„Die Bayern haben den Dortmundern beigebracht, wie man Bier braut und gemeinsam Fußball spielt“

Almauftrieb am Haus Almfrieden in Witten. Foto: Laurin


Als das Königreich Bayern arm und das Ruhrgebiet reich war, machten sich junge Bajuwaren auf nach Dortmund. Dort schufen sie sich mit dem Haus Almfrieden ein Stück Heimat.

Tiefblau ist der Himmel und nur vereinzelt ist ein weißes Wölkchen zu sehen. Sanft steigt die Wiese vom dunklen Waldrand her an bis zur Alm. Die Frauen, sie tragen hier Dirndl, die Männer Lederhosen und den auf dem mächtigen Maibaum thront ein Löwe. Bayern ist schön, auch wenn dieses Bayern im Ardeygebirge liegt. Hier in Witten steht das Haus Almfrieden, die Heimstätte des Bayernvereins Einigkeit Dortmund e.V.. „Als die Alten es 1928 gebaut haben, war hier noch Dortmund“, sagt Jürgen Wörl, der Vereinsvorsitzende, „aber kurz darauf gab es eine Gebietsreform und seitdem steht unsere Alm in Witten.“ Im Haus und auf der Wiese sind die Mitglieder des Vereins dabei, alles für den ersten großen Tag im Jahr des Bayernvereins vorzubereiten, den Almauftrieb. Der Bierstand steht am Rand der Wiese, ein Podium für die Musiker ist aufgebaut und schon am Vormittag haben der ersten Gäste auf den Bänken Platz genommen. Vor den meisten steht ein Frühschoppenbier. Josef und Elisabeth haben auf der Steirischen Harmonika begonnen zu spielen. Es wird gejodelt.
Manfred und Ingrid sind gemeinsam mit ihrem Bekannten Albert Thiele aus dem benachbarten Herdecke gekommen: „Man sitzt hier mitten in der Natur und kann sich gut erholen.“ Die Maschners sind Stammgäste und besuchen seit Jahren die Alm. Thiele findet gut, dass hier alles von den Vereinsmitgliedern selbst gemacht wird: „So was unterstütze ich auch gerne.“ Mit Bayern haben alle drei nichts am Hut.

Als 1909 der Bayernverein für Dortmund und Umgebung gegründet wurde, waren die Verhältnisse anders als heute: Bayern war arm, das Ruhrgebiet reich. Hier gab es die gut bezahlten Arbeitsplätze, die im Süden fehlten. Der Bayernverein wurde von bayerischen Arbeitsmigranten gegründet, die sich in Dortmund ein Stück Heimat schaffen wollten. „Vor allem Brauer kamen aus Bayern nach Dortmund, auch bei den Zeitungen haben ein paar gearbeitet. Nur wenige verschlug es in die Zechen und Stahlwerke.“ Brauer aus Bayern hatten einen guten Ruf und der Durst war groß im Revier. Dutzende Brauereien gab es damals allein in Dortmund. Vor allem an der Rheinischen Straße, wo heute noch der U-Turm an die Zeit Dortmunds als Bier-Metropole erinnert, lagen sie nebeneinander. „Die Brauer waren auf der Walz. Wenn einem der Chef nicht gefiel, ging er und zog die Straße hoch. Von der Konkurrenz wurde er mit Kusshand genommen. Die Bayern haben den Dortmundern beigebracht, wie man Bier braut und gemeinsam Fußball spielt“, sagt Wörl. Denn auch bei der Gründung von Borussia Dortmund haben Bayern eine wichtige Rolle gespielt: Die 1875 gegründete „Bairisch Bierbrauerei“ war der Vorläufer der Borussia Brauerei. Ein Werbeschild von ihr in der Kneipe „Wildschütz“ inspirierte zur Namengebung des Vereins. Anfangs hätten auch viele Bayern bei den Borussen mitgespielt. Die Verbindung zwischen Bayernverein und Borussia Dortmund sei so eng gewesen, dass die Kicker sich 1933 auf ihr 25jähriges Jubiläum im Haus Almfrieden eingestimmt hätten. Ein altes Schwarz-Weiß-Foto zeigt die Borussen vor der Alm im Sonnenschein.

Wörl ist Borussen-Fan, Dortmunder und Bayer. Noch immer hat er Kontakt zu seiner Familie in Miesbach, dem Ort in Oberbayern, aus dem seine Vorfahren einst nach Dortmund zogen. „Die meisten im Verein haben bayerische Wurzeln, aber bei uns kann jeder mitmachen, der sich mit den bayerischen Traditionen verbunden fühlt.“ Auch der eine oder andere Schalke-Fan sei Mitglied. Nur auf bekennende Preußen würde man keinen Wert legen.

Aus Miesbach stammt auch die Tracht, die Elisabeth trägt. Sie ist nicht Mitglied des Vereins, aber ein Teil des Duos Josef und Elisabeth, das schon seit dem Morgen auf der Alm musiziert. „Die Miesbacher Tracht ist typisch Bayrisch. Andere Trachten sind auch schön, aber teils etwas schlichter,“ erklärt sie. Die Stangen im Mieder würden dafür sorgen, dass man eine gute, gerade Haltung annehme. Immer wieder greift Elisabeth zu ihrer Gitarre. Mal jodelt sie, mal sing sie Stücke wie „Die schönen Frauen haben immer Recht“ von Peter Alexander. Der war wie sie selbst auch kein Bayer, sondern Österreicher. Elisabeth kommt aus Herdecke. Mit ihrem musikalischen Partner Josef tritt sie auf vielen Feiern auf. Neben Volksmusik spielen die beiden auch Schlager. „Aber“, darauf legt die Musikerin Wert, „immer im Dirndl.“ Dirndl trägt auch Wörls Tochter Ann-Katrin. Sie ist in Dortmund geboren, lebt in Hagen und ist mehr mit dem Bayernverein als mit Bayern verbunden: „Ich habe meine ganze Kindheit hier auf der Alm verbracht. Mit den anderen Kindern habe ich hier gespielt.“ Bayern würde sie gerne besser kennenlernen. Zumindest auf der „Oid’n Wiesn“ war sie im vergangenen Jahr gemeinsam mit ihrem Vater. Auch sie kommt an diesem Sonntag kaum zum feiern und ist beim Almauftrieb eingespannt: Sie postet Fotos auf Instagram und ist damit die Trachtenfluencerin des Bayernvereins. Die junge Frau ist in dem Verein in der Minderheit. „Wir haben 33 Mitglieder und die werden immer älter“, sagt Jürgen Wörl. Vor ein paar Jahren hat es eine Jugendgruppe gegeben, aber die hat sich aufgelöst: „Die meisten sind aus Dortmund weggezogen.“ Auch er tritt heute kürzer als noch vor ein paar Jahren: „Ich war lange Vorsitzender der „Bayern außerhalb Bayern“ im Deutschen Trachtenverband, in dem wir Mitglied sind, aber das wurde mir zu viel. Die ständigen Reisen quer durch Deutschland zu den Tagungen und Deutschen Trachtenfesten waren schon sehr aufwendig.“

Jeden Sonntag ist die Alm in Witten-Auf dem Schnee für Besucher geöffnet. Freitags kann man auf der Alm private Veranstaltungen wie Hochzeiten, Geburtstage usw. machen. Ob in Tracht oder nicht: Oberhalb der Ruhr im Ardeygebirge kann man für ein paar Stunden vergessen, dass man eigentlich im Ruhrgebiet und nicht in Bayern ist.

Der Text erschien bereits in einer ähnlichen Version in der Welt am Sonntag

 

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Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
9 Monate zuvor

So ganz stimmt das zumindest mit dem Fußball nicht.
Benno Elkan war Gründungsmitglied des Dortmunder FC95, des ältesten Dortmunder Fußballvereins, und 5 Jahre später Gründungsmitglied des FC Bayern München.

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