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Premiere in Dortmund (2): Heimliche Helden

"Heimliche Helden" am Schauspiel Dortmund (Foto: Birgit Hupfeld)
„Heimliche Helden“ am Schauspiel Dortmund (Foto: Birgit Hupfeld)

Es ist der Abend des Rollkragenpullover des Schreckens. Alle tragen ihn, dieses fiese Teil in ekelerregendem, schleimartigen Grüngelb. Eine Farbe, die nur in reinem, billigen Polyester denkbar ist, die die Achselschweißflecken schon von Geburt an in sich trägt, genauso wie den Geruch. Kostümbildnerin Vanessa Rust hat alle gut zwanzig Gefangenen des Großraumbüros in dieses textile Folterinstrument gesteckt und es überwiegend mit braunen Hosen, Röcken und Jacketts kombiniert, die ihre wollene Kratzigkeit deutlich zur Schau tragen. Die fahle Blässe der Gesichter verschmilzt mit der Kleidung zu einer Einheit und wird zur perfekten Tarnung in der Farblosigkeit der Amtsstuben. Die ganze Finanzbehörde, die SachbearbeiterInnen, die RechnungsprüferInnen, die SteuerfahnderInnen, die Schreibtische, Tapeten und Bodenbeläge – das alles ist ein einziger großer Organismus, der trübe vor sich hindämmert, während in ihm die immer gleichen Verdauungsprozesse formulargewordene Fälle durch die Darmwindungen pumpen, bis sie in einem Papierkorb landen.

Aber heute ist ein besonderer Tag. Es ist Tag der offenen Tür in dieser kafkaesken Parallelwelt und wir, die Zuschauer, dürfen mitten hinein in die Peristaltik der Behörde. Still und vorsichtig sollen wir sein, um die wohlgeordneten Abläufe nicht zu stören, nur dann bekommen wir auch den entzündeten Blinddarm zu sehen, die Mitarbeiterin, die in der Abgeschiedenheit der Toilette sich ausgiebig ihren Phobien widmet. Wir können die plötzlichen Ausbrüche ungezügelter Individualität in der Einförmigkeit entdecken, wenn die Borkum-Tasse unter dem Schreibtisch hervorgeholt wird. Und wir dürfen zusehen, wie die Mitarbeiter Privatheit simulieren, wenn sie sich zur Pause treffen oder die Männer unter sich sind und mit Herrenwitzen und Gesprächen über Masturbation scheitern.

Die Behörde, das ist diese grauenhafte und urkomische Welt, in der Menschen etwas tun, was vielleicht irgendwie wichtig ist, aber seine Bedeutung vor dem Rest der Welt gut zu verbergen weiß. Und doch sind diese Menschen eben „Heimliche Helden“, die diesen eintönigen Schrecken klaglos über viele Jahre hinweg ertragen.

Julia Schubert, die als Schauspielerin im Dortmunder Ensemble eine Spezialistin für die urkomisch wie tieftragisch scheiternden schlichten Gemüter ist (gerade auch als brillante Karoline in „Kasimir und Karoline“ zu sehen), hat diesen Abend erdacht, der am 21.10. Premiere hatte. Sie inszeniert das Büro als Parcours und szenische Installation. Jeder Zuschauer erhält zu Beginn eine Nummer mit der Abfolge der einzelnen Stationen, die nacheinander zu besuchen sind. Ganz zuletzt geht es zum großen Betriebsfest im Garten mit Pfefferminzlikör und Käsespießen. Das Unterhaltungsprogramm liefert Schlagersänger René Carmen. Clara Hedwig hat die Bürowelt in das Bühnenbild der „Borderline-Prozession“ implantiert. Das darf man getrost als genialen Einfall bezeichnen, zumal es nie wie eine bloße Zweitverwertung wirkt. In den Texten und Textbruchstücken ist mit sicherem Gespür alles versammelt, was den Büroalltag unerträglich macht. Da sind die Floskeln der dauertelefonierenden Damen vom Kundendienst, da sind „witzige“ Sprüche, die spätestens bei der dritten Wiederholung unerträglich werden, da ist das Pausengespräch in dem es um nichts geht, weil man sich schon längst alles erzählt hat oder halt einfach nichts jenseits der Arbeit berichtenswert ist. Man muss nicht unbedingt im Finanzamt arbeiten, um sich und die eigene Lebenswelt darin wiederzufinden – es reicht, schon einmal in einem Büro mit mehr als drei KollegInnen zusammengearbeitet zu haben.

„Heimliche Helden“ ist ein komischer, gruseliger, höchst unterhaltsamer und origineller Abend geworden, an dem alle sieben Mitglieder des Schauspielensembels, die zwei spielenden Dramaturgen und die Mitglieder des Dortmunder Sprechchores mit ihren szenischen Miniaturen auch im muffigsten Schleimgrün noch glänzen. Und wenn man das Glück hat, direkt neben Thorsten Bihegue im Auto zu sitzen, sollte man dringend einen Blick auf sein Klemmbrett werfen: Sein Gekritzel ist allein schon den Besuch wert.

Termine und Tickets: www.theaterdo.de

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