Kulturhauptstadt Ruhr2010: „Für viele Städte und Regionen ist das Ruhrgebiet ein Vorbild.“

Stillleben auf der A40 – Manchmal war es auch laut Foto: Laurin

Vor zehn Jahren war das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas. Unter dem Motto „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel“ wollte sich die Region neu erfinden. Hat das geklappt?

Als Jürgen Fischer 2002 gemeinsam mit dem verstorbenen ehemaligen Direktor des Folkwang Museums Georg W. Költzsch im Haus des heutigen Regionalverbandes Ruhr ein Büro bezog die Bewerbung des Reviers vorbereitete konnte sich kaum jemand vorstellen, dass das Ruhrgebiet sich gegen im Wettbewerb um den Titel der Kulturhauptstadt Europas gegen Städte wie Köln, Münster, Lübeck, Görlitz oder Regensburg würde durchsetzen können. „Als wir es dann geschafft haben, ist es uns gelungen, ein Kulturhauptstadtjahr zu organisieren, dass die Menschen mitgenommen hat.“ In allen 52 Städten und Gemeinden des Ruhrgebiets wäre 2010 Kulturhauptstadtjahr gewesen. Und auch die Partnerstädte hätten mitgemacht. „Wir wollten eine sehr bürgernahe Kulturhauptstadt machen, und das ist uns auch gelungen. Viele Projekte wie die Schachtzeichen wurden von den Menschen vor Ort umgesetzt.“ Die gelben Ballons, mit denen im Sommer vor zehn Jahren die ehemaligen Zechenstandorte des Reviers weithin sichtbar markiert wurden, sind bis heute noch ab und an zu sehen. Im Januar stand einer von ihnen im Zentrum einer Feier in der ehemaligen Zechen Consol in Gelsenkirchen.

Auch die Volunteers, die Freiwilligen, die damals den Besuchern halfen, sich während der Kulturhauptstadt zurecht zu finden, treffen sich noch einmal jährlich. Und sonst? Sei damals vieles angestoßen worden, das bis heute wirkt, sagt Oliver Scheytt, damals neben Fritz Pleitgen einer der beiden Geschäftsführer der Ruhr2010 GmbH, der Organisatorin der Kulturhauptstadt: „Die Kunstmuseen und Theater des Ruhrgebiets arbeiten seitdem zusammen, bis heute gibt es die Urbanen Künste Ruhr als Nachfolgeprojekt, das Museum Folkwang und das RuhrMuseum, die beide 2010 neu eröffnet wurden, sind erfolgreich, das Image des Ruhrgebiets hat sich gewandelt, Touristen haben seitdem das Ruhrgebiet für sich entdeckt und viele, die damals im Team von RUHR.2010 mitgewirkt haben, haben Karriere gemacht.“ Aber vor allem, sagt Scheytt, habe die Kulturhauptstadt Bilder erzeugt, die geblieben wären: „Ob die Schachtzeichen oder das Still-Leben auf der A40, wer das gesehen und erlebt hat, kann diese identitätsstiftende Erfahrung immer wieder abrufen.

Nach der Kulturhauptstadt gründete Scheytt das Beratungsunternehmen „Kulturexperten“. Zu seinen Kunden gehören bis heute auch Städte, die sich darum bewerben, Kulturhauptstadt zu werden. „Für viele Städte und Regionen ist das Ruhrgebiet ein Vorbild.“

Einer der damals bei der Kulturhauptstadt mitgearbeitet hat, ist Jens Herre. Heute arbeitet der damalige Technische Leiter bei einem Veranstaltungsunternehmen in der Schweiz. Seine Zeit bei Ruhr2010 ist für ihn bis heute der Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn: „Die Hierarchien war sehr flach, wir haben alle eng zusammengearbeitet und stolz auf das, was wir in kurzer Zeit geschafft haben.“ Die Eröffnung zum Beispiel. Es war bitterkalt und das gesamte Zollvereingelände in Essen vom Schnee bedeckt. Aber die Lichtinstallationen zogen die tausenden Besucher in ihren Bann. Und wenn etwas nicht klappte, wurde schnell Improvisiert. „Oliver Scheytt hat einfach einen Bus requiriert, um die Prominenten der Eröffnungsfeier zu transportieren, weil der Fahrer des vorgesehenen Shuttles das BKA verstanden hatte und weggefahren war.“ Am Ende klappte alles, nur mit etwas Verzögerung. Es wurde improvisiert und man lernte, sich zu vertrauen.

Es seien Netzwerke entstanden, die bis heute tragen: „Viele von uns arbeiten heute über ganz Europa verstreut. Aber uns verbindet die gemeinsame Erfahrung. Wir kennen uns und oft reicht ein Telefonanruf, um ein gemeinsames Projekt anzustoßen.“

Ein Schock sei für alle die Loveparade gewesen. Sie war zwar keine Veranstaltung der Kulturhauptstadt, aber gleichwohl ein Teil ihres Programms. „Nach 21 Toten und hunderten Verletzten“, sagt Herre, „mochte niemand weiter feiern.“

Auch ein paar der Kreativquartiere, in denen Stadtentwicklung durch Kultur betrieben werden sollte, haben es in die Gegenwart geschafft: In der Nähe des U-Turms rund um die Rheinischen Straße in Dortmund, der Bochumer Weststadt und sogar in Gelsenkirchens Problemstadtteil Ückendorf haben Kneipen und Galerien für eine andere Atomsphäre als zuvor gesorgt. Leider sind es Ausnahmen, die meisten der ehemaligen Kreativquartiere sind in Vergessenheit geraten. Ein Schicksal, dass sie mit den kostspieligen Projekten des Künstlers Jochen Gerz. Die Kultur-WGs in Duisburg und Dortmund sind verwaist und auf dem über drei Millionen Euro teuren „Platz des Europäischen Versprechens“ in Bochum sorgen nur die lokale Trinkerszene und kreisende Schnapsflaschen für ein wenig Abwechslung.

Auch über die Kreativwirtschaft, eines der Aushängeschilder der Kulturhauptstadt, redet kaum jemand mehr. Der letzte „Kreativ-Report“ der Landesregierung stammt aus dem Jahr 2016, die Wirtschaftsförderung des Ruhrgebiets widmete sich dem Thema zuletzt Anfang des vergangenen Jahrzehnts. Die hat zumindest eine Nachfolgeanalyse in Auftrag gegeben.

Auch an das 2010Lab, das Online-Medium der Kulturhauptstadt, dass diese noch einige Jahre überlebte und eigentlich fortgeführt werden sollte, erinnert sich heute noch kaum jemand. Im Laufe der Jahre flossen Millionen in das leserschwache Portal, das Land beschloss 2012 das Aus und strich die Unterstützung von zuletzt 600.000 Euro im Jahr. Auf der noch immer online stehenden Homepage der Kulturhauptstadt findet sich indes immer noch ein Link zum Lab. Er führt allerdings auf eine asiatische Pornoseite.

ECCE, das European Centre for Creative Economy unter der Führung des einstigen Gründers des längst eingestellten Musiksender Viva Dieter Gornys, das für die Kreativwirtschaft und das Lab2010 verantwortlich waren, gibt es bis heute. Von den im ewigen Schatten des Dortmunder U-Turms gelegenen ECCE-Büros wird heute Künstlern bei der Beantragung von Fördermitteln geholfen.

Und im Gegensatz zu allen Verlautbarungen der Ruhr Tourismus GmbH, hat die Kulturhauptstadt auch nicht zu einem Reiseboom im Revier geführt. Sicher, die Zahl der Übernachtungen stieg seit 2010 auch im Ruhrgebiet und den Kulturhauptstadt-Hauptstädten Bochum, Essen und Dortmund an, aber das taten sie in allen Großstädten und das Ruhrgebiet konnte, mit Ausnahme Dortmunds, kein besonders hohes Wachstum erzielen.

Unter dem Strich überwiegt jedoch das Positive. Zu dem Ergebnis kommt auch eine Studie des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2013. Zwar kritisiert sie, dass durch Zusammenspiel vieler Städte und dem Land die Entscheidungswege kompliziert waren, nennt Ruhr2010 aber als eines der Beispiele für die Förderung neuer kultureller Ansätze, einer breite Beteiligung der Bevölkerung und bescheinigt ihr eine große Wirkung bei einem relativ kleinem Budget.

Oliver Scheytt ist daher auch dafür das nächste Großprojekt anzugehen: Die Bewerbung für die Olympischen Spiele im Jahr 2032. „Das Ruhrgebiet braucht mehr Investitionen in seine Infrastruktur. Die Olympischen Spiele könnte zu Investitionen in ein modernes, vernetztes Nahverkehrssystem führen.“

Der Text erschien in einer ähnlichenVersion bereits in der Welt am Sonntag

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Ex.Pottler
Ex.Pottler
3 Jahre zuvor

Man bildet sich im Ruhrgebiet gerne ein, man sei innovativer Trailblazer und 'Vorbild' für die 'Entwicklung' anderer Gegenden. Stefan Laurin hat schon gut erkannt, dass hinter diesem Bild vor allem Selbstbeweihräucherung einer gut verklüngelten Funktionärselite steckt, so ähnlich wie in der DDR.

Ist man einmal ehrlich, so lässt sich schwerlich konstatieren, dass das Flickwerk auf Brechen und Biegen wenig brauchbares geschaffen hat. Am Ende rannt und rennte man immernoch den neuesten Trends hinterher, wie jener kreativer Stadtteile, die nur eben nicht überall funktionieren und Sinn machen. Kunst und Kultur kann man nicht von oben herab verpflanzen oder anlegen.

Aber immer wieder schön zu sehen, wie sich Vertreter größerer Institutionen für ihre Leistungen selbst auf die Schulter klopfen. Von den Menschen, die in den Städten leben, hört man hingegen selten die eine oder andere Stimme 😉

Philipp
Philipp
3 Jahre zuvor

Man hat auch einfach mit den Erwartungen übertrieben.

Wenn man gesagt hätte: Leute, wir machen ein schönes Sommerfest, es entstehen 3,4 neue Museen, ein paar Restaurants, Ateliers u. Cafés mit Marmeladenverkauf und wir bauen dafür mehrere alte Zechengebäude um – dann wär doch alles paletti gewesen.

Aber das ganze in den Kontext Kreativ"wirtschaft" zu stellen – da weckt man natürlich Erwartungen, dass da neue Branchen entstehen, dass das ein wirtschaftliches Standbein werden kann oder man gar substantiell Arbeitsplätze aus dem alten montanindustriellen Komplex ersetzen könnte.

Ob das so realistisch war… na ja.

Über die Marmelade allerdings, kann man sich trotzdem freuen.

Philipp
Philipp
3 Jahre zuvor

Schön übrigens auch der Gorny-Seitenhieb mit der asiatischen Pornoseite… ich gebe zu, ich habe gelacht.

Was mir bei diesem Artikel auch noch mal klar wird, ist wie selten überregionale Ruhrgebietsberichterstattung geworden ist. Patrick Bahners, der Nachfolger von Andreas Rossmann, dem ehemaligen NRW-Kulturkorrespondenten der FAZ, schreibt anders als sein Vorgänger nicht mehr über das Ruhrgebiet, es sei den Sandra Hüller spielt Hamlet in Bochum.

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