Mud, Blood, Love – Eine Jungfrau als austauschbare Gesinnungsikone

 

Johanna (Lena Schwarz) schmeißt sich heroisch in die Schlacht. / Foto: Arno Declair

Schmeißt schon mal den Scheiterhaufen an, sie hört Stimmen – nicht ihre eigene, sondern die der Mutter Gottes. Die sagt ihr, dass sie auserwählt sei, Frankreich zu befreien. Mutig. Denn wir befinden uns im ausgehenden Mittelalter. Da redet man am besten nicht mit Gott, sondern mit der Kirche. An der vordersten Front des Schauspielhauses Bochum ficht Johanna von Orleáns derzeit eine blutige Schlammschlacht. Nach den Labdakiden und Peer Gynt inszeniert Roger Vontobel nun Friedrich Schillers „Die Jungfrau von Orleáns“ und verwandelt die Bochumer Kammerspiele dabei in ein Darkstage-Dickicht, in dem geistliche und weltliche Herrscher die verworrenen Fäden ziehen. In seiner zweistündigen Inszenierung zeigt er, wie viel Schillers poetische Bearbeitung des Jungfrauen-Mythos noch immer über zeitgenössische Interessensklüngelei verrät.


Fieser Filz wohin man blickt. Freimütig wirft sich Johanna ihrem König zu Füßen. Da fällt es nicht schwer, die ambitionierte Jungfrau mit den hehren Zielen zu instrumentalisieren. Johanna (Lena Schwarz) gibt sich kratzbürstig und kampfeslustig. Hat sie auch die Rockmusik auf ihrer Seite, so sät sie doch die Samen für ihren tragischen Mythos höchst selbst. Dabei kämpft die toughe Jungfrau nicht mit dem Schwert, sondern mit dem Mikrokabel. Der verhängnisvolle Refrain: „Gott und die Jungfrau!“ Schillers romantische Tragödie gerät zu einem Lehrstück über Macht, Show und Schmutzkampagnen, an dessen vorderster Front eine junge Frau mit festem Glauben und erschütterndem Eifer für den Sieg ihres Königs kämpft.

Vontobel scheint eine eigene Handschrift entwickelt zu haben. Gekämpft wird bei ihm ganz gern im Stroboskop-Licht. Zusammen mit seiner Bühnenbildnerin Claudia Rohner präsentiert er Bilder, die verfangen. Riesige Halogenlampen, die zunächst für Statik im Bühnenbild sorgen, fahren einseitig herunter und deuten auf ein Zentrum, in dessen Mitte der Zigarre rauchende Karl VII. steht. Lila Roben leuchten aus dem allgegenwärtigen Schwarz heraus. Insgesamt setzt Nadine Grellinger bei den Kostüme vor allem auf die Farbwirkung. Für den Punk-Rock-Sound zur Schlacht sorgt Daniel Murena, der Johanna hilft, den nötigen Flow für ihren Lauf zu finden.

 

Von Volk und König Karl (Florian Lange) wird Johanna (Lena Schwarz) gefeiert wie ein Popstar. / Foto: Arno Declair

Es ist die Zeit des Gottesgnadentums. Die Kirche ist eine mächtige Institution. Unbequeme Zeitgenossen werden denunziert, sind schnell als Ketzer, Hexe oder Teufelsanhänger verschrien. Im ausgehenden Mittelalter bangt Karl VII. um seinen Thron. Frankreich liegt im Klammergriff der Engländer, die sich mit den Burgundern verbündet haben. Der König versinkt in Selbstzweifeln und Kleinmut – bis Johanna auftaucht. Im Zuge einer gewaltigen mythischen Kampagne geht ein Ruck durch das bedrängte Frankreich. Eine gottgesandte Retterin soll für die Franzosen im aussichtslos scheinenden Hundertjährigen Krieg die Wendung bringen. Dabei ist es eben nicht so sehr die Blut-und-Boden-Mentalität, die den Antrieb für dieses waghalsige Unterfangen bildet. Es ist vielmehr der Glaube daran, Gott auf seiner Seite zu wissen. Eine Legitimation von der auch heute noch viele träumen. Johanna glaubt, aufgrund der eigenen Reinheit und Unschuld auserwählt zu sein, um die Wendung in einem Kampf herbeizuführen. Doch der wird nicht für Gott, sondern für die Ziele anderer geführt.

Vom Ende her erzählt

Johanna Schwarz war spontan für Barbara Hirt eingesprungen, die sich kurz vor der Premiere am Knie verletzt hatte, und lieferte zwar nicht die überzeugendste, aber – angesichts des schmalen Zeitbudgets – eine durchaus beachtliche Leistung ab. Ihre Interpretation der Johanna kapriziert sich vielfach auf naiv-verhuschtem Furien-Niveau, sorgt aber auch für große Bilder und berührende Momente. Die Eingangsszene zieht sich: In Grautönen simulierte Täler und Berge tauchen per Videoprojektion als prototypische Landschaft im Hintergrund der düsteren Bühne auf. Es ist die Leerstelle, in die sich alles hineinprojizieren lässt. Johanna sitzt alleine da, bedient ein Loop-Pedal, um die konzertierte Geräuschkulisse mit eingesprochenen Lauten selbst zu erzeugen. Sie verabschiedet sich von Feld und Wiesen und kurz darauf erfährt das Publikum: Es sieht nicht gut aus für Johanna. Fußeisen, Turmverlies – Johanna befindet sich in Gefangenschaft. Vontobel startet direkt mit ihrem Verhör, für dessen Erarbeitung er die historischen Prozess-Protokolle hinzugezogen hat. Damit nimmt er den vorläufigen Ausgang der Geschichte vorweg und deutet schon den Grundkonflikt an. Die richterliche Theologenriege sitzt bereits über Johannas Schicksal zu Gericht und zerbirst beinah vor Strenge und Bedeutsamkeit. Das Inquisitionsgericht hat die Jungfrau im theologischen Schwitzkasten. Sie soll schwören, bedingungslos, soll sich der Kirche unterwerfen und sieht sich doch nur Gott verpflichtet.

 

Rock & Star - Daniel Murena und Johanna (Lena Schwarz) gehen als Duo auf Tour. / Foto: Arno Declair

Einer der Geistlichen (gespielt von Klaus Weiß) legt seine Robe ab und redet nun als Vater, nicht mehr als Richter auf Johanna ein. Thibaut d’Arc gibt sich besorgt und macht auf väterliche Enttäuschung. Er vergleicht sie mit ihren heiratswilligen Schwestern. Schnell knöpft er ihr noch den Overall auf – vor lauter Sorge versteht sich. Aber was war denn hier los? Der sonst so souveräne Weiß drängt die Silben zusammen, vernuschelt den Text, wirkt manchmal sogar ein wenig abwesend. Das fällt auf, besonders im Kontrast zu Florian Lange, der als kleinmütiger Karl mit Hemd, Whisky, Kippe und Krawatte das Fleisch gewordene Polit-Klischee gibt. Zusammen mit Dimitrij Schaad sorgt er während des gesamten Abends für die schauspielerischen Glanzleistungen. Vontobel verteilt seine Darsteller auf mehrere Rollen, so dass der ganze Abend mit einer überschaubaren Mimenmenge auskommt.

Das Volk begrüßt die Jungfrau und erklärt: „Wir folgen blind, wohin die Jungfrau uns führt!“ Damit herrschen die besten Voraussetzungen für Karl und seine Meute. Die Mission Jungfrau kann beginnen und scheint zunächst erfolgreich zu sein. Die Franzosen sehen nach langer Zeit mal wieder des Engländers Rücken. Es folgt ein Krisengespräch im feindlichen Schützengraben. Den Engländern und Burgundern beginnt zu dämmern, dass Gott wohl gerade Pause macht oder spontan die Seite gewechselt haben muss. Florian Lange gibt die herrlich verkniffene Königin mit steifem Kragen, Stock und Perlenketten. Er bringt Witz und Feinsinn in die Szenerie. Im Lager möchte man das beleidigt Mutterherz jedoch nicht haben und weist sie deswegen an, nach Paris zurückzukehren. Isabeau ist `not amused`. Die Königin hegt mächtig Groll gegen Karl und findet: „Ich darf ihn hassen. Ich habe ihn geboren.“ Das ist wahre Mutterliebe. Bevor sie abtritt, verlangt sie noch schnell nach einem Jüngling, der für Kurzweil und Gesellschaft sorgen soll.

Mit dem Feind flirtet man nicht

 

Ein Moment der Zerrüttung - großartig interpretiert von Lena Schwarz und Dimitrij Schaad. / Foto: Arno Declair

Das Blatt scheint sich gewendet zu haben. Selbst die Überläufer kehren nun zur Seite der Sieger zurück. Zur Zigarre knallen die Korken, es werden Regiestühle und Champagner gereicht. Schnell sitzt Johanna wieder auf ihrem Abseitsstühlchen. Aus dem Siegestaumel wird ein feucht fröhliches Besäufnis. Dem Zuschauer dämmert, hier handelt es sich nicht um göttliches Geschick, sondern handfeste Politik und die wird nicht von Jungfrauen, sondern von Männern gemacht. Bevor Karl überhaupt an sein Volk denken kann, muss er erst einmal über eine Menge Champagnerkühler stolpern. Er will Johanna zum Dank in den Adelsstand erheben. Aber die hat Blut geleckt und will ihr Werk vollenden. Auch Paris gilt es zurückzuerobern. Dabei entdeckt sie, dass sie ein Faible für britische Bad Boys hat, weiß jedoch: Mit dem Feind flirtet man nicht. Johannas Kopf knallt gegen die Wand, neben ihrem Kopf das Jesuskreuz und mit ihm die Erinnerung, dass da doch noch irgendwas war. Durch die Begegnung mit dem englischen Anführer merkt sie, Gott hat ihr Herz fühlend erschaffen. Dimitrij Schaad kann in dieser Rolle zeigen, dass auch er es beherrscht, mit seinem Spiel emotionale Tiefen auszuleuchten. Sie verschont den Feind. Das beschert ihr genau den Konflikt, der sie in die Krise stürzen wird. Besonders in den Zwischenspielen mit Schaad gelingt es Schwarz, die Geworfenheit der Johanna erkennbar werden zu lassen. Sie ist bloß Schachfigur in einer Inszenierung, in der Aufrichtigkeit kein Spielvorteil bedeutet.

Drahtseilakt im Stimmengewirr

Vontobel zeigt: Stimmen hört man viele, sobald die Reflexion einmal eingesetzt hat. Aber welcher davon man letztlich Glauben schenkt, sollte man sich gut überlegen – vor allem, wenn sie Konfetti und Glitzer dabei haben. Karl will sich bedanken, Johanna verstummt. Sie fürchtet, in ihrer Reinheit korrumpiert worden zu sein. Zu viel für die Jungfrau, die glaubt, Gottes Gnade verloren zu haben. Ihr Haar ist wild, die Augen sind gerändert. Am Ende findet sich Johanna vor dem englischen Inquisitionsgericht wieder und das befindet: Der mystische Leib Christi hat sich angesteckt. Die vermeintliche Jungfrau sei eine Hexe, teuflisch und blutrünstig. Für die kirchliche Instanz ist sie weder Heilige noch gottgesandt, sondern eine Ketzerin, die sich einen göttlichen Kult anmaßt. Das wiederum bedeutet: Der König kriegt die Krise. Denn Karl hat sich von einer Ketzerin krönen lassen – nicht  unbedingt optimal fürs royale Image. Um den Schandfleck aus der weißen Weste zu bekommen, hilft nur eine nachträgliche Rehabilitation Johannas. Dumm nur, dass die schon verbrannt wurde. Public Relation posthum also.

Johanna ist kein Mensch mehr, sondern mediales Ereignis. Das politische System interessiert sich nicht für das, was in ihrem Inneren vorgeht. Hier genügt die Hülle, die Idee. Ihre Zweifel, ihre Bedürfnisse werden wortlos übergangen. Was zählt ist die Inszenierung, die mit der Geste zweckvoller Härte das Geschehen regelt und das Individuum auf brutale Weise verleugnet. Man kann all das in Vontobels Inszenierung finden, muss es aber zum Teil mühevoll freilegen, um zu erahnen, was diese Version des Schiller-Stücks im Kern so bedeutsam macht. Zu oft stößt man sich an den angedeuteten Popstar-Analogien und bekommt die vieldeutigen Versatzstücke  seiner Interpretation und den hier gezogenen Vergleich nur mit Anstrengung zu fassen.

 

 

 

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