Stop The Bomb!

Das Bündnis „Stop The Bomb“ hat für den kommenden Samstag in Düsseldorf zu einer Demonstration gegen die dem iranischen Staat gehörende Ascotec GmbH aufgerufen.

Für das Bündnis „Stop The Bomb!“ steht fest. Der Iran arbeitet an der Atombombe. Auch die dem Iran gehörende Asotec GmbH mit Sitz in Düsseldorf soll an den Bombenplänen des Regimes beteiligt sein. So steht es im Demoaufruf von „Stop The Bomb!“:

In der Islamischen Republik Iran herrscht ein menschenverachtendes Regime, das Oppositionelle, nationale und religiöse Minderheiten, Frauen und Homosexuelle verfolgt und ermordet Das iranische Regime unterstützt den islamistischen Terror weltweit, leugnet den Holocaust und geht brutal gegen die Freiheitsbewegung im Land vor, die unter Lebensgefahr für Freiheit und Demokratie kämpft. Trotz verschärfter internationaler Sanktionen betreibt das iranische Regime unbeirrt sein Nuklearprogramm weiter, wähnt sich als Speerspitze einer globalen islamischen Revolution und hetzt unentwegt gegen Israel.

(…)

Mit einem jährlichen Umsatz von 650 Millionen Euro (Stand 2008) ist Ascotec innerhalb der letzten Jahre zu einem der wichtigsten Eckpfeiler des iranischen Handels in Europa geworden. Nach Aussagen des NCRI (National Council of Resistance of Iran) verfügt Ascotec über Kontakte zum iranischen Verteidigungsministerium und nimmt bei der Beschaffung von militärischen Gütern für das iranische Regime eine wesentliche Rolle ein.

(…)

Düsseldorf ist nun bereits seit Jahren ein sicherer Hafen des iranischen Regimes. Zu lange wurde weggeschaut, es ist an der Zeit, Ascotec auch in Deutschland zu sanktionieren und der Regimefirma die Räumlichkeiten auf der Terstegeenstraße in Düsseldorf-Stockum aufzukündigen.

Kundgebung: 11. Dezember um 13 Uhr – Burgplatz Düsseldorf

VEB Steag

Ein Stadtwerkekonsortium will die Evonik-Tochter Steag kaufen. Es entsteht ein neuer volkseigener Betrieb.

Wann sind sich schon einmal CDU, SPD und Grüne einig? Am vergangenen Mittwoch zum Beispiel, bei einer von der FDP zum Steag-Verkauf beantragten aktuellen Stunde. SPD-Innenminister Ralf Jäger, die Grüne Daniela Schneckenburger und Hendrik Wüst von der CDU: Alle waren sie fasziniert von der Möglichkeit der Übernahme der Evonik-Tochter Steag durch ein Konsortium der Stadtwerke der Städte Bochum, Dinslaken, Dortmund, Duisburg, Essen und Oberhausen. Ein neuer Energiekonzern soll in NRW entstehen, der das Potential haben soll, die Marktmacht von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW zu brechen und den Stadtwerken zu neuen wirtschaftlichen Perspektiven verhelfen soll.

Nur in Nuancen unterschied man sich. Schneckenburger plädierte dafür, die Atom-Sparte von Steag zu veräußern, die für die Castor-Transporte nach Ahaus zuständig ist, und Wüst wünschte sich die Beteiligung eines im Bieterverfahren bereits ausgeschiedenen Unternehmens aus NRW.

Gut 620 Millionen  sollen die sechs Stadtwerke in einem ersten Schritt für 51 Prozent der Steag Anteile bezahlen. In wenigen Jahren, noch vor dem geplanten Börsengang, müssen sie die restlichen 49 Prozent übernehmen. Insgesamt ein Geschäft in Höhe von 1,2 Milliarden Euro. Und weil weder die Städte noch die Stadtwerke über die nötigen Mittel verfügen, wird es komplett über Kredite finanziert. 30 Prozent davon werden die Stadtwerke aufnehmen müssen, 70 Prozent die von ihnen zu gründende Vorschaltgesellschaft.

Die Begeisterung über die Fraktionen hinweg verwundert. Denn die Steag ist nicht irgendein Unternehmen: Es ist, und man würde erwarten, dass die Grünen damit Probleme hätten, vor allem ein Betreiber und Entwickler von Kohlekraftwerken. Neun Steinkohle- und zwei Raffineriekraftwerke besitzt die Steag in Deutschland.

Im Ausland besitzt sie drei Kraftwerke in der Türkei, Kolumbien und auf den Philippinen.  Ein internationales Engagement von Stadtwerken auf drei Kontinenten? Das müsste zumindest bei der Union für Stirnrunzeln sorgen, und das tut es auch. Nicht bei Hendrik Wüst, aber bei Klaus Franz. Der Fraktionsvorsitzende der CDU im Bochumer Rat soll bald über den Kauf der Steag Anteile durch die Stadtwerke entscheiden und fühlt sich dabei nicht wohl: „Ich habe noch viele Fragen und sehe es nicht als klassische kommunale Aufgabe an, dass wir Kraftwerke auf den Philippinen betreiben. “ Stadtwerke sind für die Daseinsvorsorge da und sollten sich nicht auf den internationalen Energiemärkten tummeln. „Das Risiko, das Geld der Bürger zu verzocken, ist zu hoch.“

Das sah im Landtag der FDP-Abgeordnete Dietmar Brockes ähnlich. Brockes bezweifelte, dass ausgerechnet die wirtschaftlich schwachen und hochverschuldeten Ruhrgebietsstädte die Steag kaufen sollten: „Es ist ein wirtschaftliches Abenteuer, wenn sechs Stadtwerke, deren Städte gemeinsam 10 Milliarden Euro Schulden haben, ein internationales Energieunternehmen übernehmen.“ Alles werde zu 100 Prozent auf Pump finanziert: „Jeder Häuslebauer weiß, dass das nicht gut gehen kann.“

Bei den Stadtwerken sieht man das anders. In Hintergrundgesprächen wird der Steag-Kauf als Chance bezeichnet, die man sich nicht entgehen lassen kann. Die Stadtwerke hätten zusammen mehr Kunden als Eon und RWE, würden allerdings fast nur als Stromhändler auftauchen. Nur ein Zehntel der deutschen Strommenge produzieren die Stadtwerke. Der Kauf der Steag würde diesen Anteil schlagartig verdoppeln.

Es soll ein Unternehmen der kommunalen Familie entstehen: Mit Arbeitsplätzen im Ruhrgebiet und einer starken regionalen Verankerung. Das Geld, das im Ausland erwirtschaftet wird, soll in die Modernisierung des Kraftwerkparks fließen. Die alten Kohlekraftwerke will man nach und nach durch moderne Gaskraftwerke ersetzen. Die Macht der großen Stromkonzerne soll gebrochen werden. Das Fernwärmegeschäft der Steag  soll mit dem der Stadtwerke gebündelt werden. Ein leistungsstarkes Fernwärmenetz soll so große Teile des Reviers versorgen.

Dass der künftige Konkurrent RWE die zur Erneuerung anstehenden Lieferverträge für sechs Kraftwerke ganz oder teilweise nicht verlängern könnte, stört nicht. Ein Stadtwerker zur Welt am Sonntag: „Dann nutzen wir den Strom selbst. Für uns ist das nicht wichtig. Ohne die RWE-Verpflichtung können wir schneller mit dem Umbau des Kraftwerkparks beginnen.

Geld spielt keine Rolle. Alles, so versichern die Mitglieder des Stadtwerkekonsortiums, sei durchgerechnet worden. Das Angebot spiegele das Ergebnis eines Worst-Case-Szenarios wider, in dem auch die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke durch die Bundesregierung längst eingepreist seien. Und die Kreditfinanzierung? Problemlos. „Bei den günstigen Zinsen würden wir das Geld auch am Kapitalmarkt aufnehmen, wenn wir es hätten, denn eine Investition in unsere Unternehmen bringt eine deutlich höhere Rendite als die Zinskosten der Kredite.“

Man plane auch nicht weit in die Zukunft, denn die Energiemärkte seien im Umbruch. Aber die kommenden 20 Jahre könne man überschauen.

Nicht alle teilen diese Euphorie. Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, Präsident des RWI bezweifelt, dass man die Entwicklung der Energiemärkte über die kommenden 20 Jahre einschätzen kann: „Klar ist eigentlich nur die demographische Entwicklung. Wir haben aber beispielsweise keine langfristige Energiepolitik in Deutschland: Die eine Regierung steigt aus der Kernergie aus, die nächste verlängert die Laufzeiten und die Opposition kündigt für den Fall, dass sie an die Regierung kommt, wieder den Atomausstieg an.“ Zudem gäbe es zahlreiche ungelöste Zielkonflikte: „Die Industrie und die Verbraucher wollen günstigen Strom, er soll aber möglichst aus regenerativen Energien ohne Co2 Belastung hergestellt werden. Das passt nicht zusammen.“

Der Steag-Kauf durch die Stadtwerke sei riskant und der Nutzen für den Verbraucher ungewiss: „Wenn es künftig fünf statt vier große Konzerne gibt, wird das kaum die Preise verändern.“ Schmidt hält eine Öffnung des deutschen Strommarktes für ausländische Anbieter für effektiver: „Wir brauchen mehr grenzübergreifende Leitungen zu unseren Nachbarn. Dann sorgen Stromimporte für mehr Wettbewerb auf dem deutschen Markt.

Auch in der Landesregierung gibt es skeptische Stimmen. Auch wenn man den Einstieg der Stadtwerke befürwortet – einen starken Partner an ihrer Seite würde man gerne sehen. Umweltminister Johannes Remmel:

„Wir halten auch die Beteiligung eines finanzstarken und international erfahrenen Privatinvestors als Partner der Stadtwerke für überlegenswert – gerade mit Blick auf das Auslandsgeschäft und die Risikominimierung.“

Das könnte zum Beispiel die Rethmann-Gruppe sein, die bereits aus dem Wettbewerb um die Steag ausgeschieden ist. Auch in Finanzkreisen wird ein Einstieg von Rethmann befürwortet: „Die Kommunen hoffen auf weitere Einnahmen durch die Steag, aber die Kreditkosten werden die Dividende aufzehren.“ Ein starker privater Partner sei auch notwendig, um den Umbau des Kraftwerkparks und die hochrentierlichen Investitionen ins Auslandsgeschäft zu ermöglichen. Das Finanzkonzept der Stadtwerke sei zu optimistisch. „Irgendwann einmal werden die Zinsen wieder steigen – und dann wird es für die Stadtwerke schwierig werden.“ Das sei kein Problem der kommenden ein bis zwei Jahre. Aber zu dem Zeitpunkt, wo die Stadtwerke die restlichen 49 Steag-Prozent kaufen und finanzieren müssen, könnte es soweit sein. Und dann würden harte Zeiten für die klammen Kommunen im Revier anbrechen.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag

PISA: Lernen in den Zeiten der Botox-Bildung

Hurra, die neue PISA-Studie ist da. Die Freude im Land kennt keine Grenzen, weil die deutschen Schüler endlich die usbekische Konkurrenz in der Kategorie „Textaufgaben mit Zahlen über hundert“ abgehängt haben. Oppositionell und traditionell wird dann noch bemängelt, dass die Situation von migrationsgeschädigten Kindern in der Republik mal wieder unter aller Sau sei, was aber in der Selbstbejubelungsorgie vergessen werde. Kein Mensch kommt auf die Idee, mal nachzufragen, warum man sich von der OECD vorschreiben lässt, was Bildung ist, ein durch Rankingpunkte vermeintlich objektiver Wert nämlich. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist ein ökonomisches Bündnis, das folglich Bildung der Wirtschaft unterordnet. Das ist so, als würde der Vatikan Sterne vergeben für die neuesten Hardcorepornos, weil man sich dort bekanntlich gerne dem Thema  Liebe widmet. Wobei man vergisst, dass ein Unterschied besteht zwischen Eros und Caritas, den man eigentlich leicht erkennen könnte. Schließlich leben Senioren im Caritas-Heim und nicht im Eros-Center. Aber die OECD macht nicht nur auf Bildung. Sie hat auch schon festgestellt, im internationalen Vergleich sei der deutsche Hatz IV- Empfänger vollkommen überbezahlt. Andere sagen, eher das Gegenteil stimme. Vielen kinderreichen Hartz IV- Familien im Osten fehle zum Beispiel das Geld für Neuanschaffungen, etwa für eine größere Tiefkühltruhe.

Was auch bitter fehlt, ist eine PISA-Studie für die Hochschullandschaft, genauer: für das dortige Spitzenpersonal. Man darf annehmen, bei den Textaufgaben bis 500 Euro pro Semester würde diese Peer Group grandios scheitern. Was der Schule die PISA-Studie, ist der Universität bekanntlich der Bologna-Prozess, so eine Art Hartz IV der Bildung. Bologna sorgte für die angeblich bitter nötige Straffung der Hochschulstrukturen, wie vor Jahresfrist noch der WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz einsam jubelte.

Ob diese Botox-Bildung allein für eine Teilnahmegarantie an Pflichtveranstaltungen sorgt, für einen Treppensitzplatz im Hörsaal, für die Bezahlbarkeit von Studienkrediten oder die Erreichbarkeit von möglichst vielen Creditpoints in möglichst wenigen Semestern bei gleichzeitigem Auslandsaufenthalt, den sicheren Übergang vom Bachelor- in den Masterstudiengang oder die erkennbare Verwendung der idiotischen Studiengebühren, ist nicht hinreichend erforscht. Nach dieser Logik wäre das Problem des Gesundheitssystems jedenfalls schnell gelöst, wenn man in diesem Land in einer Handvoll Feldlazaretten in straffen Strukturen nur das behandelte, was der Wirtschaft dient.

Dummerweise boxte der sich ansonsten stetig durchs eigene Blatt grinsende Chefredakteur ziemlich allein auf das faule Studentenpack ein. Da gruschelten sich Politiker von Annette Schavan bis Andreas Pinkwart schon längst an die Studierenden ran, als bewürben sie sich um den imaginären Titel der Miss bzw. des Mister Studien-VZ, freilich ohne Willen ernsthaft etwas bei den Studiengebühren zu ändern.

Dann passierte die Landtagswahl in NRW, und damit ging der Stern der Dortmunder Universitätsrektorin Prof. Ursula Gather auf. Sie ist nebenher Vorsitzende der NRW-Rektorenkonferenz. In dieser Funktion hat es sich, kaum droht die Abschaffung der Studiengebühren, mittlerweile ausgegruschelt. Die Frau ist Mathematikerin und gerade dabei, das Thema ihrer Dissertation per Selbstversuch mit Leben zu füllen. Damals ging es um die „Ausreißeranfälligkeit von Wahrscheinlichkeitsverteilungen“.

Man muss wissen, bis vor drei Jahren war die Technische Universität nur Universität. Mit Einführung des neuen Labels tröstete man etwa die bundesweit anerkannten Gerontologen mit dem Tipp, sie könnten auch an einer technikfixierten Uni ihren Platz finden, indem sie etwa erforschten, wie Senioren so klarkommen mit dem, was die richtigen Wissenschaftler nebenan im Labor entwickelten.

Neulich war die Rektorin strunzstolz im Lokalblatt abgelichtet. Da weihte sie mit einem anderen grinsenden Akademiker eine rotierende TU-Leuchtschrift auf dem Dach des Matheturms ein und frohlockte entfesselt angesichts dieses Logos: „Über 85.000 Fahrzeuge pro Tag fahren allein auf der B1 an der TU vorbei, es wird bis in die Stadt zu sehen sein – und das jeden Tag!“ Das ist ein bisschen wie ein niederbayrischer Dorfbürgermeister, der dem berühmten Zuchtbullen der Gemeinde ein beleuchtetes Denkmal spendiert, das von der Autobahn aus zu sehen ist, und hofft auf diese Weise den Manager eines taurinhaltigen Energydrinks anzulocken, der umgehend in Dorf Millionen investiert. Immerhin, wenn es um Firlefanz geht, scheint und der Dortmunder Universität Geld vorhanden zu sein.

Wenn es jedoch um die finanziellen Nöte von Studierenden geht, fehlt jedes Verständnis. Die Studiengebühr abzuschaffen, so erklärte Gather im Namen ihrer Rektorenkonferenz, sei falsch. Aha. Denn es kämen zusätzliche Belastungen auf die Hochschulen zu, etwa durch den Wegfall der Wehrpflicht oder den doppelten Abiturjahrgang 2013/14. Es ist wunderbar, wie hier Studierende in Geiselhaft genommen werden für ein Problem, das sie nicht verursacht haben. Unverschämt ist aber, wie hier ein Satz Wahrheit behauptet, nur weil er sprachlich korrekt ist wie die berühmte Aussage: „Farblose grüne Ideen schlafen zornig.“  Gather hätte einfach sagen können: „Hey Frau Kraft, ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber wir brauchen da etwas mehr Geld.“

Dieses Beharren auf den Studiengebühren ist typisch für Verwaltungen. Was man hat, das hat man. – Den Soli wahrscheinlich, bis der Osten endgültig entvölkert ist. Man wundert sich, dass wir nicht heute noch das Notopfer Berlin auf unsere Briefe kleben müssen. Rumsitzen in durchstrukturierten Verwaltungen sorgt offensichtlich zu Ängsten vor Änderungen. Leute wie Ursula Gather sollten sich keinen Abreißkalender ins Büro hängen. Täglich eine andere Zahl sehen zu müssen, das könnte zu schweren psychischen Störungen führen.

Die Verteidigung der Studiengebühren zeigt auch, wie weit die Rektoren von ihren Studierenden entfernt sind. 500 Euro im Semester sind viel Zeit, die dem Studium fehlen, etwa drei Arbeitsstunden pro Woche, im Copyshop oder an der Tankstelle, Zeit in der man lernen oder zum Chillen  an einem rotierenden Uni-Logo vorbeifahren könnte. Was Studis mit Finanzhintergrund sicher auch weidlich tun. Natürlich gibt es für Studiengebühren kein vernünftiges Argument, solange man für den Schulbesuch ab Klasse elf nicht auch abkassiert und die Azubis dazu nötigt, dem Chef wieder Lehrgeld abzudrücken.

Glücklicherweise musste ich vor langer Zeit nur diese erbärmlichen Sozialgebühren entrichten. Das machte mich so sauer, dass ich versuchte das Geld wieder reinzuholen, indem ich mir in der Cafeteria die Taschen kiloweise mit Würfelzucker vollstopfte und in der Mensa minderwertiges Besteck klaute. Irgendwann rechnete ich mal nach, nach wie viel Zentnern Zucker ich mit der Uni quitt gewesen wäre.

Eine herablassende Haltung gegenüber Studierenden ist nicht neu. Ein Akademischer Rat prüfte uns Erstsemester, Literaturwissenschaftler, damals mit einem Fragebogen, der nur dazu dienen konnte, unsere Minderwertigkeit zu offenbaren. Fachfragen, bei denen der letzte PISA-Versager laut lachen würde („Erklären Sie den Unterschied zwischen erzählter Zeit und Erzählzeit!“ – Antwort: „Obwohl Opa gern und ausführlich vom Krieg erzählte, dauerte dieser nach Angaben von Historikern doch noch länger.“), wurden getoppt durch das Ausforschen von Privatem. Der Dozent wollte wissen, wofür wir mehr Geld ausgäben, für a) Schallplatten, b) Bücher, c) Kino und Ausgehen. Ich teilte die Rubrik mit einem senkrechten Strich, fügte die Kategorien d) Miete, e) Nahrung, f) Kleidung hinzu, kreuzte alle drei an und verachtete den Mann seither.  Zum Glück trug er nur Verantwortung dafür seine Schnürsenkel ordentlich zu binden.

Das ist heute anders. Schuld an der miserablen Ausstattung von Forschung und Lehre ist niemand, außer der Uni an und für sich. Jedenfalls nicht die Politik. Die hat das neue Hochschulfreiheits-Gesetz geschaffen. Dadurch entscheiden Unis sogar über ihr eigenes Geld. Diese Freiheit kennt auch der Wellensittich in seinem Käfig, der jeden Morgen frei entscheiden kann: Kack ich heute von der Schaukel oder kack ich heute doch lieber von der Sitzstange?

Wenn das mal jemand Prof. Ursula Gather erklären könnte.

Die EstNische (8): Fussball mit B-Note

Matis Rekord liegt bei minus 17 Grad. Ich glaube, wir brechen den in diesem Winter. Neben dem Platz haben es die Skater schon aufgegeben, den Schnee aus ihrer Anlage zu fegen.

Der Fußballplatz ist immerhin zur Hälfte geräumt. Aus ist, wenn der Ball in mannshohen Schneebergen verschwindet. Die Mitspieler tragen  Skianzüge, Kapuzen, Handschuhe, Schal. Auf der Straße würde ich sie nicht wieder erkennen. Ich verstehe nicht, was sie sich zurufen oder wie es steht. Aber das ist egal. Eine Lehre aus Estland: Fußballspielen ist hier nicht nur kalt, sondern auch cool. Wie Jungsfußball in der großen Pause.

Wir spielen auf kleine Trainingstore. Wer alleine darauf zuläuft, wirft sich auf den mit Schnee vermischten Kunstrasen und verwandelt mit dem Kopf. Es geht um Hackentreffer und Tunnel, um das Gejohle der Mitspieler und weniger ums Gewinnen. Fußball ist wie Skaten. Jeder macht sein Ding, sucht seinen Rhythmus, seinen Style. Fußball mit B-Note. Ich finde das entspannend, dampfe im Flutlicht wie in der Sauna. Bis auf die Rufe der Mitspieler ist es still, manchmal schneit es leicht, ein Gefühl wie Weihnachten.

Estland ist fast doppelt so groß wie Katar. Außer Tallinn gibt es sechs estnische Städte, die sich als Standort für ein Fußballstadion eigneten. Estland hat einen fossilen, sehr schmutzigen und sehr ineffektiven Rohstoff und herausragend extreme klimatische Verhältnisse. Außerdem ist Estland immerhin die Nummer 74 in der FIFA-Coca-Cola-Fußball-Weltrangliste – liegt damit fast 40 Plätze vor Katar. Doch keine Angst: Estland wird keine Fußballweltmeisterschaft ausrichten, versucht es erst gar nicht.

Estland wäre natürlich chancenlos. Es gibt hier keinen milliardenschweren Medienmogul und Emir und erst recht keine so tolle First Lady, die in diesem Fall allerdings eine First Second bzw. Second First Lady ist. Vor allem würde man in Estland keine zehn Stadien errichten, um acht nach dem Turnier gleich wieder abzureissen. Mati meint, in zwölf Jahren schaffe man es in Estland vielleicht eine Arena bauen.

Aber das ist nur estnisches Understatement. Cool.

2010 im Ruhrgebiet ist fast vorbei. Das neue Ding heißt Tallinn 2011, Geschichten von der See. Und ich bin dabei. Mit Geschichten vom Meer, der Stadt und diesem überhaupt ziemlich seltsamen Land am nordöstlichen Rande Europas.

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Letters from Ireland III

Irland steckt in einer tiefen Krise. Nicht nur wirtschaftlich geht es bergab, auch politisch steht das Land an der Abbruchkante. Der seit vielen Jahren in Nordrhein-Westfalen lebende Ire Hugh Murphy reist in seine Heimat zurück und schreibt über das, was er sieht. Hier ist der dritte Brief unseres Gastautors.

„Hello,

„It’s not my money they’re talking about,“ said the chubby man, with half his pint drunk, at the curve of the bar. The full sum of the bail out, 85 billions euros, had just come up on the screen behind the bar.
„That’s what you think,“ says another pint man further along the bar, „wait till you see the budget next week. They’ll have their hands in both your pockets then.“
„For all the good that’ll do them. I’ve been skinnt since I lost me job last May. Give us a pint, Dorris!“ and with that he drained his glass in one go.
„There’s nothing we can do about it, says Dorris as the tawny liquid fills up a new glass, „so I ignore it altogether,“ there are volumes of annoyance in the way she says it.

There’s no way anyone in Europe can understand how the Irish don’t react to the present crisis. Every country has its own way of putting the head in the sand when the facts of life become too painful to face right now. The Greeks riot, the Italians stay at home, the French go on a nation wide strike so that everybody can stay in bed in the morning after they reach sixty. The Irish become an ingrown toe nail. They turn on their politicians and parties and pundits and they dissect them savagely, not that they hope to find and relief for their pain by doing so. The parties in power now – Fianna Fáil et al, caused the disaster and are therefore rotten. The opposition parties – Fine Gael et al, are just as useless. It’s another side of Joyce’s old sow but there’s rarely any sign of Joyce’s courage to try to do something about it. A new government will be elected in the coming weeks or months but they are already known to be useless.

Eventually someone will say, „we could be an awful lot worse off. We are not at war. We do not have tsunamis, famine or earthquakes to deal with and, as those of us who have been through earlier hard times know. We will ride it out.“ (‚Lucinda O’Sullivan, Sunday Independent.) Even the notorious rain is found to be a „psychologically soothing presence in our lives,“ (Marie Murray, ditto)

With such optimism within daily reach who cares if the bailout works or not! Hugh Murphy“

Letters from Ireland I

Letters from Ireland II

JMStV: Das rot-grüne Schaulaufen in NRW geht weiter

Die Landtagsfraktion der Grünen will noch einmal mit der SPD über die Zustimmung zum JMStV reden. Herauskommen wird kaum mehr ein lauer Kompromiss. Und der JMStV wird durch den Landtag gehen.

Prokrastination ist ein schönes Wort. Es veredelt banal Alltagshandlungen. Zum Beispiel das ignorieren von Rechnungen. Klar, man hat falsch geparkt, das kostet Geld, aber so genau will man das nicht wissen. Und deswegen macht man einfach den Briefumschlag nicht auf, der da im Briefkasten liegt. Die Lebenserfahrung sagt einem allerdings, dass sich dadurch die Höhe der Strafe nicht ändert.

Und Prokastination ist das, was Grüne und SPD im Moment machen. Vor allem den Grünen ist der Shitstorm nach der Ankündigung, man werden den JMStV gemeinsam mit der SPD Mitte Dezember im Landtag durchwinken unangenehm. Zu schön sind die Umfragen, als das man sich  die gute Laune durch Konflikte vermiesen lassen möchte. Deswegen soll jetzt Zeit gewonnen werden. Deshalb wird noch einmal geplaudert.

Dabei hat man schon im Vorfeld des Konflikts um den JMStV alles versucht,  ihn politisch zu entschärfen. Matthias Bolte, in der Fraktion der Grünen für Netzpolitik zuständig, argumentierte schon vor Monaten, dass die Zustimmung zum JMStV rechtliche und parlamentarische Gründe und keine politischen hätte. Das macht man jetzt bei Grüns so: Anstatt politisch zu entscheiden versteckt man sich hinter den Gesetzen – die man ja als Legislative ändern kann. In Datteln ist das nicht großartig anders. So sieht grünes Konfliktmanagement  im Jahr 2010 aus.

Was wird bei den Gesprächen mit der SPD herauskommen? Nicht die Ablehnung des JMStV im Landtag: Der JMStV ist das Werk der SPD-Landesregierung in Rheinland Pfalz. Problembär Kurt Beck steht dahinter – das eine SPD geführte Landesregierung ihn auflaufen lässt ist kaum denkbar. Das Gleiche gilt für Marc Jan Eumann. Der ist Staatssekretär im NRW Ministerium für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien und Vorsitzender der Medienkommission beim SPD-Parteivorstand. Und Eumann ist ein Verfechter des JMStV. Eine Ablehnung würde ihn beschädigen. Das wird nicht passieren. Der laue Kompromiss wird sein, das Grüne und SPD sich darauf verständigen, möglichst schnell mit den Arbeiten an einer Neufassung des JMStV zu beginnen, um die Fehler des alten auszubügeln. Was auch nicht passieren wird: Der nächste JMStV  wird keine Freiwilligkeit mehr kennen und deutlich härter werden.

Man sollte sich nichts vormachen: Das Landtags-Schaulaufen von SPD und Grünen in NRW wird den JMStV nicht aufhalten.  Es gilt: Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Wer war mit dabei? Die Grüne Partei. Aber mal ehrlich: wer hätte was anderes erwartet?

Deutsche Journalisten im Iran: Offener Brief an Merkel

Seit sieben Wochen hält der Iran zwei deutsche Journalisten gefangen. Der Vorwurf: Spionage. Wir dokumentieren einen offenen Brief von Kazem Moussavi, dem Deutschland-Sprecher der iranischen Grünen.

Offener Brief von Dr. Kazem Moussavi an Bundeskanzlerin Merkel hinsichtlich der im Iran verhafteten deutschen Journalisten H. und K.

Berlin, den 29.11.10

Die verhafteten deutschen Journalisten H. (Redakteur) und K. (Fotograf) müssen vom islamistischen Regime im Iran sofort und bedingungslos freigelassen werden!

Liebe Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel Die Geiselnahme der deutschen Journalisten der Bildzeitung,  H. und K.  durch die Mullahs und der lächerliche Vorwurf der Spionage gegen sie entsprechen dem menschenverachtenden Charakter und der Praxis des islamistischen Regimes im Iran seit 1979.

Als iranischer Oppositioneller (und auch im Namen von Green Party of Iran und vielen anderen Systemgegnern) sowie auch als eine der Stimmen von Millionen von iranischen Menschen, die seit 31 Jahren von der Unterdrückungs- und Zensurpolitik des iranischen Regimes direkt betroffen sind, verurteilen wir dieses Verbrechen des Regimes. Die durch das Mullah-Regime verhafteten deutschen Journalisten müssen sofort und bedingungslos freigelassen werden!

Seit mehr als 7 Wochen sind zwei deutsche Journalisten, deren Namen bisher nicht genannt wurden, in Geiselhaft der Teheraner Machthaber und darüber sind die Öffentlichkeit und deren Familienangehörige sowie die Kollegen in Deutschland sehr besorgt.

Für die Freilassung der Journalisten haben die bisherige geheime Diplomatie der Bundesregierung sowie die Iran-Reisen von Abgeordneten des Bundestages unter Leitung von Peter Gauweiler/Claudia Roth sowie anschließend von Frau MdB Hoff (FDP) wie auch kürzlich des Gesandten von Herrn Außenminister Guido Westerwelle absolut nichts gebracht.

Der wichtigste Grund dafür ist: Laut zuverlässigen Informationen wird der Fall der beiden deutschen Journalisten direkt durch das Büro des Revolutionsführers Ali Khamenei koordiniert und in dessen Auftrag vom Hohen Nationalen Sicherheitsrat der Islamischen Republik unter der Leitung von Saeed Jalili, dem derzeitigen Atom-Chefunterhändler des Regimes im engen Kontakt mit Ali Reza Sheikh Attar, dem Botschafter des iranischen Regimes in Deutschland umgesetzt.

Der Plan, den Khamenei und die Regierung Ahmadinejads mit der Geiselhaft der deutschen Journalisten verfolgen, ist, auf Zeit zu setzen und die Gefangenen als Druckmittel zu nutzen, um weitere Sanktionen Deutschlands und Europas zu verhindern und dadurch atomare Ziele voranzutreiben und zu realisieren. Die Atombombe ist für das Überleben des Mullah-Regimes im Iran notwenig. Sie ist gleichzeitig ein Gewaltinstrument, das die Umsetzung der Expansionspolitik und der Vernichtungsabsichten des Systems gegen Israel sichert und beschleunigt. Die Intensivierung von Wirtschaftsbeziehungen und Dialogpolitik bereitet dem Regime die Möglichkeit, seine ideologischen Ziele eher zu bewerkstelligen.

Deshalb ist es ein Skandal, dass die deutsche Politik und Wirtschaft das verdeckte Spiel der Islamischen Republik mitspielen. Vor kurzem war im Rahmen einer deutsch-iranischen Wirtschaftstagung des „German Global Trade Forum“ im Marriott-Hotel in Hamburg ausgerechnet Herr Alireza Beyghi eingeladen. Alireza Beyghi ist ein bekannter Revolutionsgardist, Mitglied der terroristischen Ghods-Brigade und derzeitiger Gouverneur der iranischen Provinz Ost-Azerbaidjan, in dessen Hauptstadt Täbriz unter seiner politischen Verantwortung die zwei deutschen Journalisten und die durch Steinigung bedrohte Frau Sakineh Ashtiani inhaftiert sind.

Zudem ist auch zu bedauern, dass die Bundesregierung die Hintergründe der Geiselnahmen anscheinend nicht begreifen oder öffentlich verbreiten will. Sie versucht, die Sanktionierung der in Hamburg ansässigen Europäisch-Iranischen Handelsbank (EIH), die im iranischen Besitz und in das Nuklear- und Rüstungsprogramm des Regimes eingebunden ist, zu verhindern. Die Mullahs wissen, dass Deutschland sich bereits im Vorfeld der am 26. Juli verhängten EU-Sanktionen gegen Iran schützend vor die EIH-Bank gestellt hat und deshalb erpressbar ist. Weitere wirtschaftliche und politische Kooperationen sind vorgesehen.

Liebe Frau Bundeskanzlerin Merkel, Es ist das iranische Regime, dass in einer entwürdigenden medialen Inszenierung die Identität der beiden deutschen Journalisten vor der Weltöffentlichkeit preisgegeben hat. Die Arbeitgeber und Kollegen, Freunde und Nachbarn kennen die Gesichter der beiden selbstverständlich. Wenn die deutsche Politik versucht, die Namen der Journalisten trotzdem geheimzuhalten, so gibt es für dieses Verhalten nur zwei mögliche Interpretationen: Entweder ist dies ein zum Scheitern verurteilter Versuch, das Regime durch Gefälligkeit zu beschwichtigen; oder die Haft der Journalisten wird gar als willkommener Vorwand gesehen, um die Politik der wirtschaftlichen und politischen Kooperation Deutschlands mit dem iranischen Regime weiterzuführen und zu intensivieren (s. Beispiele oben).

Die Namen und die Geschichten der beiden verhafteten deutschen Journalisten, die die Hintergründe des Steinigungsurteils gegen Sakineh Ashtiani recherchierchen wollten, müssen im Interesse ihrer Befreiung, der Pressefreiheit und der Menschenrechte breit publiziert werden.

H. ist seit vielen Jahren ein renommierten Redakteur großer deutscher Zeitungen und mit vielen aktuellen Themen befasst, zu denen schwerpunktmäßig noch nicht einmal der Iran gehört. Als Reporter war er aber schon in vielen Krisengebieten unterwegs, so z.B. in Afghanistan. Ähnliches gilt auch für den Fotograf  K.. Ein Foto von  K. finden Sie unter anderem auf seinem Xing-Profil:

Die Verhaftung der beiden Journalisten und der Versuch, zensierenden Einfluss auf die Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland zu nehmen, muß als Warnung des Mullah-Regimes gegen alle Journalisten verstanden werden, die über die Terrorpolitik des iranischen Regimes nach innen und aussen berichten wollen.

Aufgrund der dargestellten Hintergründe – auch im Interesse der Freiheitsbewegung im Iran – ist es notwendig, die Öffentlichkeit umfassend über diesen Fall staatlicher Entführung zu informieren, um öffentlichen Druck gegen das islamistische Regime zu schaffen und diesen von seiten der Politik für die sofortige Freilassung der Geiseln effektiv zu nutzen. Die Mobilisierung der internationalen Öffentlichkeit hat bereits die Steinigung Frau Sakineh Ashtianis vorläufig verhindert und ist auch der sicherste Weg, um die schnellstmögliche Rückkehr der Journalisten zu erreichen, damit sie Weihnachten mit ihren Familien feiern können.

So wurden 2007 15 vom Iran gekidnappte und namentlich bekannte britische Seeleute innerhalb kürzester Zeit entlassen, nachdem ein Aufschrei der Empörung durch die britische Presse und die Weltöffentlichkeit gegangen war. 1997 nannte ein Berliner Gericht im Mykonos-Prozess gegen den Druck deutscher Politiker die Namen der Regimeverantwortlichen für die Morde an iranischen Oppositionellen. Nur so konnten wenigstens den Mordaktivitäten des Regimes in Deutschland bisher Grenzen gesetzt werden.

Liebe Frau Merkel, Die bedrohliche Situation der deutschen Journalisten im Iran ist ein Resultat des so genannten „kritischen Dialogs“ und der guten Wirtschaftsbeziehungen mit den Teheraner Machthabern. Statt Appeasement(-Reisen) und mehr Dialog mit den Mullahs heißt das Gebot der Stunde dagegen: Konfrontation, Druck und Sanktionen, auch um die beiden deutschen Journalisten in Geiselhaft der Mullahs sofort frei zu bekommen!

Abschließend ist noch zu berücksichtigen: Immer wieder lastet das islamistische Regime seine Verbrechen den Opfern seiner Menschenrechtsverletzungspolitik – auch im Exil – an, um deren politische Aktivitäten zu kriminalisieren und unter Kontrolle zu halten, in diesem Fall Frau Mina Ahadi. Das Regime lädt seine Verbrechen denen auf die Schultern, die sich in Deutschland und Europa gegen die Beschwichtigungspolitik und für die Freilassung aller politischen Gefangenen und Opfer des Regimes wie Sakineh Ashtiani, ihres Sohns Sajjad und ihres Rechtsanwalts Houtan Kian einsetzen.

Deshalb muss die Sicherheit von Frau Mina Ahadi und anderen konsequenten Oppositionellen und von iranischen Flüchtlingen durch die Bundesregierung und die deutschen Behörden gewährleistet werden.

Liebe Frau Merkel, Ich würde mich über eine persönliche Antwort von Ihnen sehr freuen!

Mit herzlichen Grüssen,

Dr. Kazem Moussavi

Sprecher der Green Party of Iran in Deutschland

Die EstNische (7)*: Schneekarte

Der Golfstrom ist auch nicht mehr das, was er mal war. Russische Meteorologen sagen, das atlantische Warmwasser habe seinen Effekt verloren. Mein Bruder in Irland sagt, ihm sei kalt.  Im November habe dort noch nie Schnee gelegen. Er hat sich ein Gewächshaus in den Vorgarten gestellt und lässt künftig die Hände von mediterranen Gartenpflanzen. In Estland, 2.000 Meilen nordöstlich von Irland, schneit es sowieso. Seit einer Woche. Fast immer.

In unserem Tallinner Vorgarten haben sich Kinder eine Höhle in den Schnee gegraben. Damit niemand ums Leben kommt, werden beindicke Eiszapfen von den Dächern geschlagen. Die Esten sagen, so früh, so viel Schnee sei ungewöhnlich. Weil wir vergessen haben, rechtzeitig Winterreifen zu kaufen, lassen wir unser Auto alle paar Tage an, nur um zu sehen, ob der Motor noch läuft. An Fahren ist nicht zu denken. Bis April. Vermutlich. Die Geräusche der Stadt sind in Watte gepackt. Alle haben rote Wangen wie die Kinder und sind ein wenig toll vom Schnee. Und in einem Monat kommt der Euro.

Tatsächlich ist er schon da. Aus Finnland kam nicht nur der Schnee, auch Scheine und Münzen kamen übers Meer mit einer deutschen Spedition namens Schenker. Kein Witz. Andererseits fällt das bisschen Estland in der Eurozone nicht ins Gewicht, genauso das bisschen Euro in Estland. Hier neue Scheine und Münzen einzuführen ist so ähnlich wie im Ruhrgebiet neue Grubenlampen, – Folklore. Selbst Kaugummi, Bier und Zigaretten werden längst mit Plastikkarten bezahlt, die man sich in vielen Motiven aussuchen kann. Ich fand Vanilla Ninja hübsch landestypisch, sehr dünne Frauen mit sehr glatten, sehr blonden Haaren. Manchmal rotten sie sich hinter der Kasse beim Bezahlen zusammen, betrachten meine Bankkarte und schütteln sich vor Lachen. Warum nur?

Vielleicht, weil es Vanilla Ninja nicht mehr gibt. Die Bankangestellte sagte mir, nur eine würde weiterhin als Musikerin auftreten, eine sei in die Politik gegangen und eine arbeite ausgerechnet als Sprecherin im Wirtschaftsministerium. Estland und Euro passen also gut zueinander. Nicht nur wegen dem großen E.

Die alten Kronen sind wenig modern gestaltet. Für Blinde ist es schwer die Scheine zu unterscheiden, weil alle das gleiche Format haben. Der vorgegebene Höchstbetrag am Bankomaten liegt bisher bei lächerlichen 1.000 Kronen, gut 60 Euro. Und die Krone als Pfandmünze verfehlt im Einkaufswagen genauso ihre Wirkung wie als Flaschenpfand – für eine Krone bringt niemand etwas zurück. Zumal die Automaten fürs Glaspfand an unsere für Einwegspritzen erinnern und von einer ähnlichen Klientel angesteuert werden. Und von mir, dem Deutschen.

Weil Estlands Tage mit dem Spielgeld gezählt sind, bekam jeder Haushalt von Regierung und EU auch ein paar Sicherheitshinweise und einen Taschenrechner zum Umrechnen. Und Europa darf sich wirklich auf etwas gefasst machen: Die Esten sind nicht nur kontinentale Spitze im Internet, bei friedlichen Revolutionen und Massenchorgesinge, sondern auch beim Einkaufen. Tallinn hat nur etwas mehr Einwohner als Bochum, aber mehr Shopping Malls als das ganze Ruhrgebiet. Jeder Supermarkt ist so groß wie ein Real. Geöffnet haben die Läden eigentlich immer, täglich von 9 bis 23 Uhr.

Auch im Schneesturm.

* 2010, Ruhrgebiet ist fast vorüber. Das kommende Ding heisst Tallinn 2011, Geschichten von der See. Und ich bin dabei. Mit Geschichten vom Meer, der Stadt und diesem überhaupt ziemlich seltsamen Land am nordöstlichen Rande Europas.

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Der Traum vom NRW-Gas

Bohrturm Foto: ExxonMobil

Der Boden Nordrhein-Westfalens ist voller Gas. Allerdings kann nur ein Bruchteil davon wirtschaftlich gefördert werden.

Neidvoll richtet sich der Blick Nordrhein-Westfalens seit Jahrzehnten gen Holland: Das eigene Erdgas war einer der Gründe der zeitweiligen wirtschaftlichen Stärke des Nachbarlandes. Ohne billiges Gas würde Gemüse aus Holland zum Beispiel nicht die hiesigen Supermärkte dominieren.

Und so waren die Hoffnungen groß, als vor wenigen Wochen bekannt wurde, dass auch NRW über gewaltige Erdgasvorkommen verfügt: 2200 Kubikkilometer Erdgas, so die Schätzungen, warteten in NRW darauf, gefördert zu werden. Zum Vergleich: In den Niederlanden waren die Vorkommen 2850 Kubikkilometer-Gas groß.

Zahlreiche Unternehmen nehmen an dem Rennen um die Gasvorkommen teil, die vor allem im Münsterland und Rheinland liegen: Von den kleinen Stadtwerken Hamm über das australische Unternehmen Queensland Gas Company bis zum Weltkonzern ExxonMobil (Handelsmarke: Esso) haben sie Claims abgesteckt und planen Probebohrungen. Am schnellsten war ExxonMobil: Das Unternehmen will schon bald mit Probebohrungen beginnen. Ganz oben auf der Liste der Bohr-Standorte steht der kleine Ort Nordwalde im nördlichen Münsterland. Dort ist man von der Aussicht ein Gasabbaustandort zu werden nicht begeistert. Kaum wurden die Gasvorkommen bekannt, gründete sich schon eine Bürgerinitiative gegen den Abbau. Sie sorgen sich vor allem um das Grundwasser: „Neben der Stelle, an der gebohrt werden soll, ist ein Trinkwasserreservoir für alle Städte zwischen Münster und Rheine. Wir haben Sorge, dass Chemikalien ins Grundwasser gelangen“, sagt Mathias Elshoff von der Interessengemeinschaft gegen Gasabbau.

Denn der massive Einsatz von Chemikalien ist notwendig, um an die Gasvorräte im Münsterland heranzukommen. Die liegen nicht, wie in Holland, in Sandstein sondern in Kohle- und Schieferschichten. Die müssen mit dem aufwendigen Fracking-Verfahren erst Abbaufähig gemacht werden. Dabei werden Wasser und Chemikalien in die gashaltigen Schichten gepresst um kleine Risse zu erzeugen, in denen sich das  Gas sammeln kann.

Ein Verfahren nicht ohne Risiko. In den USA kam es dabei immer wieder zur Verseuchung des Grundwassers. Im Bundesstaat New York wurde Fracking durch den Senat aus diesem Grund verboten.

Viele Münsterländer sorgen sich indes schlicht um den Erhalt der ländlichen Idylle. Rainer Lagemann, Abgeordneter der Grünen im Steinfurter Kreistag: „ Die Menschen wollen nicht hinter ihrem Garten eine Großindustrieanlage.“

Dabei ist die Interessengemeinschaft nicht generell gegen die Gasförderung im Münsterland. Elshoff: „Wir wollen, dass die Förderung sicher ist und es nicht zu Verseuchungen kommt. Und wir wollen vernünftig informiert werden. Bisher hat ExxonMobil nur PR-Leute vorbei geschickt. Wir wollen mit Experten diskutieren.“

Dieser Forderung nach mehr Offenheit will das Energieunternehmen nachkommen. In einer Pressemitteilung kündigte ExxonMobil an, das gesamte Erprobungs- und Abbauverfahren von einer unabhängigen Expertenkommission begleiten zu lassen. Die Gasabbau-Skeptiker bestehen darauf, dass dort auch Kritiker eingebunden werden und misstrauen der angeblichen Offenheit von ExxonMobil.

Vielleicht nicht ganz zu Unrecht: Trotz mehrfacher Nachfrage fand sich in der Hannoveraner-Niederlassung des Unternehmens, das für die Gasfelder in NRW zuständig ist, niemand, der für ein Gespräch zur Verfügung stand.

Im Wirtschaftsministerium des Landes Nordrhein-Westfalen nimmt man die Sorgen der Anwohner ernst: „Wir wollen, dass sich die Unternehmen mit den Bürgern an einen Tisch setzen und ihre Pläne offen diskutieren. Die Menschen wollen ernst und mitgenommen werden“, sagt Ministeriumssprecher Stefan Grönebaum. Auch der Vorschlag der Interessengemeinschaft, kritische Experten in eine unabhängige Kommission zu berufen, findet die Unterstützung des Ministeriums. Eine Gefahr für das Trinkwasser sieht man im Ministerium nicht – zu tief seien die Gasfelder, um mit dem oberflächennahe Trinkwasser in Berührung zu kommen. Zudem erwarte man von den Unternehmen technische Lösungen, die auch bei Fehlfunktionen der Förderanlagen eine Umweltverschmutzung verhindern.

Allerdings bremst man in Düsseldorf auch zu hohe Erwartungen an den künftigen Gasreichtum des Landes. Die Förderung der Vorkommen in NRW sein teuer und kompliziert und mit der Situation in den Niederlanden nicht zu vergleichen. Nur ein Teil der Vorkommen sei überhaupt zu fördern – und das lohne sich für die Unternehmen auch nur bei hohen Gaspreisen.

Die Gasvorkommen in NRW seien eher mit dem Ölschiefer in Alaska zu vergleichen: Eine Reserve, die zu heben es sich lohnt, wenn die konventionellen Gasvorkommen erschöpft sind. Was allerdings auf absehbare Zeit geschehen wird.

19 Gasfelder gibt es in NRW. Allein ExxonMobil will in naher Zukunft zehn Probebohrungen durchführen. Beantragt hat das Unternehmen bislang allerdings noch keine einzige.

Wann es zu ersten Probebohrungen kommt ist damit noch vollkommen unklar. Nach dem ersten Antrag beginnt ein aufwendiges Genehmigungsverfahren nach dem Bergrecht, an dem auch die betroffenen Kommunen beteiligt werden Das gefällt den Grünen im Land nicht, die gerne die Verfahrenshoheit im Umweltministerium sehen würden, ist aber nun einmal der rechtliche Rahmen wenn es um Rohstoffförderung geht.

Der Gasreichtum Nordrhein-Westfalens wird das Land nicht radikal verändern. Es wird, wenn es denn einmal gefördert wird, die Abhängigkeit von Importen verringern und Teil des Energiemixes des Landes werden. Ein schöne Option für die Zukunft – und das auch nur, wenn es gelingt, die Bürger von der Sicherheit der Abbauverfahren zu überzeugen.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form in der Welt am Sonntag

Letters from Ireland II

Irland steckt in einer tiefen Krise. Nicht nur wirtschaftlich geht es bergab, auch politisch steht das Land an der Abbruchkante. Der seit vielen Jahren in Nordrhein-Westfalen lebende Ire Hugh Murphy reist in seine Heimat zurück und schreibt über das, was er sieht. Hier ist der zweite Brief unseres Gastautors.

„Hello,

it’s the smells that first get to you when you land in Ireland in the last months of the year. There is a sweet sour smell everywhere. It’s the autumn decay now fermenting and the compost promises to be dire for the Irish economy. €509 billion were lent to Ireland and it’s banks during the last few years and the Irish mind runs into a blank wall in the attempt to visualise what that albatross means for them. Many people have stopped thinking about it and even the talking heads on TV have turned to playing Christmas toys and the rugby season.

Although Olli Rehn, the European commissioner, has become a semi respected figure in the media few see any sense in what he, the ECB and finance minister Lenihan are up to. There is even amused confusion about who exactly is representing Ireland in the negotiations. Reliable sources say that Mr Lehihan is suffering from terminal cancer. It seems to increase his creditability as an honest broker but the other negotiators are shadowy civil servants, just the kind whose negligence and/or complicity created the mess in the first place. Nobody trusts them.

The pundits/experts have now decided that the European (German), English and Irish banks have been in a cahoots relationship for years, always relying on the Irish Government to guarantee investments if things went wrong, the old ‚too important to let fail‘ trick, i.e. private debt would become sovereign debt. In 2008 that is exactly what Prime Minister Cowan, and Lenihan did when the Anglo-Irish Bank got into trouble.

If you listen to people waiting at red traffic lights in O’Connell Street in Dublin you’ll hardly hear a word about the economic crisis. „Sure, with all this doom and gloom I’m going to put up the Christmas tree early this year,“ said a young woman with a child on one hand and a bag of shopping in the other. „I agree with you misses. Why should we start throwing the toys out of the pram already.“ This from another woman, shopping heavy. „What pram?“, ask another voice and the hole group laughed and chuckled there way across the street one green.

Few protest anymore around parliament in Kildare St. Camara crews are asleep on the front seats of their vans tucked discreetly into side streets. The unions can get a few thousands out at the weekend for a photo shot but Sinn Fein and other extremists are so prominent among the marchers that ‚ordinary‘ people refuse to join, up to now.

The terms of the agreement are due out today or tomorrow. I’ll have more news then, Hugh Murphy“

Letters from Ireland I

Letters from Ireland II

Letters from Ireland III