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Was ist Homöopathie und wieso hat es nichts (wirklich gar nichts) mit Naturheilkunde zu tun und warum sollten Sie JETZT SOFORT aufhören zu masturbieren?

Eine zentrale Frage, der sich jeder stellen sollte: Masturbation oder Homöopathie? (Foto: Mark Mauno/ Flickr/ CC-BY-SA 2.0)

Ich versichere, dass das Folgende ERNSTHAFT dem entspricht, woran Homöopathen glauben. Ernsthaft. Dafür stehe ich mit meinem Namen, auch ohne Hipp-Babybrei. von Daniel Bleich

1755, Meißen. Samuel Hahnemann kommt zur Welt. Er ist ein guter Schüler, studiert anschließend Medizin und stellt fest, dass trotz aller Bemühungen eine Vielzahl seiner Patienten sterben. Oft auch, da die Behandlung sie ins Grab gebracht hat. Es ist grob 1785 – eine wirklich verdammt schlechte Zeit, um krank zu sein. Hahnemann ist vielseitig interessiert, der Chemie gegenüber offen und ausgesprochen experimentierfreudig.

Malaria und die Homöopathie

1790, bei der Übersetzung eines Werkes von Cullen, unterlief ihm dann ein Denkfehler, der bis heute Menschenleben kostet. Cullen, zu seiner Zeit ein bekannter Pharmazeut, äußerte, dass Chinarinde den Magen stärke und deshalb Linderung bei der Malaria verschaffe. Chinarinde kann Malaria heilen, das ist zutreffend. Der Schluss aber war Unsinn, das erkannte auch Hahnemann.

Er verabreichte sich selbst große Mengen Chinarinde und stellte fest, dass Symptome eintraten, von denen er meinte, dass diese Malariasymptomen ähnelten, nur ohne Fieber. Chinarinde, so der Schluss, löse bei einem gesunden Menschen quasi „Malariasymptome“ aus. Der Schluss war natürlich genauso falsch. Für Hahnemann aber eine fixe Idee.

Was ist „beseelt“?

Wir schreiben das Jahr 1790, die französische Revolution ist in vollem Gange und das Sprichwort „jemanden einen Kopf kürzer machen“ gelangt zu seiner vollen Geltung. Empirisch medizinische Forschung steckt in den Kinderschuhen und Krankenhäuser sind riesige Experimentierstationen, die in der Regel waagerecht verlassen werden. Es ist auch die Zeit der Mystik und Esoterik. Eine gängige Annahme ist damals, dass jede Materie und jeder Stoff beseelt ist und eine Art „Geist“ in sich trage. Nochmal, es ist halt 1790. Hahnemann glaubte daran. Fest.

Ein Stoff, der bei einem gesunden Menschen ebenjene Symptome auslöse, die eine spezifische Krankheit auch verursache, muss diese Krankheit heilen, „Similia similibus curentur“, Ähnliches soll mit Ähnlichem geheilt werden. Hahnemann schrieb dies dem „innewohnenden Geist“ eines Stoffes zu. Nimmt man einen Stoff ein, so nimmt man auch den Geist zu sich. Dieser Geist verfügt über Informationen, die bei einem gesunden Menschen irgendeine Reaktion auslösen. Der Körper möchte zurück in seinen Ursprungszustand, also bekämpft er die Reaktion. Dass der Körper fremde Zellen oder Stoffe grundsätzlich bekämpft ist die normale Antwort unseres Immunsystems. Das hat nichts mit einem Geist zu tun.

Bei einem kranken Menschen müsste nun, so Hahnemann, ein Heilungsprozess einsetzen, da der Körper ja über zusätzliche „Informationen“ verfüge und von diesen lernen könne – aber nur, wenn der Mensch auch an das Präparat und die Behandlung glaube.

Homöopathen missbrauchen diesen Umstand auf besonders perfide Weise und sprechen von einer “Erstverschlimmerung”, die in Folge der Einnahme eines Präparates eintreten könne, bis der Körper sich der Informationen des “Geistes” angenommen hat.

Genau genommen reagieren Homöopathen damit auf einen mitunter unausweichlichen Vorgang: Eine Krankheit kann sich ausbreiten. Dass danach Besserung eintritt, liegt in der Natur der Sache, sofern der Mensch nicht verstirbt. Das ist die zentrale Funktion unseres Immunsystems. Tritt die Besserung nicht ein, so haben Sie nicht ausreichend an die Wirksamkeit des Präparates geglaubt. Parallelen zur Gedankenwelt der Religion sind leider kein Zufall.

Kein medizinisch wirksames Präparat dieser Welt führt (mit ganz wenigen Ausnahmen, allergischen Schocks sowie seltenen Sonderfällen) zu einer Verschlechterung des Patientenwohls – und noch viel weniger käme ein Arzt auf die Idee, mit einem solchen Umstand zu werben.

Folgendes Gedankenspiel:

Sie sind richtig betrunken, 2,8 Promille, der Brechreizt setzt ein und die Welt um Sie herum dreht sich. Wenn Sie nun möglichst schnell wieder nüchtern werden wollen, holen Sie den Vodka aus dem Schrank? Eben.

Zu dieser Erkenntnis gelangte auch Hahnemann nach zahlreichen Experimenten. Gib einem Menschen Gift, obwohl er bereits vergiftet ist, und er wird nicht gesund, sondern stirbt vermutlich. Verschlimmere die Symptome eines kranken Menschen und er stirbt vermutlich ebenfalls. Gesunder Menschenverstand.

Anstatt aber seinen Fehler einzusehen, begann Hahnemann sich an seiner Idee festzubeißen. Der Geist, so nun seine Überzeugung, müsse aus der Substanz gelöst und in ein Trägermedium überführt werden. Hierzu begann Hahnemann das „Potenzieren“, bis heute ein heiliger Gral der Homöopathen.

Potenzieren bedeutet im homöopathischen Sprachgebrauch „verstärken“. Erreicht werden solle dies, indem die „Ursubstanz“ verdünnt wird. Sie lesen richtig. Verdünnt. Hierzu entwickelte Hahnemann ein Verfahren, dass sich „Verschütteln“ nennt.

Man nehme einen Teil der Ursubstanz, neun Teile Lösungsmittel, vermische diese und schüttle, nach einem fest vorgegebenen Ritus, zehn Mal. Dann, so Hahnemann, übertrage sich die Information des Geistes auf das Lösungsmittel und verstärke diese Information. Der Stoff liegt nun in einer D2 (Dezimal) Potenz vor. Je öfter man diesen Vorgang nun wiederhole, umso mehr verstärke sich der Geist und somit auch die Wirksamkeit des Präparates.

Wer an dieser Stelle den Eindruck hat, dass das allen Naturgesetzen widerspreche, der hat damit vollkommen Recht.

Gängige Potenzen in Deutschland liegen zwischen D8 (1:100.000.000) und C20 (1:10.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000.000).

Um das kurz in Worte zu kleiden, einen Liter Ursubstanz auf die mehrfache Menge Wasser der uns bekannten Galaxie. Hier gelangt die Homöopathie in Bereiche, bei denen es mathematisch quasi ausgeschlossen ist, dass auch nur ein einziges Atom der Ursubstanz noch im Präparat gefunden werden kann.

Aber: Diese Präparate wirken angeblich besonders stark. Auch ohne Studium oder Leistungskurs Chemie sollte jedem klar sein, dass 100%ige Reinheit nicht möglich ist. Kein Stoff ist zu 100% rein, jeder Stoff hat eine minimale Verunreinigung. Weshalb genau die Wirkung der Ursubstanz „verstärkt“ wird und nicht die der Grundverunreinigung, kann bis heute kein Homöopath erklären. Es sei denn, man glaubt an Geister. An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Anteil an Grundverunreinigung bei zahlreichen Potenzen um Faktoren höher liegt, für die die Menschheit keine Worte kennt.

„Ungemein wahrscheinlich wird es hiedurch, daß die Materie mittels solcher Dynamisationen sich zuletzt gänzlich in ihr individuelles geistartiges Wesen auflöse und daher in ihrem rohen Zustand, eigentlich nur als aus diesem unentwickelten geistartigen Wesen bestehend betrachtet werden könne.“ – S. Hahnemann, Organon (VI, S. 249ff.), alte Rechtschreibung wie im Original.

Gedankenspiel:

Der FC Schalke 04 ist wieder nicht Deutscher Meister geworden und Sie möchten sich richtig die Kante geben. Kippen Sie Ihren Vodka vorher in 100 Liter Wasser? Eben.

Und wieso soll ich jetzt gerade aufhören zu masturbieren?

Hahnemann erprobte seine Präparate. Er hatte nicht den gewünschten Erfolg. Über die Jahre entwickelte er daher eine Reihe an Anweisungen, die zwingend zu befolgen seien, da das Präparat sonst in seiner Wirkung gestört werde. Dazu gehört, laut Hahnemann und dem bis heute verbindlich gelehrten Hauptwerk über Homöopathie, auch die Masturbation.

„All diese Dinge müssen möglichst vermieden oder entfernt werden, wenn die Heilung nicht gehindert oder gar unmöglich gemacht werden soll.“ – S. Hahnemann, Organon, §260.

Anders ausgedrückt: Werden diese Anweisungen nicht befolgt, so wirkt die Homöopathie laut Hahnemann nicht. Im Organon finden Sie diese unter §260. Hier ein paar Auszüge:

  • Entnervung durch Lesen schlüpfriger Schriften, Onanism oder, sei es aus Aberglauben, sei es um Kinder-Erzeugung in der Ehe zu verhüten, unvollkommener, oder ganz unterdrückter Beischlaf
  • Sitzende Lebensart
  • Bloß negative Bewegung (durch Reiten, Fahren und Schaukeln).

Aber Naturheilkunde…?

…hat nichts mit Homöopathie zu tun. Naturheilkunde setzt auf allopathische Effekte. Kamille wirkt entzündungshemmend, Cineol wirkt bakterizid, die Beispiele sind endlos. Genau diese Verwechselung nutzen Homöopathen, mitunter unwissend, sowie Lobbyverbände wie die DHU (jedoch wissentlich), um ihre Märchen- und Hexereiprodukte zu verkaufen.

Kein homöopathisches Präparat, bei dem keine allopathische Wirkung vorliegt (idr. bis D4), das weltweit auf dem Markt ist, konnte seine Wirksamkeit im Rahmen von klinischen Studien belegen. Kein einziges Präparat. Seit 220 Jahren. In Deutschland regelt §5 HWG, dass homöopathische Präparate nicht mit der Angabe von Anwendungsgebieten beworben werden dürfen.

Behalten Sie das bitte im Kopf, nicht ein einziges homöopathisches Präparat wurde jemals im Rahmen von Studien als wirksam jenseits des Placeboeffekts bestätigt. Nicht ein einziges Präparat.

Zeitgleich gibt es kein einziges Arzneimittel, das in Deutschland auf dem Markt ist, dessen Wirksamkeit nicht in zahlreichen Studien belegt wurde. Nicht ein einziges Präparat.

Aber meine Tiere!

Placebo by Proxy. Sprengt hier den Rahmen. Bei Interesse, bitte nachlesen. Seien Sie versichert, auch hier wirkt Homöopathie nicht. Nachweislich.

Ich lese von Forschung!

In der bereits 1992 veröffentlichten Marburger Erklärung heißt es:

“Der Fachbereich Humanmedizin der Philipps-Universität Marburg verwirft die Homöopathie als eine Irrlehre.”

Bereits vor 27 Jahren war damit eigentlich alles gesagt. Homöopathen halten sich bis heute bei der Behandlung von Patienten und Zubereitung von Wirkstoffen in nahezu religiösem Eifer an ein 200 Jahre altes Buch.

Auch hier müssen Sie sich eine Frage stellen:

Niemand fährt gerne ein 20 Jahre altes Auto, das nie gewartet wurde. Weshalb vertrauen Sie Ihre Gesundheit einer über 200 Jahre alten Heilslehre an?

Ich erinnere an mein Versprechen, daran glauben Homöopathen wirklich. Das und nur das ist die Homöopathie.

 

Der Artikel wurde bereits am 18. Jan. 2019 veröffentlicht

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[…] „Wenn es doch hilft, ist es doch egal, wie man es nennt“, mag nun der ein oder andere einwenden. Ich übe fundamentalen Widerspruch. Es ist nicht egal. Es ist gefährlich. Wenn Sie wissen wollen wieso, lesen Sie weiter. Falls Sie bisher an Homöopathie glauben, lesen Sie zunächst den Exkurs: Was ist Homöopathie und wieso hat es nichts (wirklich gar nichts) mit Naturheilkunde zu tun und war… […]

MelaE
MelaE
5 Jahre zuvor

"Gängige Potenzen in Deutschland liegen zwischen D8 (1:10.000.000)…"

Hallo.
Zunächst: danke für den schönen Artikel.

Aber:
Müsste das nicht 10^8 also 100.000.000 sein?

Sebastian Bartoschek
Admin
5 Jahre zuvor

Ist geändert 🙂 danke für den Hinweis!

Ich
Ich
5 Jahre zuvor

Schöner Beitrag, gut geschrieben, vielen Dank 🙂

Je höher die Potenz, desto stärker die Wirkung.
Zuckerlösung: D0-D1-D2-D3 Potenzreihe -> weniger süß.
Alkohol: D0-D1-D2-D3 Potenzreihe -> weniger berauschend.
Der Beweis ist also einfach erbracht, aber Homöopathen bringt er in Wallung, weil das ja etwas ganz anderes sei…
Ich verstehe es einfach nicht.

Nina
Nina
5 Jahre zuvor

Nutzloses Zeug wie Globuli und anthroposophischen Hokus-Pokus bezahlt meine Kasse, wenn ich Rezepte einreiche. Grüne Rezepte hingegen (da bekommt man apothekenpflichtige, in ihrer Wirksamkeit nachgewiesene Medikamente) übernimmt meine Kasse nicht!
Was für ein ungerechter Zinnober. Erklär mir mal einer die Logik!

Harry
Harry
5 Jahre zuvor

@Nina: Die Logik dahinter ist ganz einfach wirtschaftlicher Natur. Obwohl viele Krankenkassen die Homöopathie prinzipiell selbst als völligen Humbug einstufen, ist die Nachfrage nach Homöopathika mittlerweile so groß, dass eine Krankenkasse, die diesen Unsinn nicht bezahlt, Gefahr läuft, zahlreiche Kunden zu verlieren. Im Endeffekt ist es für die Kassen wirtschaftlich sinnvoller, homöopathische "Behandlungen" zu bezahlen, dafür aber die Beiträge der homöopathiebegeisterten Mitglieder zu bekommen, als anders herum die Bezahlung von Homöopathie abzulehnen, dafür aber mit deutlich weniger Kunden und also weniger regelmäßigen Beiträgen zurecht kommen zu müssen. Es ist im Grunde ziemlich absurd. Hier wäre der Gesetzgeber gefragt, aber nachdem die Homöopathie ja ohnehin einen Sonderstatus im Arzneimittelgesetz genießt, ist wohl kaum zu erwarten, dass die Erstattung von Homöopathie durch die Krankenkassen generell untersagt wird…

Nina
Nina
5 Jahre zuvor

@Harry: Danke für die Erläuterung! Das regt mich ja so auf. Auf der Homepage meiner Krankenkasse steht das hier: "Die Krankenkasse zahlt ebenfalls keine Medikamente, deren therapeutischer Nutzen nicht abschließend nachgewiesen ist oder die als unwirtschaftlich gelten."
Der therapeutische Nutzen bei Kügelchen & Co ist gleich Null. Die Kasse widerspricht sich doch selbst, wenn es weiter unten auf der gleichen Homepage heisst, die Kasse erstatte Kosten für Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie. Ich bekomme gerade richtiggehend Lust, mir demnächst Privatrezepte für allen möglichen nutzlosen Unsinn ausstellen zu lassen und die Quittungen meiner Kasse zuzuschicken.

Peter Ofenbäck
Peter Ofenbäck
5 Jahre zuvor

Kleine Korrektur: Die Homöopathen glauben, dass Homöopathie auch funktioniert, wenn der Patient nicht daran glaubt.
Kleine Ergänzung: Die Arzneimittelprüfung am Gesunden wird heute nicht mehr mit der unpotenzierten Ursubstanz, wie seinerzeit bei Hahnemann mit der Chinarinde, sondern mit homöopathischen Verdünnungen durchgeführt. Was sie nicht eben plausibler macht.
Kleine Anmerkung: Es gibt durchaus Medikamente, die das Patientenwohl beeinträchtigen. Stichwort Chemotherapie. Das ist der Preis, den man für eine verlängerte Lebenserwartung und die Chance auf völlige Heilung zahlt.

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