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Debatte um jüdischen Bundespräsidenten: „Wir sind Menschen, keine Symbole!“

Sergey Lagodinsky fordert, dass Juden als Teil der Gesellschaft ernst genommen werden.
Sergey Lagodinsky will, dass Juden ernst genommen werden.

Die Forderung von „Bild“-Herausgeber Kai Diekmann nach einem jüdischen Bundespräsidenten Salomon Korn stößt auf Kritik. Gespräch mit Sergey Lagodinsky, Repräsentant der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Er wirft Diekmann eine Instrumentalisierung von Juden vor.

„Bild“-Herausgeber Kai Diekmann spricht sich für einen jüdischen Bundespräsidenten aus. Er schlägt Salomon Korn vor, den Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ein guter Vorschlag?

Natürlich. Aber nicht als Selbstzweck und nicht aus einer Laune heraus. Und genau so hörte sich der Vorschlag an.

Was meinen Sie mit „aus einer Laune heraus“?

Wenn so ein Vorschlag ernst gemeint wäre, hätte man ihn politisch anders einfädeln sollen. Aber nicht in einem Tweet mit dem Satz: „Zeit für einen Juden“. Salomon Korn ist ein spannender Intellektueller. Es hätte gereicht ihn ins Gespräch zu bringen, weil er zur Diskussion um die Deutsche Identität einen überlegten, weisen Beitrag leistet.

kdAber Korn ist eine Persönlichkeit, die nun mal jüdisch ist. Die jüdische Herkunft gehört zu ihm, nicht er zu der jüdischen Herkunft. Das ist der feine, aber wichtige Unterschied.

Es wäre ja auch bescheuert gewesen wenn wir gesagt hätten: Es ist Zeit für einen Moslem als Bundespräsidenten. Das hört sich genauso instrumentalisierend an.

Den Vorschlag gibt es: Der Schriftsteller Navid Kermani wurde ins Gespräch gebracht.

Natürlich, aber weil Kermani einer der führenden Denker unserer Gesellschaft ist, und nebenbei auch Moslem. Ich habe aber nicht gesehen, dass jemand, der Kermani wohlgesonnen ist, seinen Namen auf die Art und Weise ins Spiel gebracht hätte, wie es mit Salomon Korn passiert ist.

 Auf Facebook schrieben sie: „Wir sind Menschen, keine Symbole!“

Es passiert in Deutschland allzu oft dass Juden von der Mehrheitsgesellschaft dafür benutzt werden, damit diese sich besser fühlt. Das ist aber nicht der Zweck der jüdischen Existenz hier. Juden leben in Deutschland, weil sie ein selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft sind. Hier geht es nicht nur um diesen Vorschlag, sondern darum, wie Juden in dieser Gesellschaft gesehen und behandelt werden.

Wer weiß denn, dass die meisten älterer Juden in Armut leben? Wer weiß, was jüdische Mütter bewegt, die ihre Kinder in die Schulen bringen, wo „Jude“ ein Schimpfwort ist? Wer weiß, was jüdische Menschen im Alltag bewegt? Aber jeder weiß, Juden sind Symbole für diese Gesellschaft. Ich sage: Nein, damit ist es nicht getan.

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Gerd
Gerd
7 Jahre zuvor

"Natürlich, aber weil Kermani einer der führenden Denker unserer Gesellschaft ist, …"

Navid Kermani: Wir wehren uns! | ZEIT ONLINE
http://www.zeit.de/2015/03/anschlag-paris-muslime-gegenwehr/komplettansicht

Wir haben dort über Jahrzehnte die blutigsten Diktaturen unterstützt und uns sogar direkt am Sturz demokratischer, säkularer Regierungen beteiligt. Wir sahen ziemlich tatenlos zu, wie den Palästinensern Siedlung um Siedlung ihr Land und ihre Zukunft geraubt wurde. Vor allem aber haben wir – ja, ich sage wir, obwohl die meisten von uns 2003 gegen den Irakkrieg protestiert haben, aber der Krieg wurde nun einmal von der führenden westlichen Nation, im Namen der westlichen Wertegemeinschaft und auch von deutschen Flughäfen aus geführt –, vor allem haben wir Gesetzlosigkeit und Gewalt über ein ganzes Land gebracht, als wir behaupteten oder vielleicht tatsächlich glaubten, den Irak zu befreien.

Zuerst wirft er uns vor Diktaturen zu unterstützen, dann wirft er uns vor eine Diktatur gestürzt zu haben. Die Behauptung wir hätten Gewalt und Gesetzlosigkeit über den Irak gebracht ist gradezu menschenverachtend, wenn man sich erinnert, wer den Irak regiert hat und wie er das getan hat. Und zu guter Letzt kann er sich etwas Diffamierung der Juden nicht verkneifen.

Arnold Voss
7 Jahre zuvor

Wie wäre es denn mal mit einem religionsfreien Bundespräsidenten? Oder gibt es in dieser Bevölkerungsgruppe keine grossen Denker und Redner weiblichen oder männlichen Geschlechtes ?

Helmut Junge
7 Jahre zuvor

Der derzeitige Bundespräsident ist evangelischer Pfarrer und die derzeitige Bundeskanzlerin ist Tochter eies evangelischen Pfarrers.
Als die evangelische Theologin Käßmann für das Amt des Bundespräsidenten vorgeschlagen wurde, fiel mir das berühmte Gesetz der Serie ein, denn eine zeitlang gb es beim Bundespräsidentenamt offenbar keine Alternative zu ehemaligen NSDAP-Mitgliedern. Als wenn es weder heute noch damals außerhalb dieser engen Klientel keine brauchbaren Kandidaten oder Kandidatinnen gegeben hätte.
Aber niemand wäre je auf die Idee gekommen von sich zu sagen:"Wir sind Menschen, keine Symbole."
Für mich ist dieser Satz von Sergey Lagodinsky ein Grund darüber nachzudenken, ob der nicht doch ein superKandidat nach meinem Geschmack sein könnte. Ja ehrlich, nach allem was wir hinter uns haben und was drohen könnte, warum nicht mal einen Juden?

Walter Stach
Walter Stach
7 Jahre zuvor

Arnold,
aber die "Religionsfreiheit " eines Menschen darf so wenig ein Kriterium für seine "GeeignetheitUngeeignetheit " als Bundespräsident sein wie die Zugehörigkeit zu einer Religion.

Offenkundig , so scheint mir, ist jedoch für die sog. Mehrheitsgesellschaft immer noch die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder eben die sog. Religionsfreiheit eines Kanidaten für das Präsidentenamt ein sehr bedeutsames Kriterium für die Zustimmung bzw. für die Ablehnung eines Kandidaten; sh. jetzt und hier die Wahlwerbung Diekmanns für einen jüdischen Kandidaten, wobei mir sehr wohl bewußt ist, daß "Jüdisch-sein" mehr bedeutet als als die bloße Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft.
Für mich ist jedenfalls grundsätzlich jede Kandidatur bedenkenswert und prüfungungswürdig unter verschiedenen Aspekten. Und wenn sich dabei -so nebenbei- ergibt, daß der Kandidat Christ ist, evangelisch oder katholisch, Jude, Muslim , Atheist oder Agnostiker, dann nehme ich das zur Kenntnis, nicht mehr/nicht weniger. Trivialitäten; sollte man meinen!

Gerd
Gerd
7 Jahre zuvor

Das sollten wir so ähnlich machen wie die Schweizer. Der Präsident des Bundesrats übernimmt das Amt des Bundespräsidenten mit. Das Amt des Bundesratspräsidenten 'rotiert', die Länder kommen in alphabethischer Reihenfolge dran. Und selbstverständlich erhält der „Bundespräsident“ keinerlei zusätzliche Vergütung!

Walter Stach
Walter Stach
7 Jahre zuvor

Gerd,
ich halte nichts davon, wenn regelmäßig kurz vor der Wahl eines neuen Bundespräsidenten über dessen Befugnisse, über das einschlägige Wahlverfahren -evtl. Direktwahl- oder über eine andere Problemlösung -sh. Modell Schweiz- diskutiert wird, vor allem dann nicht, wenn "man" sich in einem kontroversen Kandidatenfindungsprozess zu befinden scheint.
Bisher haben diese Prozesse immer zu einem Ergebnis geführt, das zwar nicht alle Bürger zufriedengestellt hat und daß "dann und wann" im nachhinein nicht "glücklich" genannt werden darf, daß aber auch dann weder der Gesellschaft noch dem Staat nennenswert geschadet hat.

Also….
weiter geht`s im interessanten Kandidatenfindungsprozess und mit unserer Diskussion darüber -auf der Basis des derzeitigen Verfassungsrechtes-.

kE
kE
7 Jahre zuvor

Modell Schweiz?
Ein paar Bremer, Saarländer, MPs werden genauso wie ca. 18 Mio NRW Bürger repräsentiert?
Das kann es auch nicht sein. Demokratie sollte die Bürger anteilig repräsentieren. Das ist jetzt schon im Bundesrat nicht der Fall.

Insgesamt ist es wieder ein armseliges Bild, dass Parteibuch und ein paar Pseudo-Kriterien solche Wichtigkeiten haben. Dass Bevölkerungen anteilig repräsentiert werden, ist notwendig. Spätestens beim Führungspersonal sollten sich auch Koalitionen auf Qualifikationen beziehen und nicht auf Kriterien wie:
Wie brauchen noch einen Brillenträger mit Glatze, der dann noch von einer Insel kommt.

Helmut Junge
7 Jahre zuvor

Wenn die Entscheidungsträger der Mehrheit der derzeitigen Bundesversammlung sich bereits im Vorfeld der Debatte auf einen gemeinsamen Kandidaten, Mann oder Frau, geeinigt hätte, würde es vermutlich keine öffentliche Diskussion zu diesem Thema geben.
Jetzt gibt es sie. Aber öffentliche Debatten haben ihre eigenen Regeln und ihre eigene Dynamik.
Und wenn sie noch so unsachlich geführt werden, sind sie doch niemals kritikanfällig. Jede Kritik ist letztlich eine Erweiterung. Früher hatten sich einzelne Parteien im Vorfeld mit ihren Kandifdaten festgelegt und deshalb konzentrierte sich die öffentliche Debatte auf diese Kandidaten. Jetzt hat die Phantasie freien Lauf. Damit komme ich persönlich aber gut klar.

Gerd
Gerd
7 Jahre zuvor

@7:

Das Amt ist rein symbolisch, sprich unwichtig. Deswegen könnte es alle sechs Monate ein anderer Ministerpräsident nebenbei mit erledigen.

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