„Die woke Straße“: BDS-Song-Contest mit Pop-Mob, ein Geschäftsmodell?

Eden Golan aus Israel beim Eurovision Song Contest 2024 in Malmö by Arkland cc 4.0

Weltweite Soli mit Hamas, in der arabischen Welt ist es erstaunlich still. In Malmö kreischen sie zu Tausenden eine Israelin nieder, im Televoting wird sie auf Händen getragen. Wird Pop unpopulär?

„In den arabischen Hauptstädten ist es ruhig geblieben“, sagte Olivier Roy eine Woche nach dem 7. Oktober, den Massakern der Hamas, dem Schweizer Magazin Republik: „In Kairo, Tunis oder Rabat gab es keine Demonstrationen, wurden keine israelischen Fahnen verbrannt. Das ist neu“, so der französische Orientalist und Politologe, „bisher war die «arabische Straße» ein enorm wichtiger Faktor im Palästina-Konflikt. Beim jetzigen Überfall spielt sie keine Rolle.“ Roys Deutung: „Die Barbarei der Terrorakte der Hamas hat die arabische Solidarität unterminiert. So etwas kann und will man nicht mittragen.“ Eingeschoben dieser Satz: „Hörbar ist höchstens die «europäische Straße».“ Die woke Straße, ersetzt sie die arabische?

Manches deutet darauf hin, für den öffentlichen Aufruf zum Judenmorden  –  „There is only one solution: Intifada, Revolution!“  –  so wie hier an der FU Berlin

erhalten Studenten Flankenschutz von Hunderten ihrer Dozenten. Einen „Dammbruch in der Geschichte der Bundesrepublik“ hat Philipp Peyman Engel in der Jüdischen Allgemeinen dies genannt, die woke Straße spult das Programm ab, das Islamisten vorbehalten schien. Zitat aus dem Verfassungsschutzbericht NRW für 2023:

„Alle islamistischen Strömungen haben bereits vor dem 7. Oktober 2023 eine strikte Ablehnung des Staates Israel erkennen lassen und sind deutlich durch einen starken Antisemitismus geprägt. Militante Aktionen wurden zum Teil auch von jenen Akteuren befürwortet oder zumindest relativiert, die dem legalistischen Islamismus zuzurechnen sind.“ Jetzt der erstaunliche Satz: „Angesichts dieser Voraussetzungen war die Reaktion der (islamistischen) Szene auf die terroristischen Angriffe der HAMAS bis Ende 2023 eher verhalten. Es waren fast keine offenen Sympathiebekundungen für die HAMAS erkennbar …“, die Hamas-Szene selber, die in NRW ihren Hotspot hat, habe „sehr vorsichtig agiert“.

Damit redet der NRW-Verfassungsschutz die islamistische Bedrohung nicht klein, es gab „zahlreiche Solidaritäts- und Sympathiebekundungen mit Palästina“, es gab eine „massive Drohpropganda“ mit teilweise konkreten „Anschlagsvorschlägen“, es gab die Demo von Hizb ut-Tahrir, der „Islamischen Befreiungspartei“ (HuT) in Essen, mit der sich die „Generation Islam“ erstmals öffentlich in NRW präsentiert hat usw. Worauf der Verfassungsschutz zielt: dass sich  –  auf der islamistischen Straße  –  die Soli mit Hamas bis Ende 2023 „verhalten“ artikuliert habe.

Ein Blick nach Malmö: Im Mai vergangenen Jahres fand dort die European Palestinians Conference statt, sie wird organisatorisch und ideologisch der Hamas zugerechnet (dahinter steckt das Palestinian Return Center in London, nach Einschätzung israelischer und auch deutscher Sicherheitsbehörden eine von Hamas geleitete Einrichtung, in der, dies nebenher, auch Halima Aziz ausgestellt hat, die Künstlerin des letzten Weltgebetstages). Als die PLO, mit Hamas bekanntlich verfeindet, auf die Hamas-Nähe der Malmöer Konferenz hinwies, zogen schwedische Parlamentarier ihre Teilnahme dutzendfach zurück. Sich mit Hamas zu solidarisieren, in der EU als Terrororganisation gelistet, ließ sich vor dem 7. Oktober nicht gut erklären. Nicht in Schweden, „aus Nordrhein-Westfalen reisten Personen zu der Veranstaltung an“, heißt es im VS-Bericht NRW.

Malmö im Mai darauf, sieben Monate sind seit dem 7. Oktober vergangen, Tausende versammeln sich vor dem Hotel, in dem Eden Golan ein Zimmer bezogen hat, die 20jährige, die beim Eurovision Song Contest für Israel an den Start geht, sie ist eine der Top-Favoriten bei den Buchmachern, sie ist bestgehasst:

Irgendwo sitzt auch „Genocide Greta“ auf der woken Straße und klatscht in die Hände:

Zuvor bereits gab es die beschämende Szene mit Marina Satti, der griechischen Finalistin: Auf der Pressekonferenz des ESC zog sie, kaum dass eine Frage an Eden Golan ging, ihre eigene Show ab, kindisch gähnend, aufsässig räkelnd, aggressiv dösend, offenbar ist Satti vertraut mit der Idee, dass eine solche Performance ihre Karriere im Pop befördert:

 

Ähnlich beschämend Käärijä, finnischer Sänger, er war der Publikumsliebling beim ESC im Jahr zuvor, jetzt postet er eine Backstage-Szene mit Eden Golan, die beiden tanzen für einen Moment zusammen, ein Shitstorm folgt und Käärijä distanziert sich ruckzuck, es sei alles „ohne meine Erlaubnis“ öffentlich geworden und „trotz meiner Aufforderung nicht entfernt“. Dann die endgültige Unterwerfung: Weil er das Video nicht zurückziehen kann, quittiert er seinen lukrativen Job, vor 150 000 000 Zuschauern bekannt zu geben, wie wohl die finnische Jury ihre Punkte verteilt haben wird: „Es fühlt sich einfach nicht richtig an“, so Käärijä bei dem Gedanken, es könnte dahin kommen, dass er seiner Tanz-Partnerin öffentlich gratulieren müsste. Eine unnötige Sorge, von Finnlands Jury kamen null Punkte. Jews don’t count.

So rechnet auch Nemo, der diesjährige ESC-Gewinner, der sich als non-binäre Marke entworfen hat. Der ESC, sagt der Schweizer, sei „ein Ort, wo man wirklich man selbst sein kann, solche Orte brauchen wir auf der Welt“. Ungezählt die Hymnen, die er auf seine Community anstimmt, der es um Empathie gehe und darum, „nicht nur übereinander, sondern auch miteinander zu sprechen“. Kein Wort von ihm zu Eden Golan, zu der Hasswelle, die über Wochen aufgebaut und geduldet und geritten wird in seiner Welt des ESC, keines darüber, dass Eden Golan mit einer 100 Mann starken Polizei-Eskorte in den Konzertsaal geleitet werden muss, um sie vor einem Pop-Mob zu schützen, der längst im Konzertsaal sitzt, wo Golan gegen eine Hasswelle ansingen muss, die alle Nemos dieser Welt gehört haben und gespürt und die später bei jedem Punkt, der an Israel ging, anschwillt wie eine Memo (und vom schwedischen TV, als sei es bereits Routine, ausgefadert wird):

Oder hier oder hier. Könnte jedem so ergehen, es ist dieselbe Bühne, auf der Nemo seine Identität abfeiert. Dasselbe Publikum, dem er zu Füßen fällt. Einem ESC, der sich zur Hetzorgie macht. Sportpalast-Atmo, Ende von Pop.

Dann das Tele-Voting, eine ESC-weite Audience platziert Eden Golan  –  von den nationalen Jurys weit hinten abgestellt  –  auf den zweiten Rang. Insgesamt macht das Platz fünf für Eden Golan, was macht es mit Pop?

Klar ist derzeit, dass, wer den ESC hat, keine arabische Straße braucht. Unklar, ob sich dies als „Scherbenhaufen“ liest oder als „Volksabstimmung pro Israel“ oder eben als Geschäftsmodell. „Die Anti-Israel-Proteste sind nicht mehrheitsfähig“, sagt Jan Feddersen, taz-Redakteur, „das zeigt die überwältigende Unterstützung für Eden Golan beim ESC-Televoting.“ Die tatsächlich überwältigend ist, in 14 Ländern hat Golans Performance die maximale Punktzahl beim Publikum erhalten, in elf von diesen 14 haben ihr die nationalen Jurys null Punkte beigemessen. Als löse sich der Pop von seiner Zustimmung ab. Als sei die Konzerthalle in Malmö eine Art Wohnzimmerkonzert. Als arbeite der ESC an seinem Entschwinden, vielleicht ist es so.

Zugleich zeigt dieser Malmö-ESC, dass es sehr wohl anders gehen könnte, dass die Hasswelle, die Pop aufbauen kann, zum Mitschwimmen einlädt, zum Befeiern, vor allem dazu, sie sportpalastig zu lenken. Die ESC-Community, so quietsch-divers sie sich gibt, hat den Hass, der sich auf Eden Golan richtet, als völlig normal hingenommen: ihr die Bullets, uns den Beifall. Es gab, soweit bekannt, keinen Versuch von keinem, dem Pop-Mob etwas entgegen zu setzen, nur etwas Larifari, es fehlte das Mindeste, das zu erwarten gewesen wäre nach dieser Hasswelle, die über Eden Golan hereinbrach  –  dass der als so sensibel gefeierte Nemo oder wer anders aus der ESC-Community einmal zu ihr geht und sie umarmt, es wäre eine kleine Geste gewesen für Nemo und eine große für den Pop, eben weil es so leicht gewesen wäre  –  selbst dieses Mindeste hat es nicht gegeben, nicht da, wo es zählt, nicht coram publico.

Jetzt ist es beim ESC wie auf der Berlinale, der Documenta, der Ruhrtriennale et al: Die Künste sind unfähig, als Künste zu reagieren und Künstler unwillens, als Künstler zu widersprechen. Das Gebrüll im Saal ist bedrohlich, bedrohlicher das Schweigen auf der Bühne.

 

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