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Premiere in Dortmund (1): Das Interview

"Das Interview" am Schauspiel Dortmund (Foto: Birgit Hupfeld)
„Das Interview“ am Schauspiel Dortmund (Foto: Birgit Hupfeld)

Katja und Pierre treffen sich in Katjas Wohnung zu einem einstündigen Interview. Katja ist eine kommerziell erfolgreiche Schauspielerin. Pierre ist Journalist. Das ist die schlichte Ausgangangssituation des Stückes „Das Interview“, das Theodor Holman nach dem Film von Theo van Gogh geschrieben hat und das am 22.10. im Dortmunder Megastore Premiere hatte.

Jan P. Brandt baut dafür in die kleinste Spielstätte des Megastores ein ebenso einfaches wie schlüssiges Setting. Vor raumbreitem Glitzervorhang markiert ein großer wollweißer Berberteppich die Spielfläche. Zwei Barcelona Chairs und die dazugehörige Liege zeigen neureichen Stil. Stefan Gimbel platziert auch hinter dem Spaghettivorhang zwei Scheinwerfer, deren Licht die Spielfläche mit wandelbaren grafischen Schattenmustern überzieht, die sowohl den Verlauf der Tageszeit wie wechselnde Kräfteverhältnisse im Gespräch aufscheinen lassen. Merle Wasmuth als Katja gefährlich sexy in ultrakurzer rosa Samthose, durchsichtiger Bluse, mit Netzstrümpfen und Highheels und Carlos Lobo als Pierre im grauen Anzug betreten die Arena.

Es geht schon mit den ersten Worten etwas schief. Beide entschuldigen sich gegenseitig, sie hätten sich verspätet. Das kann gerade noch mit Höflichkeit weggebügelt werden. Doch Pierre ist nicht der richtige Journalist. Er ist nur als Ersatz da, weil aus der Kultur- oder Societyredaktion niemand verfügbar war. Pierre ist eigentlich aus der Politik. Und dann ist er noch nicht einmal schwul. Einen Schwulen aus der Kultur hatte Katja das letzte Mal als Gesprächspartner. „Schwul“ ist für sie offensichtlich Synonym für Fachkompetenz wie auch Unterlegenheit. Pierre kann und will ihr das nicht bieten und bekennt gleich erst mal, dass er nicht vorbereitet sei und keinen ihrer Filme gesehen habe. Trotzdem bringt er zum Ausdruck, dass er ihre Arbeit für künstlerisch irrelevant hält, Katja kontert mit Erfolgszahlen. Das Interview ist eigentlich hier schon gelaufen. Vor allem weil die Schauspielerin schon jetzt das Heft in der Hand hat. Noch agiert sie mit einfachsten Mittel, dem Basisrepertoire des attraktiven erfolgreichen Sternchens. Sie spreizt sich im wahrsten Sinne des Wortes, präsentiert Pierre immer wieder ihren nur knapp bedeckten Schritt, kokettiert mit den Klischees. Pierre geht nicht darauf ein, hat aber auch nichts entgegenzusetzen als den abgegriffenen Vorwurf, sie solle doch mal aufhören zu spielen und ihre Maske ablegen.

Je weiter das Interview entgleist, je mehr beide mit sexueller Anziehung und Abstoßung spielen, aber besonders mit jeder hingeworfenen intimen Offenbarung beider Seiten bis hin zur Selbstentblößung, wird umso unklarer, was hier eigentlich wirklich gemeint ist. Die Schauspielerin und der Journalist – das sind zwei Seiten einer Medaille, die es mit der baren Münze nicht so genau nimmt. Pierres ganze Uninformiertheit – ist sie vielleicht nur eine Masche, um aus Katja etwas herauszukitzeln, das mit gezielten Fragen nie zu erreichen wäre? Und Katja? Hat sie wirklich Brustkrebs, wie sie am Höhepunkt plötzlich offenbart? Vielleicht ist es auch nur die gezielte PR-Strategie, um ihre Karriere einen anspruchsvollen Dreh zu verleihen. Oder nur ihre Antwort auf Pierres ebenso dramatisch überzogenen Storys aus dem Bosnienkrieg.

Regisseur Max Lindemann lässt seine beiden hervorragenden Darsteller in diesem Spiel laufen. Merle Wasmuth und Carlos Lobo kosten jede neue Volte des Gesprächs genüsslich aus. Kleine szenische Zeichen wie der ganze Eisbergsalat, den Katja als Abendessen aus einem Sack Klamotten hervorkramt und das Koks aus Puderzerstäubern sind nicht einfach nur Witz, sondern markieren, dass der Zuschauer hier nichts glauben kann. Ausgerechnet das Interview, das allgemeinhin als die am meisten realitätsgetränkte journalistische Form gilt, wird in diesem konzentrierten, bösen Abend als großes Lügenspiel dekonstruiert.

 

Termine und Tickets: www.theaterdo.de

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