Morgen beginnt die Kulturhauptstadt. Es ist Arschkalt. Das angekündigte Programm ist gut. Grönemeyer singt, ein Philharmonie-Orchester spielt. Es wird Schnee treiben. Über die Menschen, über die Sitze, über die Musiker. Nur hier und da in sackkalten Hallen wird vor Komödiantenbühnen kein Schnee auf die Mützen rieseln. Warum das Ganze?
Ich will kein Miesepeter sein. Aber ich kann mich so schlecht zurückhalten, wenn ich etwas so dumm finde, wie das hier, die Eröffnung der KH-Zwanzig10. Warum wird der Event nicht verschoben, wenn alle Zeichen auf Scheißwetter stehen? Jetzt, wenn man das noch rechtzeitig organisieren kann? Warum wird das nicht umgelegt in eine Halle? Und warum ist das Ganze überhaupt da draußen auf Zollverein und nicht wie versprochen in der Schalke-Arena?
Die Begründungen, die ich höre, sind alle gleich schlecht. Es heißt, die Arena sei zu teuer gewesen. Mann, Mann, dann hätte man ein wenig mehr Geld besorgen müssen, oder das Programm abspecken. Es heißt, ein wichtiger Spitzenverantwortlicher der Zwanzig10.GmbH habe sich mit dem WDR zerstritten, deswegen müsse das Ganze nun für das ZDF über die Bühne gerockt werden. Es geht um die Bilder. Für’s Fernsehen, heißt es. Es soll geil aussehen.
Bilder. Die Menschen morgen sollen also für Bilder frieren. Für’s Fernsehen frieren. Ich hoffe, jeder wird morgen dran denken, wenn ihm die Kälte durch die Schuhe kriecht, durch die Hose kriecht, bis an die Nieren kriecht.
Und wenn dann bei der Live-Übertragung zur Spitzensendezeit um 15:30 Uhr in einer Schnee-Böe die Haare der Moderatorin im Monitor verwehen. Wenn hinter ihr weniger Zuschauer im Eiswind ausharren, als im ZDF-Fernsehgarten. Ich hoffe dann werden die Bilder das erhoffte positive Signal ausstrahlen. Der Ruhrpott erstarrt im Eis. Geil.
Ich war mal vor Jahren bei der Aufzeichnung einer WDR-Show für die ARD im Bottroper Saalbau. Ich war ein Kind und saß da hinter den Kulissen bei der Generalprobe mit weit aufgerissenen Augen. Da sang irgendein Kasper unmotiviert auf einer Bühne. Er sang ein Lied, in dem ging es um Tennis. Ich kann mich erinnern, wie der Regisseur der Show mit einem arroganten Gesicht zu einer Assistentin sagte: "Schmeißt da Bälle rein, fürs Bild".
Am Abend habe ich die Show im Fernsehen gesehen. Da stand der Kasper und sang, in der einen Hand einen Tennisschläger in der anderen ein Mikrofon. Von vorne flogen Bälle ran und der Typ schlug ungefähr jeden dritten ins Publikum, der Rest flog in die Dekoration.
An diese Szene denke ich, wenn ich an die Zollverein-Nummer morgen denke.
Die Bälle sind diesmal die Zuschauer. Die Staffage, die Ausstattung, die Kulisse.
Die Veranstaltung morgen ist – trotz tollem Programm – nicht für die Menschen hier gemacht, sondern für die Bilder. Für die Bilder alleine.
Auch wenn morgen Kanzlerin Merkel und Präsident Köhler kommen. Sie sind Staffage. Ich hoffe, sie holen sich bei dem sinnlosen Schnee-Spektakel morgen nicht den Tod – oder hauen rechtzeitig wieder ab.
Da fällt mir ein: Es heißt, die Musiker würden, sollen, müssen Open Air spielen. Kann mir einer erklären, wie eine Oboe bei minus 5 Grad im Schnee klingt? Wie ein Cello, wie eine Tuba, wie eine Geige? Ich vermute, das ist Scheißegal, weil die Mukke eh vom Band kommt, oder?
Sorry, das musste raus. Ich werde morgen auf jeden Fall nicht nach Zollverein fahren. Ich will das gar nicht hören. Ich bleib zu Hause, mach den Kamin an, zieh mir die Decke bis ans Kinn, und lese meinen Kindern aus dem neuen Frank Goosen Buch vor. Das ist mein Eintritt in das Kulturhauptstadtjahr. Sollen sich andere den Arsch abfrieren.
Foto: Flickr.com / Goofi.Ge