieht er einen Prozess evolutionärer Verdrängung, die an den Plan meines Antagonisten Claudandus erinnert. Fast jedem musste im Laufe der Jahre irgendwann aufgefallen sein, dass Freunde, Bekannte, Verwandte, Brüder und Schwestern ohne ein erklärbares Motiv ganz plötzlich verschwunden waren. Manchmal fand man ihre Leichen. Aber meist wurden sie nie mehr gesehen.

Dass diese hochgradig beängstigende Entwicklung scheinbar völlig unbemerkt stattfinden konnte, beruhte auf demselben Mechanismus, auf dem sich alle Gewaltherrschaften etablieren konnten, denen man nicht rechtzeitig Einhalt gebot. Das Böse hatte immer dort eine Chance, wo es mit wohlwollender Ignoranz rechnen konnte. Mit anderen Worten, die Dinge kamen immer so weit, wie man sie kommen ließ. ‚Diese Jugendlichen, die Daniel S. töteten, sind nicht wie wir‘, denkt Akif, der sich in Rage schreibt. Irgendwie hat er den Eindruck, als sei bei den Tätern aus unerklärlichen Gründen die Domestikation auf der Strecke geblieben.

Diese Menschen von der Gattung der Südländer, denkt er, sind wilder, abweisender, ja gefährlicher. Gruppen brutalisierter, arabischer Heranwachsender ermorden, so schlussfolgert Akif, die autochtonen, verweichlichten Einheimischen in ihrem eigenen Revier und verhindern auf diese Weise, dass sie Nachkommen zeugen können. Doch welche Nachkommenschaft war ihnen so unerwünscht? Welche Rasse genau sollte mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden? Europäisch Kurzhaar? Russisch Blau? Balinesen? Oder hegten die Männer mit den schwarzen Haaren gegen die Deutschen ganz allgemein eine, na ja, mörderische Abneigung?

Und ein Muster gibt es auch:

[Es] ist immer gleich. Eine Gruppe oder die herbeitelefonierte Kumpelschaar umstellt das Opfer nach der Jagdstrategie von Wölfen, wobei die Delta- und Betatiere stets außen herum laufen und für das einschüchternde Jagdgeheul sorgen und das Alphatier nach und nach von der Beute Stücke abzubeißen beginnt, bis am Ende alle über sie herfallen und hinrichten.“

Doch warum wehrt sich niemand gegen dieses Komplott? Akif glaubt, zu erkennen, dass die Politiker über ihr Volk auf dieselbe Weise herrschen wie es Claudandus über die Herrschaft der Menschen über die Katzen beschreibt. Und das große Schlachten werde durch die Medien und die „linksgrünversiffte“ Politik begünstigt. Die Herrschenden in Berlin hätten laut Akif eine „pathologische Umkehrung der Werte im öffentlichen Diskurs“ vorgenommen, nach der die „Migranten“ zum Gegenstand einer unbedingten Verehrung geworden seien. Das wirkliche Ausmaß werde bewusst verschwiegen:

„Die Zahl der solcherlei Weise ermordeten Deutschen wird von offiziellen Stellen bewußt geheimgehalten, es ist aber wohl nicht übertrieben, wenn man taxiert, daß es sich um die Opferanzahl eines veritablen Bürgerkrieges handelt.

Trotzdem stehen diese Rudel bei den Einheimischen hoch im Kurs, denkt Akif, als er die letzten Zeilen des Essays in die Tastatur hämmert und wütend vor dem inneren Auge sieht, dass bald das ganze Revier voll von diesen aufgeblasenen Wichtigtuern sein wird. Jedes Jahr tauchen mehr Fremde in seinem „heiligen Deutschland“ auf und lungern demnächst vielleicht auf der Suche nach „verschwulten“, deutschen Opfern vor seiner Haustüre herum. Und auch, wenn sie heute an den Bahnhöfen „Refugees Welcome!“ rufen- mit dieser Brut haben sie sich diesmal ans eigene Bein gepisst!

4. Ein Breivik ohne Waffe

Die Drastik des Essays findet großen Anklang- vor allem in den kleinbürgerlichen Teilen der Bevölkerung. Das Millieu, das sich später als „besorgte Bürger“ von Dresden formiert, sieht in dem Text  seine kühnsten Ängste bestätigt. So deutlich hat das noch keiner gesagt. Und das wird man doch noch sagen dürfen. Mehrere „linksgrünversiffte“ Journalisten kontern verzweifelt in einer Reihe empörter und teils offen hasserfüllter Kommentare.

Es handle sich, so Denis Yücel exemplarisch, um die „Fantasie eines Bonner Krimiautors“ „mit der sprachlichen Eleganz eines NPD-Kreisvorsitzenden“, die „den Postings sozialgestörter Internetdeppen“ entspreche. Voreilig konstatiert der damalige TAZ-Autor Akifs Ende: „Und, Herr Pirinçci: In die Pfanne gehauen haben Sie sich selber. Kein Bedarf mehr. Und tschüss.“ Yücel behält Unrecht. Vorerst.

Mit Erscheinen seines Bestsellers „Deutschland von Sinnen: Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“ wiederholt Akif letztlich nur die These aus „Das Schlachten hat begonnen“ in verschiedenen Varianten. Die „Lügenpresse“ ereifert sich über diese „Volle Ladung Hassund die „pure Menschenverachtung“ meines Besitzers. Es handle sich um ein rassistisches und homophobes Machwerk eines Anders Breivik ohne Waffe. Konnte das Zahlenmaterial Sarrazins noch in den Talkshows der Republik seziert werden, erübrigt sich jede Auseinandersetzung mit Akifs Beweisführung. „Deutschland von Sinnen“ ist eine Aneinanderreihung von wüsten Beschimpfungen. Auf die genauen Fakten kommt es auch dem Verfasser nicht an:

„Habe ich etwas vergessen? Ach ja, stimmt. Dieses Buch hat kaum Quellenangaben und schon gar keine Fußnoten. Es kann sein, daß ich bei einigen Zahlen und Daten danebenliege, aber im Ganzen wird es schon stimmen.“

5. Schlupflider wie ein Boxer

Die Medien beantworten das Buch mit Angriffen auf die Person Akifs. Während er sich selbst auf seiner Facebookseite selbstironisch als gealterter Lüstling mit einer Vorliebe für 21-jährige Kunststudentinnen inszeniert, spürt man die Freude in den Zeitungsredaktionen, wenn sie in ihren Artikeln auf seine gescheiterte Ehe verweisen. Auch seine Physiognomie wird nicht besonders freundlich dargestellt. Beschrieb die Journalistin Mely Kiyak Thilo Sarrazin noch als „lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur“, schildert Tomo Pavlovic Akifs Erscheinungsbild in ähnlicher Manier:

Schlupflider wie ein Boxer hinter einer Supermarktbrille, Geheimratsecken, viel zu dicke Uhr, nichtssagendes Freizeithemdchen, aus dessen Ärmel dünne, untrainierte Ärmchen mit Kippe zwischen den Fingerchen hervorschauen, wie das bei Berufsschreibern naturgemäß oft der Fall ist: Die übliche Charles-Bukowski-Attitüde des Halbintellektuellen. Doch von einem, der das Maul und die Hose so voll nimmt wie Pirinçci, hätte man mehr Klasse erwartet – oder wenigstens ein klein bisschen Testosteron.

Dabei hat Akif –das zu sagen bin ich ihm nach all den Jahren mehr als schuldig- doch auch sehr positive Züge. Er sorgt für mich, hält mir die alltäglichen, banalen Qualen vom Leibe und beschützt mich vor Gefahren. Und im Gegensatz zu Yücel und Pavlovic kann er ganz gute Katzen-Krimis schreiben. Ich achte und respektiere ihn, obwohl ich gestehen muss, dass mir sogar dies manchmal schwerfällt, wenn ich mir die Mitschnitte seiner Auftritte ansehe.

Bei seinen öffentlichen Lesungen tritt er nicht nur bei rechten Burschenschaften, auf AfD-Veranstaltungen und auf Einladung des obskuren Wikitobundes auf, sondern lässt sich im Dezember 2014 auf einer Kundgebung eines Pegida-Ablegers von Melanie Dittmer, einer „Identitären“-Aktivistin mit rechtsextremer Vergangenheit, das Mikrofon halten. Der „Überraschungsgast“ Akif ruft einer Menge aus Hooligans, Neonazis und „besorgten Bürgern“ entgegen, diese seien „Deutsche und keine feigen Ratten. Es lebe das heilige Deutschland!“.

Als Akif gerichtlich von der umstrittenen Kasseler Soziologie-Professorin Elisabeth Tuider belangt wird, nachdem er sie im Juni 2014 auf seinem Facebook-Profil als „Berufsperverse“ bezeichnet hatte, findet er großen Zuspruch im Spektrum der „Frühsexualisierungs“-Gegner. Akif findet wegen der Beleidigung einen Strafbefehl über 8.000,00 € in seinem Briefkasten und kokettiert fortan als eine Mischung aus Schlawiner und Outlaw mit seiner Vorstrafe. Angesichts der laufenden Kampagne bieten nationalkonservative Akteure eifrig im Viktimisierungswettbewerb mit. Sie versuchen, Akif als das „bessere“ Opfer einer „gleichgeschalteten Presse“ und als Kronzeugen einer absterbenden Meinungsfreiheit zu stilisieren und betonen den sachlichen Kern seines Facebook-Postings über Tuider.

6. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb

Das irrwitzige Finale seiner Karriere lässt sich ziemlich genau datieren: Am Abend des 19.10.2015 steht Akif auf der Bühne des Theaterplatzes vor der Dresdener Semperoper. Zunächst justiert die Pegida-Bürgermeister-Kandidatin Tanja Festerling dem kleinen Mann aus Bonn mit türkischem Migrationshintergrund den Mikrofonständer. Dann korrigiert Lutz Bachmann die Ausrichtung des Mikrofons. Die Menge klatscht und es ist schwer zu sagen, ob Akif heute ein Kater Francis sein will, der in einem neuen Katzenkrimi das Komplott des Claudandus enthüllt oder ob er sich als der Claudandus sieht, der die Menge in seine sinisteren Pläne einweiht.

Ich freue mich, dass ihr alle gekommen seid. Ich wollte eigentlich aus meinem Buch ‚Umvolkung‘ lesen, aber das wäre mir etwas zu billig vorgekommen. Deshalb habe ich eine Originalrede nur für diesen Anlass geschrieben. Nur für diesen Geburtstag. Am besten fange ich gleich an.

Es ist das einjährige Jubiläum des ersten Pegida-„Spazierganges“. Ich gebe den genauen Wortlaut einer längeren Passage wieder, weil ihr Inhalt entscheidend für den weiteren Verlauf meiner Geschichte ist.

Wie verwandt der Geist heutiger Politiker mit dem der Nationalsozialisten ist, sieht man daran, dass sie immer mehr die Maske fallen lassen und zunehmend als Gauleiter gegen das eigene Volk agieren. Am 14.10.2015 findet in der nordhessischen Gemeinde Nohfelden, ca. 16.000 Einwohner, ein Informationsabend bezüglich der aktuell erfolgenden Belegung von vorerst ca. 400 Invasoren statt, an dem auch der Regierungspräsident der Stadt Kassel, Dr. Walter Lübke, CDU, teilnimmt. Als ein Zwischenrufer seinen Unmut über das Erstaufnahmelager mit den Worten ‚Aber das wollen wir nicht‘ bekundet, antwortet ihm Lübke cool: ‚Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen.‘

Mit Werten ist gemeint, dass jeder Dahergelaufene, der seinen Fuß illegal auf deutschen Boden setzt, das Recht erzwingen darf, sich bis zu seinem Lebensende und das seines Clans von den Scheißkartoffeln auf Luxusniveau verköstigen zu lassen. Es ist ausgeschlossen, dass der Mann diesen Satz bei der Unmutsäußerung eines sogenannten Schutzbedürftigen über seine missliche Lage von sich gegeben hätte.

Dann die entscheidenden Sätze:

„Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem eigenen Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann, wenn er gefälligst nicht pariert. Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb.

Was Akif anschließend von sich gibt, ist zwar auch an diesem Tag vulgär, polemisch und dumm, in der Sache aber völlig gleichgültig. Denn in den Redaktionen der Republik ist man sich einig: Der kleine „Haustürke“ der rechten Branfstifter ruft seine „besorgten Freunde“ dazu auf, Flüchtlinge in Konzentrationslagern internieren. Er bedauere, so scheint es in ihren Artikeln, dass die KZs nunmehr geschlossen sind. Das hat er tatsächlich nicht gesagt. Doch das interessiert die Berichterstatter nicht. Die Headlines überschlagen sich. (Ein „Protokoll des Versagens“ in der medialen Berichterstattung trug der Journalist Stefan Niggemeier zusammen.)

Als die selbstgerechte Empörung über meinen Besitzer und die mahnenden Kommentare in den Leitmedien langsam, aber sicher der Ernüchterung über den tatsächlichen Inhalt der Rede weichen und die Strafanzeigen wegen Volksverhetzung bereits gestellt sind, ist Akifs Leben als Autor bereits passé. Es ist der erste Teil der bitteren Pointe: Eine Presse, die sich wortreich gegen die „Lügenpresse“-Chöre auf den Pegida-Versammlungen wehrt, liefert scheinbar den performativen Beweis für die Richtigkeit dieser Zuschreibung.

Doch zurück auf den Theaterplatz, auf dem die aufgepeitschte Menge nun „Volksverräter“ und „Widerstand“ brüllt. Akif fährt noch eine Weile fort. Doch dann wird es selbst den „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“ zu bunt. „Keine Hetze!“ tönt es aus allen Reihen. „Aufhören!“ skandieren sie. Die „Buh!“-Rufe übertönen die Lesung meines irritierten Besitzers. Lutz Bachmann bricht die beschämende Tirade ab. Akif soll sich vom Acker machen. Das ist der zweite Teil der Pointe: Der kleine Türken bringt der rechtspopulistischen Bewegung Skrupel bei.

Akifs Verleger Random House erklärt kurz darauf, die Belletristik dieses KZ-Freundes werde nicht länger in dem Verlag erscheinen. Auch der Marktgigant Amazon nimmt die Katzen-Krimis aus dem Sortiment. Akif klagt zwar erfolgreich gegen mehrere Zeitungen auf Richtigstellung. Aber das macht die Folgen seiner Rede nicht ungeschehen.

Es folgt die letzte Pointe: Friedhelm Nonte, der Betreiber des Atrium-Buchpalastes, eines Antiquariats in den Räumlichkeiten des eines ehemaligen Kinos in Hamm, geht das Scherbengericht über Akif nicht weit genug. Der Antiquar kündigt an, an einem verkaufsoffenen Sonntag seinen Bestand von Akif-Büchern öffentlich schreddern zu lassen. Die geplante Reminiszenz an die nationalsozialistische Literaturkritik geht nun auch den emsigsten Feinden von Akif, und in diesen Tagen ist fast jeder sein Feind, zu weit. Es hagelt Kritik an der historisch wenig sensiblen Idee einer kalten Bücherverbrennung durch einen Buchhändler. Nonte sagt die Aktion ab.

7. Tränen sind immer das Ende

Es ist wahrscheinlich die beste Geschichte von Akif, die er niemals geschrieben hat. Sie handelt vom Aufstieg eines deutsch-türkischen Autors, der mit seinen Lobgesängen auf den virilen, deutschen Herrenmenschen zur Ikone der islamfeindlichen Rechten wird. Obwohl er pausenlos skandalösen Unfug von sich gibt, wird ihm eine Aussage zum Verhängnis, die er so niemals von sich gegeben hat.

Die Geschichte hat allerdings ein Problem: Was wird aus dem Protagonisten? In der Fiktion hätte er möglicherweise nicht überlebt, um die Ereignisse mit einem tragisch-komischen Finale abzurunden. Er hätte nach seiner Rede dem Attentat eines Antirassisten zum Opfer fallen können. Ach, hätte er doch nur die Mörder von Daniel S. in einem Duell auf Leben und Tod in einem brennenden Haus bezwungen. Nichts davon ist geschehen. Es gibt keine Helden und keine Gewinner in dieser Geschichte. Ihre Figuren lässt sie so ratlos zurück wie den Leser. Die Beteiligten müssten sich fragen, wie es so weit hat kommen können.

Noch heute können Journalisten ihn in unserem Bonner Haus zu den Vorfällen im Winter 2015 befragen. Dort besuchte ihn kürzlich ein Redakteur der randständigen Bild-Zeitung für Verschwörungstheoretiker „Compact“ und fand einen Zigaretten rauchenden Halbintellektuellen in einem nichtssagenden Hemd vor, der selbst nicht zu glauben scheint, was in den letzten Wochen vorgefallen ist und vielleicht als einziger Beteiligter über meine Geschichte herzlich lachen kann.

Diese Stippvisite ließe sich als Einladung deuten. Akif könnte fortan vergeblich und im Geleit der obskuren „Alternativmedien“ am eigenen Opfermythos feilen und seine Wunden in Gesellschaft der Udo Ulfkottes, Eva Hermanns, der Jürgen Elsässers und Matthias Mattusseks der Republik  lecken, um ein elendes Dasein im Angesicht von domestizierten Kartoffelköpfen zu fristen, die ihr Revier an die Invasoren aus Syrien verloren haben und sich nur noch in den Kommentarspalten der Zeitungshomepages wild und frei fühlen können. Für eine Nachbereitung der Pegida-Rede stünde sicherlich der Kopp-Verlag bereit. Akif aber kündigt an, das Land zu verlassen und lehnt freundlich ab:

Ich könnte in irgendwelchen obskuren Magazinen meine Meinung kundtun und sozusagen nachtreten. Aber was soll das? Ich bin kein schlechter Verlierer. Ich bin ein guter Verlierer. Sie haben gewonnen. Ich habe verloren. So einfach ist das. Ich bin 56 Jahre alt. Ich habe tolle Zeiten erlebt. Ich hatte die besten Frauen. Ich habe tolle Erfolge gehabt. Ich habe Millionen verdient. Ich bin 56. Da bleibt jetzt auch nicht so viel.

Jetzt war die Welt wieder in Ordnung – zumindest war die Ordnung geklärt- wenn man mal von der unerträglichen Katastrophe des nun anstehenden Umzugs absieht…

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
7 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
FrankN.Stein
FrankN.Stein
8 Jahre zuvor

Es ist schon bemerkenswert wie sehr Akif's heute vertretene Ideologie der des Schurken aus Felidae ähnelt. Wenn man zu seinem eigenen Bösewicht mutiert, läuft was schief.

trackback

[…] Julius Hagen hat für die Ruhrbarone dokumentiert, was Kater Francis zu seinem Herrchen Akif Pirincci zu sagen hat: «Es ist wahrscheinlich die beste Geschichte von Akif, die er niemals geschrieben hat. Sie handelt vom Aufstieg eines deutsch-türkischen Autors, der mit seinen Lobgesängen auf den virilen, deutschen Herrenmenschen zur Ikone der islamfeindlichen Rechten wird. Akif- ein Abschied […]

n.n.
n.n.
8 Jahre zuvor

Herzliche Grüße an den Kater Francis, der mich durch meine Jugend begleitet hat. Schön, dass ich mal wieder von ihm hören durfte.

@FrankN.Stein
Glauben sie, dass Akif Pirinçci in der Geschichte ein Böse ist? Dann sind sie auf auf den Streich vom neuen Till Eulenspiegels reingefallen.

Alreech
Alreech
8 Jahre zuvor

Akif's Ideologie ähnelt tatsächlich der des Schurken aus Felidae.
Der Schurke in Felidae ist Francis, der den Überkater tötet weil dieser reihenweise die Katzen in der Nachbarschaft ermordet hat.
Das geht gar nicht, er hätte in einem konstruktiv-kritischen Dialog versuchen müssen die Nazikatze von ihrem Rassenwahn abzubringen.

Andreas Mäckler
8 Jahre zuvor

Feinsinniger Artikel – Chapeau!

Francis2
Francis2
8 Jahre zuvor

Es ist persönliche Rache und wirtschaftliche Vernichtung , Bücher, die bis gestern harmlos, apolitisch und gefeiert waren, aus dem Angebot zu streichen. Berufsverbot? Ich denke, es kommt dem sehr nahe. Ein Opfer politischer corectness , vorauseilenden Gehorsams und Selbstzensur. Wer ist der Nächste?

Werbung