
Ich konnte mit Patriotismus nie besonders viel anfangen. Und das war okay. Ich mochte Deutschland, lebte gern hier, war dankbar für Freiheit, Stabilität, Bildung, Wohlstand. Ich musste keine Fahne schwenken, um mich wohlzufühlen. Patriotismus war mir nie wichtig, und trotzdem war ich gerne Deutscher. Doch dieses Gefühl schwindet.
Politische Gegenwart kein Grund zum Stolz
Nicht wegen der Vergangenheit, sondern wegen der Gegenwart. Ich ertappe mich dabei, mein Herkunftsland im Ausland nicht mehr gern zu nennen. Nicht aus Scham für historische Schuld – das Thema NS-Zeit war in all meinen Auslandsbegegnungen nur einmal überhaupt präsent, und das in einem sachlichen, versöhnlichen Gespräch in Polen.
Was mich heute beschäftigt, ist die politische Gegenwart, vor allem unser Umgang mit Israel. Deutschland rühmt sich seiner Verantwortung gegenüber dem jüdischen Staat, doch unsere Außenpolitik spricht längst eine andere Sprache.
Niemand mag Oberlehrer
So wurde mit Steffen Seibert ein ehemaliger Regierungssprecher und ZDF-Journalist als Botschafter nach Tel Aviv entsandt, obwohl Jerusalem seit 1980 offizielle Hauptstadt Israels ist. Deutschland erkennt diesen Status bis heute nicht an. Seibert tritt öffentlich als mahnende Stimme gegenüber der israelischen Regierung auf, zuletzt etwa mit kritischen Äußerungen zur Anti-Terror-Politik Netanjahus. Das wirkt wie diplomatischer Oberlehrer-Modus. Gerade in einem Land, das sich im Krieg befindet.
Auch Bundeskanzler Friedrich Merz macht hier keinen sonderlich glücklichen Eindruck. So kritisierte er Israel im Zuge der Militärschläge gegen die Hamas in Gaza scharf. Man hätte sich derart klare Worte zu den Geiseln, besonders zu den deutschen gewünscht, die seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023, bei dem nicht nur Hamas-Terroristen über 1200 Menschen ermordeten, noch immer unterirdisch und unter grausamen Bedingungen gefangen gehalten werden. Deren Freilassung ist in der deutschen Öffentlichkeit kaum ein Thema. Im Gegensatz zu Ländern wie Frankreich oder den USA gibt es keine spürbare politische oder gesellschaftliche Kampagne zur Rückholung der Entführten.
Demonstrationsfreiheit nur für die erklärten Feinde der Freiheit?
Gleichzeitig duldet unser Land regelmäßig antisemitische Demonstrationen auf offener Straße, etwa in Berlin-Neukölln, bei denen Israel das Existenzrecht abgesprochen und sogar Terror verherrlicht wird. Und all das firmiert unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit, während dieselbe Freiheit bei anderen politischen Themen schnell Einschränkungen erfährt.
Wir sagen „Nie wieder“, aber wir handeln oft wie „Nur wenn es bequem ist“. Unsere Verantwortung ist zur leeren Geste geworden. Was zählt, ist die außenpolitische Balance, auch wenn sie auf Kosten von Klarheit und Moral geht.
Auch innenpolitisch liegt vieles im Argen
Was mein Unbehagen weiter verstärkt: Deutschland steckt immer mehr Mittel in Umverteilung, aber immer weniger in seine Zukunft. Der Bundeshaushalt weist Sozialausgaben in Höhe von rund 171 Milliarden Euro aus. Das sind mehr als 40 Prozent des gesamten Haushalts. Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur sind im Vergleich deutlich niedriger.
Diese gigantische Umverteilung trifft vor allem die arbeitende Mitte. Die direkte Abgabenquote liegt längst bei fast 50 Prozent des Einkommens, Tendenz steigend. Gleichzeitig profitieren auch Menschen von staatlichen Leistungen, die nie in das System eingezahlt haben, etwa durch bedingungslose Grundsicherung oder Integrationsleistungen.
Solidarität wird verordnet, Kritik moralisch delegitimiert
Kritik daran wird schnell moralisch abgewehrt. Doch viele Probleme, von wachsenden sozialen Spannungen bis zum wirtschaftlichen Abschwung, hängen mit dieser Reformverweigerung aller Regierungen zusammen. Es wird nicht mehr gestaltet, sondern stabilisiert. Politik wird zur Stimmenverwaltung, besonders in Richtung derer, die staatliche Leistungen beziehen. Der Anreiz, etwas zu verändern, sinkt.
Es braucht einen neuen Gesellschaftsvertrag. Einen, der klar unterscheidet zwischen denen, die Hilfe benötigen – weil sie krank, alt oder behindert sind – und jenen, die dem System dauerhaft nichts zurückgeben wollen. Solidarität braucht Gegenleistung, sonst zerfällt sie. Leistung muss wieder Wert haben. Und das ist keine Härte, das ist gesunder Menschenverstand.
Zehn Jahre noch, vielleicht weniger
Wenn ein Land sich weigert, diese Zusammenhänge zu benennen und daraus Konsequenzen zu ziehen, dann ist sein Scheitern nur noch eine Frage der Zeit. Zehn Jahre, vielleicht weniger. Das klingt drastisch, aber genau darauf steuern wir zu. Dessen bin ich mir sicher.
Wie soll man sich in einem Land wohlfühlen, das die falschen Prioritäten setzt, auf beiden Ebenen, innen- wie außenpolitisch? Ich wünsche mir ein Deutschland, das wieder mutig handelt, statt moralisch daher zu reden. Das sich klar positioniert, statt in Rücksicht zu ersticken. Und das endlich wieder bereit ist, Verantwortung nicht nur zu fordern, sondern auch zu tragen.

Zitat:
„Gleichzeitig profitieren auch Menschen von staatlichen Leistungen, die nie in das System eingezahlt haben, etwa durch bedingungslose Grundsicherung oder Integrationsleistungen.“
Ja. Und das ist gut und richtig so. Auch Menschen, die bisher – warum auch immer – nichts „eingezahlt“ haben (in den allermeisten Fällen einfach, weil sie es nicht konnten) sollen das Minimum für ein menschenwürdiges Leben bekommen. Das ist jetzt ganz bewusst moralisch dahergeredet, Moral ist nämlich eine gute Sache.
Später verschieben Sie die Aussage dann nur auf die, die „dauerhaft nichts zurückgeben wollen“. Das steht dann einfach logisch unausgeglichen hinter der vorigen Aussage, bei der nicht das „später Zurückgeben“, sondern das „vorher Einzahlen“ der entscheidende Punkt war. Können Sie sich vielleicht entscheiden? Und können Sie erklären, wie Sie das „Zurückgeben wollen“ feststellen wollen? Polygraphen für die Job-Center anschaffen oder die Mitarbeiter in vulkanischer Gedankenverschmelzung ausbilden?
Und ja, eine Position, die dieses Recht auf ein menschenwürdiges Leben verneint, halte ich für moralisch verwerflich. Ich schreibe das als Service extra dazu, damit sie sich weiter in Selbstmitleid darüber suhlen können, dass „Kritik daran […] schnell moralisch abgewehrt [wird]“. In gesellschaftlichen Debatten wird halt auch moralisch argumentiert und nicht ausschließlich mit Nützlichkeitserwägungen. Deal with it.
Zumal, und das ist irgendwie auch ziemlich ironisch, Sie mit moralischen Wertungen ja auch nicht sparsam sind. Nur gehen die Anforderungen dieser Moral irgendwo immer nach unten. An den Teil der Gesellschaft, zu dem in den letzten Jahrzehnten tatsächlich immer mehr Reichtum „umverteilt“ wurde (und nicht nur ein menschenwürdiges Minimum gesichert wurde), gibt es komischerweise keine moralischen Forderungen.
Ansonsten – ihre Phrasendreschmaschine funktioniert gut:
Mutig handeln! Klar positionieren! Verantwortung tragen!
Meine Güte. Warum nicht auch:
Das Richtige tun! Das Falsche nicht tun!
Alle gut nachdenken! Keiner dumm sein!
PS: Aber das Bild passt schön zum Artikel. Ein künstlich hergestelltes Bild einer kopfsteingepflasterten Altstadtstraße mit einer sinnlos herabhängenden Deutschlandflagge, im Zentrum ein ganz doll besorgt-traurig guckender mittelalter weißer Mann … perfekte Bebilderung dieses Textes.
Ich sehe schon, wir werden beste Freunde 😉
Dein Kommentar zeigt mMn sehr schön, wie tief man im eigenen Mindset stecken kann. Aus Deiner Sicht bin ich ein gefühlsloser (mittel)alter weißer Mann. Klar, weil Deine Moral Dir den Weg vorgibt. Was links oder rechts davon liegt – böse.
Nur: Moral ist, genau wie der Zeitgeist, vergänglich und wandlungsfähig. Und: Moral ist keine Wissenschaft, keine physikalische Konstante, nix. Moral ist biegsam. Und dass Du ganz bewusst nicht auf die ins Auge stechenden Fragen zu Deinen Positionen eingehst, funktioniert auch nur, weil die Moral das sowieso gar nicht zulässt. Nennen wir die Moral also einfach beim Namen: Ideologie.
Solidarität ist etwas, das man nicht verordnen kann, weil es dann nämlich keine Solidarität ist. Solidarität ist immer freiwillig und passiert entweder aus Sympathie oder Kalkül. Aber nie aufgrund von Zwang. Deshalb ist das, was wir in D als Solidarsystem o.ä. bezeichnen, nichts solidarisches. Es ist Raub. Man nimmt dem einen und gibt dem anderen. Das klappt so lange, wie es nicht zu viele „andere“ gibt. Das System war aber bereits in den Neunzigern am Ende angelangt. Es funktioniert einfach nicht mehr.
Wenn ein stinknormaler Arbeitnehmer Steuern und Abgaben iHv 50% an den Staat abdrücken muss, nur damit andere ein „menschenwürdiges Leben“ führen können, dann ist das höchst unmoralisch. Vor allem, was ist ein menschenwürdiges Leben? Sind es die Basics, oder kommen da noch diverse Zugaben drauf? Was, wenn der Arbeitnehmer für seinen Fulltime-Job mit allen Steuern, Abgaben und anderen Kosten weniger übrig behält als der Leistungsbezieher, der letztlich für kaum etwas selbst aufkommen muss? Das ist eine sehr realistische Frage, weil wir längst an diesem Punkt angekommen sind. Wenn dieser Arbeitnehmer deshalb die Brocken hinwirft und selbst Leistungen beantragt, wer bezahlt die?
Die Mittel sind nicht unendlich, vor allem nicht in einem ineffektiven Staat mit riesiger Bürokratie und Staatsquote sowie einer Industrie im Abwärtstrend. Und hier kommen wir eben zu dem Punkt, an dem die Moral sich nicht nur als Ideologie entlarvt, sondern sogar als bequeme Ausrede, bloß nichts zu verändern.
Und weil Du meine Weisheiten ja so liebst, habe ich zum Abschluss noch eine: Die Moral kann die Realtität ignorieren, aber niemals die Folgen dieses Ignorierens.Und die Realität ist, dass das System längst überdehnt ist und die Relationen überhaupt nicht mehr passen.
Schönes Wochenende!
Seit heute steht fest, mit etlichen anderen Juden, werde ich Deutschland verlassen.
Deutschland hat nichts gelernt und wird es auch nicht.
Ich habe eine kleine „Aliyagruppe“ (Einwanderung nach Israel) und wir fühlen uns verraten und verkauft von Politik, dem Mob zum Fraß vorgeworfen, und ganz schlimm von den ÖR. Was früher der Goebbelsche Volksempfänger war, sind heute die ÖR.
„…Zehn Jahre noch, vielleicht weniger..“ trifft wohl auf die jüdische Gemeinde in Mannheim zu, die wird dann nicht mehr existieren.Deutschland, seine Medien und Politiker werden sich weiter suhlen in „nie wieder 2014“, „nie wieder ist jetzt seit 2024″… dann in „nie wieder ist jetzt II“.
Ja natürlich stecke ich im eigenen Mindset. Wo soll ich denn sonst stecken? Was glauben Sie denn, wo Sie selbst stecken – freischwebend in einer überindividuellen Menschheitsvernunft?
Das ist also völlig banal, und als Vorwurf schlicht albern.
Worauf es ankommt, ist, ob man die Argumente anderer noch wahrnehmen kann. Und denen sollte man sich deswegen einfach widmen.
Auch wieder alles völlig banal: Irgendwie richtig, aber selbstverständlich; und trotzdem geht es in jeder politischen Diskussion notwendig darum, wie wir Menschen als Gemeinschaft handeln sollten und auf welche Werte wir uns dabei beziehen, also um – wenn auch nicht die individuelle, sondern gesellschaftliche – Moral. (Den philosophischen Unterschied zwischen Moral und Ethik lasse ich mal außen vor.)
Den moralischen Aspekt außen vor lassen kann man nur in zwei Situationen: Entweder, wenn sich alle sowieso völlig einig über die zugrundeliegenden Werte und die angestrebten Ziele sind und man nur noch technisch über die besten anzuwendenden Mittel diskutiert. Das ist bei Diskussionen über den Sozialstaat in unserer Gesellschaft aber offensichtlich nicht der Fall.
Oder aber, wenn man eben diese Situation vortäuschen möchte, und die zugrundegelegten Werte und die angestrebten Ziele verschleiern möchte.
Sorry, aber ich bin ein bisschen dumm. Mir stechen die Fragen nicht allein ins Auge, sondern Sie müssen sie für mich schon formulieren. Also: Welche Fragen meinen Sie?
Ja, alles Ideologie außer Mutti, äh außer Ihrer Position. Schon klar. Hat noch jeder behauptet, bei dem die Ideologie aus den Texten nur so heraustrieft.
Als individuelle Haltung kann man Solidarität nicht vorschreiben. Wieder ein völlig banaler Kalenderspruch. Sehr wohl aber kann sich eine Gesellschaft demokratisch und völlig legitim dafür entscheiden, ein solidarisches System einzurichten, bei dem die Hilfe für die, die sie brauchen, von allen gemeinsam institutionell getragen wird. Unser schönes Land hat das mit der Entscheidung für Menschenwürde und Sozialstaat im GG getan, und das ist einer der Gründe, warum ich unser Land ganz gerne mag.
Sie benutzen den banalen Kalenderspruch über Solidarität als individuelle Einstellung dafür, die demokratische Systementscheidung zu diskreditieren. Das ist argumentativ ein Kategorienfehler und inhaltlich eine Verschleierung dessen, dass sie Solidarität als Grundlage für gesellschaftliche Entscheidungen ablehnen.
Das ist typisch neoliberaler Bullshit. Unser Steuer- und Sozialsystem ist die gemeinsame Finanzierung von gemeinsam beschlossenen gemeinsamen Aufgaben. Das ist natürlich das genaue Gegenteil von Raub.
Mit der Logik – wenn man sie vom finanziellen aus verallgemeinert – wäre jede politische Entscheidung, an die sich die Einzelnen dann halten müssen, eine illegitime Einschränkung der Freiheit. Damit könnte man alleine im Urwald leben, aber nicht in einer Gesellschaft.
Komisch. Wenn das System „bereits in den Neunzigern am Ende angelangt“ wäre und „einfach nicht mehr“ funktionieren würde, dürfte ja kein Sozialsystem mehr da sein. Ist aber doch da. Leute bekommen medizinische Behandlungen, Rentner bekommen Rente, Arbeitslose bekommen Hilfe, usw.
Das soll nicht heißen, dass alles gut funktionieren würde und es kein Verbesserungspotenzial gäbe (bei weitem nicht), aber was Sie sagen, ist offensichtlich heillos dramatisierendes Geschwätz, um das Sozialsystem als solches zu diskreditieren.
Erstens sind die 50% ja schon mal übertrieben. Darauf kommen Sie nur, wenn Sie a) den Arbeitgeberanteil der Sozialabgaben mitrechnen, d.h. zum Brutto dazurechnen, b) von einem Alleinstehenden ausgehen und c) ein Einkommen deutlich jenseits des Medianeinkommens haben. (Ich habe das mit einem Brutto-Netto-Rechner mal ein bisschen durchgespielt.) Das relativiert den „stinknormalen Arbeitnehmer“ schon mal deutlich, würde ich sagen.
Zweitens ist es eine klare, neoliberale Lüge, dass die 50% „nur“ (!) dazu dienen würden, dass „andere“ etwas davon hätten. Gerade der „stinknormale Arbeitnehmer“ bekommt dafür Gesundheitsversorgung, ein Anrecht auf Arbeitslosengeld und Rente im Bedarfsfall, sowie alle Leistungen, die der Staat für die Einwohner:innen halt bereithält, von Verkehrsmöglichkeiten über Bildung und Kultur bis hin zur inneren und äußeren Sicherheit. Wer das nicht möchte, kann gerne im Urwald leben, da muss er dann auch keine Steuern zahlen auf das, was er jagt und sammelt.
Drittens argumentieren Sie jetzt auf einmal selbst moralisch. Geht doch. Und dadurch kann man jetzt auf einmal sehen, wo ihre moralischen Bezugspunkte liegen: „Menschenwürdiges Leben“ für andere wiegt moralisch weniger schwer als 50% des eigenen Einkommens (was ja, wie gesagt, noch nicht mal stimmt). Dürfen Sie natürlich als Ihr moralisches Koordinatensystem so haben, ist aber nicht meins, sag ich mal zurückhaltend.
Das ist jetzt mal endlich eine sinnvolle Frage. Verfassungsgericht sagt: Möglichkeit der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das heißt: Es darf nicht so wenig sein, dass die Betroffenen vom Rest der Gesellschaft sozial abgeschnitten sind. Das ist m.E. ein vernünftiger Maßstab: Klar, es muss nicht jeder dasselbe haben, aber zu Ghettosituationen darf es auch nicht führen.
Wenn man sich anschaut, wie sich die jetzigen Beträge z.B. beim Bürgergeld zusammensetzen, ist es m.E. jetzt keinesfalls mehr als das, was dieser Maßstab verlangen würde.
Für „Verkehr“ wäre nicht mal das Deutschlandticket zum normalen Preis drin; immerhin ist es für Bürgergeldempfänger vergünstigt, dann kann man sich vom Rest nach 1 bis 2 Jahren ein gebrauchtes Fahrrad kaufen. Ernährung sind 6,50€ am Tag; da muss man aber schon sehr preisbewusst kochen können. Der Betrag für „Bildung“ reicht immerhin für ungefähr ein Buch pro Jahr.
Meine Antwort auf diese Frage haben Sie jetzt. Wie ist Ihre? Soll man da sparen? Wenn ja, an welchem Punkt? Warum haben Sie nicht selbst gleich klar gesagt, was Sie dazu meinen, statt nur zu raunen, dass es so aber nicht weitergehe?
Das ist keine realistische Frage, sondern eine reine Fantasiesituation, auch wenn armenfeindliche Politiker:innen nicht müde werden, diesen Unsinn von einer Talkshow in die andere zu tragen.
Jede:r Arbeitnehmer:in, der/die in dieser Situation wäre, dass er Netto weniger Geld übrig hätte, als eine andere Person in der gleichen Familiensituation an Bürgergeld bekommen könnte, hat nämlich selbst Anspruch auf aufstockendes Bürgergeld. Das Arbeitseinkommen wird darauf zwar angerechnet, aber nicht zu 100%, sodass jede Person, die arbeitet, automatisch mehr Geld hat, als wenn sie nicht arbeiten würde (wenn sie nicht freiwillig aufs aufstockende Bürgergeld verzichtet, natürlich).
Sollte eigentlich zum Basiswissen in solchen Diskussionen gehören.
Allerdings finde ich die Situation auch insofern unbefriedigend, als der Anrechnungsbetrag so hoch ist, dass sich ein höheres Arbeitseinkommen manchmal doch nur sehr mäßig in höherem Gesamteinkommen niederschlägt. Das sollte so verändert werden, dass von höherem Arbeitseinkommen etwas mehr übrig bleibt, um Arbeitsanreize zu erhöhen.
Und das ist nun ein schlichtes Non Sequitur, also einer der simpelsten Argumentationsfehler, wo gibt. Jemand, der aus seiner moralischen Position heraus ein menschenwürdiges Leben für alle will, lehnt logischerweise an genau dieser einen Stelle Änderungen ab und an keiner anderen. Und das ist dann keine Ausrede, sondern eine bewusste Entscheidung.
Aber was sollte so jemand dagegen haben, den Staat effektiver zu machen, die Bürokratie im Detail auf den Prüfstand zu stellen oder die Industrie zu fördern? Nichts.
Aber was an dieser Stelle jetzt wirklich auffällt: Die einzige Möglichkeit, die Sie überhaupt in Betracht ziehen, um die Bilanz des Staates zu verbessern, ist, den Armen etwas wegzunehmen. Darauf läuft ihr ganzer Text ja hinaus, auch wenn Sie es an keiner Stelle offen sagen – sie lassen Ihre Aussagen immer nur darauf hinauslaufen, dass es scheinbar nicht anders gehen würde.
Damit lassen Sie in Ihrem ganzen langen Text die Reichen einfach außen vor, so als sei es ein Naturgesetz, dass man über die in diesem Zusammenhang nicht sprechen dürfe. Und das, obwohl in den letzten Jahrzehnten ja gerade zu deren Gunsten massiv umverteilt wurde: Senkung des Spitzensteuersatzes, Abschaffung der Vermögenssteuer, Erleichterung bei der Erbschaftssteuer (und zwar gerade bei den besonders Reichen, die ganze Unternehmen vererben) – um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Und SIe lassen diese inhaltliche Lücke, obwohl ich schon in meinem ersten Kommentar ausdrücklich darauf hingewiesen habe. (So viel dazu, dass ich nicht auf Fragen eingehen würde!)
Damit wird ihr ganzer langer Text zu einer einzigen ideologischen Nebelkerze, die so tut, als wären Kürzuungen bei den Armen die einzige Möglichkeit, und den Blick ans andere, obere Ende der Gesellschaft verschleiert.
Sehen Sie, das ist der Grund, warum ich kein Poesiealbum habe: Dann kann mir auch keiner solche vernebelnden Banalitäten, mit denen man implizit nur seine eigene Position als einzig „realistische“ Position verkaufen will, hineinschreiben.