Die Multiplikation, die Gaußsche Summenfaktor-Regel und das Restrisiko

Galton-Board, Image by Wikipedia

Die vier Grundrechenarten: plus und minus, mal und durch. Zusammenzählen nennt sich Addieren; die Umkehroperation der Addition ist die Subtraktion. Wird der gleiche Summand wiederholt addiert, kann man sich die Sache auch leichter machen, nämlich malnehmen. Der arithmetische Fachausdruck heißt Multiplikation, ihre Umkehroperation Division, und schon hat es sich. Bei der Multiplikation entsteht das Produkt. Ihre beiden Faktoren heißen Multiplikand und Multiplikator. Man kann sie selbstverständlich umdrehen oder auch ganz auf diese Ausdrücke verzichten, also einfach sagen: Faktor mal Faktor = Wert des Produkts. So geht Malnehmen.

Multiplizieren ist wichtig. Zum Beispiel, wenn man Wahrscheinlichkeiten berechnen möchte, zum Beispiel Risiken. Ein Risiko – ganz egal welches, sogar auch ein Restrisiko – ist nämlich immer ein Produkt, und zwar aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß. Da fast alles im Leben irgendwie riskant ist, „berechnen“ wir permanent – routinisiert bis zum Unbewussten – die Risikowerte unseres alltäglichen Handelns. Ja, den Risikowert. Nicht etwa die „Risikowahrscheinlichkeit“; denn dieser Begriff ist missverständlich, erweckt er doch den Eindruck, als ginge es ausschließlich um den einen Faktor „Eintrittswahrscheinlichkeit“. Wir kalkulieren selbstverständlich das etwaige Schadensausmaß mit ein.

Wir sind ja nicht total bescheuert.

Was ich an Multiplikationen von Kindheit an recht interessant fand, war die sog. Gaußsche Summenfaktor-Regel. Freilich kannte ich, als mir diese Gesetzmäßigkeit ins Auge fiel, diesen Begriff noch nicht. Sie besagt, also die Gaußsche Summenfaktor-Regel, dass der Wert des Produkts sinkt, wenn die – in der Summe gleichen Faktoren – in der Differenz zunehmen. Hä? Ganz langsam: multipliziere ich zwei gleich große Faktoren (sagen wir 5), erhalte ich als Produkt die Quadratzahl (in diesem Fall 25). Nehme ich die beiden benachbarten Zahlen miteinander mal (also 4 und 6), komme ich nur auf 24. Das Produkt von 3 und 7 ist nur noch 21 usw. usf.

Kleiner Einschub: wie übrigens zum Beispiel auch bei der Dialektik muss sich eine Multiplikation keinesfalls auf zwei Faktoren beschränken. Man könnte sogar beliebig viele nehmen. Die Gaußsche Summenfaktor-Regel, nochmal: das Produkt wird bei steigender Gesamtdifferenz in der Regel kleiner, obwohl die Summe aller Faktoren gleich bleibt. „In der Regel“ – komische Sache. Machen wir es nicht zu kompliziert. Besinnen wir uns darauf, dass wir bei der Dialektik nicht einmal mit mehrdimensionaler Logik hinkommen, in der Arithmetik jedoch eindimensionale Logik vollkommen ausreicht.

Zurück zum Einfachen, zurück zum Risiko. Eintrittswahrscheinlichkeit x Ereignisschwere = Risiko. Ob es an der Gaußschen Summenfaktor-Regel liegt, dass wir geneigt sind, das Risiko eher gering zu schätzen, wenn die Differenz zwischen den beiden Faktoren sehr groß, einer der beiden Faktoren also denkbar klein ist? Sie mögen zwar sagen: „Gaußsche Summenfaktor-Regel – nie gehört“ oder „doch ja, hatten wir mal, kann mich aber nicht mehr so recht daran erinnern“. Das spielt aber keine große Rolle; schon allein deshalb nicht, weil die Gültigkeit der Regel nicht davon abhängt, ob wir ihren Namen kennen. Wir müssen sie bei unseren Alltagskalkulationen ständig zugrunde legen. Dieses Gaußsche Gesetz gehört notwendig zu unserer Grundausstattung.

Haben wir deshalb keinen Anstoß daran genommen, dass ständig von „Risikowahrscheinlichkeit“ schwadroniert wurde, wenn Risiko gemeint war? Hat es deswegen die Leute beeindrucken können, wenn mit dem Kampfbegriff vom „Restrisiko“ das Augenmerk der Betrachter nur auf den einen Faktor, nämlich der Eintrittswahrscheinlichkeit, gelenkt wurde. Dann wurde gestritten über Werte wie Null Komma soundsoviel Nullen Eins. Oder über alle soundsoviel Tausend Jahre. Das Schadensausmaß geriet bei derlei Debatten aus dem Blickfeld. Selbst jetzt, wo das Unvorstellbare eingetreten ist, bleibt der Faktor Ereignisschwere in kuriosem Nebel.

Bei der Division ist Teilen durch Null verboten. Geteilt durch Null geht nicht – alles aus. Malnehmen mit Null geht. Das Produkt ist immer Null. Alles hinlänglich bekannt. Was nicht so häufig erwähnt wird: Malnehmen mit Unendlich ist eine ebenso belanglose Übung. Auch hier ist das Resultat immer gleich. Dreimal unendlich, siebenmal unendlich, Null Komma nochwas mal unendlich – das Ergebnis ist immer unendlich. Das ist ein Ding! Sogar ein Viertel oder auch nur ein Zehntel des Unendlichen ist das Unendliche. Genau deshalb war und ist auch jegliche Debatte über die Höhe der Eintrittswahrscheinlichkeit vollkommen belanglos, wenn es um das Risiko der Atomkraftwerke geht. Die Schadenshöhe ist erwiesenermaßen unendlich.

Sämtliche Argumente, die sich mit der Eintrittwahrscheinlichkeit eines GAU oder Super-GAU befassen, gehen an der Sache vorbei. Die Atomlobby mag recht haben mit dem Hinweis, dass schwere Erdbeben hierzulande unwahrscheinlicher sind als in Japan. Das Gegenargument, die AKWs hier seien nicht annähernd so „erdbebensicher“ (welch ein Wort in diesem Zusammenhang) gebaut, stimmt für sich genommen. Doch Debatten über Eintrittswahrscheinlichkeiten vernebeln hier die Tatsache, dass die Ereignisschwere einer Kernschmelze unendlich groß ist. Bekanntlich kommen weitere Aspekte hinzu, deretwegen Atomkraft absolut inakzeptabel ist. Die ungelöste Frage der Endlagerung (auch so ein Problem mit dem Unendlichen), die vermeintlich ungeklärte Häufigkeit von Leukämiefällen in der Umgebung von Atommeilern, etc. pp. Allein das unendlich hohe Risiko des Betriebs der AKWs genügt. Es erübrigt jede „Sicherheitsüberprüfung“.

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Dirk Westermann
Dirk Westermann
13 Jahre zuvor

„Die Schadenshöhe ist erwiesenermaßen unendlich.“
Hä? wo kann man sich diesen Quatsch bestätigen lassen?
Ranga Yogeshwar sagte gestern, das die Ukraine 5% ihres BSP für Tschernobyl ausgibt, eine ganze Menge für ein armes Land, aber deutlich weniger als unendlich.
Wir Atomkraftgegner machen uns angreifbar, wenn wir mit Schwachsinn argumentieren, das können wir einen Helden wie Steffi Mappus überlassen.

CyberPunk
13 Jahre zuvor

#1

Ich würde mal sagen das man eine „Schadenshöhe“ nicht ausschließlich in dem Ausmaß der Kosten, die der Schaden mit sich bringt, messen kann. Oder wie würdest du die Toten, die Kranken, die auf lange Sicht zerstörte Umwelt damit abdecken?

Michael Herzog
13 Jahre zuvor

Unendlicher Schaden meint in diesem Beispiel wohl nicht ∞€, sondern einen nicht zu beziffernden Wert. Zieht man einen Kreis von 30km um Biblis, verschwinden da schon einige Städte in der Sperrzone – was Worms, Mannheim, Darmstadt genau wert sind, wüsste ich nicht zu berechnen.

Jens König
Jens König
13 Jahre zuvor

Die meisten können nicht rechnen oder haben zumindest eine tiefe Aversion gegen Mathematik.
Genau deshalb ist es immer wieder gelungen, grosse Bevölkerungsteile mit Pseudomathematik zu beeindrucken. „…kommt nur alle 10000 Jahre vor…“, „…auszuschliessendes Restrisiko…“ und so ein Quatsch.
Richtig ist, dass Statistik nicht lügt. Die Lüge entsteht dann, wenn wer versucht damit Tatsachen zu vernebeln oder Mathematikunkundigen ein X für ein U vorzumachen. Es reicht zur Not auch, die Basis einer Statistik geheim oder unnachvollziehbar zu halten.
Da kommt es dann zu Worthülsen wie „vernachlässigbar geringem Restrisiko“.

Nicht mit Mathematik wird gelogen, sondern mit Sprache.

Zu „Eintrittswahrscheinlichkeit x Ereignisschwere = Risiko“ ist nur zu sagen: Das macht es nicht besser. Versucht doch einfach mal, in dieser Formel Einheiten zu nutzen. Mathematisch ok, aber hat jetzt Ereignisschwere die Einheit Meter, Euro, AnzahlvonToten, UntergegangeneZivilisation oder Bananen? Die Mathematik stimmt, da nichts weiter getan wird, als etwas zu multiplizieren, die Definition von „Risiko“ ist damit gegeben. Womit aber füllt man die linke Seite der Gleichung? Richtig, mit Daten, deren Ursprung sich man aus den Fingern saugt.

Schlimm wird es also, wenn Mathematik zur Sprache wird: „Eintrittswahrscheinlichkeit x Ereignisschwere = Risiko“ Man hat etwas mathematisch definiert und kann es berechnen. Aber was es bedeutet, ist das Entscheidende. Und hier wird alles Interpretation. Die Mathematik taugt hier de facto nicht mehr als Argument. Sie wird dazu missbraucht. Ein Scheinargument.
Ein ebensolches Scheinargument wie „Mathematik lügt nicht“, denn Mathematik hat mit der Formel oben nur ganz wenig zu tun. Sonst hiesse die Formel nämlich a*b=c. Trivial.
Also gehen Rabulistiker her, und versuchen Ereignisschwere zu definieren. Darüber gerät alles in Streit und man hat das Tatsächliche alsbald aus den Augen verloren, mithin also genau das getan, was derjenige, der uns mit der Formel etwas weismachen wollte, intendiert hatte.

Das Tatsächliche ist: Man kriegt nichts so hin, dass es nicht doch irgendwann kaputt geht. Ob das ein AKW, ein Endlager, ein Auto oder ein Kommentar bei den ruhrbaronen ist.

Nur so nebenbei: Zu derm Problem mit ∞ und der Division mit 0 empfehle ich https://de.wikipedia.org/wiki/Delta-Distribution
„Für a gegen 0 wird die Funktion immer höher und schmaler, der Flächeninhalt bleibt jedoch unverändert 1.“

Helmut Junge
13 Jahre zuvor

Wenn ein Ereignis für ein einzelnes Kraftwerk so berechnet wird, daß es nur alle 10000 Jahre vorkommt, ist es dann erlaubt zu sagen, daß es bei 1000 Kraftwerken dieser Art dann alle 10 Jahre vorkommen kann?
Wenn die Antwort mit „Ja“ beantwortet wird, dann sind das bei derzeit 438 Atomkraftwerken in der Welt, etwa alle 23 Jahre. Das ist sicher mathematisch völlig falsch gerechnet, kommt aber mit Tschernobyl 1986 ganz gut hin.

Rudi Gems
Rudi Gems
13 Jahre zuvor

Deine mathematischen Betrachtungen in Ehren! Bei der Beurteilung der Risiken, für Atomenergie, sind sie in weiten Teilen unbrauchbar. Bei der Atomdebatte, geht es nicht um Restrisiko, sondern um eine unverantwortliche Schlamperei, wo der Eintrittsfall eines Schadens, geradezu provoziert worden ist.

Spätestens bei Harriesburg (Ende der Siebziger), war bekannt, wie wichtig die Notkühlung ist. Spätestens ab dann, hätte man alle Eventualitäten durchspielen müssen, wie man unter allen Abwägbarkeiten, eine Notkühlung sicher stellen kann oder könnte.

Sich in der Nähe eines Meeres, darauf zu verlassen, das man Batterien (sind übrigens erst seit ca. 5 Jahren dort) aufstellt, die ca. 4 bis 6 Stunden Notstrom liefern, und ansonsten ein Notkühlsystem aufstellt, was erstens davon abhängig ist, das es im unmittelbaren Gelände, immer Strom gibt, und zweitens in keiner Weise, gegen eine Überflutung gesichert ist, ist so dermaßen leichtsinnig, das man deshalb, schon eine „Gaußsche Summenfaktorregel“ aufstellen sollte, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, das eine Kernschmelze nicht vermieden wird.

Diese Schlampereien, die dort abgelaufen sind, sind an Leichtsinnigkeit, kaum noch zu überbieten. In Japan, stehen (standen?) 55 Reaktoren. Da wäre es durchaus zumutbar gewesen, von Erdbeben- und Tsunamisicheren Kraftwerken, in der Nähe, wenigstens schonmal Stromleitungen zu legen. Daneben, wäre es durchaus sinnvoll und zumutbar gewesen, auf Japan verteilt, alle 100 Km, mobile Notkühl- und Stromversorgungen zu stationieren, die dann, im Fall des Falles, notfalls mit Hilfe der Armee, durch Brückenpanzer, etc., innerhalb von 6 Stunden, jedes Kraftwerk erreichen könnten. Und wenn man dann, zusätzlich noch, z.B. unterirdisch, Notkühlanlagen eingerichtet hätte, die erst eingesetzt werden, wenn sich Katastrophen wieder beruhigt hätten, ja, dann hätte man sich erst mit Recht, auf Restrisiko und „Gaußsche Summenfaktorregel“, berufen können. So wie es jetzt ist, ist es genauso, als wenn der Bauer, den Hahn beschuldigt, das seine Ernte durch ein Unwetter vernichtet worden ist, weil er nicht richtig gekräht hätte.

Grüße, Rudi Gems

Helmut Junge
13 Jahre zuvor

Hi Werner (7),
habs mir bei ZDF.de gerade angesehen. Find ich klasse, wenn jemand einen Gedanken von mir übernimmt. Das machen echt viel zu wenige.
Aber gute Leute bei der Sendung. Alle Achtung!
Allerdings weiß ich wirklich nicht, ob man das so rechnen kann.
Wahrscheinlichkeitsrechnung war mir immer rätselhaft geblieben.
Vielleicht liest das ja mal ein Mathematiker und klärt mich auf.

@Westermann, klar, die Erde ist nicht mal ein Staubkorn in unserer Galaxis,
vom Universum will ich gar nicht reden. Wir sind in dieser Bilanz insgesamt als Posten erst viele Stellen hinter dem Komma, und damit vernachlässigbar.
Insofern ist der Schaden selbst beim Weltuntergang übersichtlich.
Nur für uns selber hat die Erde, und damit jeder Flecken darauf, eine gewisse Bedeutung.
Und das kann ich Ihnen aus meiner Erfahrung sagen: Wir nehmen uns trotz unserer Bedeutungslosigkeit ziemlich wichtig.

Arnold Voß
Arnold Voß
13 Jahre zuvor

Helmut, ich glaube dass deine dir laienhaft erscheinende Wahrscheinlichkeitsrechnung auch mathematisch stimmt. Wobei damit ja eben nicht gesagt ist, dass genau alle 23 Jahre das prognostizierte Ereignis wirklich eintritt.

Aber selbst wenn das alles nicht stimmt, ist der Fall der Fälle wirklich 23 Jahre nach Tschernobil eingetreten. Und er sieht immer mehr nach einem GAU aus, egal welche „es ist sehr schlimm, aber ganz schlimm ist es immer noch nicht“ Beschwichtigungsformeln von den offiziellen Stellen kommen.

Vielleicht sind wir ja selbst das eigentliche „Restrisiko“ dieser Erde.Denn wer kann sonst noch so bescheuert sein, sich mit so unglaublichem Aufwand sein eigenes Grab zu graben. Russisch Roulette wäre doch viel einfacher. Und man könnte, wenn man doch noch wieder zu Verstand kommt, problemlos wieder aussteigen.

Rudi Gems
Rudi Gems
13 Jahre zuvor

Teilzitat von Werner Jurga:

„@ Rudi Gems (# 6)
“Schlamperei”, “Leichtsinn” – schwer zu leugnen. Doch was folgt daraus? Wäre Atomkraft ganz okay, wenn nicht leichtsinnig geschlampt würde?“

Statistiken im sozialen Bereich, sind immer der Versuch, irgendwie, die Unwahrheit „wahr“ zu machen. Ein Schöpfer hat sich noch nie an Statistiken gehalten. Bei ihm sind Ereignisse, genau dann erfolgt, wenn er sie gebrauchen konnte.

Soziale Statistiken, versuchen immer, Risiken klein zu reden, und Gewünschtes, hochzupuschen. Wie gut das funktioniert, kann man bei Lotterien, zur Kenntnis nehmen.

Man muss die Kernenergie, in ihrer Historie sehen. Sie waren ein Nebenprodukt des Baus der Atombombe. Viele Staaten, insbesondere die BRD, durften weder Atombomben haben, noch welche bauen. Und so, kam man in den Fünfziger und Sechziger Jahren, auf die Idee, Atomkraftwerke zu bauen. Dann hätte man nämlich, ganz schnell, aus dem „erbrüteten Material“, eine Bombe bauen können.

Atomkraft war noch nie billig. Es wurde immer nur wie ein Mantra, vor sich hergetragen, bis einige einfältige Menschen es „geglaubt“ haben. Wenn man von Anfang an, die Gelder, die für Atomkraft ausgegeben worden sind, in die Forschung und für den Ausbau der alternativen Energien ausgegeben hätte, könnten wir heute, halb Europa mit Energie versorgen.

Hat man aber nicht. Statt dessen, versorgte man uns, mit Statistiken, Schönrechnungen und Verfälschungen. Bis auf den heutigen Tag. Leider muss ich Helmut Junge enttäuschen. Seine Rechnung, ist damals, 1986, schon öffentlich von einem Minister gemacht worden, und ich hatte es auch schon bei den Baronen erwähnt.

Für mich, waren solche Statistiken noch nie ein brauchbares Instrument, für meine Kalkulation und Beurteilung. Ich halte mich da lieber an Fakten. Und ich kenne auch die Historie, der Notkühlung bei Atomkraftwerken, und deren Probleme. Hier helfen Statistiken, in keiner Weise weiter. Hier hilft nur klarer Menschenverstand, und der besagt, das Notkühlsysteme, wenigstens zwei zuverlässige, unabhängige Ersatzlösungen haben müssen.

Die Frage, ob ich gegen oder für AKW bin, stellt sich für mich nicht. Ich werde nicht gefragt. Wir haben die Dinger. Also muss ich überlegen, was man machen kann, um die Gefahren aus diesen Dingern, zu minimieren. Und da verlasse ich mich eben nicht auf Statistiken, sondern ich betreibe sinnvolle Vorsorge, bis ich zu dem Ergebnis komme, das alles „sinnvoll Nötige“, getan ist. Und wenn dann wirklich noch etwas schief geht, nun ja, das ist dann eben Restrisiko. Das gibt es aber in allen Bereichen des Lebens. Daran wird man nie etwas ändern können. Auch nicht mit Statistiken.

Grüße, Rudi Gems

Helmut Junge
13 Jahre zuvor

@Arnold, Gems,

Arnold, beim russischen Roulette steckt eine einzige Kugel in einem 6-schüssigen Revolver. Man dreht die Trommel, hält den Revolver an den Kopf, und drückt ab. Wer Pech hat, erwischt die einzige Patrone und erschießt sich. Ein zweiter Schuss ist nicht vorgesehen. Wer also den ersten Schuss überlebt, hat Glück gehabt, und überlebt.
Wenn sich jetzt aber herausstellen sollte, dass laut Statistik, bei der derzeitigen Zahl der Atomkraftwerke alle 20-25 Jahre im statistischen Mittel ein Gau eintritt, dann ist das so, als wenn der Mann mit dem Revolver nicht nur einmal abdrücken müsste, sondern immer wieder, wobei aber jedesmal eine neue Kugel in die Trommel geschoben wird.

Ob die Statistik, nach der ein Gau nur alle 10.000 Jahre einmal stattfinden kann, stimmt, oder ob sie nicht stimmt, konnten Laien, wie ich bisher schon allein deshalb nicht überprüfen, weil sie weder, die dieser Statistik zu Grunde liegenden Annahmen kannten, noch die dabei angewendete Mathematik nachvollziehen konnten.
Wenn ein Politiker nach dem Unglück in Tschernobyl, laut Gems damals gefragt hat,
“Müssen wir uns jetzt darauf einstellen, das alle 25 bis 40 Jahre, so ein Ding in die Luft geht?”
zeigt das, dass damals möglicherweise die Konsequenzen aus der statistischen Wahrscheinlichkeit bekannt waren.
Nur war es nicht möglich diese statistische Wahrscheinlichkeit zu beweisen! Erst jetzt haben wir nämlich zwei ähnliche Ereignisse, die einen gewissen zeitlichen Abstand zueinander haben. Deshalb ist es auch erst jetzt möglich, diesen zeitlichen Abstand mit dem theoretischen zeitlichen Abstand zu vergleichen. Das habe ich getan, ohne zu wissen, ob meine simple Rechnung mathematisch zulässig ist.
Das Ergebnis dieser Rechnung liegt für mich, aber auch andere, völlig unerwartet, fast exakt auf dem praktisch erkannten Zeitabstand zwischen Tschernobil und dem Gau in Fukushima.
Das ist das erstaunliche und hat einen beinahe diabolischen Charakter, weil es sich ja nur um einen statistischen Mittelwert handelt, der durchaus große Abweichungen nach oben oder unten hätte haben können. Hat er aber nicht.
Dadurch wirkt es aber interessanter, als wenn es zu einer anderen Zahl gekommen wäre. Zufall eben.
Aber nur weil es so erstaunlich und verblüffend ist, und weil es bisher nie jemand so hat sehen können, konnte es in einer Satiresendung im ZDF als Pointe eingesetzt, Verblüffung erzeugen.
Die Übereinstimmung mit der Realität zeigen mir aber, dass die makroskopischen Annahmen der besagten Statistik sehr präzise mit der Wirklichkeit in Einklang stehen. Offensichtlich haben die Leute, die die Statistiken ursprünglich einmal berechnet hatten, all die mikroskopischen Fehlerquellen, die Gems in seinen Kommentaren dankeswerterweise, aufgelistet hat, schon mit in ihre Rechnung eingearbeitet. Die Daten, die dieser statistischen Gefahrenkalkulation zu Grunde liegen, sind anscheinend gut an die realen Verhältnisse angepasst. Da haben Techniker mit Erfahrung mitgewirkt. Wegen dieser Übereinstimmung denke ich, kann man dieser Statistik trauen!
Nur, bisher diente diese Statistik dazu, die Gefahren, die mit den Atomkraftwerken verbunden waren, als klein, als geringfügig zu deklarieren. Jetzt aber, wo sich zeigt, dass wir bei der derzeitigen Zahl von AKWs alle 20-25 Jahre mit einem Gau zu rechnen haben, können wir auch sagen, dass bei einer zu erwartenden Verdopplung der Zahl der AKWs, dieser Gau bereits alle 10-12 Jahre stattfinden wird. Dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass die ursprüngliche Statistik auf der Annahme einer zeitlichen Befristung der Laufzeitgenehmigungen basierte. Bei einer Verlängerung der Laufzeit reduziert sich der Abstand zwischen zwei größten atomaren Unfällen natürlich noch weiter. Die Statistik, die bisher von Betreibern und Politikern dazu benutzt wurde, die Gefährlichkeit von AKWs zu verharmlosen, kehrt sich jetzt in ihr Gegenteil um! Jetzt können statistische Angaben dazu benutzt werden, diese Gefahren deutlicher zu machen. Das ist Dialektik pur! Dialektik besagt, dass eine Eigenschaft sich in ihr Gegenteil verkehren kann, wenn sie nur lange anwachsen darf, dass Quantität in Qualität umschlagen kann.

Mein Fazit: je größer die Zahl der AKWs, desto kürzer wird der zeitliche Abstand zwischen den statistisch zu erwartenden Katastrophen. Bei einer Verdoppelung der AKWs liegt der mittlere statistische Abstand zwischen 10 und 12 Jahren, und damit im Erinnerungsbereich der meisten Menschen. Dadurch aber wird der Widerstand gegen AKWs vermutlich aberimmer größer, was dazu führen wird, dass die Zahl der AKWs nicht so schnell ansteigen wird, wie einige Politiker und industrielle es gerne hätten.
Sarkastische Überspitzung: wenn erst genügend Erdoberfläche für alle Zeiten verseucht ist, sinkt die Nachfrage nach AKWs dramatisch.

Arnold Voß
Arnold Voß
13 Jahre zuvor

@ Helmut Junge

Was das russische Roulette betrifft, bezog sich die von mir als vorteilhaft erachtete Tatsache des problemlosen Ausstiegs natürlich nur auf die Überlebenden. Nach dem Prinzip, man sieht Jemanden an der einzigen Kugel vor seinen Augen sterben und sagt sich: Russisches Roulette, nie wieder! Hätte ja auch mich treffen können.

Genau diese Erkenntnismöglichkeit besteht beim Atomgau eben nicht. Wir werden jetzt den Japanern per Television und Internet beim mehr oder weniger schnellen Strahlensterben zusehen, können aber nicht einfach sagen: Könnte auch uns treffen. O.k. wir steigen sofort aus. Haben wir ja auch schon nach Tschernobil nicht getan. Ganz im Gegenteil, wir haben diese ultimativ gefährliche Energie systematisch weiter ausgebaut.

Wir werde sehr wahrscheinlich jetzt wieder Menschen vor unseren Augen wahlweise mutieren oder krepieren sehen, oder beides zugleich, und wir halten es trotzdem für vernünftig , dass jemand sagt, dass wir auf keinen Fall sofort aus dem System aussteigen können, das die Ursache eben dieses von uns angesehenen Todes und Leides ist. Ja es trauen sich auch jetzt noch Leute zu sagen, dass wir mit eben diese Energie weiter machen sollen ja müssen, ohne dass sie jemand öffentlich für verrückt erklärt.

Dagegen sind Russisch-Roulettspieler ein Ausbund an Rationalität und Humanität. Sie wissen genau was sie tun, tragen die Folgen ihres Handelns ganz allein, und können jeder Zeit aussteigen. Von den für die Kernernergie Verantwortlichen auf dieser Erde kann man das mit Fug und Recht nicht sagen. Im Gegenteil.

Rudi Gems
Rudi Gems
13 Jahre zuvor

@ Helmut Junge + Arnold Voss

Sehr gute Beiträge, habe ich sofort verstanden. Genauso ist es. Gegenargumente sind kaum möglich.

Man hätte diese Technologie nie einführen dürfen. Atomenergie ist Menschenverachtung in der reinsten Form. Interessant, das die Störfälle, bis auf Tschernobyl, alle in zivilisierten Ländern geschehen sind. Man möchte kaum wissen, was in Ländern abläuft, die es mit der Veröffentlichung von Daten, noch zurückhaltender pflegen. Ich glaube, wenn alles auf den Tisch käme, sowohl an Störfällen, als auch an Statistiken, könnte das einem, wohl das absolute Grauen lehren.

Grüße, Rudi Gems

Peter Westhoff
Peter Westhoff
13 Jahre zuvor

Ich bin durch Zufall auf diese Seite gestoßen, weil ich mal in richtung Risikomanagement gegoogelt habe. Tatsache ist doch bei aller Mathematik, dass die Faktoren Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß bewertet werden müssen. Wenn ich am Ende mit einem Schadensszenario konfrontiert werde, welches absolut inakzeptabel ist (Verstrahlung, Verseuchung, Unmöglichkeit der Schadensbehebung, Langfristigkeit des Schadens), dann muß ich so hohe Anforderungen an die Eintrittswahrscheinlichkeit stellen, dass diese bei vernünftiger Betrachtung der menschlichen/technischen Möglichkeiten schon bei unendlich liegen muss. Wer will das sicherstellen und durch welche Maßnahmen?

Das war schon immer die Crux an der Atomenergie und das hätte uns allen schon längst klar sein müssen (ist es ja im Grund, denn wer möchte gerne ein AKW auf dem Nachbargrundstück?).

Beste Grüße
Peter Westhoff

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