
Im Interview mit der Welt am Sonntag fordert Digitalminister Karsten Wildberger die Entwicklung eines eigenen europäischen Large Language Models (LLM), KI-Modelle, die auf riesigen Datenmengen trainiert wurden und Texte verstehen und generieren können, als Alternative zu ChatGPT, Gemini oder Claude. Vernünftiger wäre es, sich auf KI-Geschäftsfelder zu konzentrieren, auf denen Europa noch eine Chance hat.
Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit hat eine Technologie die Welt so schnell verändert wie künstliche Intelligenz. Nachdem OpenAI im November 2023 ChatGPT, damals in der Version 3.5, für die Öffentlichkeit freigab, setzte ein bis heute anhaltender Boom ein: Fast zwei Milliarden Menschen nutzen heute KI-Programme wie ChatGPT, Claude, Gemini, den Microsoft Copiloten, LLaMa, DeepSeek oder Grok. Das französische LLM Mistral, Europas „Hoffnungsträger“, ist technisch abgehängt, und der Großteil Großteil der 500 Mio Dollar, die in Mistral investiert wurden stammt von US-Investoren wie Andreessen Horowitz, Lightspeed und Eric Schmidt.“ Mistral-Unternehmen haben KIs über Schnittstellen in ihre hauseigene IT integriert, Wissenschaftler nutzen sie bei der Forschung und Studenten für Hausarbeiten. Spezielle KI-Systeme unterstützen Ärzte bei der Diagnostik oder lenken ukrainische Drohnen auf russische Panzer.
Die Zentren der KI-Entwicklung sind die USA und China – die beiden Länder liefern sich einen erbitterten Wettstreit um die Spitze. Europa ist abgehängt. Das liegt zum einen daran, dass hier Technologie lieber reguliert als entwickelt wird, zum anderen aber auch daran, dass bislang das notwendige Kapital und der Wille fehlen, zu investieren. Denn die KI-Entwicklung ist teuer. Die Europäische Union möchte das ändern und hat 20 Milliarden Euro für den Aufbau von bis zu fünf sogenannten KI-Gigafabriken zur Verfügung gestellt, die mit je 100.000 speziellen KI-Chips ausgestattet werden sollen. Den Rest der Investitionen, die wohl bei 60 Milliarden Euro liegen werden, sollen Unternehmen aufbringen. 76 Interessenten aus 16 EU-Ländern haben sich um die Fördermittel beworben. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag als Ziel die Ansiedlung einer solchen Gigafactory in Deutschland festgeschrieben. Gewohnt unkoordiniert haben sich gleich fünf Unternehmen aus der Bundesrepublik beworben, nachdem ein gemeinsames Vorgehen gescheitert war und sich große Tech-Konzerne wie SAP und Siemens zurückgezogen hatten. Ob Deutschland den Zuschlag für eines der Rechenzentren bekommt, ist offen: Energie ist hierzulande nicht nur teuer, sondern auch knapp. Selbst deutlich kleinere Rechenzentren können nicht ans Netz angeschlossen werden.
Im Interview mit der Welt am Sonntag sagte heute Digitalminister Karsten Wildberger auf die Frage, ob es für die digitale Souveränität reiche, wenn die EU den Aufbau von KI-Gigafabriken subventioniert:
„Mit KI hat ein neues Zeitalter begonnen. Sie verändert die Art, wie wir programmieren und Wertschöpfung betreiben. Deshalb brauchen wir eigene KI-Basismodelle in Europa – nicht nur, weil sonst das geistige Eigentum bei anderen liegt, sondern weil solche Modelle auch Werte und Wissen derer widerspiegeln, die sie trainieren. Wenn wir jungen Unternehmen genügend Rechenleistung bereitstellen, entsteht echte Dynamik. Das Kapital lässt sich dafür mobilisieren.“
Kühne Aussagen. SAP als wertvollstes Unternehmen Europas ist schon bei der 100.000-Chip-KI-Gigafabrik ausgestiegen. Und eine solche wird, wenn sie denn in ein paar Jahren in Betrieb gehen könnte, nicht mehr in der Lage sein, ein Basismodell – also eine KI wie ChatGPT, Gemini oder Claude – zu entwickeln. Zurzeit baut OpenAI, das Unternehmen hinter ChatGPT, in Abilene, Texas, ein Rechenzentrum, bei dem 400.000 spezielle Nvidia-GB200-Chips zum Einsatz kommen werden. Es wird 44 Milliarden Dollar kosten und ist Teil von „Stargate“, einem 500-Milliarden-Dollar-Joint-Venture zwischen OpenAI, Oracle, SoftBank und MGX aus Abu Dhabi, das den Bau mehrerer großer Rechenzentren in den USA zum Ziel hat.
Europa kann – das zeigen die Dimensionen – bei der Entwicklung von LLMs nicht mithalten. Aber das ist kein Grund zur Verzweiflung. Wir stehen am Beginn der KI-Revolution, und es macht mehr Sinn, sich auf Technologien zu konzentrieren, bei denen man zur Weltspitze gehören kann, anstatt sich auf sinnlose Wettbewerbe einzulassen. Die notwendige Verfügbarkeit von Energie zu günstigen Preisen, schnelle Glasfaserleitungen und die Bändigung klagefreudiger grüner Wutbürger vorausgesetzt, bieten sich Chancen für Europa in fünf Bereichen:
KI-Security und Auditierung
Mit der zunehmenden Verbreitung von Sprachmodellen und generativer KI wächst auch die Gefahr von Missbrauch – etwa durch Jailbreaks, Deepfakes oder Adversarial Prompts. Europa kann hier Vorreiter sein: mit Tools zur Sicherheitsprüfung, unabhängigen Audit-Diensten und robusten Prüfverfahren für Datenschutz, Fairness und Resilienz. Städte wie Bochum, Darmstadt oder Saarbrücken mit ihrer starken IT-Sicherheitsforschung sind dafür prädestiniert.
Industrie-KI und Edge-Modelle
Während US-Konzerne Milliarden in immer größere Modelle investieren, liegt Europas Stärke in der industriellen Anwendung. Lokale, energieeffiziente KI-Modelle für Fertigung, Qualitätssicherung oder Wartung können direkt auf Maschinen oder in mittelgroßen Rechenzentren laufen – ganz ohne 400.000 GPUs. Hier zählt Effizienz statt Größe.
Spezialisierte KI-Lösungen für den Mittelstand
Statt auf ein europäisches ChatGPT zu setzen, könnten Unternehmen Fine-Tuned-Modelle entwickeln, die auf SAP-Daten, juristische Dokumente, medizinische Leitlinien oder Bauprojekte zugeschnitten sind. Der Grundsatz: nicht größer, sondern klüger – angepasst an die konkreten Anforderungen des europäischen Markts.
Eine vertrauenswürdige KI-Infrastruktur
Wer keine LLMs bauen kann, kann sie dennoch zertifizieren, prüfen und DSGVO-konform bereitstellen. Das eröffnet neue Rollen für Anbieter wie T-Systems oder Atos – vorausgesetzt, sie vermeiden Fehler wie bei Gaia-X. Europa braucht eine Infrastruktur, der Bürger, Unternehmen und Behörden vertrauen können.
Kognitive Assistenzsysteme statt universeller Alleskönner
Künstliche Intelligenz muss nicht alles können. In Bereichen wie Pflege, Justiz, Verwaltung oder Bildung können spezialisierte Systeme konkrete Aufgaben übernehmen und den Fachkräftemangel lindern – als unterstützende Werkzeuge, nicht als Ersatz für den Menschen.
Anstatt auf ein EuroGPT zu setzen, das das Floppotenzial der Altmaier-Cloud hat, würde Wildberger gut daran tun, realistische Ziele zu formulieren und auch klar zu sagen, was die großen Probleme Deutschlands beim Aufbruch in die KI-Zukunft sind: Energiepreise, Energieverfügbarkeit und grüne Wutbürger.
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