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Antisemitismus neu definiert? „Jerusalemer Erklärung“ ist BDS im Wissenschaftskostüm

Pro-Israel-Demo in Berlin 2009 by Dana Bondarenko and Sergey Gavrilov CC 3.0

„Ungeeignet, unklar, diffus“. Die Doktorarbeit von Franziska Giffey? Die „Jerusalemer Erklärung“, angerichtet von 200 „internationalen Wissenschaftler:innen mit Schwerpunkten in der Antisemitismusforschung und verwandten Bereichen“. Im März hatten die 200 kund getan, sie hätten Antisemitismus „neu definiert“ und, sieh an, ein neues Ergebnis gefunden: BDS, die anti-israelische Hetzkampagne, sei „per se“  –  aus sich heraus  –  „nicht antisemitisch“. Lars Rensmann, in der Antisemitismusforschung eine Adresse, hat sich die „Jerusalemer Erklärung“ näher besehen, es sind keine Blumen, die er ihr überreicht: Die 200 hätten sich „keinen Gefallen getan“ damit, ihre „erstaunliche Unkenntnis der Antisemitismus- und Rassismusforschung der letzten Jahrzehnte“ zu beweisen. Was sie zuwege gebracht hätten, sei „schlichtweg falsch und analytisch unbrauchbar“. Die Amadeu Antonio-Stiftung hat Rensmanns Expertise jetzt auf Belltower News gestellt, es lädt dazu ein, die „Jerusalemer Erklärung“ noch einmal zu lesen. Um zu verstehen, wie das geht, dass Antisemitismus aus der Welt hinaus gewissenschaftet wird.

Lars Rensmann, in Bochum geboren, Professor für Politik in Groningen, ist Mitglied des Editorial Boards des Journal for the Study of Antisemitism, es ist die in der internationalen Antisemitismusforschung maßgebliche Fachzeitschrift. Von den 28 Wissenschaftlern des Boards tragen gerade einmal zwei die „Jerusalem Declaration“ mit. Die „Expert:innen“, die sie unterzeichnet haben, bescheinigen sich ihre „fachliche Autorität“ darin mehrfach selbst, tatsächlich sind sie, so Rensmann, „mehrheitlich fachfremd“. Ihre „Erklärung“: „ein kaum verhohlen politisches Manifest“. Zwar betonen die 200 Deklarateure, „keine politischen Absichten“ zu hegen, auffällig aber, dass

„Rhetorik und Methoden der BDS-Kampagne (…) direkt und indirekt zitiert und in allen möglichen Wendungen als ‚nicht per se antisemitisch‘ deklariert (werden).“

Rensmann spricht von einer „Exkulpation der BDS-Bewegung vom Antisemitismus“, einem Freispruch im Wissenschaftskostüm. Denkt man seiner Expertise nach, wird der Freispruch in vier, nun ja, Gedankenschritten erteilt: einer (1) tautologischen Definition, die (2) keinen Begriff von Antisemitismus hat, sie versenkt ihn stattdessen in einem (3) ort- und zeitlosen Rassismus, um ihn (4) nach Bedarf daraus zu angeln oder eben nicht; wer bei diesem fishing for antisemitim völlig aus dem Blick gerät, sind (5) die Palästinenser.

(1)  Antisemitismus neu definiert

Der „Jerusalemer Erklärung“ zufolge gelte als antisemitisch, wenn  –  es ist Kern dieser Definition  –  „Juden als Juden / Jews as Jews“ attackiert werden oder eben „Jewish institutions as Jewish“. [1]

In der Formel Jews as Jews geht es darum, wie sich Juden selber verstehen  –  das erste Jews  –  und dann darum, wie sie von denen verstanden werden, die sie attackieren, das zweite Jews. Im antisemitischen Blick dürften die beiden Vorstellungen kaum deckungsgleich sein, im ersten Fall geht es ums Selbst-, im zweiten ums Fremdbild, im ersten um Identität, im zweiten um antisemitische Projektionen.

Für wen oder was ihre Definition von Jews denn nun gelte? Das fragen sich auch die 200 Experten und antworten:

„Die Definition gilt unabhängig davon, ob jüdische Identität ethnisch, biologisch, religiös, kulturell usw. verstanden wird.“

Die Antwort beschreibt offensichtlich das Selbstverständnis jüdischer Menschen, das in der Tat sehr verschieden sein kann  –  aber erklärt sie auch das zweite Jews, das Fremdbild, das sich Antisemiten von selbstbestimmten Juden machen?

Wenn nicht, gähnte eine Leerstelle in Jews as Jews: Die Vorstellung, die sich Antisemiten von Juden machen, fiele aus der Defintion von Antisemitismus heraus, übrig bliebe nichts.

Sollte die Antwort dagegen, so wie fürs jüdische Selbst-,  so auch fürs antisemitische Fremdbild gelten, würde es bedeuten, dass Antisemitismus „unabhängig“ sein sollte davon, wie Antisemiten Juden verstehen. Dass es egal wäre, ob Antisemiten ihr Bild, das sie sich von Juden machen, „ethnisch“ pinseln oder „biologisch“ oder „religiös“ oder „usw.“. Antisemitismus wäre unabhängig von Antisemitismus, wieder bliebe ein reines Nichts: Auf beiden Seiten der Gleichung Jews as Jews stünde ein Jüdischsein, das „unabhängig“ sein soll von jeder konkreten Bestimmung. Das jüdische Selbstbild wäre dies und das oder auch nicht „usw.“, und auch Antisemitismus wäre dies und das oder auch nicht „usw.“. Begrifflich ist die Bewegung von irgendwas zu irgendwas eine von nichts zu nichts. Jews as Jews ist Tautologie pur, völlige Leere.

Die Folge: Alle Attacken, an denen kein Post-It klebt, auf dem steht, man habe auf Juden als Juden gezielt, fallen aus dieser „Definition“ raus, [2] alle kodierten Formen von Antisemitismus  –  es sind fast alle  –  sind vor die Klammer gezogen:

Werden Juden nicht als Juden, sondern als Adrenochrome attackiert oder als Israelis, als Virus oder als Zionisten, schießt wer auf eine Synagoge und brüllt dazu „Gaza“ oder werden durchdachte Attentate verübt auf jüdische Sportler verübt wie 1972 auf die israelische Olympia-Mannschaft in München  –  das alles wäre nicht „per se“  –  aus sich selber heraus, engl. in and of itself   –   antisemitisch, sondern irgendwie anders motiviert. De facto behauptet die „Jerusalemer Erklärung“, Antisemitismus entstehe nicht aus Antisemitismus, sondern würde von außen herangetragen: Die 200 Experten definieren Antisemitismus als „Antisemitismus-Vorwurf, der einen ja auch immer von außen ereilt. Fast schon witzig, Rensmann liest in dieser Definition

„eine ins Groteske übersteigerte Engführung, welche eine Anwendung so weit erschwert, dass am Ende gar nichts mehr als antisemitisch erscheint“.

Entscheidend anders die Definition von Antisemitismus, die von der IHRA, der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) erarbeitet wurde, sie wird weltweit geteilt: In ihr geht es nicht um „Juden als Juden“, sondern um ihre „Wahrnehmung als …“.

(2) Was Antisemitismus ist

Mit ihrer sinnfreien Definition verkennt die „Jerusalemer Erklärung“, was Antisemitismus ausmacht, er ist eine welterklärende, phantasmagorische und personifizierende Verschwörungserzählung sui generis“, so Rensmann.

Als „Verschwörungserzählung eigener Art“  –  das sei hier ergänzt  –  zeichnet sich Antisemitismus dadurch aus, dass er wesentlich ambivalent ist. Eben weil er alles zu erklären sucht:

In der Figur des Juden, die im Antisemitismus gebastelt wird, kommen Oben und Unten überein, links und rechts, Gott und Gottesmord, Allmacht und Ohnmacht, Reichtum und Armut, Wallstreet und Kreml, Identität und Heimatlosigkeit  –  und seit es den Staat Israel gibt kommen hinzu: Orthodoxie und Tel Aviv, wehrloser Geist und militärische Gewalt, Siedlungspolitik und Kosmopolitismus, Herrschaft über die Welt und ein Sandstreifen am Meer … wäre Antisemitismus ein Denksport, hieße die Aufgabe, so viele Widersprüche wie möglich zu vereinen, die Aufzählung kommt an kein Ende.

Daher der totalitäre Charakter des Antisemitismus: Die alles erklärende Verschwörungstheorie ist mit einer alles vernichtenden Lösungsstrategie verwandt, ein totales Problem will eine totalitäre Lösung, keine Politik.

In der „Jerusalemer Erklärung“ aber wird dieser quasi-religiöse Anspruch, den Antisemitismus als Welterklärung stellt, als Spleen abgetan, als eine von „vielen antijüdischen Fantasien“:

Zwar erwähnt der Text ein paar Phänomene  –  Antisemiten glaubten, Juden würden die Welt „mit einer ‚verborgenen Hand‘“ lenken, seien aber an ihren „großen Nasen“ zu erkennen – , interessiert sich dann aber nicht für die massiven Widersprüche, die jeder Antisemit synthetisiert. Alles Marotten, kein Zusammenhang.

Außer dem einen, dass es alles mit „Mächten des Bösen“ zu tun habe. So erklären es sich die 200 Experten  –  eine Interpretation, die selber einen schwer religiösen Anspruch erhebt: Die „Mächte des Bösen“ sind von den 200 nicht einmal in Anführungszeichen gesetzt.

Dies alles  –  dass Antisemitismus Widersprüche anhäuft, dass er einen quasi-religiösen Erklärungsanspruch reklamiert, dass er ein totalitäres Lösungsdenken einfordert und eine ungeheure Synthese-Leistung verlangt, während jeder Tag beweist, dass man selber nichts davon hat, einen Kaugummi-Automaten zu sprengen wäre ergiebiger als eine Synagoge zu beschießen, eine Runde mit dem Tretboot auf dem Stadtteich besser für den Teint als wochenlang im Frauendeck unter Islamisten zu versauern  –  alles, was den Alltag von Antisemiten ausmacht, die sich die Welt erklären, wird wegerklärt.[3]

(3) Rassismus als business as usual

Reste bleiben immer, wie Rest-Antisemitismus entsorgen? Die 200 Experten lassen ihn im Rassismus verschwinden. Knall auf Fall führen sie Rassismus als „das Allgemeine“ ein. Auf ihre Definition, was Antisemitismus alles nicht sei, folgt übergangslos: „Leitlinien A. Allgemein 1. Es ist rassistisch, zu essentialisieren …“  

Und Gott sprach, der Satz in Gänze: Es ist rassistisch, zu essentialisieren (eine Charaktereigenschaft als angeboren zu behandeln) oder pauschale negative Verallgemeinerungen über eine bestimmte Bevölkerung zu machen.“

Lassen wir diesen Satz stehen, plausibel ist er nicht, entscheidend hier die Folgerung:

„Was für Rassismus im Allgemeinen gilt, gilt im Besonderen auch für Antisemitismus.“

Damit gewinnt die „Jerusalemer Erklärung“ denn doch noch eine Definition, was Antisemitismus sei, nämlich eine

„pauschale negative Verallgemeinerung [4] über eine bestimmte Bevölkerung“,

vergleichbar jeder anderen wenig vorteilhaften Meinung, die einer über Finnen fällt und über Frauen, über Schwule oder Schweden, Senioren oder Senegalesen, über Bulgaren und Behinderte und Island und Islam, über LB und LGBT und Franzosen und Fromme, über Bayern und Bayernfans … alles „Rassismus im Allgemeinen“. Gerade weil dies nichts erklärt und alles meint, gewinnt die Bestimmung hier eine Funktion:

Aus Jews as Jews wird business as usual. Antisemitismus? Ist sehr besonders darin, nichts Besonderes zu sein.

(4) Willkür from the river to the sea

Wie Antisemitismus orten, wenn man keinen Begriff von ihm hat? Die „Jerusalemer Erklärung“ karrt Maßstäbe herbei, die keine sind: „Emotionen“ und „Identitäten“ und „Intentionen“. Alles Dinge, so Rensmann, „die gänzlich ohne Kriterien operieren“.

Beispiel „Intentionen“: Aus der empirischen und rekonstruktiven Sozialforschung sei bekannt,

„wie schwer es ist, die subjektiven, vermeintlich ‚wahren Intentionen‘ von Menschen hinter Aussagen zu rekonstruieren oder gar zu klären. (…) Auch ist diese Frage kaum operationalisierbar — selbst im Forschungskontext nicht. Nicht die vermeintlich mögliche, hypothetisch wirkliche ‚Intention‘ hinter Äußerungen, sondern der objektive, d.h. intersubjektiv erzeugte und geteilte Sinngehalt von Aussagen lässt sich bestimmen. Und danach lässt sich auch beurteilen, ob eine Aussage als antisemitisch (oder rassistisch) zu bewerten und zu kritisieren ist oder nicht — unabhängig davon, was jemand ‘eigentlich‘ gemeint haben mag oder welche ‚Identität‘ ein/e Sprecher/in hat.“

„Ein Mordaufruf“: Free Palestine Rally in Melbourne Mai 2021 by Matt Hrkac CC 2.0

 

Ruhrbarone-Beispiel: Auch Achille Mbembe wurde immer wieder mit dem Argument verteidigt, er verfolge freundlichste Absichten. Was stimmen dürfte, aber nichts daran ändert, dass er den jüdischen Gott zu einem „Rachegott“ erklärt, die „Rache“ zu einem jüdischen „Prinzip“, die „Vergeltung“ wiederum zum Prinzip israelischer Politik und Terror zur „Vision der Freiheit“. Es ist wie aus der Antisemiten-Fibel abgepinnt, bisher hat niemand Mbembe einen Antisemiten genannt. Er ist es auch nicht deshalb, weil er solche Sachen schrieb, er wird es, weil er sie nicht zurücknimmt. Es steht in der Welt, er lässt es stehen, der Sinngehalt wird geteilt.

Anderes Beispiel, Rensmann führt es an: die Forderung, Palästina „from the river to the sea“ zu befreien, vom Jordan bis zum Mittelmeer. Sinngehalt der Formel: Israel eliminieren, ihren Sitz im Leben hat die Formel in der

„aggressiven, gegen Juden im Nahen Osten gerichteten Rhetorik des militanten palästinensisch-nationalistischen und des radikal-islamistischen ‘Befreiungskampfes‘“.

Ein „Mordaufruf“, so Rensmann, von BDS trompetet, von Hamas befolgt. Die 200 „Expert:innen“ der „Jerusalemer Erklärung“ lesen darin allen Ernstes

„das Eintreten für diverse verfassungsrechtliche Lösungen für Juden und Palästinenser in dem Gebiet zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer. Es ist nicht per se antisemitisch, Regelungen zu unterstützen, die allen Bewohner:innen ‚zwischen dem Fluss und dem Meer‘ volle Gleichberechtigung zugestehen“.

Als würden 200 Nazi-Experten behaupten, dass Nazis, kaum dass sie „Israel ist unser Unglück grölen, recht eigentlich das Glücksversprechen einlösen wollten, das allen gegeben sei, pursuit of happiness. Wobei sich, so Rensmann,

„der innige Zusammenhang zwischen Israelhass, Vernichtungswünschen gegenüber dem jüdischen Staat und Antisemitismus immer wieder empirisch bestätigt“.

Auch BDS hat nie einen Zweifel daran gelassen, worum es der Hass-Kampagne geht:

„Definitiv, ganz definitiv, sind wir gegen einen jüdischen Staat in irgendeinem Teil Palästinas“,

so etwa Omar Barghouti, er ist Cheerleader dieser westlich dominierten Kampagne, es gibt Dutzende solcher Zitate. Die 200 Experten der „Jerusalemer Erklärung“ aber bestreiten jeden Zusammenhang zwischen Hass auf Juden und Hass auf Israel, sie befragen sich selber:

„Unterscheidet die ‚Jerusalemer Erklärung‘ zwischen Antizionismus und Antisemitismus?“

Und antworten:

„Diese beiden Konzepte unterscheiden sich grundsätzlich.“

Samuel Salzborn, Berliner Antisemitismusbeauftragte, nennt dies ein

„rhetorisches Ticket, das seit Jahrzehnten keine Gültigkeit mehr hat. Es gab natürlich in der Vergangenheit innerjüdische Debatten, in denen der Zionismus in Frage gestellt wurde, hier und dort ist das auch immer noch der Fall. Faktisch ist es aber seit Jahrzehnten so, dass nahezu alle, die sich antizionistisch äußern, auch Antisemiten sind.“

Ebenso Rensmann, er stellt in seiner Expertise klar:

„Die Behauptung dieser ‚grundsätzlichen‘ Differenz (zwischen Antisemitismus und Antizionismus) ist historisch und empirisch falsch. Sie steht im Widerspruch zu den Erkenntnissen der Antisemitismusforschung.“

Und dann erinnert er –  der Hinweis liegt so nahe, dass es weh tut, ihn zu zitieren  –  an Adolf Hitler, der den „Zionistenstaat“ bereits 1920, ein Vierteljahrhundert vor Staatsgründung, zur Schaltzentrale jüdischer Weltherrschaft erklärt hat,

„von dort aus soll alles dirigiert werden und jeder Jude soll gewissermaßen noch eine Immunität bekommen als Staatsbürger …“

Offensichtlich, dass es keinen Staat Israel braucht, um ihn zu hassen.

 (5) Recht auf Demokratie

Die „Jerusalemer Erklärung“ ist kraus, sie redet Antisemitismus aus der Welt und Terror schön. Palästinensern bleibt ein Leben mit der Hamas. Rensmann spricht von einem „verzerrten Universalismus“.

„Free Syria“: Minderheiten-Meinung auf Pro-Gaza-Demo in Bochum Mai 2021 by thw

 

Auch das kennt man von BDS seit Jahren: Die Boykotteure sind so sehr damit beschäftigt, keinmal in Israel zu spielen, dass ihnen keine Minute bleibt, einmal in Ramallah aufzutreten. So jetzt auch die „Jerusalemer Erklärung“: Die „Stimmen von Palästinenser:innen“, von denen die 200 behaupten, sie wollten sie legitimieren,

„interessieren nicht als Stimmen gegen die religiöse Diktatur“,

so Rensmann. Als Leidtragende eines Terror-Regimes tauchen Palästinenser nicht auf. So wenig wie das Recht auf Demokratie auftaucht, das sie haben und das ebenso Israel hat darauf, dass es die Palästinenser endlich einmal wahrnehmen können: Demokratien verhandeln.

Auch Micha Brumlik, emeritierter Erziehungswissenschaftler und Publizist, ein links geschulter, aber unabhängiger Kopf, hat die „Jerusalemer Erklärung“ unterzeichnet und öffentlich verteidigt. Zuletzt, als auch die Hamas ihre Jerusalemer Erklärung abgegeben und auf die Stadt Raketen abgefeuert hat, die hierzulande von Tausenden bejubelt wurden, zuletzt klang Brumliks Erklärung anders:

„Mein Eindruck ist, dass es den Menschen, die dort (in Deutschland) demonstrieren, überhaupt nicht darum geht, Solidarität mit bombardierten Palästinensern, palästinensischen Frauen und Kindern in Gaza zu zeigen, sondern dass sie da einen Ausweg, ein Ventil suchen, um schieren Judenhass an den Tag zu legen.“

Brumlik spricht  –  nein, nicht von importiertem Antisemitismus, der sich gegen einen home grown Antisemitismus ausspielen ließe, der AfD-Sound ist weltenweit entfernt  –  Brumlik spricht von einem „grundlegend antisemitischen Tonfall“, der selbst legitime Kritik „delegitimiere“.

Wäre es, lieber Micha Brumlik, nicht an der Zeit für eine Ramallah-Erklärung, eine Gaza-Declaration? 200 Wissenschaftler aus aller Welt erklären, wie man eine Gesellschaft zur Demokratie verleiten könnte?

 

_ _ _ 

Anmerkungen

[1] Wörtlich: “Antisemitism is discrimination, prejudice, hostility or violence against Jews as Jews (or Jewish institutions as Jewish).” In der deutschen Übersetzung heißt es, als antisemitisch gelte, wenn „Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden“ attackiert werden. Wenn das mal keine Präzisierung ist.

[2] Der Antisemitismus der Nazis war nicht kodiert, am Ende wurden tatsächlich alle Jews as Jews ermordet, hier greift die Definition. Aber deshalb, weil die Nazis auch das erste Jews selber definiert haben, wer Jude sei, bestimmten sie. Die Wenigsten verfassen heute noch Bekennerschreiben wie Hitler.

[3] Dabei ließe sich gerade an diesem Punkt  –  dem ambivalenten Charakter des Antisemitismus  –  plausibel machen, was seine Spielarten verbindet: Sie haben die Maßstäblichkeit verloren. Das kleine Israel als größte Gefahr für den Weltfrieden; Hunderttausende, die nie gegen Assad protestieren, aber gegen Israel hetzen; Medien, die Terror mit Demokratie auf Augenhöhe bringen usw.

[4] Eine „pauschale Verallgemeinerung“ ist wiederum tautologisch, aber hier passt’s, alles ist eins.

 

 

 

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Walter Stach
Walter Stach
2 Jahre zuvor

Judenhass…
Ich habe u.a. hier bei den Ruhrbaronen vor "langer Zeit" 'mal angeregt, an Stelle des Begriffes Antisemitisums den des Judenhasses zu verwenden.

M.E. könnte mit der Verwendung des Begriffes Judenhass statt Antisemitismus
a.)
einfacher, für jedermann verständlicher und begreifbarer , in gewisser Weise auch radikaler klar gemacht werden, warum es geht. und
b.)
wäre dann auch die immer wiederkehrende und so manchen irritierende Feststellung "vom Tisch",
nach der es "Semitismus" gar nicht gibt, folglich auch keinen "Anitisemituse" geben kann und zudem bekanntermaßen zu den "semitischen Völkern" z.B. auch arabisch-muslimische gehören.

Wer über den Beitrag von Thomas Wessel hinaus daran interessiert ist, 'mal wieder "etwas ausführlicher" über "Antisemitusmus" (nach-) zulesen, dem empfehle ich:

SPIEGEL-Heft
GESCHICHTE
Ausgabe 3/2021

Antisemitismus

141 Seiten

nebst Hinweisen auf weitere aktuelle Literatur auf S, 142 und auf einige besonders zu empfehlende jüdische Museen auf S, 146

Jupp Schmitz
Jupp Schmitz
2 Jahre zuvor

Antisemitismus ist aber genau die Selbstbezeichnung, die sich diese Spezies im 19. Jh. selbst gegeben hat. Zur Unterscheidung von – nein, nicht vom Antizionismus, sondern vom – religiösen Judenhass. Schon kuhl: ersetzt man beide Begriffe durch BDS und/oder Antizionismus und/oder Israelkritik, macht es auch heute noch (keinen) Sinn.
Insofern passt das immer noch gut.

Enno
Enno
2 Jahre zuvor

Was auch dahinter steckt, ist Neid. Neid und Hass auf die Israelis, die so viel erfolgreicher sind als andere Länder in der Region. Erbärmlich.

Walter Stach
Walter Stach
2 Jahre zuvor

-2-
Wenn ich meine, statt von Antisemitismus von Judenhass sprechen bzw. schreiben, zu sollen,
dann nicht per grudnsätzlicher bzw. per allgemeiner Beifügung "religiös"-

Von Judenhass zu sprechen bzw. zu schreiben, schließt ein, daß über alle Motive dieses speziellen Menschenhasses geforscht, nachgedacht, geredet, geschrieben wird und zu diskutieren ist ;-auch, aber eben nicht nur über eine religiöse Motivation.

Von Judenhass zu sprechen und zu schreiben bedeutet für mich, zudem, , über alle Folgen/Auswirkungen dieses Judenhasses zu sprechen, über seine Existenz in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft; weltweit und für mich selbstverständlcih- vor allem bezogen auf Deutschland und die Deutschen, nicht nur aber vor allem wegen wegen des Holocaust, dem deutschen Völkermord an Juden.

Letzteres auch dem Volksmund gemäß,, wo nach man zunächst den Dreck vor der eigen Tür kehren sollte, bevor man…….

Diese hier wieder einmal von mir hier bei den Ruhrbaronen umschrieben Grundeinstellung zur Problematik Antisemitismus / Judenhass war für mich Anlass, unter -1- das SPIEGEL –Heft
Antisemitismus als Lektüre zu empfehlen, weil dort relativ kompakt ein Überblick geboten wird über die Vielseitigkeit, die Vielschichtigkeit der Antisemitismus-Problematik bzw. , was ich für sinnvoller halte, über den Judenhass -weltweit und speziell in "diesem unserem Lande" , in Deutschland also, durch Deutsche und das Alles trotz Holocaust.

Walter Stach
Walter Stach
2 Jahre zuvor

Thomas Wessel,
ja, aber…….

Ich meine nach wie vor, daß das, warum es in seinem Kern geht, einfacher, klarer, für jedermann verständlicher mit dem Begriff Judenhass zu beschrieben wäre und es insofern auch nicht "eines Umweges" bedürfen würde, , nämlich den der Interpretationn des Begriffe Antisemitismus.

Ich könnte mir z.B. vorstellen, wie reizvoll, wie interessant des sein könnte, z.B. in einem Seminar über eine Diskussion beginnend mit der Begrifflichkeit Hass, weiterführend zum Begriff Menschenhass, um dann (erst dann?) zum Judenhass zu kommen nebst des Nachdenkens und Aufzeigens aller seiner Spezifika, und dazu gehört dann das Besondere des Judenhasses in Deutschland bzw., des Judenhasses "der" Deutschen und dessen Höhepunkt im Holocaust. (Des vorläufigen Höhepunktes?).

Thomas Wessel,
ich würde es allerdings angesichts der Gesamtproblematik für völlig verfehl halten, wenn ich jetzt und hier versuchen würde, einen Streit über die "sinnvollste/zweckdienlichste" Begrifflichkeit zu führen .Deshalb lasse ich es bei meinen bisherigen Anmerkungen dazu.
Mir ginge es primär darum, die Gelegenheit zu nutzen, auf das SPIEGEL-Heft zum Antisemitismus aufmerksam zu machen.

Helmut Junge
Helmut Junge
2 Jahre zuvor

M.E.kommt es auf die Zielgruppe an, der ich etwas mitteilen will. Wenn die Zielgruppe mit historisch gewachsenen Begriffen nur wenig anfangen kann, muß man seine Sprache der Bildung und der Vorstellungswelt dieser Zielgruppe anpassen.
Sonst spricht oder schreibt man nur für die eigene Blase und für den traditionellen Gegner. Der versteht das natürlich immer noch, ist aber noch nie belehrbar gewesen. Insofern kann ich dem Gedanken von Walter Stach etwas abgewinnen.

nussknacker56
nussknacker56
2 Jahre zuvor

Die Jerusalemer Erklärung ist der wiederholte Versuch von selbstgefälligen Intellektuellen, einen klaren Begriff zur Unkenntlichkeit zu zerreden.

Das bloße Sich-Befassen mit den Verbrechen des Nationalsozialismus wird wertlos und gerät zur Selbstbeweihräucherung, wenn nicht zugleich ein Bogen zur Gegenwart geschlagen wird. Das akute Problem heute sind nicht irgendwelche SA-Banden, die „Tod den Juden“ rufen, sondern diejenigen, die „Allahu akbar“ hinten anfügen sowie die eifrigen deutschen Mitläufer und Sprachrohre aus dem linken, alternativen und sozialdemokratischen Parteien- und Medienspektrum.

Diese sind es, welche die seit Langem virulenteste Form des Antisemitismus, nämlich den israelbezogenen, verschweigen und ihm am liebsten ein hübsches maßgeschneidertes Trachtenkleid verpassen wollen, in das möglichst nur noch Rechtsradikale hineinpassen. Alles andere fällt dann unter „legitime Israelkritik“, die – und das ist ihr eigentliches Hauptanliegen – als sakrosankt zu gelten hat.

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[…] werden in diesem Weltbild bedacht, als seien sie bereits  –  from the river to the sea  –  vom Erdboden getilgt. Esche selber formuliert es etwas abgebrühter, er gibt das […]

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