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Jugend Kultur Zentren 2010 – Teil 6

In dieser Reihe wurden zunächst klassische Soziokulturelle Zentren vorgestellt. Mittlerweile geht es dem Autor weniger um die ehemaligen Hausbesetzer der 80er und Kulturbeamten von heute, sondern um lose Zusammenschlüsse von Menschen, die dabei eigenständige Formate entwickeln und Projekt orientiert auch einmal mit öffentlichen Institutionen zusammen arbeiten (so z.B.). Im Gespräch diesmal: Patrick Matzmohr und Oliver Grunau von u.a. Supercity und Elektronische Wiese.

 

Ruhrbarone ?: Ihr seid an zwei größeren Projekten aus Essen beteiligt, die sich mit elektronischer Musik beschäftigen. Wie kommt man zu so etwas?

Patrick Matzmohr: Die Idee zur Elektronischen Wiese gab es schon vor zehn Jahren, als ich auch schon DJ war und mich fragte, warum diese Musik keine Berücksichtigung findet beim Werdener Pfingst OpenAir. Und da kommt dann eins zum anderen, denn mir fiel auch auf, dass auf der „Made in Essen“-CD, die von der Sparkasse herausgebracht wird, ebenso nie etwas Elektronisches zu finden ist. Insofern war der Name „Supercity“ also eher ironisch gemeint. Der Name wurde das erste Mal sogar ganz einfach als Ortsangabe verwendet, auf einem Flyer für eine Veranstaltung mit Matthias Tanzmann im Baikonur. Einige Jahre später habe ich dann über Musikprojekte und Veranstaltungen den Oliver kennengelernt.

Oliver Grunau: Patrick hat damals mit Tim Krischak zusammen Musik produziert, der wiederum bei meiner Vinyl Lounge im Bahnhof Süd aufgelegt hat. Das war dann direkt eine sehr entspannte Zusammenarbeit, uns war aber recht bald klar dass wir noch mehr Leute aus diesem Bereich zusammen führen, Kräfte bündeln wollten. Und daraus wurde dann eben auch Supercity.

?: Wie organisiert man so eine Zusammenarbeit?

P.M.: Vor allem muss da erstmal etwas raus das man parat hat, veröffentlichen will. Das Supercity-Logo zum Beispiel war innerhalb einer Stunde fertig. Wie man das in Form gießt, das kommt erst später. Ich als Freiberufler schied aus, also hat Oliver für Supercity dann ein Kleinunternehmen gegründet. Und wir fragen einfach befreundete Läden, ob die unsere CD verkaufen wollen. Der Profit fließt dann in die nächste CD, vielleicht auch einmal in Shirts und Badges. Ähnlich bei der Elektronischen Wiese: Mittlerweile gibt es ein kleines Budget, von dem dann auch einmal ein Gast-DJ eingeladen wird, aber alles funktioniert vor allem durch freundschaftliche Kontakte und auch ohne Sponsoren oder klassische Medienpartner (Foto: Patrick Matzmohr).

O.G.: Supercity haben wir auch begonnen ohne einen Mehrjahresplan á la „ Da muss jetzt ein erfolgreiches Label dabei herauskommen“. Idee war eher: „Hier ist Essen, wir gucken uns um und machen dann einfach mal.“ Einen Stein ins Rollen bringen und gucken was passiert.

?: Man behält natürlich so auch die künstlerische Kontrolle. Dabei fällt dann aber schon auf, dass eine Vinyl-Lounge mit elektronischer Musik in einem Laden wie dem Bahnhof Süd natürlich erst einmal wie eine recht gewagte Kombination aussieht. Immerhin interessieren sich ja selbst Clubgänger außerhalb des Wochenendes nur bedingt für diese Musik, und die Klientel im Süd, zumindest bis zum Start der Reihe, doch wohl eher gar nicht.

O.G.: Ich musste da schon recht vorsichtig rangehen an die Sache damals. Der Inhaber meinte zwar: „Bring mal etwas frischen Wind hier rein, Olli. Mittwochs.“ Aber man musste schon signalisieren: „Kein Stress, keine Kasper.“ Eher Leute an den Plattenspielern, die den Lounge-Gedanken gut umgesetzt haben. Darauf haben die alteingesessenen Rockleute dann gut reagiert, vor allem aber wurde die Vinyl Lounge ein Anlaufpunkt für Musiker der Stadt. Wirtschaftlich brachte das konkret gar nicht viel, so dass die Reihe eines Sommers eingestellt werden sollte. Die Abschiedsparty war dann aber so ein Riesenerfolg, wir mussten einfach weitermachen und haben mit der Sandbar zusammen anschließend noch viele erfolgreiche Veranstaltungen gemacht. Es lief also doch. Und außerdem: Es interessieren sich wesentlich eher allgemein für Musik aufgeschlossene Leute für die Supercity-CD als der typische Partygänger.  Da geht über die Identifikation mit der Stadt natürlich dann auch so ein bisschen was zusätzlich bei den Leuten.

?: Inwiefern hat das alles denn dann einen (pop-)kulturellen Wert, gerade jenseits des kaum vorhandenen Profits?

P.M.: Das ist wie so ein Wecker, der gestellt ist und irgendwann losgeht. Die Uhrzeit kennen wir selbst nicht. Das funktioniert ja dann auch rückwirkend, dass Leute irgendwann bemerken: Ach, der DJ hat da ein Stück drauf? Und der produziert ja auch mit dem zusammen? Und wir denken uns ja auch Slogans aus wie „same city, different electronic music“ oder „du bist wir sind du“, damit die Leute Hinweise bekommen, dass in dieser Stadt auch anderes passiert als das Übliche.

?: Bei Köln in Teilen und vor allem in Berlin hat man ja immer ganz subjektiv das Gefühl, dass da selbst der Großneffe von Willy Millowitsch so ein bisschen auch von dem Gefühl getragen wird: Hey, hier ist eine Stadt mit einer weltweit beachteten Popkulturszene. Und das ist hier ja erst bedingt so. Da hat dann Katernberg mal einen großen Tag wenn Freakatronic im Shanghai spielt, oder Altenessen wenn Kreator Topact in Werden ist…

O.G.: Umso schöner, wenn das dann unkompliziert und ohne größeren Einfluss von außerhalb funktioniert. Und die Möglichkeiten, Essen als wichtige Stadt für elektronische Musik zu etablieren, die waren ja immer mal da, von Europas größter Disco, dem Pink Palace, über ganz andere Läden wie das Baikonur oder das Fink, wo eben immer auch Leute von hier Feder führend waren und sich präsentieren konnten. Und an Musikalischem gab es halt früher The Fair Sex oder The Eternal Afflict, und seitdem gab und gibt es immer wieder Leute von hier, die aber eben nicht allzu übermäßig wahrgenommen werden.

P.M.: Ich hatte mal mit Thomas Geier (früher Rote Liebe, jetzt u.a. bei der Band Festland) so eine Diskussion, bei der er diese gewisse Langeweile hier als eher attraktiv bezeichnet hat. Dass eben nicht alle rumlaufen als wäre eine Kamera hinter ihnen her. Und das ist ja wohl gut nachvollziehbar. Man hält sich hier auf, man kann da drin leben, so meint er das wohl. Ich hätte es gerne schon etwas aufregender, mit ein klein wenig mehr Glamour und so, aber das ist ja auch Geschmackssache. Und andererseits müssen sich die Leute auch erst einmal für die Themen und Leute hier interessieren, auch die Medien und Veranstalter.

?: Wobei es ja auch angenehm ist, wenn man eben nicht pausenlos Radio-, Video- oder TV-kompatible Popformate basteln zu meinen muss, nur weil irgendwelche Sender in der Nachbarschaft das direkt oder indirekt einfordern. Ihr hingegen habt jetzt eine neue CD mit interessanter, eigenständiger Musik aus Essen draußen und macht auch noch eine Party dazu…

O.G.: Ja, kommenden Mittwoch, 10. Juni im Essener Goethebunker. Da legen dann auch die Künstler von der CD fast alle auf oder machen einen LiveAct. Alles zugunsten der nächsten Veröffentlichung natürlich.

?: Besten Dank und viel Erfolg weiterhin!

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[…] dieser Reihe wurden und werden (zuletzt hier) unterschiedliche Ansätze und Historien von Soziokultur, (Sub-)Kulturermächtigung und […]

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