
In einem offenen Brief an Bundeskanzler Friedrich Merz fordern Arbeitervertreter das Ende der Energiewende, so wie sie bislang in Deutschland betrieben wurde, und rechnen mit den illusionären Versprechen der Politik ab.
In den vergangenen Jahren war ich häufig in Duisburg und berichtete über die Proteste der Stahlarbeiter gegen den Stellenabbau bei ThyssenKrupp. Egal, mit wem ich sprach, niemand kritisierte die Energiewende und die hohen Energiepreise. Alle – egal ob Arbeiter, Betriebsräte oder Gewerkschaftsfunktionäre – gingen davon aus, dass sie zu den Gewinnern des Umbaus der Industrie gehören würden. „Unser Herz aus Stahl hat eine grüne Zukunft“ war die Parole, hinter der sie sich versammelten, und als der damalige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck 2023 staatliche Zuschüsse für den Aufbau eines mit grünem Wasserstoff betriebenen Hochofens zusagte, jubelten sie ihm zu. Die Gewerkschaften standen hinter der Energiewende.
Das scheint sich nun zu ändern. Schon am 1. Mai sagte nach einem Bericht der WAZ Patrick Wiesner, der Konzernbetriebsrat bei Pilkington, in Gladbeck, die hohen Energiepreise würden zur Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland führen. Am Standort des Glasherstellers wurden 2024 160 Arbeitsplätze wegen der Einstellung von Produktlinien abgebaut. Nun schließt in Gladbeck Ineos Phenol, ein Spezialchemieunternehmen. 279 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern droht die Arbeitslosigkeit. Ineos begründet die Schließung mit „nicht wettbewerbsfähigen Energie- und CO₂-Kosten in Europa“.
Und die Zustimmung der Industriearbeiter und ihrer Vertreter zur Energiewende bröckelt weiter:
Im Osten haben nun Betriebsräte und Gewerkschafter einen offenen Brief an Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) geschrieben. Was sie fordern, ist im Kern nichts anderes als ein Ende der Energiewende, wie sie in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Folgen betrieben wurde. Wie dieser Brief an Merz die Debatten in den beiden großen Industriegewerkschaften – der IG Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE, knapp 600.000 Mitglieder) und der IG Metall (2,2 Millionen Mitglieder) – beeinflussen wird, werden wir in den kommenden Wochen und Monaten sehen. Und auch, ob die SPD, die zwar von Arbeitern kaum noch gewählt wird, sich aber nach wie vor als ihre Vertreterin sieht, weiterhin Berliner NGO-Hanseln folgt oder zu Sinnen kommt und wieder mehr auf Menschen hört, die morgens früh aufstehen.
Es ist fünf nach zwölf – deshalb: Industriearbeitsplätze JETZT!
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
wir befinden uns in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Allein im letzten Jahr wurden mindestens 100.000 Industriearbeitsplätze ersatzlos abgebaut. Die politischen Versprechungen der letzten Bundesregierung eines „grünen Wirtschaftswunders“ sind nur Schall und Rauch. Realität ist, dass noch nie so viele gute Arbeitsplätze bedroht waren wie heute.
Allein in Deutschland arbeiten weit mehr als eine Million Menschen in energieintensiven Industrien – die meisten von ihnen in den Branchen der IGBCE und der IG Metall. Wir brauchen darum JETZT eine Industrie- und Wirtschaftsagenda 2030! Wir brauchen Innovationen und Investitionen für gute Arbeit und für lebenswerte Regionen. Wir wollen keine Subventionen nach Gutsherrenart, sondern vernünftige Rahmenbedingungen, damit gute Arbeit und Wertschöpfung in Deutschland wieder Zukunft haben.
So zutreffend die Klagen über lähmende Bürokratie und verschleppte Digitalisierung sind, so wahr ist auch: Vor allem die deutsche Energiepolitik hat sich zu einem der gefährlichsten Standort- und Wirtschaftsrisiken entwickelt.
Wenn die Energiewende eine Operation am offenen Herzen unserer Volkswirtschaft ist, wie manchmal gesagt wird, dann ist diese Operation bislang gründlich misslungen. Wir müssen feststellen: Der Patient droht, auf dem OP-Tisch zu sterben.
Seit 35 Jahren werden PV und Wind gesetzlich privilegiert und gefördert. Sie leisten jedoch bis heute keinen größeren Beitrag zur Versorgungssicherheit als vor drei Jahrzehnten. Dafür verursachen sie Netzkosten im dreistelligen Milliardenbereich.
Der Doppelausstieg aus Kernenergie und Kohle hat Deutschland abhängig gemacht von unzuverlässigem PV- und Windstrom und teuren Gasimporten. Die Zeche zahlen wir mit den europaweit höchsten Strompreisen. Noch nie war unsere Stromversorgung so teuer und unsicher. Diese hohen Strompreise sind nicht nur sozial ungerecht, sie bedrohen inzwischen auch unsere Wirtschaft – und damit unseren Wohlstand und unseren gesellschaftlichen Frieden.
Wir fordern:
-
Die Strompreise müssen für die Wirtschaft und vor allem für die Industrie wieder international wettbewerbsfähig werden. Wir brauchen einen Industriestrompreis von 5 ct/kWh. Und dieser Industriestrompreis darf weder durch politische CO₂-Kosten weiter verteuert noch mit Anforderungen überfrachtet werden.
-
Dauerhafte vollständige Befreiung von Übertragungsentgelten für die stromintensive Produktion, Fortführung der Entlastung nach § 19 Abs. 2 StromNEV und kostenfreier Anschluss an die Strominfrastruktur in benötigter Leistung.
-
Keine weiteren Belastungen der Eigenstromversorgung der Industrie. Industriestromnetze und KWK-Eigenstromversorgung sind wichtige ökonomische Assets und Standortfaktoren, die im internationalen Wettbewerb gestärkt werden müssen.
-
Statt weiteren Vorleistungen Deutschlands und Europas beim Klimaschutz erwarten wir die Herstellung eines klaren Junktims: Weltweit müssen sich alle relevanten Länder zu gleichen Anstrengungen verpflichten.
-
Schutz der Industrie vor den Sonderbelastungen des EU-ETS durch einen wirksamen CBAM, der Exporte einbezieht, Umgehungen ausschließt und den Produktumfang entsprechend der tatsächlichen Wettbewerbslage erweitert.
-
Aufwertung und Modernisierung des Außenhandelsschutzes durch grundlegende Überarbeitung der bestehenden Antidumping- und Antisubventionsinstrumente der EU – insbesondere mit Blick auf China.
-
Grundlegende Überarbeitung der deutschen Wasserstoffstrategie mit dem Ziel pragmatischer und realitätstauglicher Anforderungen an Technik und Ziele. Für den realistischen Fall, dass europäische und internationale „grüne Leitmärkte“ nicht zeitnah durchsetzbar sind, müssen wettbewerbsfähige Alternativen zu H₂ ermöglicht werden.
-
Umgehende Verabschiedung eines investitionsfreundlichen Gesetzespakets zur Ermöglichung von CCU/S – inklusive staatlicher Risikoabsicherung und Infrastrukturinvestitionen ohne technische oder industriespezifische Selektion.
-
Moratorium für Kraftwerksabschaltungen: Vor dem Abschalten muss erst neue gesicherte Leistung zur Verfügung stehen.
-
Schluss mit dem planlosen Zubau bei PV und Wind: Genehmigungen nur noch für netzverträgliche Investitionen.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, die deutsche Energiewende droht, den Wirtschaftsstandort Deutschland – und damit auch alle unsere Kolleginnen und Kollegen – zu überfordern. Wir erwarten statt weiterer Durchhalteparolen und Schönrednerei endlich klare Aussagen und Signale, welche konkreten Maßnahmen die Bundesregierung ergreifen wird, um die Fehlentwicklungen in der deutschen Energie- und Klimapolitik zu korrigieren und unsere Energieversorgung wieder international wettbewerbsfähig zu machen.
Von den Taten dieser Bundesregierung hängt nicht nur abstrakt die Zukunft des Industriestandortes Deutschland ab. Von Ihnen hängt ganz konkret die Zukunft von Millionen guter Industriearbeitsplätze ab. Die Zeit für wohlfeile Worte ist abgelaufen. Unsere Kolleginnen und Kollegen werden diese Bundesregierung an ihren Taten messen!
Unterschrieben wurde der Brief an Merz von Uwe Teubner, Vorsitzender Konzernbetriebsrat LEAG, Toralf Smith, Gesamtbetriebsratsvorsitzender Lausitz Energie Kraftwerke AG,
Stephanie Albrecht-Suliak, Landesbezirksleiterin IGBCE Landesbezirk Nordost, Dirk Vogeler, Betriebsratsvorsitzender ArcelorMittal Eisenhüttenstadt, und Enrico Symanzig, Betriebsratsvorsitzender BASF Schwarzheide GmbH.
Der Brief als PDF
Das die grüne Energiewende die Industrie den Bach hinunter treiben würde, war klar. Das erinnert an den grüne Wahlwerbung zur Bundestagswahl 1983, wo es heißt, dass die Industrie uns vergiftet. Was sich anhört wie: Die Industrie muss weg. Es wäre mal interessant zu wissen, was eigentlich von der grün-ökologischen Weltsicht so alles aus dem braun-völkischen Sumpf stammt. Vermutlich jede Menge: Die Industrie muss weg, Biolandwirtschaft statt industrieller Landwirtschaft, Verzicht (= Armut) statt Wohlstand. Das erinnert an die alte Gleichung: westlich = dekadent = industriell = Wohlstand.
Es ist verblüffend, wie braun der Zeitgeist vor allem in den vergangenen Jahren gewesen ist.