Einwanderung: Soll der Staat für Flüchtlinge aufkommen?

Duisburg: Flüchtlingsempfang vor Sammelunterkunft.
Duisburg: Flüchtlingsempfang vor Sammelunterkunft.

Im Gespräch mit einem Flüchtling aus Guinea und einer jungen deutschen Helferin geht unsere Gastautorin Sabine Beppler-Spahl einer drängenden Frage auf den Grund: Soll der Staat für Flüchtlingsunterkünfte aufkommen – oder sollten Flüchtlinge lieber gleich arbeiten dürfen?

Wer […] Schlafmöglichkeiten, Zimmer oder Wohnungen zur Verfügung stellen oder teilen kann, meldet sich bitte umgehend bei schlafplatzorga(at)gmail.com“, steht auf einem kleinen Handzettel, den mir Nelly, eine 18-jährige Abiturientin aus Berlin, in die Hand drückt.
Ich melde mich und kaum eine Stunde später steht Dialo aus Guinea vor unserer Tür. Er ist klein, drahtig, Mitte 20 und trägt einen überdimensionierten Wintermantel mit Wollmütze. Wir stellen für ihn ein Klappbett ins Wohnzimmer (ein Gästezimmer haben wir nicht) und geben ihm etwas zu essen. Eine anfängliche Verlegenheit ist schnell überwunden und unser Gast erweist sich als unkompliziert und freundlich.

Bevor er nach Europa gekommen sei, habe er in Libyen gearbeitet. Dort sei die Lage immer schlimmer geworden und so habe er sich übers Mittelmeer aufgemacht. Hatte er Angst? Im Boot nicht, denn für ihn hieß es: „Weg von hier“. Gewiss sei die Überfahrt riskant, aber weniger

Continue Reading

Rassismusvorwurf gegen Leipziger Professorin ++++Update 15:15 Uhr++++

Laboratorium_fuer_Angewandte_Chemie_Leipzig
Ehemaliges „Laboratorium für Angewandte Chemie“ der Universität Leipzig. Lumu (talk). Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license. https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

Leipzig, 12:55 Uhr. Es klingt nach einem Rassismusskandal: Ein indischer Student beschwert sich öffentlich, für ein Laborpraktikum an der Universität Leipzig ausgeschlossen worden zu sein, weil es in Indien ein Vergewaltigungsproblem gibt. Uni und Professorin bestätigen die Echtheit der Mail, diese sei aber aus dem Zusammenhang gerissen. Von unserem Gastautoren Matthias Deggeller.

Die E-Mail der Leipziger Biochemie-Professorin (Name liegt vor) klingt eindeutig. Sie akzeptiere bei Laborpraktika „leider“ keine männlichen Studenten aus Indien. Man höre viel über das Vergewaltigungsproblem in Indien, was man nicht unterstützen dürfe. Und da sie viele

Continue Reading

„Es reichen ein Aschenbecher, etwas Entschlossenheit und der erste Schlag“

bisley_melone
Sascha Bisley

Sascha Bisley hat mit „Zurück aus der Hölle“ sein erstes Buch veröffentlicht. Es beschreibt sein Leben, den Weg von einem Gewalttäter zu jemanden, der heute Jugendlichen hilft nicht abzurutschen. Sascha  ist für die Leser dieses Blogs kein Unbekannter: Er trat häufig auf Ruhrbarone-Lesungen auf und veröffentlicht seine Geschichte  auf Dortmund-Diary.    Mit seiner freundlichen Genehmigung hier nun ein Auszug aus dem Buch: 

Ich reiche dem, der mir am nächsten steht, die Hand, ein hagerer Kerl mit fettigen, schwarzen Haaren, die sich im Nacken kräuseln. Er dreht sich weg. An einem kleinen Holztisch mit abgeranzter Resopalplatte sitzen zwei Typen, der eine steht auf, kommt auf mich zu, gibt mir seine Hand.

„Hallo, ich bin Heinz, und du solltest dir hier keine Freunde suchen, die gibt’s hier nicht. Erstes Mal, Kleiner?“

Ich nicke. Die anderen grinsen. Werde ich gleich in den Arsch gefickt? Niemand ist in der Nähe, der mir helfen könnte, kein Kumpel wie sonst, kein Messer, keine Flasche, kein Knüppel. Blanke Angst dringt aus allen meinen Poren, sie lässt mich vor den anderen die weiße Fahne schwenken. Ich habe mich nicht mehr im Griff. Meine Unterlippe zittert, ich kann nicht sprechen.

Continue Reading

Aktualisierung mit der Hexenhammer-Methode

schauspiel_bochum
Im Schauspielhaus Bochum wird mit den Hexen Arthur Millers Theaterstück gleich mit hingerichtet. Von unserem Gastautor Daniel Kasselmann.

Als Arthur Miller 1953 sein Drama „Hexenjagd“ als kritische Auseinandersetzung mit den Kommunistenverfolgungen in der McCarthy-Ära schrieb, nahm er die Hexenprozesse von 1692 in Salem als Folie, um daran den Teufelskreislauf zwischen einer machtbesessenen Obrigkeit, einem angsteinflößenden Feindbild, der Salonfähigkeit des Denunziantentums und einem wachsenden gesellschaftlichen Klima der Angst und Hysterie auf dem Theater erlebbar zu machen. Da liegt es in Zeiten von IS-Terror, der NSU-Prozesse, Pegidaismus und Angriffen auf die Pressefreiheit nahe, diesen Klassiker des modernen Theaters auf den Spielplan zu nehmen.

Continue Reading
Werbung
Werbung


Sozialstaat: Gefangen in der tristen Gegenwart

grune_vision

Dem heutigen Sozialstaat fehlt es an einer progressiven Gesellschaftsvision. Er agiert nicht nur widersprüchlich und autoritär, in ihm drückt sich auch die Gewöhnung an wirtschaftliche Stagnation aus. Der Staat untergräbt so seine Legitimationsgrundlage. Von unserem Gastautor Kai Rogusch.

Der Sozialstaat hat heute widersprüchliche Aufgaben. Er verteilt zahllose Placebos und stimmt die Bürger zugleich auf Enthaltsamkeit ein. Statt als Auffangnetz gesellschaftliche Mindeststandards zu garantieren, mischt er sich zunehmend in das individuelle Leben der Bürger ein. Sozialpolitik erscheint heute vor allem als Ersatz für eine schwächelnde Bildungs- und Wirtschaftspolitik, der der Glaube an eine bessere Zukunft abhanden gekommen ist. Statt die kulturellen und ökonomischen Grundlagen unseres Wohlstandes zu stärken, befördert der Sozialstaat eine lähmende Kultur der Stagnation.

Nicht wenige Leute sehen bereits im Sozialstaatsausbau der Nachkriegsbundesrepublik die Ursache unserer heutigen wirtschaftlichen Malaise. Doch sie übersehen dabei, dass bis in die 1970er Jahre der Antrieb hinter dem Ausbau des Sozialstaates ein breiter gesellschaftlicher Gestaltungsoptimismus war, der wiederum von einer Wachstumsdynamik und einem damit einher gehenden wirtschaftlichen Aufstiegswillen geprägt wurde. Diese zukunftsbejahende Grundhaltung wurde nach und nach durch ein grundlegend pessimistisches Menschenbild abgelöst, und erst dieses schuf die eigentliche Grundlage für eine triste Abhängigkeitskultur.

Continue Reading

Ruhrbarone: Irrer Impf-Troll droht mit Killer

In eigener Sache:

Es gibt sehr wahnhafte Menschen da draussen. Und noch mehr hier drinnen, also im Internet. Die sagen dauernd „Meinungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Lügenpresse“ – und kommen dann nicht drauf klar, wenn wir eben unsere Meinungen vertreten.

So beim wunderbaren Thema Impfen. An anderer Stelle gab es dazu eine Diskussion (allerdings ohne Stefan Laurin oder Sebastian Bartoschek). Ein Impf-Troll wollte auch seine fünf Minuten Ruhm, und drohte dort den beiden Ruhrbarone-Journalisten mit Auftragsmord, wenn sie diese Seite nicht off nehmen würden. Diese Seite. Damit meint unser Troll aber nicht die Ruhrbarone, sondern Psiram – das weder von Sebastian noch von Stefan betrieben wird.

Nun, äh, klingt unlogisch. Natürlich. Ist ja auch von einem Impf-Troll.

Wir möchten aber die Möglichkeit nicht ungenutzt lassen, diesem scheuen Wesen die Vorteile unseres Rechtsstaates aufzuzeigen, haben den Staatsschutz informiert und Anzeige bei der Polizei erstattet.

Und natürlich setzen auch wir auf Leserreporter bei der Trollpirsch.
Folgende Daten unseres Trolls sind bekannt:

dg******@*****il.com
178.162.217.136

Wer uns etwas dazu mitteilen kann, der teile es uns mit.
Und immer dran denken, was der traditionelle Ausruf des Trollhunters ist:

Halali!

Stefan Laurin & Sebastian Bartoschek

Putinistische Matrojschkas oder die ausgesessene Generation

Matrjoschka-5
Putinistische Matrojschkas oder die ausgesessene Generation – Thomas Wendrichs Debütroman „Eine Rose für Putin“. Von unserem Gastautor Daniel Kasselmann.

Der Drehbuchautor Johann Stadt hat sich mit seinem Regisseur M. zur gemeinsamen Schreibklausur in ein Landhaus in der Uckermark zurückgezogen. Hier möchten sie einen historischen Stoff – einen ungeklärten Kindsraub 1985 in Dresden – zur Produktionsreife entwickeln. Je weiter die Arbeit am Drehbuch produktiv voranschreitet, desto mehr gerät die anfangs normale Umgebung aus den Fugen; nächtliche Schüsse aus einem russischen Revolver, eine junge Frau, die sich zwar nicht als das damals geraubte Kind entpuppt, aber nach ihrem Auftritt im russischen TV trotzdem unter mysteriösen Umständen umkommt, zunehmende Russenparanoia der Autoren, ein Kommissar, der gleichermaßen im Damals und Jetzt ermittelt, eigenartige Briefe der Mutter und noch rätselhaftere der Großmutter, sowie eine Postbotin, die an eine Matrjoschka erinnert, nebst einem verrückten Professor, der aus seiner ehemaligen Atomforschung nach der Wende ein Alzheimer-Diagnostik-Verfahren und gute Kontakte zu Wladimir Putin entwickelt hat. Das sind nur einige der immer mysteriöser und surrealer

Continue Reading

Theater: Die Rückkehr des Goldenen Zeitalters

Schauspielintendant Kay Voges
Schauspielintendant Kay Voges

Heute gibt es im Schauspielhaus Dortmund die nächste Premiere zu sehen: „The return of DAS GOLDENE ZEITALTER – 100 Wege dem Schicksal das Sorgerecht zu entziehen“. Regisseur Kay Voges beantwortet die wichtigsten Fragen.

Herr Voges, eine zweite Premiere vom gleichen Stück? Wie geht das?

Wir haben bisher 12 Vorstellungen gespielt, und jede war auf ihre Art eine neue Aufführung. Wir haben dutzende Szenen, die wir jedes Mal aufs Neue miteinander kombinieren. Durch meine Live-Regie und die Improvisation der Schauspieler kommt eine Unberechenbarkeit in den Abend, der an Performance erinnert. Und für „Die Rückkehr“ des Stücks entwickeln wir gerade eine Reihe neuer Ideen und Figuren, die wir mit den bekannten Szenen mischen. Es ist wie in der berühmten Beckett-Formulierung: Das Gleiche noch mal anders.

Haben Sie noch Erinnerungen an die Premiere 2013?

Es war Wahnsinn. Wir waren alle aufgeregt. Wie wird das Publikum reagieren? Schließlich

Continue Reading
Werbung
Werbung


G8 – Alter Wein in neuen Schläuchen

Monika Piper
Monika Pieper

Die Diskussion zum G8 in NRW gewinnt aktuell wieder an Fahrt. Die Elterninitiative „G9 jetzt NRW“ hat bereits über 63000 Unterschriften für die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium gesammelt. Die Volksinitiative stehe damit kurz vor dem Ziel. Insgesamt werden bis Mitte März 66322 Unterschriften benötigt. Wenn genügend Unterschriften zusammenkommen, muss der Landtag das Thema erneut auf die Tagesordnung nehmen. Das zeigt, die Diskussion ist noch lange nicht am Ende. Unsere Gastautorin Monika Pieper ist Mitglied der Landtagsfraktion der Piraten in Nordrhein-Westfalen.

Es stellt sich grundsätzlich die Frage, welchen Anspruch wir an eine umfassende Bildung in NRW haben. Das G8 war nie ein pädagogisches Konzept sondern der Forderung wirtschaftlicher Interessen geschuldet. Es ging ausschließlich darum, möglichst früh, möglichst gut angepasstes und funktionierendes Humankapital für die Wirtschaft zur Verfügung zu stellen. Einem umfassenden Bildungsanspruch, dem Anspruch auf Reifung und gesunder Persönlichkeitsentwicklung, auch im Sinne einer „Hochschulreife“ wird das G8, das zeigen viele Untersuchungen, nicht gerecht. Da nutzen auch Statistiken nichts, die besagen, dass die G8-Schüler nicht schlechter im Abitur abgeschlossen haben als die Schüler im G9. Es muss in erster Linie hinterfragt werden, welchen Preis die Schüler dafür bezahlt haben und in Zukunft dafür bezahlen werden.

Continue Reading

Mindestlohn – das Ende der Unschuldsvermutung?

Jan C. Klein-Zirbes Foto: Privat
Jan C. Klein-Zirbes Foto: Privat

Zwar beherrschen Maut, Mindestlohn und Fluggastdatenspeicherung die journalistischen Sommer- und Winterlöcher, nur werden sie unabhängig von einander thematisiert. Das kann ein Fehler sein, denn sie haben einen gemeinsamen Nenner: Alle betreffenden Daten werden vom Zoll erhoben. Von unserem Gastautor Jan C. Klein-Zirbes.

Neben dem bürokratischen Irrsinn, der den Arbeitgebern aufgehalst wird, wird übersehen, dass zur Überwachung des Mindestlohns eine nachrichtendienstliche Idealbehörde entsteht, die in ihrer Umfänglichkeit selbst in der Deutschen Geschichte eine Ausnahmestellung innehaben wird.

Zur Überwachung des Mindestlohns wird der Zoll, der dem Bundesfinanzministerium untersteht, zuständig sein.
Auf den ersten Blick erscheint die Zuständigkeit schlüssig, da er bereits Schwarzarbeit auf dem Bau etc. kontrolliert.
Entsprechend kann der Zoll auch in die Bücher der Unternehmer schauen, wenn er befürchtet, dem Staat gingen Einnahmen verloren.
Unter dem Vorwand, die Zettelwirtschaft in der Dokumentationspflicht zu erleichtern, wird die Anschaffung elektronischer Stundenzettel empfohlen, deren Daten bei den Finanzbehörden, d.h. auch beim Zoll landen.
Der Zoll überwacht zudem die Maut für Ausländer, schließlich war er für den Grenzverkehr schon immer zuständig.
Der Bundesanalogverkehrsminister erlaubt dem Zoll an dieser Stelle Kennzeichenüberwachung mittels Streaming und eine Software, die nicht nur Kennzeichen, sondern auch Gesichter erkennen kann. Diese beiden Punkte interessieren den Bundesdigitalverkehrsminister übrigens nur, wenn der Privatmann streamt. Der jüngste Skandal um von der NSA gehackte SIM-Karten lässt in dem Zusammenhang nichts Gutes ahnen, was die Anonymität satellitenbasierter Navis und mitgeführter Handys betrifft.
Zudem beschließt die EU derzeit eine umfangreiche Fluggastdatenspeicherung, die ebenfalls durch den Zoll vorgenommen wird.
Dass der Zoll in dieser Form von einem Bundesfinanzminister, der vorher als Bundesinnenminister Chef der übergeordneten Nachrichtendienste war, konzipiert und binnen der letzten zwölf Monate umgesetzt wurde, soll an dieser Stelle nicht weiter stören. Es spricht allenfalls für schwäbische Präzisionsarbeit, juristische Kenntnis und langjährige Erfahrung darin, wie eine Behörde idealerweise funktioniert.

Continue Reading