Festivalbesuche auf und am Duisburger Dellplatz

Platzhirsch-Festival-Duisburg

Als ich mir einen Überblick über das Programm des diesjährigen Duisburger Festivals ‘Platzhirsch’ verschaffte, das auf dem und um den Dellplatz herum stattfinden sollte, war ich skeptisch: Nicht wenige der mich ansprechenden Veranstaltungen waren für die St. Joseph-Kirche am Dellplatz vorgesehen. Wie schrecklich eine Kirche hallen kann, wenn nicht Orgel- oder Chormusik erklingt, hatte ich bereits in der Salvatorkirche am Rathaus erfahren müssen, als dort vor einigen Jahren aushilfsweise und in einem anderen Zusammenhang konzertiert wurde. Sobald perkussive Klänge Einzug halten, wird eine Kirche leicht zu Teufels Großküche.

Der erste Festival-Tag, der Freitag, begann für mich mit Regen.  Dieses Vorkommnis, das sich durch das Wochenende zog, beeinträchtigte das gesamte Festival, in besonderer Weise jedoch die Stände und Veranstaltungen auf dem Dellplatz. Samstag- und Sonntagabend ließen die Himmelsgabe zum Glück etwas abklingen, und der Besucherzuspruch auf dem Platz nahm deutlich zu. Die Temperaturen blieben für die Jahreszeit allerdings relativ niedrig.

Für den Freitag hatte ich mir “Neuland” und die “Mothers of Soundtrips” vorgenommen. Beide Gruppierungen sollten in der Joseph-Kirche auftreten, nacheinander. “Neuland” ist ein Duo, das sich aus den improvisierenden Musikern Thorsten Töpp (Git.) und André Meisner (Sax.) zusammensetzt. Angekündigt waren außerdem internationale Gäste, und es waren nicht wenige gekommen, deren Herkunft von Amsterdam, über Duisburg-Baerl und Dortmund bis nach Bagdad und Japan reichte. Sie zelebrierten die für mich spannenste und facettenreichste Veranstaltung, die ich während des Festivals zu hören und sehen bekam. Die Musik blieb rhythmisch vorsichtig und akzentuiert, schuf, den schwierigen Raumbedingungen angemessen, harmonisch schillernde Atmosphären, die sacht ineinander übergingen, ohne auf Störungen zu verzichten. Außer den Musikern war ein japanischer Tänzer dabei, der im Laufe der Veranstaltung durch die Flötistin aus Amsterdam herausgefordert wurde. Die Teilnehmer kreierten ein Gesamtkunstwerk, das begeistern konnte.
Die “Mothers of Soundtrips” ist eigentlich keine musikalische Gruppe, sondern setzt sich aus den Kuratoren einer Veranstaltungreihe zusammen, die in verschiedenen Städten von NRW präsentiert wird: “Soundtrips NRW – look inside”. Die einbezogenen Künstler kommen aus Duisburg, Düsseldorf, Köln, Bochum und Wuppertal. Speziell aus Duisburg war Philippe Micol (Klar.) dabei. Besonders aufgefallen ist mir der Tuba-Spieler Carl Ludwig Hübsch aus Köln, der nicht nur seinem Instrument ungewöhnliche Klänge entlockte, u.a. fiepende, sondern auch seine Stimme einsetzte, um zum Reichtum der Aufführung beizutragen. Martin Blume aus Bochum (Schlagz.) hielt sich wohlwollend mit harten Schlägen zurück und setzte von Glöckchen bis Besenschlag alles ein, um den Fortgang der Aufführung zu akzentuieren. Etwas enttäuscht war ich von einem speziellen Vorgang, dem herben Einbruch in Gunda Gottschalks (Vl.) Ausflug in asiatisch klingende Gefilde, durch Micols Klarinette, durch einen Vorgang, den man freilich auch als Kontrast interpretieren könnte. Doch dieses abrupte Zurückholen auf den Boden westlicher Akademien kam mir in der Situation etwas gängelnd vor.

Der Samstag, dies sei vorab betont, war nicht mein Tag, obwohl der Abend weitgehend regenfrei blieb. Ich hatte mir lediglich zwei Veranstaltungen rausgesucht, “Jazzpiya”, die auf dem Dellplatz zu Gast sein würden, und Harald “Sack” Ziegler im Djäzz. Dem in der Vorankündigung versprochenen musikalischen Spektrum kam “Jazzpiya” meinem Höreindruck nicht umfänglich nach. Erst im letzten Stück des Auftritts, das einen heiligen Berg im fernen Kurdistan thematisierte, gab es die harmonische Bandbreite, auf die ich gespannt war. Überwiegend waren die Stücke auf einfache Weise folkloristisch orientiert. Dies hat besonders einigen Landsleuten unter den Besuchern sehr gefallen, sie zum Tanzen und Mitsingen animiert. Ein Misserfolg war die Darbietung keineswegs. Aber meine Erwartungen waren andere gewesen.
Enttäuscht hat mich an dem Abend hingegen “Sack”. Nachdem es lange gedauerte hatte, bis die Veranstaltung endlich begann, setzte die Show mit uralten Liedern an, die ein Kontrastprogramm zur noch älteren “Hitparade” hätten bieten können. “… Bungalow, macht mich froh oh oh …” Nein! Vielleicht hätte der ehemalige Schlagerstar Jürgen Marcus einbringen können: “Na, na, na, na, na, na”. Mir reichte es!

Der Sonntag war freundlicher zu mir, wenn auch nicht ganz von Lasten frei. Pianospiel in einer Kirche, deren akustische Eigenschaften durchaus als problematisch zu beurteilen sind? Hans-Joachim Heßler bot auf dem Flügel Reisen durch die Musikgeschichte, angereichert durch eigene Variationen. Und der Klang fast jeden Anschlags pendelte von einer Wandseite zur anderen, wie ein Stereovibrator oder ein Pingpong-Echo. Es kann sein, dass das Mikrophon, das für Ansagen zwischen den Stücken diente, diese Effekte noch effektvoll unterstützte. Bei seinen eingeflossenen Variationen folgte er weitgehend den historischen Vorgaben. Über mehr Freiraum und Eigenwille hätte ich mich gefreut. Aber Heßler ist ein guter Interpret.
Pianisten sind stets auf der Suche nach geeigneten Werken, die sich neu entdecken lassen. Kai Schumacher, keineswegs nur hervorragender Instrumentalist, sondern auch ein Entertainer an den Tasten, widmete sich am Flügel vor allem amerikanischen Komponisten, die im frühen Zwanzigsten Jahrhundert teilweise für Skandale sorgten und im öffentlichen Konzertbetrieb in Vergessenheit geraten sind. Zum Abschluss kombinierte er sein Pianospiel mit Aufnahmen, die collagenhaft vom Laptop kamen, einen Liebesakt thematisierten – doch eine Intimität, die eventuell einen Bogen hätte spannen können, wollte sich nicht einstellen.
Die dritte Veranstaltung des Tages, die ich präferiert hatte, wurde durch „Ensemble Stufe 8“ dargeboten. Die Gruppierung ist noch sehr jung, wurde erst im vergangenen Jahr (2013) gegründet, und widmet sich der Aufführung zeitgenössischer Musik. An Instrumenten waren Piano, Elektronik (Laptop), Klarinette, Violine, Akkordeon und Flöten beteiligt. Je nach Stück kann die Besetzung jedoch auch anders ausfallen. Grundsätzlich zeigt man sich offen. Ihr Spiel kann erfreulichweise als akurat bezeichnet werden, und das Piano störte die Aufführung der ausgewählten Stücke in der Kirche keineswegs. Der Geräuschpegel vom Dellplatz, der immer wieder eindrang, war weitaus nerviger. Einige Male war sogar aus der Ferne eine Gesangsstimme zu vernehmen, die Tonleiterübungen demonstrierte. Ihr Ursprung blieb für mich ungeklärt. Was mich nicht ganz überzeugte, waren die ausgewählten Kompositionen. Ein zeitgenössisches Stück, das vergleichsweise impressionistisch endet, oder ein Stück, in dem die Musiker allmählich dazu übergehen, Luftballone einzusetzen, wirkte auf mich etwas aufgesetzt.
Nach den drei Konzerten in der Kirche war am Sonntag für mich Schluss. Ich konnte nicht mehr sitzen! Die Holzbänke waren ein ziemlich harter Untergrund, für meinen verwöhnten Arsch.

Zum Schluss noch eine Anmerkung, die die immer häufiger anzutreffende Integration von Laptops als Musikinstrumente betrifft. Diese Integration misslingt regelmäßig! Nicht weil, wie in diesem Fall, die Boxen anders positioniert sind als die übrigen Instrumente, sondern weil der Klang ärmlich ist, digital geglättet, nicht selten höhenlastig, wie bei einem x-beliebigen Dolby-Consumer-Gerät, das vor allem für Pop eingestellt wurde. Vielleicht fällt dem einen oder anderen Künstler eine professionellere Lösung ein.

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Sascha
Sascha
9 Jahre zuvor

Über die Anmerkung zu den Laptops hab ich mich – unabhängig vom Festival – etwas gewundert. Ich habe den Eindruck, dass das eher stark rückläufig ist. Selbst und grade im Electronica Bereich, wo man vor Jahren kaum andere Hardware als Notebooks auf den Bühnen gesehen hat. Rechner dienen inzwischen doch fast nur noch als Klangerzeuger, aber kaum noch als „Instrument“. Nicht umsonst ist ein Riesenmarkt für Hardware Controller einstanden, von den ganzen DIY Lösungen mal abgesehen.

Der Den Verweis auf Höhen und Pop verstehe ich nicht. Popmusik ist doch meist stärker auf Bässe denn auf Höhen ausgelegt.

Die Ausgabe von tiefen Frequenzen ist übrigens auch mit preiswerten Rechnern / Audio Interfaces selten ein Problem. Entsprechende Subwoofer, die diese Frequenzen sauber abbilden können, schon eher. Als technischer Laie hätt ich aber großeres Interesse an Infos zu den von Dir angesprochenen professionelleren Lösungen.

Christian
Christian
9 Jahre zuvor

Liebe Ruhrbarone,

als Gast des Festivals und lokaler Musiker, fand ich das Festival durch und durch gelungen, besonders wenn man die Hintergründe kennt und sich mit der Duisburger Kulturszene befasst.

Stichworte: Traumzeit, Tim Isfort

Hier ein paar Hintergrundinfos.
http://www.rp-online.de/nrw/staedte/duisburg/tim-isfort-unterliegt-im-traumzeit-streit-mit-der-dmg-aid-1.3777972
http://www.platzhirsch-duisburg.de/
Traumzeitretter.de
http://files.feedplace.de/buergerfunk-duisburg/platzhirsch_dw_1308.mp3

Es wäre sinnvoll gewesen die Hintergründe, die zum Platzhirsch führten, zu beleuchten.

Das wäre mal ein Thema für einen ausführlichen Artikel gewesen.
Aber es ist noch nicht zu spät, vielleicht kann der Autor das noch nachholen.

Das dreitägige Festival wurde aus der kulturellen Not heraus privat organisiert, zum Großteil privat finanziert und hat ein großes Musik- und Kulturspektrum abgedeckt.

Es war für jeden etwas dabei.
(Jazz / PoP / Welt / Off-Theater / Ausstellungen / Kinderbespaßung)
Welches Festival kann das in der heutigen Zeit noch bringen (Wirtschaftlichkeit)?

Ein Großteil der Veranstaltungen war kostenfrei.
Zudem wurden tatsächlich auch lokale Künstler eingeladen, das ist sehr wichtig für die heimische Szene, besonders in Duisburg, wo immer mehr Bühnen wegfallen.

„Als ich mir einen Überblick über das Programm des diesjährigen Duisburger Festivals ‘Platzhirsch’ verschaffte, das auf dem und um den Dellplatz herum stattfinden sollte, war ich skeptisch“

Erstmal skeptisch, statt sich erwartungsfrei auf etwas Neues einzulassen, schade.
Ich habe das Programm durchgeblättert und hab mich auf die vielseitigen Veranstaltungen gefreut.

„Dem versprochenen musikalischen Spektrum kam “Jazzpiya” meinem Höreindruck nicht umfänglich nach. […] Aber meine Erwartungen waren andere gewesen. “

Was waren denn Ihre Erwartungen? Warum haben Sie sich die Musik nicht vorher einfach mal angehört? (youtube?) Hohe Erwartungen werde meistens enttäuscht.

Wenn Sie überteuerte kommerzielle Veranstaltungen wie das Moersfestival, Traumzeit oder das North Sea Jazz Festival besuchen, dann können Sie Ihrer Kritik und Skepsis mit gutem Gewissen freien lauf lassen.

Mit Ihrem Beitrag verprellen Sie nur die sehr kleine überschaubare freie Szene.
Auch freie Blogger oder Freizeit-Journalisten sollten gewissenhaft recherchieren und sich ihrer Verantwortung bewusst sein.

Natürlich ist berechtigte Kritik wichtig, aber eine Veranstaltung wie diese, braucht eher die Unterstützung der Szene, als negative Werbung aus den eigenen Reihen.

Kritik an der Kulturförderung der Stadt Duisburg wäre in dem Zusammenhang angebracht gewesen.

Gerade die Ruhrbarone sollten so etwas wissen.
Ansonsten wird die Arbeiter der ehrenamtlichen Helfer, Musiker und privaten Unterstützer irgendwie in Frage gestellt und evtl. eingestellt und das kann sich z.B. Duisburg einfach nicht leisten.

Besonders vor den eigentlich bekannten Hintergründen, die man mit Hilfe von „ google“
hätte recherchieren können, erscheint dieser eher oberflächliche Erlebnisbericht überflüssig.

Das junge Platzhirsch-Festival(2013/2014) ist einfach noch nicht vergleichbar mit etablierten, kommerziellen Veranstaltungen/Festivals.

Der Punkt mit dem Laptop ist echt unterirdisch.
Der Laptop schafft einfach neue, unendliche, künstlerische Möglichkeiten und die müssen erprobt werden.
Man schaue/höre sich Andre Meisners „Kreatur“ an.
Nur Saxophone und Laptop!

Der Autor hat bestimmt kein Smartphone, weil das so unnütz ist und das alte
Nokia 3210 ausreicht zum Simsen und Telefonieren ☺

Trotzdem vielen Dank für Ihren Beitrag und die Anregung zur Diskussion.
Grüße Christian

Christian
Christian
9 Jahre zuvor

„Lieber Christian, mit Absicht habe ich meine Besuche aus persönlicher Sicht beschrieben“

Warum? Sie waren doch offensichtlich in journalistischer Mission unterwegs.
Interviews mit jungen und kreativen Vordenker wie Kai Schumacher oder Hintergrundinfos zum Festival wären hochwertigerer Content und den könnten Sie als Journalist produzieren, denn schreiben können Sie ja zweifellos.

„Auch lässt sich das Festival nicht auf den Knatsch reduzieren“

Nein, da stimme ich Ihnen zu.
Dies jedoch vollends zu ignorieren ist auch keine Lösung.
„Knatsch“ ist auch irgendwie abwertend.
Für mich als „Kulturschaffenden“ ist es gravierend was mit der Kulturszene in Duisburg passiert.

„Wenn man einen Hintergrund aufmachen möchte, dann den, dass der Dellplatz unter der Konkurrenz vom Innenhafen gelitten hat.“

Das wäre echt interessant gewesen, schade dass Sie dies nicht aufgegriffen haben.
Es wäre evtl. zu sehr Off-Topic.
Ich glaube nicht, dass das die Ursachen sind.
Vielleicht wären sie es, wenn im Innenhafen von Anfangen alternative Clubs oder Kneipen angesiedelt worden wären.

„Die Platz ist freilich keine Augenweide, wenn Buden und Bühnen abgebaut sind; dies wäre gleichfalls zu betonen.“

Mir geht es meist um den Inhalt und nicht um die Verpackung.
Die besten Veranstaltungen finden in dunklen Ecken statt.
Dass das Platzhirsch auf dem hässlichen Dellplatz und nicht im Innenhafen stattfindet ist ein gutes Beispiel.

Hoffentlich besuchen Sie das Festival nächstes Jahr wieder.
Ich werde mich persönlich bemühen, dass Sie Sitzpolster für die harten Kirchenbänke bekommen und Sie unterstützen dafür junge Künstler z.B. mit einem Interview oder einer coolen Hintergrundgeschichte.

Grüße vom Christian, einem Platzhirschfan.

Christian
Christian
9 Jahre zuvor

„Sorry, ich bin kein Journalist und habe auch niemals vorgegeben, einer zu sein.“

Entschuldigen Sie bitte Herr Matern, das war mir nicht bewusst.
Das spielt auch eigentlich keine Rolle.
Ich hoffe Sie verstehen meine Kommentare nicht als persönlichen Angriff.
Das war/ist nicht meine Intention.
Ich bedanke mich für Ihre Zeit, Mühe und für die Anregung mich hier zu äußern.
Ich hatte Spaß beim lesen.
Ihr Beitrag hat mich zum Kommentieren eingeladen.
Der Punkt mit dem Laptop war der eigentliche Auslöser, es ist ein sehr spannendes und kontroverses Reizthema für Musiker.

Für dieses Missverständnis und die damit evtl. verbundenen Unannehmlichkeiten bitte ich Sie um Entschuldigung.
Vielen Dank für Ihren Beitrag.

Grüße Christian

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