
Einer der größten deutschen Pharmakonzerne in Familienhand, die Aachener Grünenthal GmbH, (bekannt durch den Contergan-Skandal) erhält eine neue Führung. Nach Informationen der RUHRBARONE zieht sich das einzig verbliebene Familienmitglied, Sebastian Wirtz, wegen heftiger interner Streitigkeiten aus der Geschäftsführung zurück und macht damit den Weg frei für den Umbau der Konzernspitze. Hintergrund der Personalie sollen interne Streitigkeiten zwischen Wirtz, dem Management und Arbeitnehmervertretern gewesen sein, berichten mehrere Quellen.
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Künftig wird die Firma nicht mehr durch ein Geschäftsführungsgremium, sondern durch einen Vorsitzenden geführt. Bisher gab es diesen Posten nicht. Der neue Konzernchef steht offenbar auch schon fest und soll dem Vernehmen nach vom US-Konkurrenten Johnson & Johnson kommen. Spekulationen, dass dieser Chefwechsel nur der erste Schritt zum Verkauf von Grünenthal sei, wurden klar dementiert. „Grünenthal bleibt in Familienhand. Ein Verkauf steht überhaupt nicht zur Debatte“, heißt es aus dem Firmenumfeld. Grünenthal selbst bestätigte den Umbau, wollte sich aber zu internen Streitigkeiten oder Machtkämpfen nicht äußern. „Der Beirat hat beschlossen, die Geschäftsführung um einen Vorsitzenden (CEO) zu erweitern. Grünenthal hat sich zu diesem Schritt entschlossen, weil sich "die Pharmabranche mit wachsender Dynamik verändert und die Komplexität des internationalen Pharmaumfelds drastisch zunimmt“, teilte das Unternehmen mit. Wirtz werde in diesem Rahmen „auf eigenem Wunsch“ aus dem Unternehmen scheiden. „Im gegenseitigen Einvernehmen wurde der Vertrag aufgehoben. Sebastian Wirtz steht dem Unternehmen auch weiterhin als Gesellschafter unterstützend zur Verfügung“, heißt es in der Pressemitteilung. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Offenbar gab es in den Monaten zuvor heftige Auseinandersetzungen zwischen Wirtz auf der einen Seite und Management sowie Arbeitnehmervertretern auf der anderen Seite. In einer Telefonnotiz vom 28. August 2008 notierte der Betriebsratsvorsitzende Karl-Josef Matthias, wie Wirtz ihn in einem Telefont wüst beschimpfte. „Er betitelte mich als Aufhetzer, als Spinner und als Bekloppten“, heißt es in der Notiz, die RUHRBARONE vorliegt. Hintergrund war die Rede, die Matthias vor der Betriebsversammlung halten wollte. Darin wollte er die Probleme von Grünenthal benennen, unter anderem eine hohe Mitarbeiterfluktuation. Wirtz hatte den Arbeitnehmervertreter aufgefordert, seine Rede entsprechend zu ändern. Matthias spricht in der Telefonnotiz von einem „unverschämten Umgangston von Seiten Herrn Sebastian Wirtz“. Offenbar war dies aber kein Einzelfall. „Wäre Wirtz weiterhin in der operativen Führung tätig, würde er das Unternehmen massiv durch seine Art gefährden“, sagt eine involvierte Person.
Mit Sebastian Wirtz wird sich nun das letzte Mitglied der Eigentümerfamilie aus dem operativen Geschäft zurückziehen. Grünenthal folgt damit dem Weg, den zuvor schon andere Familienkonzerne eingeschlagen hatten. Bei Voith und Haniel etwa gehören die Vorstandsvorsitzenden traditionell nicht der Familie an. Die Familie führt hier nur noch Kontrollaufgaben durch. Gleiches wird nun auch bei der Familie Wirtz erwartet. Möglich erscheint, das Sebastian Wirtz in den Beirat oder den Aufsichtsrat wechselt. Der Pharmakonzern Grünenthal gehört zur umfangreichen Beteiligungsgruppe der Familie Wirtz. Ihr gehören auch die Dalli-Werke sowie deren Parfümerietochter Mäurer & Wirtz, die zuletzt die Traditionsmarken 4711, Tosca, SIR Irish Moos und Extase von Procter & Gamble aufkauften. Über die Bilanzen der verschiedenen Firmen ist wenig bekannt. Schätzungen zufolge soll sich der Umsatz der gesamten Firmengruppe auf fast zwei Mrd. Euro belaufen, allein Grünenthal setzte im vorigen Jahr 846 Mio. Euro um.
Das 1946 gegründete Familienunternehmen aus Aachen war nach dem zweiten Weltkrieg der erste Pharmakonzern, der das dringend benötigte Penicillin auf den deutschen Markt brachte. Weltweit bekannt wurde es jedoch durch den Contergan-Skandal. Das Medikament, mit dem von Grünenthal entwickelten Wirkstoff Thalidomid, das 1957 auf den Markt gebracht wurde, hatte zu schwerwiegenden Missbildungen (Dysmelien) bei Neugeborenen geführt. Als Entschädigung zahlte Grünenthal seinerzeit rund 110 Mio. DM in die Contergan-Stiftung ein. Die „Welt am Sonntag“ deckte 1961 die Risiken auf. Daraufhin wurde das Medikament vom Markt genommen.
Derzeit steht die Firma erneut wegen des Contergan-Skandals in der Kritik. Contergan-Opfer wollen mehr Geld.
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