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BDS ist durch. Was wäre passiert, wenn nicht? Über Terror & Kultur

BDS auf der Pro-Hamas-Demo in Bochum 15. Mai 2021

„Follow @BDSNATIONALCOMMITTEE“. Aufruf auf der Facebook-Seite von BDS Deutschland. In der internationalen Hasskampagne gegen Israel fungiert das „National Committee“ als Lenkungsausschuss. Oben am Tisch sitzt Hamas, die Terror-Organisation lenkt den „gewaltfreien Protest“ so gezielt wie ihre Raketen  –  am 12. Mai, dem Tag, an dem der Follow-Befehl in Deutschland erschien, unter anderem auf einen Atommeiler, keine 50 km von Gaza entfernt. Wer alles gestorben wäre. BDS ist durch. Zeit, darüber nachzudenken, was passiert wäre, wenn BDS sich eingenistet hätte. Wenn sich tatsächlich  –  wie von der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ und zuletzt in der „Jerusalemer Erklärung“ gefordert   –  eine Haltung durchgesetzt hätte, die  BDS sowohl ablehnt wie einlädt. Wenn es Hochkultur geworden wäre, Terror sowohl zu verschmähen wie zu vergüten. Eva-Maria Ziege hat den antisemitischen Diskurs in der Weimarer Republik analysiert, sein Merkmal ist die Uneindeutigkeit, es gibt zu denken. 

Was immer man von BDS, der Kampagne zur Diffamierung von Demokratie, in diesen Tagen liest, es ist Heil-Hamas-Posting. Je mehr Raketen auf Israel niedergingen, desto emphatischer das Ja zum Terror. Nirgends eine noch so dürre Distanz, täglich wurde zu irgendeiner Hass-Demo auf- und Solidarität eingefordert mit „Palästina“. Für BDS ist Palästina dasselbe wie Hamas.

Kein Wunder, die Terrorfirma sitzt obenan im „Council of Palestinian National and Islamic Forces“, und dieses Terror-Konzil, halb säkular halb islamistisch, steht dem Lenkungsausschuss der BDS-Kampagne vor. „Kunst im Befreiungskampf“ heißt das in der Charta der Hamas Artikel 19; in Artikel 7 geht es darum, alle Juden umzubringen, Kunst sei „zur geistigen Mobilisierung unbedingt notwendig“.

Den Beweis dafür legt BDS in diesen Tagen vor. Gab man sich eben noch als „gewaltfreien Protest“, ist man jetzt eins mit der Forderung, Tel Aviv zu bombardieren. Eben noch „künstlerischer Boykott“, weht jetzt die Fahne über ihm, auf der steht, „Intifada bis zum Sieg“. Eine Kampagne, die Israel boykottieren will und dann Raketen schickt, ist, vorsichtig formuliert, ambivalent.

Und jetzt einmal 100 Jahre zurück: Das „zentrale Charakteristikum“ des Antisemitismus damals sei eben dies gewesen, „strukturelle Ambivalenz“. Schreibt Eva-Maria Ziege über den völkischen Diskurs der 20er und frühen 30er Jahre, der den Antisemitismus in allen Spielarten in sich aufgesogen hat:

„Aus einem ständigen Schwanken zwischen wechselnden, paradoxen, ja widersprüchlichen Positionen erzielte er seine größten ideologischen Wirkungen.“

Ziege hat die „Eigenliteratur des Völkischen“ analysiert, allerdings nicht die seiner Wortführer, sondern Texte, die der „Popularisierung von Wissen“ gedient haben: Diskurse über „Krankheit und Rasse“ neben denen über „Familienkunde“; Diskurse über „Pflanzenzüchtung und Rasse“ neben denen über „Kunst und Rasse“; Diskurse über die „Judenfrage“ hier und die „Frauenfrage“ dort usw.

Immer wieder eingewoben darin eine „religiöse Codierung“, mal mehr mal weniger geht es um „Ewigkeit“ und „Gemeinschaft“, um „Befreiung“ und „Glaube“ und „Kraft“ …

Das alles steht unverbunden neben- und durcheinander, kognitiv unentscheidbar, aber konnotativ verknotet. Ein „Gewimmel“ an Öffentlichkeiten, in denen sich Naturwissenschaft und Mystik begegnen, Soziologie und Theologie, Medizin und Philosophie …

„Vieldeutig, konfus, unlogisch“

Nach und nach fließen alle diese Spezialdiskurse  –  Ziege folgt hier Jürgen Link  –  zu einem Interdiskurs zusammen, für Interdiskurse gelten andere Regeln des Sprechens, ihnen

„werden weder Definitionen noch Widerspruchsfreiheit abgefordert. Es handelt sich um ein nur wenig institutionalisiertes, relativ lockeres und ‚fluktuierendes‘ ‚Gewimmel von Diskursinterferenzen und Diskursberührungen‘, das im allgemeinen unscharf mit Begriffen wie ‚Alltag‘ oder ‚Alltagswissen‘ bezeichnet wird.“ 

Im Interdiskurs wird solches Wissen in Klischees und Stereotypen verpackt, in Figuren und Denkfiguren, sie täuschen Vertrautheit vor. Es geht dabei aber nicht mehr um die einzelnen Elemente und ihre logische Konsistenz, sondern um das „Beziehungsbündel“, das entsteht: „vieldeutig, konfus, ‚unlogisch‘“. Um hier Orientierung zu bieten, strukturiert sich das diskursive Gewimmel in Gegensatzpaaren:

„Ausgehend von einem ‚Ur-Gegensatz‘ ( ‚Wir‘/‚Nicht-Wir‘  –  ‚Germanen‘/‚Juden‘ ) entsteht ein Netz aus sich gegenseitig stützenden Oppositionsbeziehungen, das sich durch eine verborgene mythische und eine erklärte wissenschaftliche Kohärenz auszeichnet.“

Bildlich gesprochen, funktioniert das wie die Aufstellung eines Fußballteams. Auf der einen Seite spielen Begriffe wie, sagen wir, „krank“ und „minderwertig“ und „mächtig“, das ist das Team „Jude“; auf der anderen Seite spielen „gesund“ und „zukünftig“ und „geknechtet“, das ist das Team „Germane“. Das eine Team spielt mit Gelbem Stern, das andere in Braun, es gibt ein Regelwerk und einen, der entscheidet, insoweit ist das alles „wissenschaftlich“.

Der mythische Zusammenhang ist das, was man sich, weil man’s nicht sehen kann, selber zusammenschustert: Wieso spielt „mächtig“ mit „minderwertig“ zusammen, wieso „gesund“ mit „geknechtet“, was haben sie gemeinsam, was macht ihren Teamgeist aus?

„Erlöser von der Männerherrschaft“

Die Kohärenz, die jetzt entsteht, ist mythisch in dem Sinne, dass sie beansprucht, ein großes Ganzes zu erklären, sie entsteht assoziativ oder, um im Beispiel zu bleiben, spielerisch: „Hitler“ im selben Team wie „Frauenbewegung“? Muss man erfinderisch sein, vielleicht dass es eine „alte“ und eine „neue Frauenbewegung“ gibt und am Ende  –  Ziege zeichnet diesen Aspekt des völkischen Diskurses, „bis heute weitgehend ausgeblendet“, mit detaillierten Textanalysen nach  –  am Ende dieses diskursiven Gewimmels sind Leute von den abstrusesten Tatsachen überzeugt wie der, dass „Hitler“, da er ja nun im selben Team wie „Frauen“ spiele, der „Erlöser von der Männerherrschaft“ sei, schließlich erlöse er auch „Deutschland“ von den „Juden“, und der „jüdische Mann“ sei ja für die „deutsche Frau“ usw.

Kennzeichnend bleibe die Konfusion, so Ziege. Dass etwas nicht stimmt im eigenen Kopf, diese böse Ahnung kennzeichnet jede Ideologie, das macht es nur schlimmer:

„Aus den inneren Widersprüchen folgte eine Radikalisierung des Antisemitismus, ein Prozess des nicht mehr Haltmachenkönnens, der die Vernichtung der Juden regelrecht ‚erzwang‘.“

Vielleicht mutet Ziege mit dieser Schlussfolgerung der Ideologie etwas zu viel Triebkraft zu. Was solche Selbst-Radikalisierung aber in jedem Fall ermöglicht, ist   –  hier argumentiert Ziege mit Ulrich Herbert  –  eine „‘Entdeutlichung‘ des Diskurses“, soll heißen:

Die vielen assoziativen Übergänge werden geschmeidig bis hinein „in die offene ‚Verkündigung des Todesurteils‘“. Ziege verdeutlicht dies an einem Text, der das Wort „Verantwortung“ im Titel führt, 1934 verfasst von einem „Sachverständigen“ im Innenministerium für einen auf Massenauflage getrimmten Sammelband mit, na was wohl, „Gesprächen“.

Der Text ist gespenstisch, noch gespenstischer, dass die Hamas ein ähnliches Todesurteil  –  Artikel 7 ihrer Charta  –  seit 33 Jahren im Schaufenster hängen hat.

„Wo seid ihr Armeen der Muslime?“ Pro-Hamas-Demo 15. Mai 2021 in Bochum | Foto thw

 

Im Team Hamas  –  aufgestellt von BDS und „Initiative Weltoffenheit“ und vielen anderen Trainern  –  spielen heute außerdem: „Solidarität“, „Gerechtigkeit“, „Freiheit“, „Gleichheit“, „Frieden“, „Befreiung“, „Antirassismus“ und natürlich „Kunst und Kultur“. Die religiöse Codierung ist auf alle Trikots geflockt, auch der „Ur-Gegensatz“ steht fest:  Es handele sich um einen Konflikt zwischen „Macht / Ohnmacht“.

Den „Ur-Gegensatz“ sprechen nahezu alle nach, einmal auf der schiefen Bahn, schmiegen sich weitere Spezialdiskurse an, es sind historische, gesellschaftspolitische, geisteswissenschaftliche, religiöse, juristische  …  Die Gegensatzpaare jetzt: „Juden / Muslime“ und „Juden / Araber“ und „Apartheid / Antirassismus“ und „Besatzung / Befreiung“ und „Kolonialismus / Indigene“ und „Schuld / Unschuld“ und „Westen / Orient“ und „Weiß / PoC“ usw.

Worum es tatsächlich geht: um Demokratie, von Terror bedroht.

Es ist das wesentlich politische Kriterium, also dasjenige, was handlungsfähig machte, es ist aus dem Spiel genommen. Unausgesprochen steht „Demokratie“ in diesem Interdiskurs für alles, was böse und „Terror“ für alles, was wundervoll ist. Ist jedes politische Handeln auf diese Weise still gestellt  –  Terror ist das Gegenteil von Politik, Terror ist Willkür  –  schaukelt sich der Diskurs in die Höhe.

Die mythische Kohärenz wiederum, das hat Eva-Maria Ziege am antisemitischen Diskurs des letzten Jahrhunderts beobachtet, profitiert vom pausenlosen Hin und Her:

Wo sich zu jedem neuen Gegensatzpaar neue Experten finden, die windigste Theorien verblasen, können sich „Konnotationen voller Ambivalenz und Paradoxie“ erst richtig entfalten. In der scheinbaren Unentscheidbarkeit, die so entsteht  –  also nicht in blinder Parteilichkeit, sondern aus einer Ambivalenz heraus  – , klärt sich einem der Teamgeist auf. Bilden sich assoziative Ketten wie Ball-Stafetten und wird es auch Judith-Butler-Fans einsichtig, dass ausgerechnet Hamas  –  ultrareaktionär, Frauen lässt das Regime nur ganzkörperverhüllt an den Strand  –  dass ausgerechnet Hamas im eigenen Team spielt und das ultraliberale Israel im gegnerischen.

Sind die Teams erst aufgestellt, ist „jede noch so paradox scheinende Kombination möglich …“, kann auch Hamas von der Männerherrschaft erlösen wie Hitler es tat.

Pro-Hamas-Demo in Bochum 15. Mai 2021 | Foto thw

 

Dialog mit BDS? Auf Bühnen und Podien? Als einer „kritischen Stimme“, die man nicht „ausgrenzen“ dürfe, wie die „Initiative Weltoffenheit“ erklärt hat?

Wenn überhaupt, wäre es ein Dialog über Terror und Terror-Regime, über Hamas und Fatah und das, was sie den Palästinensern antun. „Im Signifikanten des Juden“ aber, schreibt Eva-Maria Ziege über den Antisemitismus der 20er Jahre, und dieser Satz gilt heute ebenso für den Signifikanten Israel, 

„im Signifikanten des Juden werden ideologische Gegensätze und Trennungen scheinbar aufgehoben, und paradoxerweise wird dieser Effekt gerade durch die Anbindung an solche Diskurse gesteigert, die nicht völkisch oder sogar antivölkisch sind, also in Überschneidung mit sozialrevolutionären ‚linken‘ beziehungsweise Befreiungsdiskursen von politischen und/oder religiösen Bewegungen (Volksherrschaft, Frauenbefreiung, Jugendbewegung).“

Demokratie verschwindet in einem Diskurs, der Demokratie simuliert. BDS ist durch.

 

+ + +

Eva-Maria Ziege, Mythische Kohärenz. Diskursanalyse des völkischen Antisemitismus; Konstanz 2002.  –  Die Auflage ist vergriffen, das Buch wird bei Amazon ua zu Goldpreisen angeboten.

Der „Initiative Weltoffenheit“ fiel zum Terror der BDS-Hamas kein Wort ein, sie verhimmelt den Raketen-Himmel weiterhin als „gesellschaftliche Vision“  –  hier etwa das staatsfinanzierte Tanzhaus NRW und das staatsfinanzierte PACT Zollverein und das staatsfinanzierte Schauspielhaus Düsseldorf usw.

 

 

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[…] wird derzeit debattiert, Diskurse über Judenfragen wirken nach eigenen Regeln, das hat Eva-Maria Ziege gezeigt. Nach zwei drei Tagen jetzt weist Thierry Chervel darauf hin, dass die religiöse […]

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[…] Eva-Maria Ziege hat dies am antisemitischen Diskurs der Weimarer Republik nachgezeichnet (hier die Ruhrbarone-Besprechung), der es  –  unter Einhaltung der Regeln kommunikativer Vernunft  –  möglich […]

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