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Erfolgreiche Sozialdemokraten: Die Roten aus Röhlinghausen

Die Roten aus Röhlinghause von links nach rechts: Willibald Wiesinger, Hendrik Bollmann, Manuela Lukas, Heinz Gers, Jascha Beutler


Der Bundestagswahlkreis Bochum-Herne ist eine der letzten Hochburgen der SPD. Was machen die Genossen hier besser als anderswo?

Viel grün, gepflegte Reihenhäuser, adrette Vorgärten und die frisch gestrichene Beliebigkeit des sozialen Wohnungsbaus der 60er Jahre: Röhlinghausen im Herner Ortsteil Wanne-Eickel ist ein Stadtteil, wie es viele in Deutschlands Städten gibt. Hier wohnen die Menschen, über die man sagen kann, dass sie morgens früh aufstehen und das Spiel nach den Regeln spielen: Die Steuern werden gezahlt, die Kinder pünktlich zur Schule geschickt, die Arbeit ist eine Quelle des Selbstbewusstseins und man wünscht sich, dass es der nächsten Generation einmal besser geht. In solchen Stadtteilen wurde früher traditionell SPD gewählt. Das ist fast überall vorbei. Nur noch in wenigen Bundestagswahlkreisen liegt die SPD nach der Wahlkreisprognose des Berliner Instituts Wahlkreisprognose.de 12 Prozentpunkte vor der zweitstärksten Partei. Der eine ist Emden-Aurich, der andere Herne-Bochum II. Und in dem liegt Röhlinghausen.

Hendrik Bollmann ist hier der SPD-Chef. Dass die Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl 2017 in Herne 34 Prozent der Zweitstimmen holte und Direktkandidatin Michelle Müntefering mit über 41 Prozent der Stimmen fast 20 Prozentpunkte vor dem CDU-Kandidaten, dem heutigen Generalsekretär der Union Paul Ziemiak lag, ist für Bollmann kein ungetrübter Grund zur Freude. „Früher“, sagt Bollmann, „waren die Ergebnisse noch deutlich besser.“ Früher, das war die Zeit, als sein Vater Gerd Bollmann als Bundestagsabgeordneter kandidierte. 2002 holte der alte Bollmann über 60 Prozent, 2005 59 Prozent und 2009, als die SPD schon in der Krise war, noch immer über 50 Prozent der Stimmen.

An einem frischen, aber sonnigen Frühlingstag sitzt Hendrik Bollmann mit seinen Genossen in der Kneipe des Volkshauses Röhlinghausen. Ein schmuckloses Gebäude aus den 60er Jahren, der Zeit, als es keine Frage war, ob die SPD eine Volkspartei sei oder nicht. Für das Haus, sagt Bollmann, hätten die Genossen gestritten, das Geld für seinen Umbau und Unterhalt in den 70ern gegen die CDU im Rat durchgesetzt. Offenbar war das eine gute Idee: Schon am Nachmittag ist die Kneipe gut besucht wird hier Skat gespielt und Bier getrunken. Vereine treffen sich im Volkshaus, Konzerte finden statt und es gibt Angebote für Kinder. Das große Thema aller an diesem Tag ist der überraschende Tod eines Bluesmusikers, der über Jahre in vielen lokalen Bands spielte. Lebendige Stadtteilkultur als Ergebnis sozialdemokratischer Politik.

„Das Volkshaus ist wichtig für Röhlinghausen und die SPD“, sagt Bollmann. „Es trägt dazu bei, dass der Stadtteil lebendig geblieben ist und für die Sozialdemokraten sei es ein wichtiger Veranstaltungsort.“

Hierhin lud sein Ortsverein im vergangenen November zum Beispiel Nils Heisterhagen ein, einen der wenigen streitbaren Intellektuellen, die es heute noch in der SPD gibt. An die hundert Gäste diskutierten mit ihm über seine These, die SPD müsse sozialpolitisch linker und gesellschaftspolitisch rechter werden, um wieder auf die Erfolgsspur zu kommen. Kurz zusammengefasst: Längeres Arbeitslosengeld und weniger Gender. Dass so eine Debatte auf einer Veranstaltung der SPD-Röhlinghausen und nicht auf einer der großen Unterbezirke Bochum, Essen oder Dortmund stattfand, gehört für Bollmann dazu: „Wir waren schon immer ein diskussionsfreudiger und offener Ortsverein. Dazu gehörte es auch, dass wir gegen die große Koalition waren und auch Auseinandersetzungen mit der eigenen Partei nicht scheuen.“

Das war auch 2015 schon so, als die Stadt Herne eine Flüchtlingsunterkunft in dem Viertel eröffnete, erinnert sich Manuela Lukas, die stellvertretende Vorsitzender der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Herne. „Wir wussten das Flüchtlinge nach Röhlinghausen kommen und dass die Menschen verunsichert waren. Also haben wir eine Veranstaltung gemacht, obwohl klar war, dass das nicht einfach für uns wird.“ Was Aufgabe der Stadt gewesen wäre, hat dann die SPD auf Anregung Bollmanns gemacht: Informieren, mit den Bürgern reden, ihre Ängste und Sorgen ernst nehmen, Unterstützung organisieren und den Stadtteil zusammenhalten. Am Ende konnten den Menschen viele Sorgen genommen werden und es gab Hilfe für die Flüchtlinge. Das Rote Kreuz war dabei, Sportvereine und die Kirchen und die Moscheegemeinde.

„Man darf nicht zimperlich im Gespräch mit den Bürgern sein“, sagt Bollmann. „Wenn es um das Thema Flüchtlinge geht, kommen uns viele mit AfD-Sprüchen. Wir legen aber kein Wort auf die Goldwaage, suchen die Diskussion, halten dagegen und laufen nicht weg.“ Der Erfolg dieses Vorgehens hat allerdings seine Grenzen. Auch in Herne lag die AfD bei der Bundestagswahl 2017 mit 13,9 Prozent über dem Bundesdurchschnitt von 12,6 Prozent. Aber nur ein paar Meter weiter in Gelsenkirchen holten die Rechtsradikalen über 17 Prozent und erreichten eines der besten Wahlergebnisse in ganz Westdeutschland.

Mit ihrer Abgeordneten Michelle Müntefering sind sie zufrieden in Röhlinghausen. Obwohl sie in Berlin Karriere macht und seit März vergangenen Jahres Staatsministerin für internationale Kultur- und Bildungspolitik im Außenministerium ist, kümmert sie sich um ihren Wahlkreis. Ob es um die Erhöhung es Budgets für die Jobcenter in Herne und Bochum geht oder um Real-Mitarbeiter, die sich um ihren Job sorgen: Müntefering engagiert sich für Herne.

Aber das, sagt Manuela Lukas, würde für den Erfolg nicht reichen: „Wir hier sind Kümmerer, auch wenn das altmodisch klingt und viele es albern finden. Wir sind im Stadtteil unterwegs, wir machen auch Veranstaltungen, wenn kein Wahlkampf ist, unsere Leute sind in den Vereinen aktiv, wir gehören dazu und wenn es ein Problem gibt, versuchen wir eine Lösung zu finden.“ Vergammelte Grünanlagen, volle Papierkörbe oder zu wenige Kindergartenplätze – die Roten aus Röhlinghausen sind da, wenn man sie braucht.

Was aus Berlin in den vergangenen Jahren gekommen sei, hätte ihnen hier vor Ort nicht geholfen. Im Gegenteil. Vor seiner Pensionierung arbeitete Willibald Wiesinger, Bollmanns Stellvertreter im Vorstand des Ortsvereins, bei der Arbeitsagentur. „Natürlich hat uns HartzIV geschadet. Dass Menschen nach jahrzehntelanger Arbeit nach kurzer Zeit nur noch so wenig Geld bekamen wie andere, die noch nie gearbeitet haben, hat für viel Verbitterung gesorgt.“ Aber das sei nicht alles gewesen: „Auch dass das Arbeitsamt ihnen nicht helfen konnte einen neuen Job zu finden, weil es zu wenige Mitarbeiter gab, um sie zu beraten und dass auf die Betriebsrente auf einmal der volle Krankenkassenbeitrag gezahlt werden musste, hat viele gestört.“

Die SPD sei immer die Partei gewesen, die dafür gesorgt hatte, dass Arbeiter und Angestellte mehr in der Tasche haben und ihr Stück vom Kuchen bekommen. „Die Menschen merken, dass die Belastungen immer größer werden und sie trotz steigender Gehälter nicht mehr Geld zur Verfügung haben.“ Heute seien die steigenden Mieten das größte Problem.

Mit 5,90 Euro im Durchschnitt sind die nach wie vor sehr günstig in Herne, aber innerhalb der vergangenen zwölf Monate um vier Prozent gestiegen. Herne ist eine arme Stadt. Nach einer Studie der Wirtschaftsauskunftei­ Creditreform aus dem Jahr 2018 ist in Herne fast jeder Fünfte überschuldet. Bundesweit trifft das nur auf jeden Zehnten zu.

„Wir Sozialdemokraten müssen aufhören, die Menschen zu überlasten, wir müssen für sie da sein und wir müssen ihre Sprache sprechen“, sagt Hendrik Bollmann. Nur dann könne die SPD wieder erfolgreich sein.

Dass das viel Arbeit ist, wissen er und seine Genossen in Herne. Aber sie werden sie auch in Zukunft leisten. Und vielleicht sollten andere Sozialdemokraten sich die Mühe machen, einmal nach Herne-Röhlinghausen zu fahren. Wanne-Eickel hat sogar einen ICE-Anschluss.

Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag

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