Als Leo Bauer schon längst so weit war, die erste Außengastronomie im zukünftigen Bermudadreieck zu eröffnen, übernahm Alex Schüler, wie schon in einem der vorherigen Kapitel beschrieben, 1979 das Appel in Langendreer, benannt nach dem vorherigen Besitzer der Rockerkneipe. Diese Diskothek wurde schnell zu einem Treffpunkt der örtlichen Jugend und auch der neuen Studentenszene. Zugleich funktionierte sie nach wie vor als Rockerlokal, wobei genau darüber das Ordnungsamt den neuen Laden zu Fall bringen wollte.
Die vielen Motorräder durften auf einmal nicht mehr vor der Tür parken und der, der das angeordnet hatte, war sich sicher, dass der neue Wirt das nicht durchzusetzen in der Lage wäre. Schüler aber schaffte es, weil er ganz schnell und ganz in der Nähe eine Brachfläche anmietete und denjenigen Bikern Hausverbot erteilte, die ihre Motorräder dort nicht parkten. Diesen schien der kurze Fußweg jedoch noch immer zumutbarer, als gar nicht mehr in das Appel hinein zu kommen.
Alex Schüler allerdings hatte größere Träume, als sich mit solchen Problemen herumzuschlagen. Er nutze auch jetzt die wenige freie Zeit die ihm blieb, in die Metropolen dieser Welt zu fahren und sich dortige Szenetreffpunkte anzuschauen. Und er merkte, dass er, wenn das Appel weiterhin erfolgreich laufen würde, bald genug Reserven hätte, noch etwas anderes auf die Beine zu stellen. Auch der Ort, an dem das geschehen sollte, war ihm als Bochumer Szenegänger mehr als klar: Das Engelbertviertel. Denn bei aller kosmopolitischen Orientierung war dem Elektroingenieurstudenten sehr wohl klar, dass er außerhalb von Bochum, ohne seine eigene Szeneeinbindung, dazu keine reelle Chance bekommen würde.
Das seltsame Happening hatte ein weiterer wichtiger Mitstreiter Leo Bauers organisiert, eine gewisser Eckehard Pietschner, kurz Epi genannt. Er war im damaligen Team um Leo Bauer so etwas wie der Vertreter der bildenden Kunst, obwohl er nie selbst als Künstler ausgebildet worden war. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich als Künstler berufen zu fühlen, und das in den verschiedensten Sparten. Hatte Joseph Beuys, der Düsseldorfer Kunstprofessor, nicht den Bruch mit der bürgerlichen Kunst proklamiert und erklärt, jeder sei ein Künstler?
Begonnen hatte seine Malerkarriere allerdings erst richtig, nachdem er nach einem Banküberfall im Knast gelandet war. Davon allerdings wusste keiner, als er mit den in der Haft fertig gestellten Werken auf den „freien Markt“ in Bochum trat. Er fiel jedoch weniger durch seine Gemälde als durch eine ganz neue Art der Verbindung von Kunst und Galerie auf. Er gründet die wohl erste Mietgalerie Deutschlands und das in unmittelbarer Nähe zum Club am Nordring, in ebenfalls leer stehenden Räumlichkeiten. Künstlern, die, wie er selbst, wohl nie eine Chance zur Ausstellung ihrer Werke hatten, vermietete er Wandflächen oder, je nach Größe des Artefakts, Teile der Wand. Allerdings hatte er keine Ahnung, wie man von diesen Kunstprojekten leben sollte.
Kraftwerk 1976 Foto: Ueli Frey Quelle: http://www.drjazz.ch/album/bilder/kw05.jpg. Lizenz: CC
Mitte der 60er Jahre war der Club Liberitas noch nicht viel mehr als ein Treff in einem leer stehenden, ehemaligen Friseurladen am Nordring, in dem laute Jazz- und Rockmusik gespielt wurde, und das zum Teil live. Auf eine Genehmigung der Stadt Bochum legten die Clubmitglieder Anfangs keinen Wert. Zu diesem Zeitpunkt war Leo Bauer, wie die meisten seiner Freunde, noch minderjährig, und man brauchte einen Erwachsenen (der musste damals mindestens 21 sein), der den Mietvertrag unterschrieb. Das war ein gewisser Ulli Heerde.
Schnell jedoch sprach sich herum, dass es hier keine Sperrstunde gab und noch bis in die tiefe Nacht was zu trinken. Bald gab es auch eine richtige Theke, jedoch ohne Konzession. Es entstanden die ersten Diskussionszirkel, und die ersten „Veranstaltungen“ kamen zu Stande. Später tauchte dann auch jemand auf, der schon mal einen Jazzclub betrieben hatte: Egon Mai, Wirt und Organisator des ehemaligen Podiums in Essen. Er war ein Musikfreak und genau daran war sein Podium gescheitert.
Kellner auf Rollschuhen vor dem Mandragora, Anfang der 80er Jahre
Während die Stadträte von Bochum sich noch Anfang der 70er Jahre nicht entschließen konnten, auch die obere Kortumstraße zur Fußgängerzone zu machen um so das Engelbertviertel wieder aufzuwerten, begann an der ersten Universität des Ruhrgebietes, nur gut acht Kilometer Luftlinie von diesem Quartier entfernt, Leonardo Bauer, Sohn einer italienischen Einwanderin und eines deutschen Bergmanns, sein Betriebswirtschaftsstudium. Im ersten Moment scheinen diese beiden Vorgänge nichts mit einander zu tun zu haben, und für die jeweiligen Endscheider war das auch so. Bauer allerdings, dessen Vater bei einem Bergwerksunglück starb als er vier Jahre alt war, war früh daran gewöhnt, sein Leben und das von anderen in die eigenen Hände zu nehmen.
Der spätere Lebensweg des heutigen Groß-Gastronom deutete sich schon 1963 an, als er zusammen mit 40 Gleichgesinnten, die ihn kurz Leo nannten, am Nordring den Club Liberitas gründete, eine Art selbstverwaltetes Kulturzentrum. Sie organisierten nicht nur generell für die 60er Jahre sondern vor allem für die Bochumer Verhältnisse ein avanciertes Kulturprogramm und: sie versahen auch den Putz- und Thekendienst gemeinsam.
Leo Bauer sympathisierte, wie die meisten Studenten dieser Zeit, mit einer neuen Jugendbewegung, die später als die 68er in die Annalen eingehen sollte. Er gehörte nicht zu den politischen Anführern der Szene, prägte sie in Bochum jedoch in kultureller Hinsicht und gehörte zu den ersten Kriegsdienstverweigerern der Stadt.
Er verstand die kulturellen Bedürfnisse seiner Altersgenossen umso mehr, als es auch seine eigenen waren – und er befriedigte sie.
Nein, Bochum war zu dieser Zeit keine Kneipenstadt. Es fehlten die Bohémiens, die Müßiggänger und Studenten, die traditionell auch unter der Woche Cafébetreibern und Kneipenwirten ein gesichertes Auskommen bescheren. Blickt man allerdings weiter zurück, dann stellt man fest, dass es in Bochum schon einmal ein großes Gastronomieviertel gab: Das Moltkeplatz-Viertel. Um die Jahrhundertwende war zwischen dem heutigen Bermudadreieck und dem noch heute existierendem Rotlichtviertel am damaligen Moltkeplatz und heutigen Springerplatz, wohl auf Grund der unmittelbaren Nähe zum Bochumer Verein und seinen Tausenden von Beschäftigten, in jedem zweiten Haus eine Gaststätte zu finden.
Das Abend- und Nachtleben auf und um diesen Platz, über das es leider so gut wie keine Dokumente gibt, war wahrscheinlich proletarisch gefärbt. Auf Grund der beengten Wohnverhältnisse und dem Kostgängerwesen der damaligen Zeit kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Kneipen des Moltkeplatz-Viertels gerade für die jüngeren Arbeiter eine Art zweites Zuhause und der Alkoholkonsum enorm war.Aus Studien über Arbeiterkneipen zur Jahrhundertwende in Duisburg ist bekannt, dass Brandwein noch vor Bier das bevorzugte Getränk war und aus Fässern gezapft wurde. Große Gaststätten brachten es auf einen Durchsatz von mehreren 100 Litern am Tag.
Die damaligen Trinkgewohnheiten und die oft elende soziale Situation blieben nicht folgenlos. Die damals in Bochum erscheinende Zeitung „Märkischer Sprecher“ erwähnte im gesamten Bochumer Raum fast
Wie das legendäre Bermudadreieck in den blauen Fluten der Karibik, ist auch das gleichnamige Gastronomie- und Entertainmentviertel der Legende nach aus dem Nichts entstanden. Aber wie es bei Legenden so ist, sie stimmen in der Regel höchstens zur Hälfte. Es ist wahr, in den 50er Jahren und auch noch Anfang der Sechziger war von diesem heute pulsierenden Ort nichts zu sehen, und jemand, der ihn zu dieser Zeit vorausgesagt hätte, wäre Gefahr gelaufen, kurzfristig in eine psychiatrische Klinik eingewiesen zu werden.
Schaut man jedoch genauer hin, dann war dort, wo heute an sonnigen Sommerwochenenden bis zu 50.000 Menschen feiern und flanieren, früher einmal das Bahnhofsviertel der damals äußerst dynamischen und ständig wachsenden Industriestadt Bochum. In gewisser Weise schlug dort ihr Herz. Es wurde zusammen mit dem größten Teil der Innenstadt im Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche gebombt. Nach dem 4. November 1944, dem Tag des schwersten Bombenangriffs, war die Bochumer City ein Trümmerfeld. Vom alten Bochumer Hauptbahnhof steht heute nur noch ein behelfsmäßiger Nachbau. Der so genannte Katholikenbahnhof, heute bekannter als Veranstaltungsort namens Rotunde, wurde zum Katholikentag, der ersten von den Alliierten in Deutschland genehmigten Großveranstaltung, 1949 in Bochum auf dem Schutt des alten Bahnhofes, wesentlich kleiner und schlichter als dieser erbaut.
Der Katholikenbahnhof sollte von Anfang an nicht mehr als ein Provisorium sein. Nach dem Krieg waren sich die Bochumer Stadtplaner darin einig, dass der „richtige“, neue Hauptbahnhof an einem neuen, dem heutigen Platz, wieder in alter Größe entstehen sollte. Es war ein alter Plan, denn die Verlegung dieses zentralen Eisenbahnhaltepunktes war schon seit der Jahrhundertwende eine Überlegung der Stadtplaner. Da der Bochumer Hauptbahnhof ursprünglich kein Umsteigebahnhof war, musste man, um nach Wanne-Eickel und Gelsenkirchen zu kommen, erst einmal zum ehemaligen Nordbahnhof laufen. Zudem war der Bahnhofsvorplatz schon lange nicht mehr dem zunehmenden Reiseverkehr gewachsen.
Trotz aller städtebaulichen und verkehrstechnischen Probleme bot sich dem, der vor dem Zweiten Weltkrieg mit der Eisenbahn in Bochum ankam und sich Richtung Innenstadt auf den heutigen Konrad-Adenauer-Platz zu bewegte, eine ausgesprochen großstädtische Kulisse. Mehrere Hotels mit so illustren Namen wie Royal, Zum weißen Schwan und Union, sowie ein Kino namens Weltlichtspiele reihten sich nacheinander auf. Ebenso im Blickpunkt lag der heutige Handelshof, der 1914 errichtet worden war. In ihm befand sich zu seiner Eröffnung, wie heute wieder, im Erdgeschoss Gastronomie und darüber ein Billardsaal. Damals hieß dieser allerdings Billardakademie, und stand unter der Leitung eines – wie die Zeitungen schrieben – „erstklassigen“ Meisters seines Faches.
Weiter ging es die heutige obere Kortumstraße, damals noch Bahnhofstraße, am 1925 fertig gestellten Lueg-Haus vorbei, dessen Erdgeschoß vor dem Krieg noch im wesentlichen aus einer 450 qm großen Ausstellungshalle für – wie es früher hieß -Automobile bestand und eines der ersten Hochhäuser im Ruhrgebiet war. Das von dem Düsseldorfer Architekten Emil Pohle erbaute Haus war noch bis 1955 das höchste Gebäude der Stadt und beherbergt heute das Union-Kino. In den umliegenden Häuser gab es auf der untersten Ebene , wie heute auch, Gaststätten und Einzelhandel. Ein richtiges Kneipenviertel war das Quartier am Bochumer Bahnhof jedoch nicht. Es hatte eher –wie viele Bahnhofsviertel großer Städte – die Anmutung eines Rotlichtviertels.
Direkt lief der Neubochumer dann auf den 1910 eingeweihten und noch heute existierenden Engelbertbrunnen zu, der dem Viertel seinen Namen gab. Er wurde in seiner ursprünglichen, eher schlichteren Form von dem ortsansässigen Künstler Markus Wollner entworfen und verweist auf eine Zeit – auf das Jahr 1388 – in der es weder ein Bahnhofsviertel, noch Eisenbahnen gab, und Bochum noch nicht viel mehr als ein kleines Ackerbürgerstädtchen war. In diesem Jahr soll ein gewisser Graf Engelbert der III. von der Mark von Bochumer Junggesellen bei seiner Fehde mit der Freien Reichsstadt Dortmund unterstützt worden sein. – Auch dies wohl eine Legende mit eher zweifelhaftem Wahrheitsgehalt, zumal die Geschichte wohl erst vor gut hundert Jahren erfunden worden ist und den Bochumern seitdem als Grund für ein bis heute jährlich stattfindendes Stadtfest dient.
Graf Engelbert II. allerdings hat nachweislich zu Beginn des 13. Jahrhunderts Bochums Stadtrechte schriftlich niedergelegt. Was das Denkmal selbst betrifft, wurde es im Zweiten Weltkrieg als Kriegsmaterial eingeschmolzen und ist erst 1964 in der heutigen „modernen“ Fassung, nur wenige Meter vom alten Standort, wieder errichtet worden.
Von dieser städtebaulich attraktiven Vorkriegsszenerie sind im Wesentlichen nur der Handelshof und das Lueg-Haus erhalten geblieben. Selbst wenn die oben genannten Hotels die Bomben überstanden hätten, sie hätten letztlich an diesem Standort keine Zukunft gehabt. Die nun endlich realisierbare Bahnhofsverlegung schuf nämlich seit den 50er Jahren um den alten Standort eine Art städtebauliches Vakuum, eine Leerstelle am Rande der sich im Wiederaufbau befindlichen Innenstadt Bochums. Aus einem der zentralen Orte der Stadt war spätestens mit dem Bau des neuen Bahnhofs im Jahre 1957 ein blinder Fleck geworden, für den sich, von den Verkehrsplanern abgesehen, niemand mehr so Recht interessierte.
Die Verkehrsplaner Bochums sahen schon bald nach Kriegsende in der zu 70% zerstörten Innenstadt nicht nur das vergangene und überstandene Elend, sondern eine Zukunft, die breitere Straßen und eine optimalere Verkehrsführung für das sich anbahnende Wachstum der Region und natürlich auch Bochums anvisierte. Bochum sollte bereit gemacht werden für das Auto-Zeitalter. Ein urbanes Kneipen- und Szeneviertel passte nicht in die Vison dieser Leute.Sie nahmen der alten Bahnhofstraße die verkehrliche Erschließungsfunktion zur Innenstadt, und verlegten diese auf die nun vierspurig verbreiterte Viktoriastraße und den neuen Innenstadtring. Die alte Bahnhofstraße wurde so zu einem Teil der Kortumstraße und nahm auch ihren Namen an.
Ihr zweites Teilstück Richtung Innenstadt, der Bogen zwischen Engelbert und Südring, wurde zur Brüderstraße. Die für ihre heutige Nebenstraßenfunktion sichtbar überdimensionierte Breite erinnert heute noch an ihre alte Hauptstraßenrolle. Diese „Übergröße“ war es auch, die es den heutigen Stadtplanern erlaubte, die für das Bermudadreieck typische Außengastronomie zuzulassen, da dies den Fußgängerfluss nicht einschränkte. Der alte Bahnhofsvorplatz und heutige Konrad-Adenauer-Platz vor dem Handelshof wurde zum Berliner Platz, war aber eigentlich überhaupt kein Platz mehr, sondern nur noch eine mit ein wenig Grün versehene, großzügige Straßenabzweigung der Viktoriastraße in die obere Kortumstraße.
Im Ergebnis war das Viertel um den Engelbert durch das neue, innerstädtische Erschließungskonzept auf einmal von zwei Seiten durch vierspurige Verkehrstrassen von der restlichen Innenstadt abgeschnürt. Viktoriastraße und Südring bildeten dabei einen rechten Winkel zueinander und dadurch zusammen mit der nun in Obere Kortumstraße und Brüderstraße umbenannten ehemaligen Bahnhofstraße ein reales Straßendreieck. In diesem Straßendreieck nahm nun auch der aus der Vorkriegszeit verbliebene oder wieder erstandene Einzelhandel kontinuierlich ab. Die Menschen, die aus dem Süden über die Viktoriastraße durch die ebenfalls ausgeweitete Eisenbahnunterführung gelangten, hielten nicht mehr vor dem Südring an und stiegen dort auch nicht mehr aus. Auch wer aus der Innenstadt kam, sah keine große Veranlassung mehr, den Südring Richtung Engelbert zu überschreiten.
Wer allerdings am neuen Berliner Platz ganz nach oben zur Dachkante des Handelshofes schaute, konnte mit etwas Phantasie schon 1951 in großen Leuchtbuchstaben sehen, wohin die Reise zukünftig gehen sollte. Seit diesem Jahr stand dort wie ein positives Menetekel in großen Leuchtbuchstaben: „Treffpunkt Bochum – Schaufenster des Reviers“. Die Stadt hatte mit neidischem Blick auf den ebenfalls direkt am Bahnhof gebauten Handelshof in Essen und dem dort weit sichtbar angebrachten Spruch „Essen – Einkaufsstadt im Revier“ einen Bürger-Wettbewerb ausgeschrieben, und dieser Slogan war dabei herausgekommen.
Dass dieser 1988, nach dem er sich im wahrsten Sinne des Wortes erfüllt hatte, statt „Schaufenster im Revier“ das Wort „Bermudadreieck“ in sich aufnehmen würde, konnten aber weder die Bochumer Bürgerin, die ihn getextet hatte, noch die Preisverleiher ahnen. Erst recht nicht, dass niemand in Bochum etwas dagegen haben würde. Bei genauerem Hinsehen war aber auch nach dem Krieg im ehemaligen Bahnhofsviertel nicht alles Leben erstorben.
In der hektischen Gründerzeit während der Wirtschaftswunderjahre gab es sowohl im Einzelhandel als auch in der Gastronomie zahlreiche Wieder- und Neueröffnungen. Anfang der 60er Jahre hatten sich dort sogar schon wieder so genannte Bars, im damaligen Beamtendeutsch: „Unterhaltungsgaststätten mit verkürzter Polizeistunde“, etabliert. Diese eher mit zweifelhaftem Ruf beleumundeten Lokalitäten trugen Namen wie Die Kulisse an der Brüderstraße 8, die Stripteasebar Romantica an der Kortumstraße 19 und das Tanzcasino an der Kreuzstraße, und die damals wohl unvermeidliche Lidobar an der Viktoriastraße.
Auch im näheren Umkreis hatten zwei Tanz- bzw. Nachtlokale eröffnet: Das heute noch existierende New Orleans am Südring, und das wohl besonders feurige Nachtlokal Paprika am Ring an der Kreuzung Südring/Viktoriastraße.
Es gab aber auch bürgerliche Gaststätten wie das Zum Ritter an der oberen Kortumstraße und den Handelshof im gleichnamigen Gebäude. Auch das heutige Tucholsky hatte zu dieser Zeit schon einen gastronomischen Vorläufer. Ebenso das heutige Café Konkret, das zu jener Zeit in seinen Räumen die Gastwirtschaft Zum Engelbert beherbergte. Die kleine schmale Kneipe namens IT-Stübchen (heute die Pinte) neben dem Kino mit dem heute zweifelhaft wirkenden Namen Intimes Theater (heute Casablanca) gehörte mehr zum Rotlichtmilieu der Stadt. Auch das Kino Union war schon in Betrieb.
Das Bochum der 50er Jahre war allerdings, was das Nachtleben betraf, so wie die meisten Ruhrgebietsstädte, eher provinziell. Anständige Menschen gingen – erst recht wenn man bedenkt dass die Masse schwerindustrielle Arbeiter waren – damals nun einmal früh ins Bett. Erst 1959 gab es wieder zwei Bars in Bochum. Bis 1965 hat sich die Zahl der „Tanz- und Vergnügungsstätten“ immerhin auf insgesamt 20 erhöht. Für eine normale Großstadt auch damals keine beeindruckende Zahl.
Es kommt selten vor, dass ein Kneipenviertel zum Aushängeschild einer ganzen Stadt avanciert. Die Frauenkirche in München ist bekannter als Schwabing, in Berlin sind Gedächtniskirche und der Kudamm nach wie vor größere Besuchermagnete, als die Szeneviertel in Mitte, Kreuzberg und am Prenzlauer Berg, und selbst Düsseldorf ist vor allem Landeshauptstadt und erst dann die vermeintlich größte Theke der Welt. In 20 Folgen stellen wir die Geschichte des Quartiers vor.
In Bochum sieht das anders aus: Hier ist das Bermudadreieck der wichtigste Besuchermagnet der Stadt. Das in den 80er Jahren entstandene Kneipenviertel ist, betrachtet man seine Kontinuität, erfolgreicher als der VfL-Bochum, zieht mehr Gäste in seinen Bann als die Rollschuhläufer des Starlight-Express und ist mit über 1600 Mitarbeitern ein wichtiger Faktor auf dem Bochumer Arbeitsmarkt.
Gelungen ist dies, weil das Bermudadreieck etwas metropolenhaftes ins Ruhrgebiet hinein gebracht hat, ja, im Sommer sogar etwas mediterranes. Der Grund: Das Bermudadreieck macht keine Pause. Hier kann man morgens um acht seinen ersten Kaffee trinken und nachts, kurz vor sechs, bekommt man das letzte Bier.
Es gibt Cafés mit einer exzellenten Auswahl an Tageszeitungen und Magazinen und Kneipen, in denen es erst ab zwei Uhr in der Nacht richtig voll wird. Das Bermudadreieck ist ein Mikrokosmos, offen, nicht nur um jede
Es begann am 13 April 2009. Die beiden Ruhrbarone-Autoren Patrick Joswig und Bastian Schlange von der Wattenscheider Schule veröffentlichen einen ihrer Insiderstories mit dem Titel: Die Zeugen Jehovas sind die besten Menschen der Welt. Was darauf hin begann ist meines Wissen einmalig im Bereich des religiösen Dialogs: 1000 Kommentare bis zum heutigen Tag, und kein Ende in Sicht.
Dabei ging es zwischen den Kontrahenten so zur Sache, dass die Kommentarfunktion im Interesse aller Beteiligten sogar zweimal für einige Wochen ganz abgestellt werden musste, um danach wieder etwas abgekühlter, aber nichtsdestotrotz genauso antipodisch weiterzugehen. Ein kleiner Kreis hatte sich gefunden, der in seinen Positionen zum Glauben nicht unterschiedlicher sein konnte, und gerade darin offensichtlich einen besonderen Reiz des Diskutierens gefunden hat. So sehr, dass selbst Pausen die jeden andere Thread hier zum erliegen gebracht hätten, den sachlichen Fluss des Kommentierens nicht stoppen konnte.
Kaum dass die Beteiligten entdeckten, und das konnten sie nur, wenn sie fast täglich bei den Ruhrbaronen reinschauten, dass die Kommentarfunktion wieder freigeschaltet war, legte sie sofort wieder los. Mit Kommentaren, die nicht nur in ihrer Länge sondern auch in ihr biblischen und allgemeinphilosophischen Sachkunde alles übertreffen, was ich je in Blogs zu diesem Thema gelesen habe. Aber auch in ihrer Bissigkeit, Leidenschaft, ja religiösen Verrücktheit, und vor allem in ihrer Ausdauer. Denn wir haben jetzt die Mitte des Jahres 2012 überschritten.
Ich habe mich ganz zu Anfang sogar selbst mit einem sehr kurzen Statement beteiligt, habe mich dann aber wie auch andere zurückgezogen. Geblieben ist ein Kreis der sich im Kern bis zum heutigen Tag treu geblieben ist.
Sie kennen das alle. Sie stehen vor einer roten Ampel, keine Auto weit und breit, aber dafür andere Passanten neben ihnen oder auf der anderen Seite der Straße. Eigentlich wollen sie gehen. Ihr Verstand sagt ihnen ganz klar: wenn die Ampel nicht da wäre, würde hier jetzt jeder die Straße überqueren. Die Logik der Erfahrung geht noch weiter: Man müsste bekloppt sein, wen man es genau jetzt nicht täte, denn es besteht genau jetzt keine Gefahr, von einem Auto überfahren zu werden.
Aber die Leute um sie herum bleiben stoisch stehen. Als wäre die Ampel eine Art Gott, der alles sieht, und der sie irgendwann für das Überschreiten bei Rot zur Rechenschafft ziehen könnte. Oder vielleicht, weil sie im Inneren der Ampel eine ganz hinterhältig versteckte weltliche Kamera vermuten, die sie in Flagranti fotografieren wird. In ihren Köpfen scheint auf jeden Fall der folgende Satz fest verankert zu sein: Rot heißt stehen bleiben, egal was der Verstand sagt und die Gefahrenrealität anzeigt.
Früher nannte man das Kadavergehorsam. Nur, dass das hier und heute gegenüber einem toten Gegenstand passiert. Einem, der einem deswegen auch nichts tun kann. Außer wenn sich die Polizei in unmittelbarer Nähe befindet. Die Ampel alleine hat man dagegen nicht zu fürchten. Sie wird einem nichts tun. Sie kann einem nichts tun. Ihr ist es sogar scheißegal ob man sie beachtet oder nicht. Dem deutschen Staat allerdings nicht. Er hat nicht nur wahnsinnig viele Straßenschilder aufstellen lassen, sondern auch massenhaft Ampeln der verschiedensten Formen.
Der RVR will das Ruhrgebiet zum Fahrradfahrer Paradies machen, und dieses Paradies soll den Namen Metropole tragen. Ich mag diese Bezeichnung für meine Heimat ganz und gar nicht, aber in diesem Fall bzw. in dieser Wortkombination ist sie genau richtig.
Metropole sein heißt nämlich auch, einen räumlichen Führungsanspruch zu übernehmen, zumindest aber systematisch und konsequent anzustreben. Eine weltweit führende Fahrradmetropole könnte das Land um Emscher und Ruhr denn auch wirklich werden, wenn sich die Verantwortlichen darauf auch entsprechend konzentrieren.
Das Ruhrgebiet bietet dafür nämlich alle Voraussetzungen. Es ist insgesamt eher flach, flächendeckend durchgrünt und zugleich so dicht besiedelt, dass für den alltäglichen Bedarf insgesamt eher kurze als lange Wege notwendig sind, um die entsprechenden Ziele zu erreichen. Das wird auch noch bei erheblich weniger Einwohnern der Fall sein, wobei dadurch die für das Radfahren so wichtige Störungsverringerung durch den Autoverkehr sogar noch weiter ausgebaut werden kann.
Hinzu kommt, dass die insgesamt absehbare weitere Verarmung großer Teile der Ruhrgebietsbevölkerung, in Kombination mit weiter steigenden Spritpreisen, den Umstieg aufs Rad beschleunigen wird. Nicht, dass ich
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