Elefant im Elfenbeinraum

Elefant, Nahaufnahme Foto: Ketso Gordhan Lizenz: CC BY-SA 4.0


Über eintausend Akademikerinnen und Akademiker haben kürzlich ein Manifest unterzeichnet, in dem Israel vorgeworfen wird, ein Apartheidsregime zu sein und ethnische Säuberungen zu planen. Darunter sind Namen, von denen man so etwas bislang nicht erwartet hätte. Von unserem Gastautor Niklas Lemberger.

Wäre da nicht diese eine Besonderheit, man könnte meinen es handele sich lediglich um eine weiteres Stück aus in der endlosen Reihe „israelkritischer” offener Briefe der letzten 15 Jahre, verfasst von Leuten, die aufgrund ihres Berufsstands (Akademiker, Diplomaten, ‚Kulturschaffende‘) oder ihrer Herkunft (Deutsche, Israelis, Palästinenser, Diasporajuden) besondere Autorität im Hinblick auf das Thema für sich beanspruchen. Derartige Schriftstücke ziehen das Rampenlicht medialer Aufmerksamkeit stets aufs Neue vorübergehend auf sich, verschwinden dann wieder von der Bühne, bevor – so sicher wie das A-amen in der Synagoge – das nächste Exemplar folgt, oft mit ähnlicher Kernsignatorenschaft obsessiver Israelgegner sowie einigen Gastauftritten prominenter Namen, die man bislang nicht unbedingt mit dem Thema oder zumindest nicht mit Israelgegnerschaft in Verbindung gebracht hätte.

Das jüngste Stück ist als „The Elephant in the Room“ betitelt und nutzt wenig überraschend die aktuelle schwere Krise innerhalb der israelischen Politik und Gesellschaft, bei der es in der Tat um nichts weniger als die Zukunft von Demokratie und Zionismus geht, als Ausgangspunkt, um eine Brücke zum eigentlichen Anliegen der Initiatoren, der Unterdrückung der Palästinenser durch Israel, zu bauen – altbekannte Einseitigkeiten in der Darstellung der Situation und ihrer Hintergründe inklusive:

„Indeed, the ultimate purpose of the judicial overhaul is to tighten restrictions on Gaza, deprive Palestinians of equal rights both beyond the Green Line and within it, annex more land, and ethnically cleanse all territories under Israeli rule of their Palestinian population.“

Verstehen tun sich die Unterstützer von  „The Elephant in the Room“, als Akademiker und Personen des öffentlichen Lebens aus Israel/Palästina und von außerhalb. Sie wenden sich dezidiert an Führungspersonen des nordamerikanischen Judentums. Wie andere offene Briefe auch kann dieser ebenfalls mit prominenten Namen aufwarten. Was ihn von den meisten seiner Vorgänger jedoch unterscheidet, ist keineswegs die Anzahl der Unterstützer (aktuell tauchen etwas mehr als 1.600 Namen auf der Liste der Unterzeichner auf) sondern der alles andere als antizionistische Hintergrund einiger prominenter Wissenschaftler, die zudem auf den Gebieten Holocaust- und Antisemitismusfirschung, jüdischer Geschichte und Israel Studies ihre Meriten erworben haben. Namen wie Dan Diner, Benny Morris und Saul Friedländer von denen man nicht gerade erwartet hätte, dass sie sich bei aller Kritik an den Gesetzesreformen der israelischen Regierung für einen Brief mit antizionistischer Schlagseite hergeben würden. Der Fehler liegt jedoch genau in derartigen Erwartungen.

Auch Akademiker, die sich auf ihren Gebieten – mögen es selbst Sozialwissenschaften oder Geschichte sein – Lorbeeren verdient haben, sind nicht dagegen gefeit, ‚von der Macht der anderen’ oder ‚der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen’. Denn die Zugehörigkeit zu einem Berufsstand oder fachliche Brillianz sind kein Antidot gegen das Irrewerden. Der Mangel an Analyse bzw. der Verzicht hierauf lässt sich nur aus den zugrundeliegenden starken Affekten heraus erklären: Man hat mit der drohenden Aufhebung der Gewaltenteilung in Israel zu Recht eine Gefahr identifiziert, ordnet der daraus resultierenden Angst jedoch zugleich alles andere unter und ist bereit, auch Absurditäten („Elephant in the room“, als sei Kritik an der Besatzung bisher in irgendeiner Weise ein Tabu gewesen), realitätsverzerrende Platitüden (‚IDF tötet aus Gewohnheit Palästinenser’) und (womöglich drohende aber eben) bisher nicht eingetretene Sachverhalte („Apartheid“) als gegebene Zustände zu postulieren. Ganz abgesehen zudem von den vielen – quasi als Wasserzeichen – unter solchen offenen Briefen auftauchenden antizionistischen Aktivisten, die Israel bereits seit Jahrzehnten Apartheid vorwerfen, mit denen man sich hier nolens volens noch gemein macht.

Zumindest an dieser Stelle müssten sich jene renommierten Akademiker eigentlich einer Dissonanz gewahr werden. Denn wenn in Israel bereits seit langem Apartheid herrschte, dann hätten sich jene Antizionisten schon immer im Recht befunden und man selber hätte es jahrelang versäumt, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Sollte Apartheid hingegen erst mit der aktuellen Staatsumgestaltung durch die regierende Koalition ein Fakt geworden sein, sind dann jene Antizionisten, die dies schon für die letzten Jahrzehnte behaupteten, nur verkappte Israelgegner, deren Unwahrheiten gerade auf wundersam grauenhafte Weise Realität werden? Mit anderen Worten: Bekennen sich die Akademiker zu langjährigem eigenem analytischen Versagen? Sind jene Antizionisten somit Propheten oder aber notorische Lügner, mit denen man sich lediglich deshalb gemein macht, weil sie aktuell doch einmal (wenn auch aus den falschen Gründen) richtig liegen?

Ganz gleich für welche Antwort ein jeder sich entscheiden mag, sie zeugte doch bereits von Irrsinn. Dass diese Fragen von den Akteuren überhaupt von sich aus beantwortet werden, ist deshalb kaum zu erwarten. Eine gezielte Nachfrage hingegen dürfte zu interessanten Reaktionen führen.

Da zum Beispiel Volker Beck erklärte, diesen Aufruf nicht unterschrieben zu haben, besteht letztgültige Sicherheit über die Unterzeichnenden erst, wenn sie sich positiv zu ihrer Unterschrift erklärt haben.

Der Artikel erschien bereits in der Jungle World

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nussknacker56
nussknacker56
9 Monate zuvor

Inzwischen sind es schon über 1700 Akademiker u.a., die es anscheinend kaum erwarten können, sich in diesem Gerangel nach vorne durchzuboxen, um endlich auch mit ihrer Unterschrift Israel der Apartheid bezichtigen zu können – ganz so, als ob dafür ein Preisgeld oder zumindest ein Nobelpreis ausgelobt worden ist. Wer annimmt, dass diese Akademiker zuerst mal nachdenken, bevor sie eine Behauptung von sich geben wird unangenehm überrascht von der Tatsache, dass dies ein banales Vorurteil ist. Die Beteiligten sind nicht weniger blöde, als man es gerade aus diesen Reihen gemeinhin den weniger Gebildeten in der normalen Bevölkerung unterstellt.

Nun würde man den Herrschaften zu viel der Ehre erweisen, ihren Auswurf zurückzuweisen oder zu entkräften versuchen. Mit der gleichen Logik könnte man auch Deutschland, Luxemburg, Island, Schweiz oder einen beliebigen anderen Staat der Apartheid beschuldigen. Geschenkt.

Ein klitzekleiner Unterschied zu dem Beschuldigten besteht allerdings. Dieser ist seit mehr als siebzig Jahren einem Praxistest ausgesetzt, der zeigt, ob sich auch unter kriegerischen Angriffen von umliegenden Staaten, Anschlägen von Terrororganisationen sowie fast wöchentlichen Attentaten von arabischen Rechtsradikalen das Ideal der Demokratie weiter hochhalten lässt. Dies ist der Fall.

Die restlichen Demokratien auf diesem Planeten müssen einen solchen Nachweis erst mal erbringen. Dann wird sich nämlich zeigen, was jenseits von wohlfeilen Sprüchen und moralischem Klugscheißertum noch übrig bleibt.

Ich bin da nicht so optimistisch.
 

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[…] Nikas Lemberger, Elefant im Elfenbeinturm, Ruhrbarone, 18.08.2023. […]

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