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„El-Alamein-Babyboomer“: Edna Brocke über ihr Leben (und ein schwerdeutsches Linksbürgertum)

Dr. Edna Brocke 2009 bei der Verleihung des Hans-Ehrenberg-Preises in der Christuskirche Bochum by Ayla Wessel (c)

“Now this is not the end, it is not even the beginning of the end. But it is, perhaps, the end of the beginning.” Erklärte Winston Churchill, britischer Premierminister, nachdem die Briten die deutsche Wehrmacht bei El Alamein gestoppt hatten, das war am 4. November 1942. Bis zu diesem Tag musste, wer im britisch mandatierten Palästina lebte, damit rechnen, dass deutsche Truppen das heutige Israel von Süden her aufrollen würden mit dem Ziel, alle Juden zu ermorden. Unter ihnen Käte und Ernst Fürst, acht Jahre vor El-Alamein waren sie aus Deutschland nach Jerusalem entkommen, neun Monate nach El-Alamein kommt Edna zur Welt. Genauer: Sie kommt in ihre eine Welt, ihre zweite kommt später hinzu. 79 Jahre später hat Edna Brocke, die Nichte von Hannah Arendt, ihr „Leben in zwei Welten“ bilanziert, das Büchlein aus dem Lit-Verlag ist keine Autobiographie, eher ein assoziatives Erinnern, sehr unterhaltsam, völlig subjektiv „und ein wenig exemplarisch“.

Von 1988 bis 2011 Jahr hat Edna Brocke die Alte Synagoge Essen geleitet, sie hat das Haus von seinem musealen Mahnmal-Konzept befreit: „Ich war nicht gewillt zu ‚ermahnen‘, sondern zu erklären, was erklärt werden kann, und offen zu lassen, was nicht zu erklären ist.“  Ihr Konzept: den Jewish way of life zu zeigen, dessen komplexe und komplizierte Vielfalt, ein „Haus jüdischer Kultur“.

Diesen Turnaround der deutschen Erinnerungskultur anzuschieben, hat die Politologin 20 Jahre gekostet, wieder und wieder wurde ihr Konzept in der lokalen Kulturpolitik zerrieben. Auch dies „ein wenig exemplarisch“, das Bedürfnis, Juden, „die einst dieses Haus erbauen ließen und bevölkerten“, als Opfer aufzusockeln und einzubetonieren, so wie es das Holocaust-Denkmal in Berlin mit gigantischer Geste vorführt.

2008 wird Brockes Konzept vom Essener Stadtrat beschlossen, ein El-Alamein-Kind wie Edna Brocke steht da bereits im siebten Jahrzehnt des Lebens. Am Anfang stand ein Babyboom, wie er sich schöner nicht ausmalen lässt: Die Wehrmacht im Wüstensand zerrädert, die Juden machen Liebe. Als Edna 1949 eingeschult wird in Jerusalem, müssen fünf Klassen gebildet werden, in den Jahren zuvor war es immer nur eine gewesen:

„Es ist vielleicht die erste jüdische Generation, die über sehr viele Jahre hinweg einen stetigen und wahrnehmbaren Aufstieg erlebte“, schreibt Brocke, „die erste Generation, die in einen eigenen jüdischen und demokratischen Staat hinein geboren wurde.“ In das einzige Land dieser Welt, in dem, wie Ephraim Kishon anmerkte, Eltern die Muttersprache von ihren Kindern lernen.

Während Edna eine Fremdsprache von ihrer Tante lernt, von Hannah Arendt. Die zunehmend prominente Philosophin des politischen Denkens schreibt ihr, dem „Fröschlein“, wundervolle Briefe aus den USA  –  „natürlich auf Deutsch“ und „‘mit so vielen Küssen wie Du Dir ausrechnen kannst (aber ohne Rechenmaschine)‘“.

„Diese zwei Völker passen nicht zusammen“

Nichte und Tante kommen bis zu Arendts Tod im Dezember 1975 regelmäßig zusammen, fast beiläufig schildert Brocke folgende Szene, sie spielt im Sommer 1967 kurz nach dem Sechs-Tage-Krieg, erstmals können Juden wieder nach Ostjerusalem und an der Klagemauer beten. Auch Arendt reist nach Ostjerusalem, dann weiter nach Gaza, Nablus, in die West-Bank, Edna Brocke begleitet sie, und dann sagt Arendt   –  die ja heute gerne als Kronzeugin reklamiert wird dafür, dass der jüdische Nationalstaat von Übel sei und man eine bi-nationale Lösung schaffen müsse „from the river to the sea“, wobei Juden dann eben die Rechte einer Minderheit genießen würden ganz so, wie sie es die 2000 Jahre zuvor tun mussten  –  jetzt also dieser Satz von Hannah Arendt: „Diese zwei Völker passen nicht zusammen“.

Hannah Arendt 1958 by Barbara Niggl Radloff cc 4.0

Die Szene als Beispiel dafür, wie sehr sich Politik und Brockes Leben einander vermählt haben: 1948 wird ihr Kinderzimmer durch mehrere Volltreffer verwüstet, 1967 sitzt sie mit ihrem damaligen Mann  –  Michael Brocke, er hat die Jüdischen Studien an der Uni Duisburg-Essen aufgebaut  –  im Fahrradkeller eines Hauses in Tel Aviv „und harrte der befreienden Sirene“. Im Jom-Kippur-Krieg 1973 sitzt sie in Deutschland fest und telefoniert täglich mit ihren Eltern: „Mein Vater sagte: Das Land, das mir einst das Leben rettete, verlasse ich nicht, wenn ich in Gefahr bin. Meine Mutter vertrat trotz ihrer großen Angst die gleiche Meinung. Das war für mich eine Art Vermächtnis.“

In den Holocaust hineingeboren und dann mit 30 drei Kriege durchlebt  –  Edna Brocke hat einen völlig anderen Schluss daraus gezogen als den, der hierzulande gängig ist: „Nie wieder“ heißt für sie, Offizierin der israelischen Armee, eben nicht „Nie wieder Krieg“, sondern „Nie wieder kampflos Opfer werden“.

In der Tat „zwei Welten“. Und dann kam es „eher durch Zufall“, dass Brocke Anfang 1971 in die Rolle geriet, zwischen beiden Welten zu vermitteln: „Einige christliche Aktivisten im sog. Christlich-Jüdischen Dialog wandten sich an mich und fragten, ob ich bereit wäre, in ihrem Kreis mitzuarbeiten.“ Diese Arbeitsgemeinschaft, seit 1961 beim Evangelischen Kirchentag angesiedelt, hat innerkirchlich gesehen enorme Meriten, theologisch war sie die Avantgarde ihrer Zeit  –  war aber eben auch Kind dieser Zeit: Brocke, selber keineswegs religiös, aber religiös gebildet, gerät in ein linkschristliches, hoch politisiertes Milieu.

Sie schließt Freundschaften, wundert sich über Terrorphilie und Dorothee Sölle (kein „intellektueller Tiefgang“, aber „eindringlich hohe Stimme“) und ahnt bereits, dass sie es mit einem Bürgertum zu tun hat, „das politische Fragen zwar zuweilen erkennt, aber eben nicht zu analysieren vermag (…) Das oberste Kriterium scheint mir (…) das Moralisieren zu sein“, geleitet von einem „subkutan mitlaufendem Gefühl der Überlegenheit“.

Dann „der Bruch“

Sommer 1982, die PLO startet ihre Terror-Attacken gegen israelische Zivilisten aus dem Libanon heraus, Israel reagiert, einige Mitglieder der Dialog-AG schalten eine  –  heute würde man sagen: „israelkritische“  –  Anzeige in der FAZ. Mit-Initiator ist der Berliner Theologieprofessor Helmut Gollwitzer, der, so Brocke nüchtern, „weniger für seine fachliche Expertise bewundert wurde, sondern vor allem für seine zahlreichen linken Positionen“.

Einige Wochen später bedauert Gollwitzer seine Aktion Brocke gegenüber, dies allerdings mit einer seltsam verdrechselten Begründung („‘wir gehören alle zu Israel‘“), was Brocke vollends bestürzt:

„Vielleicht gehöre ich einer Generation an, die mit gewissem Recht eine traumhaft schöne Illusion hatte, von der sie nun ernüchtert wurde. Ich hatte nämlich die Illusion, es habe sich durch die Shoah wie auch durch die Entstehung des Staates Israel etwas radikal verändert im Hinblick auf das Verhalten gegenüber Juden. Seit vier Monaten weiß ich, dass ein solcher radikaler Einschnitt nicht stattgefunden hat.“

Sie dringt nicht durch. 1990/91 der nächste Krieg in ihrem Leben, Saddam Hussein erklärt, er werde Israel mit Giftgas eindecken. In Bonn demonstrieren 200 000 dafür, Saddam auf keinen Fall in den Arm zu fallen, 200 plädieren dafür, Israel beizustehen. Ein Verhältnis von 1000 : 1, und die  Dialog-AG eiert rum, für Brocke ein Schlusspunkt.

Israel im Golfkrieg 1991 by archives.mod.gov.il (cc)

Was wäre denn auch zu tun, wenn sich unter all den „Bettlaken-Bürgern“   –  in der Zeit waren weiße Bettlaken eine Annonce, die aus dem Fenster hängte, wer sich mit Saddam Hussein persönlich arrangieren wollte, damit der das Giftgas ausschließlich an Israel adressiere  –  lediglich 1 findet, der nicht kapituliert vorm Judenhass? Was noch tun, wenn nach all dem „sogenannten christlich-jüdischen Dialog“  –  das schreibt Brocke 2007, die Anlässe wiederholen sich regelmäßig  –  niemand findet, der ähnlich „existenziell erschrocken“ wäre wie sie?

Wenn doch einmal, wäre es jene radikale Veränderung, die Brocke erhofft hat. Wenn nicht, wird klar, dass zwischen Christen und Juden viel dialogisiert werden kann, viele Differenzen überwunden werden können, aber es würde eine Glaswand bleiben, durch die man sich gegenseitig sieht und vielleicht auch hören kann  –  aber eine Hand kann man durch das Glas nicht reichen.“

„Eine Grenze hast du gesetzt“

Zu ihrem 60. Geburtstag wird ihr eine Festschrift gewidmet, der Titel ist ein Zitat aus der jüdischen Bibel, dem Tanach, dort Psalm 104: „Eine Grenze hast du gesetzt“. Es ist als Dank gemeint, jetzt formuliert von theologischen Freunden  –  unter ihnen der inzwischen emeritierte Bochumer Neutestamentler Klaus Wengst  – , die in der Lage sind, nicht nur durch das Glas hindurch zu sehen, sondern das Glas selber wahrzunehmen.

2009 dann nimmt Edna Brocke in der Christuskirche Bochum den Hans-Ehrenberg-Preis entgegen: Brockes Kritik, so die Begründung der Jury (der ich angehöre), befähige dazu, “aus dem jüdisch-christlichen Dialog heraus das Unterscheidende fruchtbar zu machen, weil die Grenze der wirklich fruchtbare Ort der Erkenntnis ist.”

Der Satz von der Grenze, den Brocke in ihrem Buch zitiert, stammt von dem protestantischen Kulturtheologen Paul Tillich, der wiederum Pate steht für das Konzept der Christuskirche als Kirche der Kulturen. Und so, nach 191 assoziationsreichen Seiten, assoziiert man sich selber der Frage entgegen, was es eigentlich sei, das, bei aller Nähe, einen El-Alamein-Boomer von deutschen Babyboomern unterscheide:

„Scho’ah-Überlebende“, schreibt sie und meint nicht zuletzt ihre Eltern, „hätten jedes ‚Recht‘ gehabt, sich selbst als ‚Opfer‘ zu betrachten.“

Auch Edna Brocke hätte jedes Recht gehabt, sich so zu sehen und sich im erinnerungspolitischen Modus als Opfer zu inszenieren  –  so, wie es die palästinensische Gesellschaft tut, die sich, darauf weist Brocke an einer Stelle hin, inzwischen als „5. oder 6. Generation von Opfern“ begreift.

Alle wollen Opfer sein

Diese Pose, der sich Brocke verweigert, hat die palästinensische Gesellschaft nun aber durchaus mit der bundesdeutschen gemein, auch hierzulande wird der Opferstatus durch die Generationen hindurch vererbt: „Opa war kein Nazi“ und dann erst die Oma, die sich und ihre Kinder durch schwere Zeiten geschoben habe, längst hat sich diese Figur, ½ Mutter Gottes ½ Mutter Courage, zur populären Predigtfigur gemausert. Danach die RAF-Romantik, von Omas Kindern zur Weiße-Rose-Ästhetik verschwärmt; die Friedenssehnsucht der Enkel, die darauf baute, sich als Opfer von Großmächten zu denken; eine Generation weiter geben sich rechtsgedrehte Querdenker als Anne Frank aus, daneben schon die  –  „Ihr habt mir meine Kindheit gestohlen“ – Greta-Generation …

Alle wollen Opfer sein. In dieser Selbst-Inszenierung überdauert ein magisches Vertrauen auf die erlösende Kraft, die das Opfer besitze, es ist ein sowohl theologischer wie politischer Kurzschluss. Das Kalkül: Wer einer höheren Macht opfert, dürfe auf Gnade hoffen, auf Sympathie und Beifall, auf Aufmerksamkeit und  –  dies die säkulare Variante  –  Auftritte und Kohle. Im Judentum ist dieses Kalkül schon lange perdu, Juden zuerst haben das Menschenopfer abgeschafft und dann den Glauben daran desavouiert, dass ein stellvertretendes Opfer überhaupt von irgendetwas erlösen könne oder zu irgendetwas befreien oder dass es mit einem sehr viel teureren Geschenk vergolten werden könnte.

Haus der jüdischen Kultur in der Alten Synagoge Essen by Fank Vincentz (cc) 3.0

Hier liegt, so lese ich Edna Brocke, ein jüdischer, ein wesentlich theo-politischer Widerspruch zur christlichen Theologie, zur immer noch verkündeten, die besagt, dass ein Einzelner sich selber als Opfer gegeben habe, um die Sünden aller zu sühnen. Eine absurd magische Vorstellung schon deshalb, weil dieses Kalkül so durchsichtig ist, kein Gott lässt sich so übers Ohr hauen und kein Saddam: Als die weißen Bettlaken gehisst wurden – vergase du Israel, lieber Saddam, und lass dir daran genügen – hat der Publizist Eike Geisel derlei Sühneopfer-Logik die „Banalität des Guten“ genannt.

Die Banalität des Bösen hat Hannah Arendt bloßgelegt, Edna Brocke die des Guten, wenn das keine Familiengeschichte ist. Mit dem „Haus jüdischer Kultur“  –  heute nicht mehr das, was es unter ihrer Leitung war, „Idee und Aufbau scheinen dem Nachfolger nicht nachvollziehbar zu sein“, schreibt sie freundlich  –  hat sie dem eine Form gegeben. Würde man sie nutzen, diese Form, machte sie mehr als Verstehen möglich und mehr als Dialog, nämlich eine gemeinsame politische Praxis  –  nehmen wir nur einmal diese Empfehlung von Edna Brocke an den so weltoffenen Kulturbetrieb:

„Im Hinblick auf die Scho’ah sollte man nicht fragen, warum die Menschen damals ‚Mein Kampf‘ nicht gelesen haben, und wenn sie es gelesen haben, weshalb sie es nicht ernst genommen haben. Heute muss man fragen: Weshalb lesen die Menschen nicht die Werke der ‚Philosophen des Terrors‘, und wenn sie sie lesen, weshalb nehmen sie sie nicht ernst?“

_ _ _

Edna Brocke, Leben in zwei Welten. Erfahrungen einer Israelin in Israel und Deutschland. Lit-Verlag Berlin/Münster 2021

 

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thomas.weigle
thomas.weigle
2 Jahre zuvor

Natürlich waren unsere Nazi- Eltern/Großeltern Opfer. Aber im Gegensatz zu ihren jüdischen Nachbarn haben sie sich als Anhänger Adolf Hitlers freiwillig in diese Rolle begeben. Sie wurden somit Opfer ihrer falschen Wahl. Salopp gesagt: dumm gelaufen.hre jüdischen Nachbarn hatten keine Wahl. Es sei noch erwähnt, was der jüdische Holocaustüberlebende Arno Lustiger bemerkt,allerdings steht dies nicht nur hierzulande kaum im Blickpunkt. In der Roten Armee dienten 10.000de jüdische Sowjetbürger, von denen viele nicht nur eine Tapferkeitsauszeichnung bekamen.

thomas.weigle
thomas.weigle
2 Jahre zuvor

@ Thomas Wessel Wenn ein lange in FFM lebender Holocaustüberlebender sagt,dass der jüdischen Opfer in der Roten Armee hierzulande kaum gedacht wird, dann nehme ich das erstmal als nicht ganz falsch zur Kenntnis, unabhängig davon,dass das in Bochum anders ist. Denn ich nehme an,dass Arno Lustiger in Sachen Erinnerung bei seiner Äußerung nicht nur an die jüdischen Gemeinden hierzulande gedacht hat. Aber möglicherweise habe ich ihn da auch falsch verstanden.
Auf jeden Fall, ist sein Werk "ROTBUCH:Stalin und die Juden" aus dem Aufbau-Verlag lesenswert. ISBN 5-351-02478-9, wohl nur noch gebraucht erhältlich.

Helmut Junge
Helmut Junge
2 Jahre zuvor

Ich habe nie davon gehört, daß Juden in der Roten Armee gedient haben, und vermutlich weil es selbsterklärend ist, auch nie danach gefragt.Wie sollte es anders sein?
Trotzdem klingt es irgendwie überaschend. Die Interpretation von Zeitgeschichte durch Bücherschreiber und Historiker hängt halt von der jeweils eigenen Interessenlage dieser Leute ab.
Gut so, Thomas Wessel, dieses Thema aufzuzeigen.
Dann noch ein weiser Satz…. "zu erklären, was erklärt werden kann, und offen zu lassen, was nicht zu erklären ist". Dafür bewundere ich diese Frau.
Ich fürchte, daß ich diese Weisheit für mich selten hab gelten lassen.
Aber ok., ich werde mich nicht ändern, weil ich zu gerne spekulativ denke.

nussknacker56
nussknacker56
2 Jahre zuvor

Danke für diesen spannenden und vor allem klarsichtigen („Alle wollen Opfer sein“) Bericht über eine Aktivistin im selten gewordenen positiven Sinn. Ich freue mich immer, wenn es jemand souverän geschafft hat, sich der üblichen Vereinnahmung einer allgegenwärtigen Szene zu widersetzen, welche nach dem üblichen Herunterleiern eines Bekenntnisses „gegen Antisemitismus“ niemals vergisst ein Aber anzufügen oder gleich zu ihrem eigentlichen Anliegen kommt und mit den verbleibenden letzten Atemzügen ein „Free-free-palestine“ einfordert.

thomas.weigle
thomas.weigle
2 Jahre zuvor

Arno Lustiger,der ehemalige Auschwitzhäftling nur ein Bücherschreiber? Sicher nicht. Auch wenn Arno Lustiger durchaus auch Historiker war, so war er v.a. Zeitgenosse und Zeuge des Leidens seiner jüdischen Brüder und Schwestern und hat selber als Häftling gelitten.

thomas.weigle
thomas.weigle
2 Jahre zuvor

@ Thomas Wessel Es ging mir um diesen Satz von Herrn Junge: "Die Interpretation von Zeitgeschichte durch Bücherschreiber und Historiker hängt halt von den eigenen Interessenlage dieser Leute ab."
Liebe Redakteure. Könnt ihr bitte den Artikel auf eure FB-Seite stellen. Von hier aus kann ich leider keine Artikel von euch teilen.

Walter Stach
Walter Stach
2 Jahre zuvor

Arno Lustiger……
Ich durfte ihn vor Jahren persönlich kennenlernen bei einem Besuch in meiner Heimatstadt Waltrop. Ich konnte sogar nach seinem Referat im sog. "Freitagsforum" länger mit ihm persönlich reden. Dass er mir das ermöglichte und dass er mit mir ohne jegliches Anzeichen von Überheblichkeit geredet hat, war für mich eine große Freude. Seitdem war er – und ist er über seinen Tod hinaus- noch mehr als das bereits bis dahin der Fall war, für mich eine der jüdischen Persönlichkeiten , die mich tiefbeeindruckt und mein Denken über Menschen, Menschlichkeit und über Juden ,deren Schicksale als Individuen und als Volk und ganz besonders über das deutsche Menschheitsverbrechen an ihnen nachhaltig beeinflußt hat .

Als "neugieriger Mensch" habe ich Arno Lustiger damals u.a. auch -so nebenbei- gefragt nach dem Miteinander von ihm und seinem Cousin, dem Erzbischof von Paris, Kardinal Jean-Mari Lustiger, der als junger Jude zum kath. Glauben konvertierte.

Unbestritten, daß solche Gespräche mehr bewirken können als bloße (historische)Literatur. Ohne Letztere geht es allerdings auch nicht. Und je mehr und je vielfältiger man sich ihrer bedient, umso größer ist die Chance, dem "Objektiven in der Geschichte" nahezukommen, Nachdenklich machen muß jedoch dieserhalb die Tatsache, daß bezogen auf den Holocaust nur noch wenige Zeitzogen leben, denen man im persönlichen Gespräch begegnen könnte, wie es mir Arno Lustiger ermöglichte,. Und mindestens ebenso nachdenklich machen sollte die Tatsache, daß nach meiner Wahrnehmung historische Literatur, Literatur überhaupt, immer weniger das Denken der Menschen mitzubestimmen scheint Das gilt auch für die Literatur über das Judentum in Deutschland, über seine Geschichte, nicht nur die des Holocaust, und seine Gegenwart. "Gut so", wenn dann und wann u.a. Thomas Wessel hier bei den Ruhrbaronen mit seinen Beiträgen nicht nur dem Erinnern dient, sondern damit auch den kritischen Diskurs befördert.
( Vielseitige und vielfältige Information, eigenständiges Denken und nachdenken, das Abwägen von Informationen und gegensätzlichen Auffassungen, sich dann eine Meinung bilden, dann und erst dann diskutieren………-Selbstverständlichkeiten-.

U.a. die sog. Querdenker in Deutschland ,in den USA, in……bekunden tagtäglich, daß Selbstverständliches nicht mehr selbstverständlich ist, sondern tagtäglich zu erstreiten ist. Das gilt nicht zuletzt dann, wenn es generell um Juden in Deutschland -in Geschichte und Gegenwart, wenn es konkret um den Holocaust geht.

thomas.weigle
thomas.weigle
2 Jahre zuvor

@ Thomas Wessel. Ich glaube, ich habe ihren Artikel auf fb übersehen,so wie bspw des öfteren meine Lesebrille. Unschön.
Wen`s interessiert: zum Thema Palästina/2. Weltkrieg: Dan Diner-"Ein anderer Krieg."Ich bin auf dieses Buch durch ein Interview von Robin mit dem Fußballautor Schulze-Memeling aufmerksam geworden ,der es als seine damals aktuelle Lektüre erwähnte.

Helmut Junge
Helmut Junge
2 Jahre zuvor

@Thomas Wessel, als ich 20 Jahre alt war, hatte ich meine Meinungsbildung zu dem Thema Nazis und deren Verbrechen abgeschlossen. Das was ich bis dahin gelesen und diskutiert hatte, war für mich ausreichend und ich hatte mich danach mit vielen anderen Themen auseinandergesetzt. Die Beschäftigung mit Fragen der Technik, Naturwissenschaften, Philosophie , Archäologie und Kunst kosten viel Zeit. Auf dem Gebiet, das Sie hier darstellen, bin ich literarisch auf dem Stand der frühen Siebziger. Bis zu dem Streit um die Israelfahne in Duisburg 2009 hatte ich gedacht, daß das Thema Antisemitismus im wesentlichen abgehakt war.
https://de.wikipedia.org/wiki/Duisburger_Flaggenstreit
Der hier verlinkte Wikipediaartikel sagt nichts über die Duisburger Bürger aus, die in dem Fall verwickelt waren. Das war Günter Reichwein von der DIG, der den Fall öffentlich zum Fall machte und Hermann Dierkes von der PDS, der sich hinter die Islamischen Demonstraten stellte und den besagten Günter Reichwein deswegen angriff. Ich hatte beide Personen recht gut persönlich gekannt, und deswegen nach weiteren Details gegoogelt. Dabei bin ich auf einen Artikel von Dr.Werner Jurga (ebenfalls bei der DIG) gestoßen gegen Dierkes und für Reichwein. Der traf meine persönliche Einschätzung, und ich hatte per email einen längeren Meinungsaustausch mit diesem Werner Jurga. Eines Tages schrieb der mir, daß er bei den Ruhrbaronen schreiben dürfe. Seitdem kenne ich die Ruhrbarone und der Anlaß war der Kampf gegen den neuen Antisemitismus.
Aber das war eben der neue und nicht der alte Antisemitismus. Wenn ich den erkennen will, reicht mein literarisches Wissen aus den Siebziger Jahren aus.
Und da ich eingangs schrieb, womit ich mich meistens beschäftige, möchte ich über eine Nazi-Denuntiation über einen Physiker berichten, der wegen den Nazis Deutschland verlassen hatte, den Nobelpreis für Physik bekam, dann eine Professur im Graz angenommen hatte, und nicht geahnt hat, daß Graz kurze Zeit später "ins Reich heimgeholt" würde. Über den schrieben seine Nazi-Beurteiler:
„fachlich hervorragend“, „im persönlichen Verhalten widersprüchlich“ und politisch „semitophil".
Dieser Physiker ist dann wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ entlassen und reiste 3 Wochen später per Bahn nach Rom aus. Heute ist dieser "semitophile" Physiker selbst unter Nobelpreisträgern eine Topnummer. Aber über seine politische Einstellung weiß kaum jemand etwas. Seine Physik ist ssowieso chwierig zu verstehen.

Helmut Junge
Helmut Junge
2 Jahre zuvor

Ich hatte es gestern bewußt spannend gemacht, indem ich den Namen dieses "semitophilen" Physikers verschwieg.
Das hole ich hiermit nach.
Erwin Schrödinger war es, der u.A. wegen seines theoretischen Katzenexperiments unter quantenmechanischen Bedingungen einem breiten Publikum bekannt ist.
Kurzinfo hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Erwin_Schr%C3%B6dinger
Daß Menschen vielschichtig sind, oft gut und böse zugleich, will ich in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen. Doch sind physikalische Gleichungen dadurch nicht unbrauchbar.

Helmut Junge
Helmut Junge
2 Jahre zuvor

@Thomas Wessel, wenn ich diese Fragen beantworte, dann muß ich von meiner eigenen Menschenkenntnis ausgehen. Die habe ich allerdings insgesamt unter den Bedingungen der Bundesrepublik Deutschland entwickelt. Ich kenne mutige Menschen und feige Menschen und Karrieristen. Wenn ich diese Kategorien auf diktatorische Verhältnisse übertrage, wird der Anteil der mutigen Menschen vermutlich deutlich kleiner und der Anteil der feigen Menschen wird steigen. Da bin ich sicher. Bezüglich der Karrieristen kann ich keine Antwort geben. Ich mag die nicht mal in demokratischen Zeiten, geschweige in Diktaturen.
Aber ingesamt erscheint mir meine Antwort absolut unzureichend. Es ist komplizierter, weil zum Beispiel die Mutigen durchaus am eigenen Überleben interessiert sind, außer sie nehmen ihren Tod in Kauf. In deren Kamikazeverhalten kann ich mich gar nicht hineindenken. Ich weiß nicht, ob ich selber nicht zu denen gehören würde, die die Fäuste in den Taschen ballen würden. Ich habe mich nie in einer Diktatur verhalten müssen. Der von mir zitierte Schrödinger konnte ja gehen, und ist gegangen. Das ist konsequent, aber ist das auch Mut? Ich setze übrigens auch andere Kriterien als viele andere Menschen. Die Frage, wieso Nazis sich infolge ihrer Verblendung sogar um den Vorteil brachten, solche hervorragende Wissenschaftler heraus zu schmeißen, beschäftigt mich deshalb, weil Verblendungen, wenn auch aus anderen Gründen, heutzutage wieder zu ähnlichen Verhaltensmustern führen. Und zwar massenweise.

Walter Stach
Walter Stach
2 Jahre zuvor

Helmut Junge,
Bemerkungen, "nur so nebenbei" und keineswegs begrenzt auf Betrachtungen, Diskussionen zu den Ursachen, Motiven, zur Realisierung und den Folgen des deutschen Menschheitsverbrechens an den Juden nebst allen dazu existenten Bemühungen, Unbegreifliches begreiflich zu machen, Unerklärliches erklären zu wollen, bemühe mich darum, nie außeracht zu lassen, daß -im Sinne von Hannah Arendt (?) – ich ein Mensch bin, der zu Bösen fähig ist, der Böses getan hat, der sich insofern der "eigene Banalität des Bösen" bewußt ist, also nicht nur der Banalität des Bösen "an sich" bzw. des Bösens Anderer. Das habe ich u.a. zu bedenken, wenn ich für mich nach Antworten suche auf die Frage, wie ich mich in der NS-Zeit verhalten hätte, nicht nur, aber vor allem eben auch dann, wenn es um die Diskriminierung, die Verfolgung , letztlich um den Massenmord an Juden gegangen wäre. Wäre ich ein nur zum Guten fähiger Mensch, dann….Aber das bin ich nun 'mal nicht.

Wenn ich massiv und radikal jeden Antisemitismus ablehne, dann ist das auch diesem Wissen um die Banalität des Bösen geschuldet, die nicht mit dem Ende des NS-Regime verschwunden , die weiterhin existent ist und die niemand für sich, für sein Tun/für sein Unterlassen kategorisch ausschließen kann.

Helmut Junge,
das war lediglich ein Versuch meinerseits -nicht der erste hier bei den Ruhrbaronen- dazu beizutragen, in das Nachdenken über den Holocaust und über Menschen, die dafür verantwortlich waren und dafür schuldig waren bzw. schuldig sind, Erwägungen einzubringen, die getragen sind von der Reflektion über das Gute und das Böse in jedem von uns selbst. .

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[…] keine Möglichkeit, sich zu verteidigen“, so Wolfgang und Ekkehard W. Stegemann in der ua von Edna Brocke herausgegebenen Zeitschrift Kirche und Israel, „mehr noch, die Ankläger Israels können im […]

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