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Initiative GG 5.3 Weltoffenheit: Antisemitisches Gatekeeping

Netta Foto: Raimond Spekking Lizenz: / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Führende Repräsentanzen der öffentlichen Kultur und Wissenschaft plädieren dafür, BDS zu akzeptieren, die antisemitische Boykottkampagne gegen Israel. Gleichzeitig warnen sie vor einer „Logik des Boykotts“. Ihre „Initiative Weltoffenheit“ fällt der privaten Kulturbranche in den Rücken und darum hinter gesellschaftliche Standards zurück. Unser Gastautor Thomas Wessel ist Pfarrer der Christuskirchen Bochum.

Das „Plädoyer“ für die Boykottbewegung BDS hat die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“   –  am ersten Tag von Chanukka veröffentlicht, dem jüdischen Lichterfest, eine sagenhafte Ignoranz  –  mitten in die Corona-Krise hinein getextet: die private Kulturbranche am Boden, das Weihnachtsgeschäft zerschlagen, eine ungewisse Saison vor Augen. In den kommenden Monaten werden die Insolvenzen anziehen, just jetzt erklärt „eine Truppe hochmögender Kulturfunktionäre“, dass gerade der Boykott von Kultur „Freiräume“ garantiere, dazu da, um „die eigene privilegierte Position als implizite Norm kritisch zur Disposition“ zu stellen.

Es ist beschämend. Als hätten sie, fest am Förderhahn vertäut, ihre Positionen jemals zur „freien Verfügung“ gestellt. Tatsächlich zur Disposition gestellt, zur gesellschaftlichen, sind wegen Corona die Unternehmen, Künstler/innen und Solo-Selbständigen der freien Kultur.

Noch beschämender, in dieser Situation zu versuchen, BDS durchzuwinken. Damit fällt die „Initiative für Weltoffenheit“ weit hinter die Standards zurück, die sich im popkulturellen Bewusstsein etabliert haben.

Beispiel dieser Tage: das Fußballspiel zwischen Paris St. Germain und Istanbul Basaksehir, von beiden Mannschaften abgebrochen, weil einer der Schiedsrichter einen Betreuer rassistisch beleidigt habe. Die Spieler boykottierten den Rassisten, der wurde ab- und das Spiel neu angesetzt, ein Lehrstück für den Umgang mit BDS.

Colin KaepernickNavid AfkariAnna Muzychuk, ein F-Jugend-Trainer hier, eine Leichtathletik-Trainerin dort, es gibt ungezählte Geschichten der Art und gibt sie ähnlich in der Popkultur: Der Eurovision Song Contest  –  ConchitaNettaDana International  –  ist evident für das, was die Intendanten-Riege eine „politische Ästhetik der Differenz“ nennt. “I will be gay, if the gay are burned”    singt Madonna auf Madame X, ihrem jüngsten Album – , “I’ll be Africa, if Africa is shut down. I’ll be Islam, if Islam is hated. I’ll be Israel, if they’re incarcerated.

Hinter solchen Standards gesellschaftlichen Bewusstseins steht eine freie Kultur, die für jenes „Klima der Vielstimmigkeit“ sorgt, um das sich die Initiative so besorgt. Es sind die Clubs und kleinen Labels, die Kleinverleger und mittelständischen Agenturen, die  –  mit privatem Risiko  –  unbekannten Künstler/innen Räume öffnen, Bühnen bieten, Karrieren aufbauen. Hier wird  –   in den Worten der Initiative  –  „Anderssein als demokratische Qualität“ in Szene gesetzt, hier gibt es  –  siehe Kollegah  –  noch viel zu tun, klar ist aber:

Der „Kampf“, dem sich die Intendanten verschrieben fühlen  –   „Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus und jede Form von gewaltbereitem religiösem Fundamentalismus“  –  dieser Kampf spielt in der freien Kultur und nicht im Förderantragsbewilligungsverfahren, er wird im Breitensport geführt und nicht im Spartenprogramm, er wird im Pop gewonnen und nicht im PACT.

Und das erfolgreich. Bei aller Kritik an FIFa und IOK, an Spotify und Eventim et al: Es ist der Markt, der für Weltoffenheit steht, auf ihm wird ausgepegelt, was geht und was nicht. Stand heute: Rassismus verkauft sich schlecht, Rechtsextremismus ist peinlich, Fundamentalismus nervt …

Und Antisemitismus?

Sei eine „kritische Position“, erklärt die Initiative allen Ernstes. Die Weigerung, mit jüdischen Israelis die Bühne zu teilen  –  was auf demselben Niveau liegt, auf dem die Jim Crow Laws lagen  –  rechnen die Intendanzen unter jene „Ambivalenzen“, die „zu ertragen“ seien. Und zwar von allen, happy Chanukka. Begründung:

„Da wir den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch für grundlegend halten, lehnen wir den Boykott Israels durch den BDS ab. Gleichzeitig halten wir auch die Logik des Boykotts, die die BDS-Resolution des Bundestages ausgelöst hat, für gefährlich.“

Es ist das einzig handfeste Argument im Wortgeklingel, interessanterweise steht es Kopf: Ausgelöst hat diese Logik ja nun der BDS, B wie Boycott, der Bundestag hat darauf reagiert. Was also soll gefährlich sein an der Logik, einem Boykott von Politik politisch zu begegnen und dem Boykott von Kultur kulturpolitisch? Die Argumente der Initiative kurz gelistet:

–  Achille Mbembe sei „ausgegrenzt“ worden.  | Tatsache ist, Mbembe kam ausführlichst zu Wort.

– Der Antisemitismusvorwurf sei „missbräuchlich“ gewesen.  |  Mbembes antisemitische Agitationen sind bestens belegt.

Der Bundestagsbeschluss schaffe ein „Klima von Misstrauen und Angst“. |  Sagen Juden, die mit Kippa durch die Straße laufen? Jammern bestbestallte Intendanzen.- Man müsse mit seinen Kooperationspartnern „im Gespräch bleiben“.  | Das geht nur, wenn man alle anderen, die BDS boykottiert, vorauseilend ausgrenzt.

Man könne nicht „vorauseilend Gesinnungsprüfungen“ abnehmen.  | Genau das geschieht andauernd, auch Rassisten können Kunst, Fundamentalisten Förderanträge stellen und Sexisten promovieren, nur behauptet niemand, man könne Sexismus bekämpfen, indem man Sexisten fördert.

– Ohne BDS-Akteure käme kein Programm zustande, kein gutes.  | Als sei BDS eine Künstleragentur. Oder ein Wissenschaftspool mit Monopol. Als sei der Hass auf Israel so verbreitet wie die Fähigkeit, eine Bewerbungsmappe ins Intendantenbüro zu schicken.

Keine Kultur ohne BDS?

Es ist die einzige Behauptung, die an die Wirklichkeit heran reicht, eine mögliche.  Weil sich in ihr, der Möglichkeit, die Logik des Boykotts zeigt. Beispiel: Young Fathers, das Hiphop-Trio aus Edinburgh, das Indentantin Carp 2018 unbedingt auf die Ruhrtriennale bringen wollte:

– Ein Jahr zuvor hatten sich die drei Schotten geweigert, auf der Pop-Kultur Berlin zusammen mit der Israelin Riff Cohen zu spielen. Für die Credibility der Young Fathers auf ihrem Heimatmarkt war es perfekt. Das öffentlich geförderte Festival reagierte souverän und ließ die Boykotteure ziehen.

– Ein Jahr später titelte Stefanie Carp: „Young Fathers, das schottische Erfolgstrio, sind zurück!“ Die anschließende Auseinandersetzung war bekanntlich zäh, der Promo-Effekt für die Young Fathers hoch  –  er wäre höher gewesen, hätten sie tatsächlich auf dem Festival der Künste gespielt: Kunststatus gilt in der Musikbranche als Ritterschlag, die Young Fathers hätten sich hübsch als Hiphop-Art vermarkten lassen, als familientaugliche Kombi aus Hiphop und Pop, Gospel und BDS.

– Vermarktet wurden die Young Fathers in Deutschland von Beginn an als Söhne von Massive Attack, dem internationalen Topact des Trip-Hop. Massive Attack wiederum sind seit 2011 oder länger Aushängeschild des BDS, geben sich betont kunstaffin und waren bereits 2013  –  als BDS-Band  –  auf die Ruhrtriennale geladen. Hätten die Young Fathers 2018 gespielt, der Kunststatus wäre wie eine Staffel weitergereicht worden und der BDS-Sticker zu einer coolen Applikation im Art-Hiphop-Style.

– Was wiederum alle Booker wüssten: dass, wer die coolen Young Fathers haben wollte, sich Musik aus Israel sparen kann, anders er darüber belehrt würde: sei es durch einen freundlichen Anruf der Agentur, sei es durch eine öffentliche Kampagne. BDS fährt sie gegen einzelne Musiker und gegen Festivals und gegen Clubs.

– Klar gäbe es, hätte BDS den Kunst-Stempel plus staatlichen Segen, bald erste Venues, die sich damit positionierten, dass auch sie, weil BDS zugetan, weltoffen seien und für Vielstimmigkeit sorgten, Flagge zeigten und dgl., den Sound dafür haben die Staatsintendanzen vorgespielt.

– Pech für alle, die sich dagegen verwahrten, sie wären out, weil sie „ausgrenzen“.

– Pleite statt Pech, würde kein privater Konkurrent, sondern ein staatlich geförderter Betrieb just jene BDS-Acts bringen, gegen die man sich als freier Kulturakteur verwahrt.

– Spätestens das schlüge zurück auf die Künstler/innen und freien Initiativen, die, um ihre Projekte realisieren zu können, auf Projektförderung angewiesen sind: Wenn BDS für „Vielstimmigkeit“ steht, für was stünde dann, wer sich gegen BDS wehrt? Wenn BDS für „kritische Reflexion“ steht, für was stünde dann, wer ohne sie reflektiert? Die Fördermittelgeber dieser Funktionärs-Initiative sind dabei, die „Schere im Kopf“, über die sie lamentieren, in alle Köpfe zu verpflanzen.

Ein schleichender Prozess. Was sich einschleicht, ist antisemitisches Gatekeeping.

Auch das hat bereits Stefanie Carp deutlich gemacht, im Juli 2018 wollte der SPIEGEL sie interviewen: „Bevor Stefanie Carp sich zum Interview bereit erklärt, fragt sie, wie der Reporter zum Israel-Palästina-Konflikt stehe.“

Wenn eine Programmchefin diese Frage an Journalisten richtet, was fragt sie erst die Künstler/innen und deren Agenturen? Und warum sollten die Leute, die Tickets für diese Künstler/innen kaufen, nicht auch gefragt werden? Ob sie für oder gegen „Vielstimmigkeit“ sind? Ist es vorstellbar, dass beim Online-Ticketing zwischen all den Häkchen, die man setzen muss, ein BDS-Häkchen auftauchte: „signed / not signed“? Weil es dann Rabatt gäbe auf BDS? Weil Roger Waters und Brian Eno, Portishead und Lorde et al   –  BDS ist nicht „unbedeutend“, wie die taz gerne behauptet  –  weil sie ihre Leidenschaft gerne teilen? Dass Agenturen darauf einschwenkten, die ersten Venues, ein erstes Ticketingsystem, das nur noch Bands anböte, die BDS supporten?

Es wäre im Wortsinn das, als was Horkheimer/Adorno den modernen Antisemitismus definiert haben, als „Ticketdenken“.

Ein Posten im Programm, ein Zusatzangebot. Etwas, das man mitnimmt, mitkauft und in Kauf nimmt, sobald man ins Konzert geht, ins Theater, ins Stadion. Etwas, das dazugehört wie der Schal zum Fan. Solches Ticketdenken liegt in der „Logik des Boykotts“.

Dass die „Initiative Weltoffenheit“ diese Logik für gefährlich hält, ist richtig. Dass sie ihr den Weg aufs Ticket bahnen will, ist verantwortungslos. Und beklemmend ist, dass man die Chefs von Goethe & Co daran erinnern muss, dass der Boykott von Kunst keine ist und der Boykott von Wissenschaft verdummt.

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thomas weigle
thomas weigle
3 Jahre zuvor

Die Boykotteure boykottieren? Das geht natürlich überhaupt nicht, es ist das übliche Heulsusengeflenne, wenn man ihnen angemessen begegnet, sich auf ihre Ebene begibt. Dann ist Land unter. Ob links, ob rechts, ob Gutmenschen wg. was auch immer oder Pandemieleugner. Alle haben dieses eine Geschäftsmodell. Austeilen wie die Weltmeister, beim Einstecken nicht mal Hausmeistergehilfen. Widerlich und moralisch völlig verwahrlost.

Emscher-Lippizianer
Emscher-Lippizianer
3 Jahre zuvor

Betreffend dieser staatlich finanzierten Hurtz!-"Künstler" wird die Frage "Ist das Kunst, oder kann das weg?" hoffentlich Dank CORONA bald einmal richtigerweise mit "kann weg" beantwortet.

Jockel Witter
Jockel Witter
3 Jahre zuvor

Madonna ist vielleicht kein besonders gutes Beispiel. "Israel" wird bei Konzerten durch "Palestine" ersetzt und für die Umkehrung der nicht stattgefundenen Löschung "Palästinas" auf Google und Apple Maps setzte sie sich auch ein.

trackback

[…] Die Banalität des Bösen hat Hannah Arendt bloßgelegt, Edna Brocke die des Guten, wenn das keine Familiengeschichte ist. Mit dem „Haus jüdischer Kultur“  –  heute nicht mehr das, was es unter ihrer Leitung war, „Idee und Aufbau scheinen dem Nachfolger nicht nachvollziehbar zu sein“, schreibt sie freundlich  –  hat sie dem eine Form gegeben. Würde man sie nutzen, diese Form, machte sie mehr als Verstehen möglich und mehr als Dialog, nämlich eine gemeinsame politische Praxis  –  nehmen wir nur einmal diese Empfehlung von Edna Brocke an den so weltoffenen Kulturbetrieb: […]

trackback

[…] Die Banalität des Bösen hat Hannah Arendt bloßgelegt, Edna Brocke die des Guten, wenn das keine Familiengeschichte ist. Mit dem „Haus jüdischer Kultur“  –  heute nicht mehr das, was es unter ihrer Leitung war, „Idee und Aufbau scheinen dem Nachfolger nicht nachvollziehbar zu sein“, schreibt sie freundlich  –  hat sie dem eine Form gegeben. Würde man sie nutzen, diese Form, machte sie mehr als Verstehen möglich und mehr als Dialog, nämlich eine gemeinsame politische Praxis  –  nehmen wir nur einmal diese Empfehlung von Edna Brocke an den so weltoffenen Kulturbetrieb: […]

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