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›Die Stille überlebt‹ – ein Seelenstriptease eingebettet in Krach

Kameramann Holger Rogge und Regisseur Peter Hesse bei einem Noise-Kindergeburtstag der besonderen Art | Foto: Klaus Homann

Wie in Japan oder Amerika so gibt es auch in Deutschland, hier insbesondere in Nordrhein-Westfalen, eine sehr vitale Noise- und Elektroklang-Szene, die weitgehend unterhalb des Radars der popkulturellen Öffentlichkeit agiert. Dies trotz einer kaum überbietbaren Radikalität und Konsequenz. Der Autor und Filmemacher Peter Hesse hat die Noise-Szene zwei Jahre lang beobachtet und mit ›Die Stille überlebt‹ eine sehr abgefahrene und warmherzige Dokumentation über eine sehr schwer fassbare Szene gedreht. Für die Ruhrbarone erklärt er ein paar Hintergründe zum Film.

Hallo Peter, was ist an der Noise-Szene so faszinierend, dass du darüber einen Film gedreht hat?

Manchmal kommt man im Leben zu Projekten, wie die Jungfrau zum Kind. Ich bin sehr mit Carsten Vollmer aus Essen befreundet, früher ein Autor beim Punkfanzine Ox. Mit dem habe ich im Jahr 2004 den Gunter Gabriel-Tribute-Sampler ›Liebe, Autos, Abenteuer‹ gemacht, dass war auch so ein unfassbares Freak-Spinner-Projekt. Er ist sehr in der Noise-Szene verankert und der erzählte mir von Typen, wie Gehirn. Implosion, der aus der Nähe von Bremen stammt, EMERGE aus Augsburg oder Philipp Nussbaum aus Mönchengladbach. Mich machte das Thema neugierig und ich wusste, dass es in der ersten Phase von Corona so im Spätsommer 2020 vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen ein paar Kulturstipendien gab. Ich habe dann ein Förderungskonzept geschrieben und kurz drauf war die Zusage da – nochmal ein paar Wochen später kam das Geld, wir konnten loslegen. Doch dann kam der Lockdown und die erste Ernüchterung, dass doch nicht alles so einfach werden wird.

Was waren die Schwierigkeiten?

Wenn du Leute dokumentarisch begleitest, rückst du denen auch sehr nah auf die Pelle – nicht jeder kann da adäquat mit umgehen. Uns haben auf einen Schlag drei Leute die Brocken vor die Füße geschmissen, obwohl wir schon recht intensiv mit denen gedreht hatten. Oder es gab ein Kollektiv aus Bochum – ich hatte den gesagt, ich hole die zum Interview ab, was wir in Köln führen und bring die anschließend wieder nach Hause. Ohne Bekanntgabe von Gründen haben die einfach abgesagt – sowas ist echt nervig. Ich habe dann nach ein paar Recherchen Kai Niggemann gefunden, den wir bei einem von seinen Performances im Dortmunder Depot begleitet haben. Er hat so ein analoges Equipment mit vielen bunten Kabeln und kann unglaublich gut vor der Kamera erzählen. Dazu haben wir dann Konzertveranstalter, Kuratoren und Labelmacher geholt, die das Thema aus ihrer Perspektive einordnen. Auch Radiomoderator Klaus Fiehe von WDR 1Live konnten wir gewinnen – und der hat aus dem Stegreif so viel geile Geschichten erzählt, das war echt abgefahren. Irgendwann zitierte er Miles Davis mit dem Satz, dass die Pause ein elementar wichtiges Element in der Musik ist. Das ist ein bärenstarkes Statement! Der Tiefpunkt der Dreharbeiten war, dass die Frau von Klaus letztes Jahr im Sommer urplötzlich und unerwartet gestorben ist, als ich mit unserem Kameramann Holger Rogge und unserem Set-Fotografen Klaus Homann in Berlin war…

Während der Dreharbeiten mit dem Musiker EMERGE aus Augsburg | Foto: Klaus Homann

Oh, wie bitter…

Wir hatten etwa zeitgleich ein Konzept für eine filmische Doku über einen Easy Listening-Komponisten aus dem Schwarzwald entwickelt – und überlegten, wie wir das umsetzen wollen. Doch das Thema hatte sich irgendwann zerschossen, die zweite Frau von diesem Musiker konnte nicht so richtig etwas mit dem anfangen, was ich als Konzept auf mehreren Seiten runtergeschrieben hatte. Aber auch hier gilt: wenn du eine Doku machst, rückst du den Protagonisten sehr nah auf die Pelle – sie sollen dann sehr viel von sich vor der Kamera erzählen und machen sich in der Form eines Seelenstriptease sehr „nackig“. Das ist nicht jedem gegeben – und davor habe ich auch großen Respekt. Ich kann das aus der Sicht eines Hobby-Psychologen auch verstehen, wenn man das nicht machen möchte. Mir ist so auch lieber, wenn vorher jemand absagt, als mittendrin – und du dann für die Katz‘ gedreht hast. Das Geld, was man da verplempert, spendet man besser einem sozialen Zweck – als es direkt in den Gulli zu werfen.

Dich kennt man in erster Linie als Autor oder Journalist, wie bist du zur Filmerei gekommen?

Ich hab Ende der 1990er Jahre bein der Plattenfirma GUN Records in Witten angefangen, eine Unterfirma von Bertelsmann war das damals. Schon damals hatten wir immer Überlegungen, wie wir DVD- oder CD-Editionen aufwerten können. Ich hab mal eine Metal-DVD-Compilation gemacht, mit Bands wie Running Wild, Sodom, Rage und Grave Digger, wo wir dann mit Video-Interviews kleine Einspiel-Filmchen machten, die die jeweiligen Bands aus einer journalistischen Perspektive eingeordnet haben. Das war meine erste „richtige“ Produktion in dieser Richtung. Als ich später beim Visions Magazin war, hatten wir viermal im Jahr eine DVD-Beilage, die wir auch mit eigenen Film-Features bestückt hatten.

Was waren das für Filme?

So etwa 15 bis 20-minütige Specials haben wir gedreht – zum Beispiel mit Bela B. von Die Ärzte über die Geschichte der Comics, mit Songwriter Olli Schulz über die History des Heavy Metal oder mit Josh Homme von den Queens of the Stone Age über Gitarren und das Tourleben. Dann nochmal später habe ich mit dem Dortmunder Kameramann Jörg Stiepermann und meinem damaligen Visions-Kollegen Jens Thiele eine neunteilige Serie über Ruhrgebiets-Popkultur für die ›Ruhr 2010‹ gedreht. Jede Folge behandelte ein Thema, also eine Folge Indie-Rock, eine Hip Hop, dann Heavy Metal, Electronica, Theatermusik, Skurriles aus Mülheim an der Ruhr mit Helge Schneider und Bohren & der Club of Gore – und so weiter. Das war eine tolle Arbeit, das hat sehr viel Spaß gemacht.

Was ist das Tolle an der Filmerei?

Eigentlich gehst du durch viele emotionale Bäder – von genialen und beglückenden Drehs bis zu absolut nervigen Schrott-Tagen hast du in sehr schnell wechselnder Schlagzahl alles dabei. Der österreichische Regisseur Michael Haneke sagte mal sehr richtig, dass Film vor allem sehr teuer ist und du eigentlich nie genug Geld hast. Über dieses Statement denke ich oft nach – vor allem weil es einfach so wahr ist!

Hier wird Gehirn. Implosion während seines Noise-Sets gefilmt | Foto: Klaus Homann

Was waren bei ›Die Stille überlebt‹ die schönsten Drehtage?

Ich hatte das Kollektiv ›Kaffee und Kuchen‹ zu mir in die Schrebergarten-Anlage nach Herne Horsthausen eingeladen – und die haben dann in kürzester Zeit mit ihrer explosiven Performance alles in Schutt und Asche gelegt. Die haben zwei Thermoskannen zerkloppt, die bei mir auf dem Rasen gelandet sind – noch Wochen später habe ich davon die Scherben auf der Wiese gefunden. Später hatten wir mit vier Akteuren einen Dreh im Mönchengladbacher Kulturzentrum Köntges, das war zwar sehr streng getaktet – aber der Drehtag war irgendwo auch wunderbar, weil es keine wirkliche Panne gab.

Das klingt super…

Und mit der Kölner Performance Künstlerin Julia Bünnagel haben wir im Bochumer Kunstmuseum gedreht – das war auch ein sehr toller Tag. Sie beklebt Beethoven-Scheiben mit Klebestreifen und spielt die dann ab – das ist ein Sound, der nicht von dieser Welt ist. Auch die vielen Fahrten, die ich mit den Leuten aus der Crew gemacht hab – das hat echt Spaß gemacht. Unser anderer Kameramann Dominik Richter ist kurz vor Drehschluss Vater geworden, dann konnte ich ihn nicht mehr nerven, dass wir doch noch 2-3 Drehtage extra brauchen. Man muss einfach im Vorfeld so effizient planen, dass alles aufgeht. Und das ist eine Sache die man beim Drehen lernt. Es ist halt sehr oft ›Learning by Doing‹.

Julia Bünnagel beklebt Schallplatten oder gießt sie aus Beton | Foto: Klaus Homann

Was erhoffst du dir mit der Doku?

Nun, es ist unter den Nischen-Themen ein sehr großes Nerd-Thema. Für mich persönlich ist Noise irgendwo der Soundtrack zur Corona-Pandemie und dem Ukraine Krieg. Du hast als Zuhörer bei dem noisigen Krach manchmal das Gefühl, es nicht auszuhalten. Aber man lernt, dass es auszuhalten ist. Und es gibt immer wieder Momente, wo ich manche Soundpassagen wunderschön finde. Aber das ist kein etabliertes Programmkino-Thema, wie jetzt der neue Pedro Almodovar Film. Wenn ich mit unserer Doku übermorgen in Kiel oder Coburg wäre, könnte ich froh sein wenn sechs Leute kommen. Noise ist halt ein sehr sperriges Thema.

Die Premiere von ›Die Stille überlebt‹ ist am Dienstag, den 27.09. in der Bastion Bochum
Weitere Vorstellungen in Städten wie Frankfurt, Osnabrück, Berlin, Mönchengladbach, Hamburg oder Köln sind derzeit in Planung.

 

 

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[…] und Clubber lieben den pochenden Drive seiner Basslines. Kai ist einer der Protagonisten aus dem Dokumentarfilm ›Die Stille überlebt‹, welcher die Noise- und Elektroklang-Szene in Deutschland näher unter die Lupe nimmt und am 27. […]

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